Wartung zum besten Zeitpunkt

NEW BUSINESS - NR. 6, JULI/AUGUST 2017
Predictive Maintenance: Aus den Zustandswerten werden Ableitungen über die Belastung oder den Verschleiß von Komponenten getroffen. © Fotolia/sdecoret

Fertigungsbetriebe erwarten sich von vorausschauender Wartung erhebliche Vorteile wie Kosteneinsparungen und geringe Stehzeiten ...

Reparaturen vermeiden, Ausfallzeiten verhindern und die Restlebensdauer von Maschinen besser ausnutzen: Das Thema Predictive Maintenance ist im Zeitalter von Industrie 4.0 in aller Munde. Aus aktuellen Betriebs- und Zustandswerten werden Ableitungen über die bisherige Belastung bzw. den Verschleiß einer Komponente oder einer Maschine getroffen. Daraus wird eine Vorhersage entwickelt, wann die Ausfallwahrscheinlichkeit einen kritischen Wert erreicht. So können wartungsbedingte Stehzeiten genau geplant, Ersatzteile rechtzeitig nachbestellt und Produktionspläne zeitgenau eingehalten werden.
Doch was kann die vorausschauende Wartung darüber hinaus? Und welche Auswirkungen hat sie auf den durch den digitalen Wandel ohnehin vom Ins-Abseits-Rücken bedrohten Faktor Mensch? Einer, der es wissen muss, ist Moritz von Plate. Der CEO der Cassantec AG mit Sitz in Zürich ist Experte für Prognosemodelle und hat mit seinem Unternehmen einen Algorithmus zur Ermittlung von Maschinenstörungen entwickelt. Er erläutert, warum das Thema Instandhaltung als fester Bestandteil der Wertschöpfung betrachtet werden muss.

Kosten eindämmen
Auf den Märkten herrschen immer enger werdende Konkurrenzsituationen, in denen Kleinigkeiten letztlich den Ausschlag geben, ob ein Unternehmen Erfolg verbucht oder nicht. Besteht allerdings die Möglichkeit für Betriebe, hohe Instandhaltungs- beziehungsweise Reparaturkosten zu reduzieren und dadurch die Wertschöpfung zu steigern, stellt dies bereits einen großen Vorteil im Wettbewerb dar. Durch vorausschauende Wartung lassen sich Kostenvorteile generieren. Stillstände verursachen Beträge in immenser Höhe. Die Einsparungen sind je nach Anwendung und Branche sehr unterschiedlich. Zum Beispiel kann ein Kohlekraftwerk mit 1,5 GW Kapazität mit vier Millionen Euro, eine Raffinerie mit 3,5 Millionen Euro Einsparungen pro Jahr rechnen. Typischerweise entfallen ein Drittel des Nutzens auf Kosteneinsparungen und zwei Drittel entstehen durch verbesserte Anlagenverfügbarkeit. „Cassantec Prognostics, wie unsere Prognoselösung heißt, zeigt über eine Ampeldarstellung zukünftige Wahrscheinlichkeiten an, wann mit welchen Störungen zu rechnen sein wird. Häufig liegt der Fokus von Anlagenmanagern auf der Einsparung kurzfristiger Kosten zur Verbesserung des Ergebnisses, unser Tool macht dagegen auch langfristige Kostensenkungen möglich“, erläutert von Plate.

Erschwerte Budgetverwaltung
Ausfälle von Anlagen verursachen nicht nur Kosten zur Behebung von Störungen oder beeinträchtigen die Produktion, sondern erschweren die Planung und den Umgang mit vorhandenem Kapital. Unberechenbare Anforderungen bezüglich Inventar und Ersatzteilen sorgen dafür, dass langfristige Vorhaben oftmals nur eingeschränkt durchzuführen sind. „Es ist notwendig, die Instandhaltung als Teil der gesamten Wertschöpfung zu betrachten und systematisch auszurichten. Ist diese nämlich überwiegend reaktiv ausgerichtet, hat dies große finanzielle Auswirkungen durch erhöhte Kosten und verringerte Umsätze aufgrund von Produktionsausfällen. Um erfolgreich zu sein und Ziele zu erreichen, müssen Betriebe dauerhaft produzieren und hohe Qualität anbieten, was durch Ausbleiben von Störungen gewährleistet ist. Haben Unternehmen Transparenz über die zukünftigen Risiken, planen sie besser“, gibt der Experte an.

