Die Zukunft der Digitalisierung ist weiblich.

NEW BUSINESS - NR. 4, APRIL 2023
Sechs von zehn IT- und Telekommunikations-Unternehmen in Deutschland sind überzeugt, dass dieses Fachkräfteproblem ohne Frauen nicht zu lösen sein wird. © Adobe Stock/Digital Vision Lab

Die Datenlage ist eindeutig: Frauen sind in Sachen Digitalisierung benachteiligt und zu wenig sichtbar, wenn sie an vorderster Front mitmischen. Ist Besserung in Sicht?

Die Digitalisierung ist weiblich. Zumindest wenn es um die deutsche Rechtschreibung geht. Und auch wenn man daran denkt, dass den digitalen Assistenten wie Siri oder Alexa, aber auch vielen Chatbots ein weibliches Image verpasst wird, bei der Entwicklung von Algorithmen und der Programmierung von künstlicher Intelligenz sind Frauen aber massiv unterrepräsentiert. Zum einen werden Frauen weniger digitale Kompetenzen zugeschrieben, andererseits fehlen den Frauen weibliche Role Models zu Orientierung. 

„Wir müssen Frauen, die im Bereich Informations- und Kommunikationstechnologie (ICT) arbeiten, noch viel mehr sichtbar machen“, betonte Christine Wahlmüller-Schiller, Initiatorin von WOMENinICT, dem Frauen-Netzwerk im Verband Österreichischer Software Innovationen (VÖSI) anlässlich des 6. Role Model Events „Female Data Scientists – NOW” im Dezember 2022. Der Frauenanteil in ICT-Berufen beträgt laut aktueller VÖSI-Branchenstudie derzeit nur 18 Prozent.

„Das wollen wir ändern. Die Branche benötigt dringend Fachkräfte und uns Frauen. Daher müssen wir einerseits Berufsbilder bekannter machen und anhand von Frauen als Rolemodels zeigen, wie spannend diese Berufe sind. Frauen haben in der ICT-Branche beste Job- und Karrierechancen“, sagte Wahlmüller-Schiller. „Nach wie vor ist die IT-Branche männerdominiert. Dabei gibt es hier so viele spannende Jobs – gerade auch für Frauen“, ergänzte Sonja Wallner, CFO von A1. Dabei geht es nicht allein um persönlichen Chancen, sondern auch um das allgegenwärtige Fachkräfteproblem.

Mit der Coronapandemie hat die Digitalisierung deutlich Fahrt aufgenommen, zugleich fehlen etwa in der deutschen Wirtschaft 137.000 IT-Fachleute. Sechs von zehn IT- und Telekommunikations-Unternehmen in Deutschland sind überzeugt, dass dieses Fachkräfteproblem ohne Frauen nicht zu lösen sein wird. Drei Viertel befürchten, ohne Frauen verspiele die Branche ihre Zukunft. Das sind Ergebnisse einer Studie des Digitalverbands Bitkom, für die mehr als 500 ITK-Unternehmen repräsentativ befragt wurden. „Es ist völlig klar: Wir brauchen viel mehr Frauen in den IT-Berufen“, sagt Bitkom-Präsident Achim Berg und ergänzt:

„Wer in verantwortlicher Position meint, Frauen seien für die Digitalbranche weniger geeignet als Männer, verbaut seinem Unternehmen Entwicklungschancen.“ Um das Bewusstsein für Frauen in der Digitalbranche zu steigern und konkrete Maßnahmen zur Förderung weiblicher Fachkräfte zu ergreifen, engagiert sich der Bitkom mit weiteren Partnern in der Initiative #SheTransformsIT. Das interdisziplinäre Bündnis aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft setzt sich dafür ein, die Rolle von Mädchen und Frauen beim digitalen Wandel zu stärken. Auch hierzulande gibt es mehrere Initiativen wie #thenewITgirls, „Female Enablers for Innovation“ oder den „Digital Pioneers – Das freiwillige digitale Jahr“. 

Warum Frauen im digitalen Raum benachteiligt sind
„Digitale Kompetenzen werden nach wie vor Männern häufiger zugeschrieben als Frauen. So entsteht eine systematische Benachteiligung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt“, erklärt Karin Wegenstein, die sich das Phänomen mit ihrem Team der FH Wiener Neustadt im Projekt Gender Gap 4.0 genauer angesehen hat. Das Forschungsprojekt ermittelte die Barrieren, die den Zugang zu digitalen Kompetenzen insbesondere für Frauen erschweren. Zu diesem Zweck wurden zunächst Arbeitnehmerinnen in fünf verschiedenen Berufsbereichen befragt: Assistenz und Verwaltung, Personalwesen, Marketing, Einkauf und Logistik sowie Rechnungswesen und Controlling. Anschließend wurden in einer niederösterreichweiten Befragung sowohl Frauen als auch Männer dazu befragt, wie sie ihre digitalen Kompetenzen einschätzen und was sie daran hindert, diese auszubilden oder zu vertiefen.

