Österreich in Fachkräftenot

NEW BUSINESS Guides - STUDIEN- & BILDUNGSGUIDE 2018
Die duale Ausbildung befindet sich weiterhin im Aufwind. Mit der Fach­kräfte­ausbildung sichern sich Betriebe entscheidende Wettbewerbsvorteile. © dieindustrie.at/Mathias Kniepeiss

Zukunft der Berufsausbildung entscheidet über Wettbewerbsfähigkeit

Der Fachkräftemangel stellt ein zunehmendes Risiko für Österreichs ­Unternehmen dar. Mittels dualer und „trialer" Ausbildung wollen sich Politik und Wirtschaft den neuen Herausforderungen am Arbeitsmarkt stellen.

Der Fachkräftemangel wird für den österreichischen Mittelstand immer bedrohlicher und dämpft das Wachstum massiv. Für die heimischen Unternehmen sind Schwierigkeiten bei der Suche nach geeigneten Mitarbeitern aktuell das größte Risiko – und eines, das sich immer weiter verschärft: Laut der Studie „Fachkräftemangel im österreichischen Mittelstand“ der Prüfungs- und Beratungsorganisation EY stieg der Anteil jener Unternehmen, die den Fachkräftemangel als Gefahr für die Entwicklung des eigenen Betriebs sehen, im Vergleich zum Vorjahr von 48 auf 59 Prozent an.
Noch nie fiel es den Unternehmen so schwer, geeignete Fachkräfte zu finden: Der Anteil der Unternehmen, die große Probleme bei der Rekrutierung von Fachkräften haben, hat sich seit 2015 von 15 Prozent auf aktuell 30 Prozent erhöht. Weitere 49 Prozent geben an, dass ihnen die Suche nach qualifizierten Mitarbeitern „eher schwer“ fällt.

Leer gefegter Arbeitsmarkt bremst Wachstum
Der leer gefegte Arbeitsmarkt macht nicht nur den Personalabteilungen zu schaffen – er kostet die Unternehmen insgesamt viel Geld. Mehr als die Hälfte (56 %) der Mittelständler beklagt Umsatzeinbußen aufgrund des Fachkräftemangels. Jedes achte Unternehmen (13 %) verliert durch den Fachkräftemangel mehr als fünf Prozent seines Jahresumsatzes. Besonders gravierend sind die Folgen des Fachkräftemangels im österreichischen Handel: 17 Prozent der heimischen Händler büßen mehr als fünf Prozent Umsatz ein, weitere 42 Prozent bis zu fünf Prozent.
Dabei würden die österreichischen Unternehmen am liebsten auf Rekordniveau neue Mitarbeiter einstellen: 35 Prozent planen, im ersten Halbjahr 2018 ihre Belegschaft aufzustocken – so viele wie noch nie seit Beginn der Befragung vor zehn Jahren. Lediglich vier Prozent gehen davon aus, dass ihre Mitarbeiterzahl sinken wird.
„Die Wirtschaft brummt, die Konsumbereitschaft ist groß, und die österreichischen Unternehmen haben volle Auftragsbücher. Die Zeichen für 2018 stehen auf Wachstum“, kommentiert Erich Lehner, Managing Partner Markets bei EY Österreich und verantwortlich für den Bereich Mittelstand. „Allerdings setzt die Situation auf dem Arbeitsmarkt dem Wachstum Grenzen. Regional herrscht in Österreich teilweise Vollbeschäftigung, gut ausgebildete Fachkräfte können sich ihren Arbeitgeber längst aussuchen. Gerade kleinere Unternehmen, die mit bekannteren, börsennotierten Unternehmen um Arbeitskräfte konkurrieren, können dadurch Stellen oft nur mühsam oder gar nicht besetzen.“

Probleme in allen Bundesländern – starkes Ost-West-Gefälle
Probleme bei der Fachkräftesuche haben Unternehmen in ganz Österreich – unabhängig vom Bundesland. Allerdings zeigt sich ein starkes Ost-West-Gefälle: Während die Situation in den östlichen Bundesländern noch vergleichsweise gut ist, kämpft der Westen Österreichs mit den größten Problemen. Am kritischsten ist der Fachkräftemangel momentan bei Unternehmen in Salzburg (39 % haben „große“, 49 % „eher große“ Probleme), Tirol (37 % bzw. 46%) und Vorarlberg (32 % bzw. 56 %). Am besten ist die Situation noch in Wien – allerdings klagen im bevölkerungsreichsten Bundesland immer noch 20 Prozent über „große“ und weitere 56 Prozent über „eher große“ Schwierigkeiten bei der Fachkräfterekrutierung. Zahlreiche Firmen müssen deswegen Stellen unbesetzt lassen. Das betrifft insbesondere die Produktion: Mehr als die Hälfte der Unter­nehmen (56 %) lässt besonders in diesem Bereich Positionen unbesetzt. Im Marketing oder Vertrieb müssen immerhin noch 28 Prozent der Unter­nehmen Stellen offen lassen, und die Leitung des technischen Bereichs bleibt bei jedem fünften Betrieb (21 %) unbesetzt.

