Progressive Synergien

NEW BUSINESS Guides - STUDIEN- & BILDUNGS GUIDE 2017
Klaus Hengsbach leitet die Einheit Didaktik beim weltweit agierendem Hersteller von Komponenten und Systemen für elektrische Verbindungen sowie industrielle Automatisierung, Phoenix Contact. © Phoenix

Initiative EduNet ebnet den Weg in die industrielle Zukunft

Vor zehn Jahren wurde die Initiative EduNet von Phoenix Contact ins Leben ­gerufen. Seither hat sich das internationale Hochschulnetzwerk zu einem ­bedeutenden und zukunftsweisenden Forum für Technologietransfer entwickelt.

Die aktuellen Entwicklungen in der Automatisierungstechnik, wie Industrie 4.0 und das Internet der Dinge mit den dazugehörigen Dienstleistungen, haben weltweit weitreichende Auswirkungen auf das Berufsbildungs­system und den Einsatz von Technologien. Diesen Herausforderungen müssen sich Industrieunternehmen und Hochschulen gleichermaßen stellen, da die Entwicklungen zukunftsorientierter Lösungen einen kontinuierlichen Erfahrungsaustausch und eine enge Kooperation der Beteiligten bedingen. Mit dem Ziel, bildungsrelevante Innovationen und Inhalte gemeinsam zu entwickeln und im Praxiseinsatz zu erproben, gründete Phoenix ­Contact das Hochschulnetzwerk EduNet. Die Kompetenzen und Qualifikationen der Mitglieder im Netzwerk bilden eine solide Basis, um die Anforderungen an die fortschreitende Digitali­sierung und Informatisierung der Arbeitswelt erfüllen zu können.
Anlässlich des zehnjährigen Jubiläums der Initiative EduNet sowie der im Rahmen der Konferenz für Automatisierungstechnik am 12. Juni 2017 in Wien gegründeten EduNet World Association hat NEW BUSINESS Klaus Hengsbach, Leiter der Einheit Didaktik bei Phoenix Contact, zum Gespräch gebeten.

Herr Hengsbach, wie beurteilen Sie die Auswirkungen der Digitalisierung auf den Arbeitsmarkt, für die Arbeitnehmer und ­insbesondere auf das Bildungswesen?
Für die Arbeitnehmer bedeutet die Einführung der Digitalisierung mehr Chancen als die angenommenen Gefahren wie zum Beispiel Arbeitsplatzverluste. Der Mensch ist und bleibt auch in der digitalisierten Welt der wichtigste Erfolgs­faktor. Wohl aber wird die Art der Organisation der Arbeit gravierende Veränderungen erfahren: neue, agilere Formen der Zusammenarbeit werden entstehen.
Der Begriff des lebenslangen Lernens bekommt gerade mit Industrie 4.0 eine noch wichtigere Bedeutung. Denn ohne Weiterbildung auch in an die eigene Arbeit angrenzenden Themenfeldern wird der Arbeitnehmer zukünftig am Arbeitsplatz und Arbeitsmarkt mit Schwierigkeiten konfrontiert sein.
Das Bildungswesen wird interdisziplinäre Qualifizierungsinhalte aufbereiten und vermitteln müssen. Hierfür sind Kompetenzprofile anzupassen und entsprechende Qualifizierungsbausteine sowohl in der Aus- als auch in der Weiterbildung zu entwickeln und zu realisieren. Dabei kann gerade die Digitalisierung von Teilen der Lehre in Form von E-Learning-Konzepten ein wichtiger Baustein sein.

Klassische Lern- und Wissenstransferformate stoßen zunehmend an ihre Grenzen – vor allem im technologischen Bereich. War dies der ausschlaggebende Faktor, um die Initiative EduNet zu gründen?
Da durch den Einsatz von technischen Netz­werken Anlagen weltweit verfügbar sind und bedient werden, müssen wir auch den Studierenden so früh wie eben möglich das Wissen darüber verfügbar machen.
Dass solche Konzepte am besten international von den Hochschulen mitentwickelt und auch betrieben werden, das ist der initiale Gedanke von EduNet.
Weltweit mit führenden Hochschulen ein ­Netzwerk aufzubauen, um den internationalen Wissenstransfer im Bereich der Automatisierungstechnik zu fördern und bildungsrelevante Innovationen und Inhalte gemeinsam zu entwickeln und zu erproben, das ist das übergeordnete Ziel ­unserer Initiative.

In der Industrie herrscht weitgehend die Annahme, dass Jobs durch Robotik- und Automatisierungslösungen verloren gehen. Kann diese Befürchtung durch Initiativen wie EduNet entkräftet werden?
Die Automatisierungstechnik als Jobkiller anzuprangern, hat schon eine lange Tradition, die aber falsch ist. Dass sich durch Automation Arbeitswelten verändern, ich behaupte sogar verbessern, ist eher der Fall. Und bei diesen Veränderungsprozessen entstehen neue Arbeitsfelder und Arbeitsplätze. Man muss dabei beachten, dass sich die Anforderungen an die Mitarbeiter ebenso verändern und die Unternehmen und die Politik gefordert sind, adäquate Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die Menschen vorbereitet und mitgenommen werden. Das ist ganz wichtig!