„Dabei geht es um die Anwendung von Programmen, die Verwendung von Geräten und digitalen Technologien, Datenverständnis, die Gestaltungskompetenz von Computerprogrammen und digitalen Umgebungen bis hin zu Programmierkompetenzen sowie Evaluations- und Entscheidungskompetenzen hinsichtlich des Einsatzes digitaler Lösungen. Auch Kenntnisse des Datenschutzes und das Einhalten, Setzen und Gestalten von Maßnahmen zur Datensicherheit gehören zu den digitalen Kompetenzen, die heute an Bedeutung zunehmen“, erklärt Wegenstein. Die Forschungsergebnisse zeigen, dass sich Frauen im Schnitt weniger digitale Kompetenzen zutrauen als Männer und dass diese im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen mit deutlich mehr Barrieren beim Zugang zu digitalen Kompetenzen und entsprechenden Weiterbildungsangeboten konfrontiert sind.

Dazu zählen soziale Barrieren: Oft werden digitale Kompetenzen Frauen nicht zugetraut, es wird ihnen das technische Verständnis abgesprochen und es fehlt an weiblichen Rolemodels. Das fehlende Selbstvertrauen bei Frauen wird durch das soziale Umfeld noch verstärkt. Zu den Barrieren im beruflichen Umfeld zählt, dass entsprechende Fortbildungsangebote fehlen oder die Rahmenbedingungen nicht so gestaltet sind, dass Frauen daran teilnehmen können. „Beispielsweise gibt es zu wenige Angebote, die von Teilzeitmitarbeiterinnen wahrgenommen werden können.

Auf mangelnde Vereinbarkeit mit der Kinderbetreuung wurde von Betroffenen Frauen hingewiesen, sowie auf einen Aufholbedarf nach Karenzzeiten und ein oft mangelhaftes Unterstützungsangebot hinsichtlich digitaler Anwendungen nach einer längeren Auszeit“, weist Wegenstein auf ein grundlegendes Problem hin. Schließlich wurde auch auf mangelnde Ressourcen verwiesen, etwa, dass entsprechende Fortbildungen von Arbeitgebern nicht finanziert würden oder die benötigten Programme oder Geräte nicht zur Verfügung gestellt würden. „Um weitere Fortschritte hinsichtlich der Gleichstellung der Geschlechter am Arbeitsmarkt zu erzielen, ist eine gezielte Förderung von Frauen beim digitalen Kompetenzerwerb unerlässlich“, kommentiert die wissenschaftliche Leiterin des Forschungsprojektes abschließend.

Stadt Wien startet Ausbildungsinitiative 
Die Lücke in Sachen Ausbildung will Wien schließen. Der aktuelle und kommende Fachkräftebedarf in den Bereichen Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Technik und der geringe Frauenanteil in diesen FH-Studien bedeute für die Stadt Wien einen ‚call to action‘. Deshalb hat die Stadt Wien im Frühjahr 2022 eine Ausbildungsinitiative für berufstätige Frauen gestartet, um sie für diese Berufe zu motivieren und das Fachkräfteangebot für Unternehmen zu erhöhen.

„Ich bin überzeugt, dass sich gleichstellungspolitische und wirtschaftspolitische Ziele perfekt ergänzen. Für diese Ausbildungsinitiative nimmt die Stadt Wien 23,6 Mio. Euro in die Hand“, versichert Wirtschaftsstadtrat Peter Hanke. Eva Schiessl-Foggensteiner, Geschäftsführerin der FH des BFI Wien, ergänzt: „Die Erhöhung des Frauenanteils in technischen FH-Studien passiert zwar, geht aber einfach zu langsam. Diese Ausbildungsinitiative der Stadt für berufstätige Frauen in enger Kooperation mit Unternehmen und Fachhochschulen wird ganz sicher ein wichtiger Beitrag sein, dass mehr Frauen die guten Einkommens- und Entwicklungschancen wahrnehmen können. Es braucht aber auch Unterstützung vor und während des Studiums, weil die Herausforderungen eines berufsbegleitenden Studiums enorm sind. Hier anzusetzen und ein breites Unterstützungsangebot im Rahmen der Ausbildungsinitiative – vom Stipendium über Beratungs- und Mentoring-Leistungen bis zum Ausbau der Studienplätze – anzubieten, ist ein richtiger und wichtiger Schritt, um den Frauenanteil in Zukunftsberufen an den Schnittstellen Technik – Nachhaltigkeit – Digitalisierung zu erhöhen.“ 