Österreich als Vorbild in der dualen Ausbildung
„Die EU setzt unter österreichischem Ratsvorsitz mit dem Thema der Berufsausbildung auf einen für den gesamten Wirtschaftsraum enorm wichtigen Themenkomplex, der in weiten Bereichen über die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unter­nehmen entscheiden wird. Österreich hat mit der dualen Ausbildung ein bewährtes und modernes System, das sich an den Eckpfeilern von Qualität und Qualifikation orientiert und ein hohes Niveau der Fachkräfteausbildung garantiert“, betonte WKÖ-Generalsekretär Karlheinz Kopf, anlässlich der Fachkonferenz zur „Zukunft der Berufsbildung in Europa“.
Aus Sicht der Wirtschaft ist es zu begrüßen, dass gemeinsam an einer tragfähigen und praktikablen Vision der beruflichen Bildung gearbeitet wird, denn nicht nur Österreich leidet unter dem sich verschärfenden Fachkräftemangel. Betrachtet man die europaweiten Zahlen, so zeigt sich im ersten Quartal 2018, dass insbesondere in den klassischen Exportländern – neben Österreich Tschechien, Belgien, Deutschland, Schweden und die Niederlande – die Quote an offenen Stellen überdurchschnittlich ist und mit 2,8 Prozent im Spitzen­feld der EU liegt. Der EU-Durchschnitt lag bei 2,2 Prozent, die Eurozone kam auf 2,1 Prozent. Dies ist die höchste Rate an freien Arbeitsplätzen in der EU seit mehr als zehn Jahren. „Wir müssen jetzt den konjunkturellen Rückenwind nutzen und insbesondere auch die mittel- und langfristigen Möglichkeiten und Chancen sehen, die uns eine maßgeschneiderte berufliche ­Aus- und Weiterbildung ermöglicht. Österreich ist hier eines jener Länder, das als ‚Good Practice‘ gilt, und diese Expertise bringen wir gern ein“, so Kopf.

Duale Ausbildung zu „trialer Ausbildung“ ­weiterentwickeln
„Lehrlinge und Unternehmen ziehen an einem Strang: Die Ausbildungsleistung der Unter­nehmen sichert den Fachkräftenachwuchs der Zukunft, der Einsatz und das Engagement der Lehrlinge bildet hierfür die Basis. Die WKÖ versteht sich daher als starker Partner, wenn es um die systematische Modernisierung der Lehrberufe geht. Die Digitalisierung ändert nun einige Rahmenbedingungen, nicht aber den Grundsatz einer praxisorientierten, modernen und zeitgemäßen Berufsausbildung“, betonte auch WKÖ-Präsident Harald Mahrer anlässlich des Lehrlingsgipfels der Bundesregierung am 2. Juli. Umso wichtiger sei es, die duale Ausbildung zur „trialen Ausbildung“ weiterzuentwickeln, indem der praktische sowie der theoretische Ausbildungsteil der Lehre um digitale Kompetenzen erweitert werden sollen. „Die Bundesregierung hat heute unterstrichen, dass es uns gelingen muss, Mitarbeiter und Betriebe für die zukünftige Arbeitswelt zu rüsten und hierfür die passgenauen Instrumente zu entwickeln“, so Mahrer. Die WKÖ erarbeitet aktuell ein Bildungsinvestitionspaket, das im Herbst 2018 präsentiert wird und in das ein dreistelliger Millio­nenbetrag investiert werden soll.

Laufende Adaptierung der Lehrberufe
In Hinblick auf die Sicherstellung digitaler Kompetenzen in den Lehrinhalten wies Mahrer auf die laufende Adaptierung der Lehrberufe hin. Die sich immer rascher wandelnden technologischen Gegebenheiten, aber auch große Themen wie die DSGVO müssten umgehend ihren Platz in den Ausbildungsinhalten finden. Die Anwendung von Lernapps – wie aktuell bei den Gebäudereinigern – und technischen Ausbildungsassistenzen zur Unterstützung der Ausbildungsbetriebe nimmt rasant zu und führt generell zu mehr ­Ausbildungsqualität. „Datensicherheit, künstliche Intelligenz oder Internet der Dinge sind nichts Abstraktes, sondern bilden die Grundlage künftiger Geschäftsmodelle. Wenn unsere Lehrlinge in diesen Themen fit sind, mache ich mir um den künftigen Unternehmensstandort Österreich keine Sorgen“, unterstrich der WKÖ-Präsident.
 „Wunschziel“ in der Lehre sei eine deutlich verbesserte Durchlässigkeit – wie sie sich auch im Regierungsprogramm findet. Lehre und Matura sind hier richtungsweisend, aber auch der Umkehrschluss, also Lehre nach Matura, müsse leichter möglich sein. Außerdem sollten Meister- und Befähigungsprüfungen und vergleichbare Qualifikationen als „höhere Berufsbildung“ auf tertiärem Niveau sichtbar gemacht werden. „Die Verschränkung der Bildungswege ist ein Erfolgskriterium für den Fachkräftestandort Österreich, die Bildungspfade der WKÖ sind hierfür ein maßgeblicher Ansatz. Klarerweise müssen aber auch die Vorbedingungen stimmen, und leider fehlen vielen Lehrlingen die Grundvorausset­zungen, die sie eigentlich aus der Pflichtschule mitbringen müssten. Das Vorhaben der Bundes­regierung, dass Schulpflicht auch eine Bildungspflicht sein muss, ist daher für die Lehrlingsaus­bildung von größter Wichtigkeit“, so Mahrer.
„Die Ausbildungsleistung der Betriebe steigt, wir verzeichnen Zuwächse von rund vier Prozent im ersten Lehrjahr. Jetzt die betriebliche Ausbildung zu stärken, ist daher das richtige Signal. Ich begrüße nicht nur die Schwerpunktsetzung der Wirtschaftsministerin in dieser Frage, sondern auch, dass das Erfolgspaket duale Ausbildung im Rahmen der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft ein wichtiges Thema sein wird. Denn die Fachkräftesicherung ist eine wesentliche europäische Fragestellung, auf die wir mit der Weiterentwicklung der dualen Ausbildung in eine triale Ausbildung aus meiner Sicht die richtige Antwort haben“, so der WKÖ-Präsident abschließend. (BO)