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NEW BUSINESS Guides - IT- & TELEKOMMUNIKATIONS-GUIDE 2017
Unternehmen verleihen Chatbots mehr Persönlichkeit. Laut Branchenprognosen könnte ein Durchschnittsbürger bereits 2020 mehr Konversationen mit Chatbots führen als mit seinem Lebenspartner. © Freepik

Chatbots – digitale Helfer in Messenger-Form

Mensch oder Maschine – wer hat den größeren Einfluss? Virtuelle Kommuni­­kationslösungen befinden sich auf Erorberungszug durch das World Wide Web.  Doch was können Chatbots wirklich, und wo stoßen sie an ihre Grenzen?

Als Bots werden Programme oder Anwendungen bezeichnet, die bestimmte Auf­gaben selbstständig und automatisiert ausführen. In Verbindung mit Messenger-Diensten wie dem Facebook-Messenger oder Skype können sie beispielsweise Unterhaltungen mit einem Menschen simulieren. Nutzer können die eigenen Fragen oder Aussagen entweder als Text oder Sprach­befehl eingeben, der Chatbot – eine Wortzusammensetzung aus Chatten und Roboter – antwortet daraufhin automatisch. „Die Einsatzmöglich­keiten von Chatbots sind enorm vielfältig und werden derzeit in unterschiedlichen Bereichen getestet“, sagt Timm Lutter, Bitkom-Bereichs­leiter für Consumer Electronics und Digital Media. „Chatbots sind für sowohl für Unternehmen als auch für Kunden ein Gewinn. Unternehmen können mit Chatbots ihre Kommunikation effizienter gestalten, und Verbraucher kommen mit einfachen Fragen an das gewünschte Produkt.“

Möglichkeiten vs. Herausfoderungen
Auch wenn die Bots noch in den Kinderschuhen stecken, entwickeln sie sich durch lernende Algorithmen selbst weiter und sollen künftig auch Informationen untereinander teilen. Einige Unternehmen experimentieren bereits mit diesem Format. Über Möglichkeiten und Herausforderungen diskutierte Ende November letzten Jahres eine hochkarätig besetzte Expertenrunde auf Einladung der Austria Presse Agentur.
Bernhard Hauser, CEO oratio und Veranstalter der ChatbotConf2016, sieht Wien als „Chatbot-Speerpitze in Europa“. Er führte den aktuellen Hype um Chatbots darauf zurück, dass nunmehr einige der Plattformgiganten aus dem Silicon ­Valley, wie Facebook oder Amazon, massiv in diese Technologieform investieren. Mögliche Anwendungsfälle gäbe es viele: „Alles, was dialogbasiert funktionieren kann, ist wie aufgelegt für Bots“, erläuterte Hauser und meinte weiter: „Aber Bots müssen für bestimmte, klar abgegrenzte Anwendungsfälle konzipiert werden, um gut zu funktionieren – ein zu großes Aufgabenspektrum übersteigt die derzeitigen Möglichkeiten. Nur weil etwas antwortet, ist es nicht per se intelligent“, steckte der Experte die Grenzen der Anwendbarkeit ab. „Wenn Chatbots Kommunikationsprozesse nicht erleichtern, dann steigen User schnell wieder auf herkömmliche Interaktionsformen um“, schloss sich Cliff Kapatais, Produkt- und Business-Development der Chatbot Agency, an. Es gäbe durchaus auch Gefahren zu berücksichtigen. „Die Daten landen auch bei den Messenger-Plattformen, auf denen Bots betrieben werden. Was diese damit machen, können wir nicht kon­trollieren“, erklärte Kapatais. Es brauche vor allem mündige Anwender: „Man muss den Leuten klarmachen, um was es bei einem Bot geht.“

Chatbots für Medien
Eines der bedeutendsten Zukunftsthemen in der Medienbranche sind Chatbots. Vom Beantworten einfacher Fragen über das Anbieten relevanter Artikel bis hin zum automatisierten Customer-Service – die intelligenten Programme versprechen ein intuitives Anwendererlebnis. Der Experte Nicholas Stricker, Head of Customer Success beim Berliner Messenger-Start-up Spectrm, erläuterte in seiner Keynote beim Networking-Event „Mobile Publishing Suite-Community“ der APA-IT Informations Technologie GmbH, welche Chancen sich dadurch für Verlagshäuser bieten. „Ein guter Chatbot ermöglicht es den Usern, zu einem Artikel oder Thema Fragen zu stellen, um Bedeutung und Wahrheitsgehalt beurteilen zu können. Hier können vor allem traditionelle Publisher punkten, da sie zu ihren Inhalten über eine Fülle an Informationen verfügen und sich an die Tatsachen halten“, so Stricker.
Für Harald Mayer, Leiter Digital Services und Media Relations von APA-OTS und Chief Digital Officer der APA-Gruppe, sind Chatbots für Medien aus zweierlei Gründen interessant. „Einerseits sind diese ein weiterer Publishing-Kanal, um dort zu sein, wo auch die Nutzer sind – und das sind derzeit Chat-Plattformen. Andererseits bieten sich damit Chancen im Sourcing von User-Informationen. Mayer sprach von einem „großen Potenzial für Nachrichtenkonsum und -distribu­tion“. APA-OTS launchte Ende letzten Jahres einen Messenger-Bot für Presseaussendungen.