Theorie und Praxis gehen in der Industrie Hand in Hand. Wie schaffen Sie die perfekte Kombination?
Wir stehen als Unternehmen dafür, innovative Technologien zu entwickeln, die es anderen Unternehmen und Wirtschaftszweigen ermöglichen, am Markt mit ihren Produkten und Dienstleistungen erfolgreich zu sein. Wir engagieren uns in Fachverbänden, Gremien und im Bereich der Bildung, und dies international. Mit der erforderlichen offenen Kommunikation über unsere Aktivitäten in Richtung Mitarbeiter und Öffentlichkeit erreichen wir eine Transparenz und ein Vertrauen, das für alle Beteiligten die Basis für eine gute Zusammenarbeit schafft. So werden dann aus theoretischen Ideen reale Produkte und Lösungen. Das ist einfach gesagt, aber täglich immer wieder eine große Herausforderung.

­Welches Feedback bekommt EduNet vom ­technischen Nachwuchs, von Branchenexperten oder von Politik und Wirtschaft?
Da wir das Netzwerk bereits 2007 gegründet haben, haben wir schon viele positive Rückmeldungen erhalten. Sei es zu der Labortechnik, die wir jedem neuen Mitglied kostenfrei zu Verfügung stellen, oder auch zu den intensiven Praxisschulungen für die Laborverantwortlichen, die wir in unseren Niederlassungen und in Bad Pyrmont abhalten. Damit bekommen die Hochschulen wie auch die Studierenden das Praxiswissen vermittelt, welches aktuell am Markt in den Unternehmen gefragt ist. Arbeitsplatznahe Qualifizierung ist damit in den Hochschulen möglich. Darüber hinaus können auch Professoren Gastvorlesungen an anderen Hochschulen in der Welt halten und Bezug auf die Technik nehmen, die sie selbst zu Hause verwenden. Denn sie ist ebenfalls in der Gasthochschule verfügbar. EduNet bietet eine Plattform und die Infrastruktur für intensiven Dialog und Erfahrungsaustausch, und dies wird sehr gut angenommen.

Stehen im Rahmen von EduNet derzeit ­konkrete technologische Herausforderungen auf der Agenda?
Wir müssen zu der klassischen Automatisierungstechnik (Programmierung, Inbetriebnahme von Anlagenteilen) auch noch die Netzwerktechnik und IT-Sicherheit in den Vorlesungsplan aufnehmen. Diese Themen sind schon Bestandteil von Vorlesungen und Praktika, aber eher im Bereich der IT. Hier müssen wir noch intensiver mit den Fakultäten sprechen, wie eine interdisziplinäre Hochschulbildung funktionieren kann. Diese Themen sind von hoher Relevanz für die jungen Ingenieure und ebenso bedeutsam für international agierende Unternehmen, die ihre Wertschöpfungsketten in mehreren Ländern betreiben.

Wie funktioniert der globale Wissensaustausch innerhalb von EduNet? Welche Synergien sind bereits ­entstanden?
Wir betreiben ein Mitgliederportal, auf das die Hochschulen Zugriff nehmen können. Die Mitglieder können über das Portal in Austausch miteinander treten und sich zum Beispiel auch für gemeinsame Forschungsprojekte vernetzen. Unsere kostenfreien Trainingsangebote organisieren wir oft in virtuellen Klassenräumen ebenfalls über unsere Mitgliederplattform. Darüber hinaus kommt es zum qualitativen Netzwerken unserer Mitglieder auf unseren Konferenzen und in den Trainings, die wir in den Phoenix Contact Niederlassungen organisieren.

Bietet der internationale Dialog auch eine Basis für kulturelle und soziale Kompetenzen im Sinne der Globalisierung?
Das bei der Anzahl von 98 Hochschulen aus 29 Ländern selbstverständlich auch das Erleben anderer Lebenskulturen wichtig ist, steht außer Frage. Wir fördern dies insbesondere dadurch, dass wir die europäischen wie auch asiatischen Jahreskonferenzen immer wieder in einem anderen Land veranstalten. Das gibt dem gastgebenden Land und der ausrichtenden Hochschule die Gelegenheit, sich vorzustellen; und den Gästen aus den unterschiedlichen Ländern gibt es die Möglichkeit, einen besseren Einblick in die Bildungssysteme der Länder zu gewinnen. Dass dabei die Außenbetrachtung auf das eigene Bildungssystem zu neuen Erkenntnissen und Bewertungen führt, ist ein weiterer Effekt.

Welche Rolle spielen Studierende im Rahmen von EduNet?
Wir denken intensiv darüber nach, auch ein Studentennetzwerk aufzubauen, da wir gern den direkten Kontakt zu den Studierenden entwickeln möchten. Mit der Gründung der EduNet World Association haben wir ab 2017 eine weitere wichtige Berufs- und Bildungsebene in das Netzwerk aufgenommen. Es ist dies die Ebene der Fachschulen und Colleges und somit die der Fachkräfte wie Meister, Techniker, die ebenfalls eine wichtige Rolle in der Unternehmens- und Bildungslandschaft spielen. (BO)