Konkret wird die Stadt Wien bis 2025 über den waff 300 zusätzliche Studienplätze an Wiener Fachhochschulen für berufstätige Frauen finanzieren. Dabei geht es um Studiengänge mit einem geringen Frauenanteil im Bereich Digitalisierung (z. B. Digital Innovation Engineering an der FH Campus Wien), Nachhaltigkeit (z. B. Erneuerbare Energien an der FH Technikum Wien) und Technik (z. B. Technisches Vertriebsmanagement an der FH des BFI Wien). Der Fokus liegt auf jenen 41 berufsbegleitenden technischen FH-Studiengängen in Wien, in denen der Frauenanteil unter 50 Prozent liegt.

Fritz Meißl, Geschäftsführer des waff, erläutert das weitere Unterstützungsprogramm der Ausbildungsinitiative: „Zuerst geht es einmal darum, möglichst viele Frauen dafür zu gewinnen, sich mit den Chancen und Anforderungen eines berufsbegleitenden Fachhochschulstudiums auseinanderzusetzen. Allen Frauen, die sich in der Folge für den Beginn eines Studiums entscheiden, wollen wir optimale Vorbereitungskurse für die Zulassungsprüfung anbieten. Während des Studiums besteht unter bestimmten Voraussetzungen auch die Möglichkeit für ein spezielles Stipendium, um Einkommensverluste durch eine Stundenreduktion während des Studiums abzumildern.“

Für ein Bachelorstudium gibt es bei entsprechendem Studienerfolg 10.000 Euro, für ein Masterstudium 7.500 Euro. Zusätzlich gibt es regelmäßige Vernetzungstreffen und Coaching von Mentorinnen, um das Studium auch erfolgreich zu absolvieren.

In die weitere Entwicklung des Angebotes soll eine intensive Einbeziehung von Wiener Unternehmen mit einschlägigem Fachkräftebedarf erfolgen: „Im optimalen Fall lernen Wiener Unternehmen schon vor Beginn des Studiums ihre zukünftigen Mitarbeiterinnen kennen“, so der waff-Geschäftsführer. Schon heute arbeitet der waff mit Unternehmen zusammen, die ich sich mit großem Einsatz für die Erhöhung des Frauenanteils gerade auch in technischen Bereichen engagieren.

„Ich bin überzeugt, dass diese Ausbildungsinitiative ein entscheidender Anstoß für weitere Entwicklungen sein wird, wenn es um die Fachkräftesicherung in dieser Stadt geht. Ganz besonders, wenn ich an die ambitionierten Klimaziele denke. Ohne neue Berufsbilder und ohne qualifizierte Arbeitnehmer:innen und entsprechende Ausbildungsangebote können wir diese Herausforderungen niemals meistern. Jeder berufstätigen Frau, die sich für ein digitales, nachhaltiges oder technisches FH-Studium interessiert, sage ich, jetzt ist der ideale Zeitpunkt, diese Idee umzusetzen“, schließt Stadtrat Hanke.

Cybersecurity in Frauenhand 
Auch Cybersicherheit wird immer noch oft als männliche Domäne wahrgenommen. „Mit ‚Women4Cyber‘ möchten wir einen konkreten Beitrag dazu leisten, mehr Frauen für Berufe in diesem für Unternehmen und den Standort so wichtigen Bereich zu interessieren und das Mindset in der Bevölkerung nachhaltig zu ändern“, betonte Martha Schultz, WKÖ-Vizepräsidentin und Bundesvorsitzende von Frau in der Wirtschaft, anlässlich der Kick-off-Veranstaltung der neuen Cybersecurity-Plattform „Women4Cyber Austria“ im November 2022. Das neue Frauennetzwerk hat ein klares Ziel: den Wirtschaftsstandort Österreich weiblicher und cybersicherer zu machen.

Vor rund drei Jahren wurde die Dachorganisation „Women4Cyber“ in Brüssel gegründet, um Frauen im Bereich der Cybersicherheit zu fördern und das Bewusstsein für eine genderinklusive Cybersicherheits-Community zu erhöhen. Inzwischen umfasst das europäische Women4Cyber-Netzwerk Niederlassungen in 15 europäischen Ländern, darunter nun auch in Österreich.

