Zeit für eine Einigung beim Lieferkettengesetz vor der EU-Wahl drängt © APA - Austria Presse Agentur

Fachleute haben die Vorgehensweise von Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) beim EU-Lieferkettengesetz kritisiert. Die für vergangene Woche geplante Abstimmung im Ausschuss der EU-Botschafter wurde auf unbestimmte Zeit vertagt, nachdem Deutschland und schließlich auch Österreich Zweifel angemeldet hatten. Die Zeit drängt allerdings, spätestens bis Anfang März muss eine Einigung gefunden werden, damit das Gesetz noch vor der EU-Wahl verabschiedet werden kann.

Die EU-Kommission hat ihren Vorschlag zum Lieferkettengesetz bereits vor zwei Jahren präsentiert. Die EU-Mitgliedsstaaten und das Europaparlament haben sich im Dezember 2023 auf einen Kompromisstext geeinigt, beide Institutionen müssen diesen aber noch final absegnen. Auf den letzten Metern befand Deutschlands Justizminister Marco Buschmann (FDP) es jedoch als in der bisherigen Form "unzumutbar für kleine und mittelständische Unternehmen".

Bei der finalen Abstimmung der EU-Mitgliedstaaten hätte sich Deutschland deshalb enthalten, was einem Nein gleichgekommen wäre - und Österreich folgte. Die ÖVP setzte eine Enthaltung gegen den Willen des kleinen Koalitionspartners Grüne durch. Das Lieferkettengesetz war daraufhin zuletzt auf EU-Ebene vertagt worden. Auch Italien dürfte laut Medienberichten Vorbehalte gegen den Text haben.

Auch Kocher hatte kritisiert, dass mit dem Lieferkettengesetz viele Pflichten und Haftungsrisiken auf kleine und mittlere Unternehmen abgewälzt würden. Harsche Kritik am aktuellen Entwurf kam etwa auch von der Industriellenvereinigung und der Wirtschaftskammer.

Das EU-Lieferkettengesetz sei jahrelang unter Beteiligung aller Länder verhandelt worden, dass es nun auf den letzten Metern nicht zustande komme, sei bedauerlich, sagte Klaus Weyerstraß vom Institut für Höhere Studien (IHS) im Gespräch mit der APA. "Es sollte nicht möglich sein, dass ein kleiner Regierungspartner eines Landes den Prozess im letzten Moment stoppen kann", so der Ökonom mit Blick auf die Entwicklung in Deutschland. Auch das Vorgehen des österreichischen Wirtschaftsministers kritisierte er. "FDP und Minister Kocher hätten viel früher ihre Bedenken einbringen können".

Johannes Jäger, Ökonom an der Fachhochschule BFI Wien, versteht die Einwände im Bezug auf kleine und mittlere Unternehmen (KMUs) nicht. 99,6 Prozent der österreichischen Unternehmen seien KMUs, "wenn man sich die Richtlinie anschaut, ist es aber so, dass KMUs genau nicht erfasst sind", sagte er bei einem Online-Pressegespräch des Netzwerk Soziale Verantwortung (NeSoVe) am Mittwoch. Im Umkehrschluss seien in Österreich gerade einmal 0,4 Prozent der Unternehmen betroffen, EU-weit dürften rund 20.000 Unternehmen vom Lieferkettengesetz erfasst sein.

Auch Julia Otten von der zivilgesellschaftlich orientierten Anwaltskanzlei Frank Bold in Brüssel kann die Kritik nicht nachvollziehen: "KMUs haben ganz klar keine rechtliche Verpflichtung innerhalb der Richtlinie". Kleine und mittlere Unternehmen seien nur indirekt betroffen, etwa wenn sie große Unternehmen beliefern. Hier seien in der Richtlinie aber finanzielle Unterstützungsmaßnahmen vorgesehen, etwa wenn sie detaillierte Daten zur Produktion liefern müssen. Weiters sei klar geregelt, dass große Unternehmen Kosten nicht an ihre Zulieferer weiterreichen dürfen. "Es geht darum, dass große Unternehmen faire Einkaufspraktiken etablieren, davon profitieren letztlich auch KMUs", sagte Otten.

Das EU-Lieferkettengesetz soll große Unternehmen - mit mehr als 500 Mitarbeitern bzw. in Risikosektoren mit mehr als 250 Mitarbeiterinnen - zur Rechenschaft ziehen, wenn sie etwa von Kinder- oder Zwangsarbeit außerhalb der EU profitieren. Größere Unternehmen müssen zudem einen Plan erstellen, der sicherstellt, dass ihr Geschäftsmodell und ihre Strategie mit der Einhaltung der Pariser Klimaziele zur Begrenzung der Erderwärmung vereinbar sind.

Die vorgesehenen Sorgfaltspflichten seien für viele Unternehmen auch nicht neu, sagte Otten. Der Vorschlag zum Lieferkettengesetz basiere auf Leitprinzipien der Vereinten Nationen und der OECD, die es bereits seit mehr als 10 Jahren gebe. Die Einhaltung dieser Standards sei bisher freiwillig gewesen.

Einige europäische Länder, etwa Frankreich und Deutschland, haben ebenfalls auf Basis dieser Standards bereits Lieferkettengesetze auf nationaler Ebene eingeführt, erklärte Werner Raza, Leiter der österreichischen Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (ÖFSE). "Das führt früher oder später auch zu gewissen Verzerrungen auf dem Binnenmarkt", sagte Raza. "Wenn man ein 'level playing field' haben will, ist ein europäisches Gesetz jedenfalls ein Gebot der Stunde."

"Man muss ganz klar sagen, Unternehmen kennen ihre Lieferkette eigentlich recht gut", sagte Raza abschließend. Das sei in ihrem eigenen Interesse, schließlich sei es notwendig, dass Zulieferer in verlässlicher Qualität produzieren und liefern. "Unsere Erfahrung ist schon die, dass europäische Leitunternehmen sehr viel Zeit und Geld investieren, um ihre Lieferkette auch zu monitoren."