Daten als Schlüssel zum Erfolg
Viele Unternehmen sammeln und verfügen über große Mengen von Informationen, die sie aber noch nicht zu ihrem Vorteil einsetzen. „Datenmaterial vorliegen zu haben, ist die Grundlage, es sinnvoll einzusetzen schließlich die effektive Lösung. Große Mengen von Daten unterschiedlicher Quellen zu verwalten, stellt Verantwortliche vor Herausforderungen. Cassantec Prognostics zum Beispiel verwendet die relevanten Daten direkt aus den Anlagen und wertet sie entsprechend aus. Somit unterstützt das Tool Anlagenmanager aktiv bei der Analyse. Ziel ist es dann, anhand der Ergebnisse wertschöpfende Handlungen zur Aufrechterhaltung des funktionierenden Anlagenzustands durchzuführen“, weiß von Plate. In vielen Fällen ist also bereits die Voraussetzung gegeben, Instandhaltung richtig zu betreiben.

Faktor Personal: Was ändert sich?
Das Sammeln und Auswerten der nun gewonnen Daten stellt Betriebe vor neue Aufgaben. Die Flut an Daten zu bewältigen, kann Mitarbeiter überfordern. Wenn den Betrieben die notwendigen Ressourcen und Methoden zur systematischen Auswertung fehlen, mindert dies das Einsparungspotenzial. Werden durch Predictive-Maintenance-Lösungen nun andere Qualifikationsanforderungen an die Mitarbeiter gestellt? „Unternehmen haben jahrzehntelang Wissen aufgebaut, das in den Köpfen der Ingenieure und Techniker steckt. Dieses geht mit der alternden Demografie verloren“, gibt Moritz von Plate zu bedenken und fügt hinzu: „Gute Datenanalysesysteme machen sich dieses Wissen zunutze, anstatt dass sie Data Scientists neuen Schlages erforderlich machen. Im Ergebnis brauchen die Betriebe also meist kein neues Personal, sondern die richtigen neuartigen Data-Science-Lösungen, gepaart mit der Bereitschaft der Mitarbeiter, sich auf diese neuen Methoden gedanklich einzulassen. Es geht also mehr um Change Management als um den Aufbau neuen Personals.“

Nicht alles Gold, was glänzt
Nicht jede Anlage kann mit der erforderlichen Sensorik ausgestattet werden. Zumindest nicht nach technisch und wirtschaftlich sinnvollen Maßstäben. Moritz von Plate sieht hier aber eine positive Entwicklung: „Da Sensorik immer günstiger wird, weitet sich der sinnvolle Einsatz laufend aus; zudem werden Sensoren für immer neue Anwendungen entwickelt.“ Typischerweise sind Sensoren unter folgenden wesentlichen Voraussetzungen am sinnvollsten: Ausfälle aufgrund von Schäden oder Umsatzeinbußen sind teuer, so dass man sie durch Datenanalytik vermeiden sollte. Dies ist insbesondere in Prozessindustrien der Fall, weil hier Umsatzeinbußen am höchsten sind. Die Störungen, die zu den Ausfällen führen, müssen durch Daten erkennbar sein. So lassen sich menschliche Fehler oder Blitzschlag nicht durch Daten sichtbar machen, Verschleiß aber sehr wohl.
Zudem versprechen viele Anbieter von Predictive-Maintenance-Lösungen alles. Echten Inhalt vom Marketing zu trennen, ist nicht einfach. Daraus erwächst die Notwendigkeit zu sauberem Erwartungsmanagement. „Heutige Predictive-Maintenance-Lösungen ermöglichen erhebliche Vorteile, machen es aber erforderlich, dass sich die Experten beim Betrieb mit den Erkenntnissen, die diese Lösungen liefern, aktiv auseinandersetzen“, erklärt der CEO von Cassantec. „Häufig besteht noch die Erwartung, dass diese Lösungen einem das Denken abnehmen. Das Gegenteil ist aber der Fall, weil diese Lösungen Transparenz schaffen, mit der man sich auseinandersetzen muss.“ Daraus leitet sich der Bedarf nach Change Management ab, denn die alten Wege, Entscheidungen zu fällen, können (und müssen) mithilfe der neuen Erkenntnisse hinterfragt werden. „Predictive Maintenance bedeutet also nicht, dass man – in einer Analogie gesprochen – vom papierhaften aufs papierlose Büro umstellt, ansonsten aber alles beim Alten bleibt; stattdessen bedeutet es, dass man die Art, wie man arbeitet und zu Entscheidungen kommt, auf neue Beine stellen muss“, sagt ­Moritz von Plate abschließend. (MW)