Weitreichendes Interesse
In Deutschland kann sich mittlerweile jeder vierte Bundesbürger (25 Prozent) vorstellen, Chatbots zu nutzen. Das hat eine repräsentative Befragung im Auftrag des Digitalverbands Bitkom ergeben. Sieben von zehn Befragten (68 Prozent), die sich vorstellen können, Chatbots zu nutzen, möchten das Programm gerne als Assistenten für die ­persönliche Terminplanung verwenden. Nutzer können beispielsweise einen Bot per Sprachbefehl beauftragen, den eigenen Terminkalender mit dem des Kollegen abzugleichen und einen Termin zu vereinbaren. Fast zwei Drittel (64 Prozent) wollen Chatbots einsetzen, um Veranstaltungs­tickets wie Kino- und Theaterkarten zu reservieren oder zu kaufen. Jeweils 58 Prozent möchten Chatbots für Recherchen beim Onlineshopping, zum Beispiel bei der Suche nach bestimmten Produkten, oder für die Buchung von Reisen, Flügen, Zugfahrten oder Hotels nutzen. Für jeden Zweiten (53 Prozent) sind Chatbots interessant, um damit tagesaktuelle Informationen, wie das Wetter, Nachrichten, die Verkehrslage oder Börsenwerte, abzurufen. Vier von zehn Befragten (41 Prozent) finden Chatbots für den Einsatz im Kundenservice attraktiv, um dort Nachfragen zu Bestellungen und Beschwerden zu bearbeiten. Für gut jeden Vierten (23 Prozent) wäre es interessant, Chatbots in Verbindung mit Lieferservices zu nutzen, um zum Beispiel per Sprachbefehl Essen oder Blumen zu bestellen.
Fast zwei Drittel (63 Prozent) der Befragten, die keine Chatbots nutzen wollen, möchten nicht mit einem Computer kommunizieren. Etwa jeder Zweite bezweifelt, dass Anfragen durch Chatbots zuverlässiger bearbeitet werden können als bisher (54 Prozent) oder dass die Auskünfte von Chat­bots generell zuverlässig sind (49 Prozent). Für 47 Prozent sind Chatbots uninteressant, weil sie die Technologie noch nicht für ausgereift halten.

Neuer Trend oder überbewerteter Hype für Marketer?
Laut dem Marketingexperten und CEO des Full-Service-Anbieters für digitales Empfehlungsmarketing Tellja, Jens Rode, haben sich Verhalten und Ansprüche der Verbraucher, trotz Chatbot-Boom, signifikant verändert: „Konsumenten drängen nach immer mehr Flexibilität. Marken und Anbieter müssen sich darauf einstellen, zu jeder Tages- und Nachtzeit wichtige Support- und Serviceanfragen zu erhalten. Das Forschungsunternehmen Gartner prognostiziert, dass dabei jedoch nur ein Drittel der Kundendienstkommunikation bis 2017 menschliche Interaktion erfordern wird. Im Umkehrschluss heißt das für Unternehmen: Zwei Drittel können durch automatisierte Software wie Chatbots schneller und effizienter übernommen werden.“
Rode betont, dass auch wenn die Zahl der Bots stetig wächst, diese dennoch sparsam und in einer Weise verwendet werden sollten, die sowohl dem Kunden als auch dem Unternehmen zugutekommt. Während diese Dienstprogramme für Verbraucher-Beziehungen dienlich seien, sollten wirkliche Menschen an der Spitze der Kommunikation stehen. Denn wer sich von den digitalen Assistenten zu 100 Prozent treffende Beratung, mehr noch eine emotionale Ansprache oder Hilfestellung erhofft, würde enttäuscht werden. Insbesondere im Support, bei kritischen oder verärgerten Kunden, stöße der Chatbot schnell an seine digitalen Grenzen. Hier seien Kundenberater gefragt, die die emotionale Stimmung des Gegenübers erkennen, darauf eingehen und individuelle Problemlösungen anbieten. Unternehmen, die Chatbots wiederum gezielt selektiv und nicht als Alleinkämpfer an der Kundenfront einsetzen, hätten bessere Chancen, neue Produkte durch zu positionieren.

Vielversprechend, aber kein Erfolgsgarant
Rode ist überzeugt, dass das Potenzial von Chatbots definitiv groß ist und vor allem noch längst nicht ausgeschöpft: „Bis hin zu einer natürlich geführten Unterhaltung braucht es allerdings noch einiges an Entwicklung. Das Ziel eines mit A. I. ausgestatteten, also sich selbst verbessernden Bots, der aus früheren Versuchen und unabhängigen Datenquellen lernt, flexibel mit Input umgeht und so Probleme eigenständig löst, scheint vorerst noch in der Ferne zu liegen. Wo sie bei einfachen Fragen häufig punkten können und für Unternehmen Ersparnis von Kapazitäten, Geld und Zeit garantieren, liegen sie zum Beispiel bei Em­pfehlungen oft daneben oder wirken nicht glaubwürdig. Sobald Entwickler allerdings den nächsten Schritt bei Siri und Co. meistern, also echte A. I. implementieren, sind den digitalen Helfern kaum noch Grenzen gesetzt. Entscheider sollten daher situativ abwägen, an welchen Customer-Touchpoints ein Chatbot eine Erweiterung des Servicelevels bietet, und an welchen Stellen in der Customer-Journey der Human Factor entscheidend ist.“ (BO)