Im September des letzten Jahres haben die sechs Gründerinnen – Stephanie Jakoubi, Christina Bäck, Kristina Jovanovska, Verena Becker, Ulrike Egger, Alexandra Horvath – das Österreich-Chapter „Women4Cyber Austria“ unter der Führung von Verena Becker eröffnet. „Gerade für Frauen bietet der Bereich Cybersicherheit eine unglaubliche Vielfalt an Möglichkeiten. Women4Cyber Austria will gezielt Mädchen zu technischen Ausbildungen ermutigen und Frauen z. B. mit Mentoringprogrammen unterstützen“, hebt Becker die Chancen für Mädchen und Frauen hervor.

Wer hat’s erfunden
Der Hollywoodstar Hedy Lamarr galt einst als weltweit schönste Frau. Ihre Rolle als Wissenschaftlerin und ihre Pionierarbeit im Bereich der Mobilfunktechnik wurden hingegen kaum gewürdigt. Als österreichische Jüdin, die in die USA emigrierte, erfand sie ein störungsgesichertes Fernmeldesystem, das zur Niederlage des Dritten Reiches hätte beitragen sollen, aber während des Zweiten Weltkriegs nicht zum Einsatz kam. Heute gilt ihre 1942 patentierte Erfindung als Basis der modernen Kommunikationstechnik: Hedy Lamarr erfand jene Technologien, die Bluetooth und WLAN ermöglichten.

Seit fünf Jahren zeichnet die Stadt Wien gemeinsam mit DigitalCity.Wien und Urban Innovation Vienna in Österreich Forscherinnen für ihre herausragenden Leistungen im Bereich der Informationstechnologie mit dem mit 10.000 Euro dotierten Hedy Lamarr Preis aus. Die Preisträgerinnen sollen der nächsten Generation als Vorbilder dienen und junge Frauen motivieren, einen Beruf in der IT-Branche zu ergreifen. 2022 hat den Preis Shqiponja Ahmetaj erhalten.

„In ihrer Forschungsarbeit entwickelt Dr.in Shqiponja Ahmetaj die theoretischen Grundlagen zur automatischen Sicherstellung der Datenqualität im Web und achtet dabei gleichzeitig auf Praxisorientierung und Nachhaltigkeit“, begründet Laura Kovacs, Professorin an der TU Wien und Jurymitglied, die Auswahl der Siegerin. „Dr.in Shqiponja Ahmetaj kann wie Hedy Lamarr auf eine internationale Karriere zurückblicken. Als Mutter und gleichzeitig Wissenschaftlerin in einem männlich dominierten Bereich ist sie insbesondere für junge Mädchen und Akademikerinnen ein tolles Vorbild und eine würdige Preisträgerin.“

Shqiponja Ahmetaj betonte in ihrer Dankesrede, dass in unserem digitalen Zeitalter Daten eine immer wichtigere Rolle spielen: „Daten müssen korrekt und verlässlich sein, um für Menschen und Anwendungen von Nutzen zu sein. Angesichts der noch nie dagewesenen Vielfalt und Menge an Daten, über die wir mittlerweile verfügen, ist aber genau das allzu oft nicht gewährleistet. Insbesondere im Internet gespeicherte Daten sind oft unvollständig oder fehlerhaft, was wiederum zu falschen Schlussfolgerungen führen kann. Somit stellt die Sicherung von Datenqualität heutzutage eine dringendere Herausforderung dar als je zuvor. Ich arbeite daran, die Grundlagen für automatisiertes Datenqualitätsmanagement zu schaffen, mit einem besonderen Schwerpunkt auf Onlinedaten. Hoffentlich mache ich durch meine Arbeit auch anderen jungen Frauen Mut, eine Laufbahn im Bereich Informatik einzuschlagen.“ (BS)


INFO-BOX
#thenewITgirls 
Frauen in der IT über ihre Berufstitel hinweg vernetzen, weibliche Vorbilder in der IT-Branche ­sichtbar machen, Klischees abbauen und Frauen beim beruflichen Ein- und Aufstieg unterstützen – das ist das Ziel des 2019 gegründeten unabhängigen Vereins ­#thenewITgirls. Im Rahmen der Boost Camps werden vielfältige und attraktive Karrieremöglichkeiten ge­boten. Angesprochen werden alle digital affinen und technologieinteressierten Frauen, die an einem Quereinstieg in die IT interessiert sind und Austausch mit weiblichen Vorbildern in diesem Bereich suchen. 
IT-Vorerfahrung ist dabei nicht nötig! 

www.thenewitgirls.com