INFO-BOX I

Condition Monitoring: Die Vorstufe zur ­vorausschauenden Wartung
Die Verfügbarkeit technischer Anlagen und Maschinen soll auf einem konstant hohen Niveau gehalten werden. Solange alles reibungslos läuft, ist alles gut. Das Problem: Maschinen und Anlagen müssen in regelmäßigen Abständen gewartet werden. Der Teufel steckt aber wie so oft im Detail – in diesem Fall im richtigen Zeitpunkt. Die Frage, wann oder wie oft eine Wartung nötig ist, ist betriebswirtschaftlich schwer zu beantworten. Wird zu häufig gewartet, entstehen unnötig hohe Kosten für Materialverbrauch und Stillstandszeiten. Wird das Wartungsintervall zu lang angesetzt, riskiert der Betrieb den Ausfall der Maschine – bei einem ungeplanten Stillstand entstehen erhebliche zusätzliche Kosten für Reparaturen, unter Umständen drohen darüber hinaus Lieferverzüge.
Zustandsüberwachung, also Condition Monitoring, ist ein Konzept, durch das Wartungsintervalle ausgedehnt werden, aber Stillstände verhindert werden sollen. Antriebsgeräusche von Windkrafträdern werden mit Mikrofonen überwacht und ihre Vibrationen mittels Sensoren gemessen. Sobald sich Abweichungen vom Normalbetrieb zeigen, wird es Zeit für ein Service.

INFO-BOX II
Über Cassantec
Die 2007 in Zürich als AG gegründete Cassantec und ihre deutsche Tochter­gesellschaft sind darauf spezialisiert, Kunden eine hoch entwickelte Prognose­lösung zu liefern. Mit Standorten in Zürich, Berlin und Cleveland/USA gibt das Unternehmen präzise Prognosen über den Zustand von Anlagen und Anlagenkomponenten ab, aus denen der Betreiber optimale Handlungsmöglichkeiten ableiten kann. Durch den prognostischen Ansatz, mit Cassantec Prognostics Risiken im Voraus zu berechnen, hebt sich das Unternehmen von den sonst bekannten Monitoring- oder Diagnosedienstleistern ab. Cassantec Prognostics basiert auf neuen und einzigartigen Kombinationen mathematischer Methoden. Ermittelt werden Zustandstrends, Risikoprofile von Störungen und verbleibende Restlebensdauer einer großen Bandbreite von Maschinen und Anlagen.
Das Unternehmen kann Referenzen aus den Bereichen Energieerzeugung, Öl und Gas, der Prozessindustrie und dem Transportsektor vorweisen. Für ihre innovative Prognoselösung wird Cassantec von der Schweizerischen Kommission für Technologie und Innovation (KTI) gefördert und kooperiert mit führenden Universitäten und Partnern aus der Industrie. Der Name Cassantec (Abkürzung für Cassandra Technologies) bezieht sich auf die Figur Kassandra aus der ­griechischen Mythologie, die vor drohenden Gefahren warnt.