In Ihrem Gastkommentar richtet Gertrud Hierzer, VP HR von T-Systems Alpine, einen Appell an Österreichs Regierung. © RNF

Gertrud Hierzer, VP HR von T-Systems Alpine, richtet einen Appell an Österreichs Regierung: den Fachkräftemangel können die Firmen nicht alleine stemmen. Die Expertin hat auch konkrete Vorschläge.

Wir kämpfen gerade branchenweit mit Fachkräftemangel und das nicht erst seit gestern oder seit der Corona-Krise. Es gibt Fachbereiche wie SAP, Security-Spezialisten oder Data-Analytics-Spezialisten, wo ein Kampf um Talente wütet, der am Ende nur mit utopisch hohen Gehältern gewonnen werden kann. Jede Firma, die Mitarbeitende mit diesen Spezialausprägungen hat, muss sich täglich gegen den Markt wehren, Retention-Programme fahren und gehaltsmäßig tief in die Tasche greifen, häufig nur, um das Entstehen immenser Know-how-Lücken zu vermeiden. Damit schaffen sich Unternehmen eine inhomogene Gehaltsschieflage, die nur sehr langsam wieder zurecht gerückt werden kann. Und trotzdem gibt es keine Garantie, dass nicht am nächsten Tag doch ein Unternehmen an einem Know-how-Träger gräbt und noch mehr in die Schale wirft, um den- oder diejenige abzuwerben.

Dieser permanente Abwehrkampf wirkt sich innerhalb eines Unternehmens extrem ungünstig auf die Struktur aus – das häufige Kommen und Gehen von Mitarbeitenden bringt Unruhe, stört Innovationsprozesse, wirkt sich negativ auf Qualität und Kundenbeziehungen aus, um nur einige Konsequenzen zu nennen.

Das Problem Fachkräftemangel können die Firmen nicht alleine stemmen – da braucht es Unterstützung seitens der Regierung. Es muss einfacher werden, Menschen aus anderen Ländern die Möglichkeit zu geben, in Österreich zu arbeiten. Im Moment ist das ein sehr langwieriger und mühsamer Prozess für alle Beteiligten innerhalb der Prozesskette.

Dann braucht es eine europaweite Klärung der Rechtssituation bzgl. Home-Office. Jemand, der in den angrenzenden Ländern zu Österreich lebt, seine Arbeitsleistung jedoch virtuell in Österreich leistet, unterliegt welchem Steuergesetz, welches Arbeitsgesetz kommt zur Anwendung oder wie ist dieser Mitarbeiter oder diese Mitarbeiterin versichert? Meines Wissens nach gibt es hier jeweils nationale Regelungen. Diese sind aber nicht grenzüberschreitend abgestimmt, häufig kaum anwendbar und definitiv nicht hilfreich bei der Problemlösung des lokalen Fachkräftemangels.

Drittens müssen unser Ausbildungssystem und unsere Lehrpläne dringend reformiert und an die Digitalisierung angepasst werden. Es gibt seitens der Regierung dazu zwar einige Initiativen, aber meiner Meinung nach mahlen die Mühlen viel zu langsam, sodass Österreich als Standort rechts und links von anderen Ländern überholt und überrollt wird. Ich verstehe nicht, warum Österreich sich nicht Modelle aus anderen Ländern ansieht. Die Schweiz beispielsweise hat ein geniales Ausbildungssystem, wo man ab seinem 14. Lebensjahr eine Lehre in der IT beginnen kann, diese nach vier Jahren abschließt und dann über eine Fach-Matura oder Übertrittsprüfung in ein anderes Gebiet wechseln kann und theoretisch mit einem Studium seine Ausbildung beenden könnte. Auch die Länder Schweden und Norwegen haben fortschrittlichere Systeme als wir. Ich habe versucht, an unsere Regierung heranzutreten und angeboten, diesen Gedanken aus der Wirtschaft zu begleiten und in Innovation der Ausbildung zu investieren – leider habe ich bis heute niemanden gefunden, an dem ich andocken konnte oder der mit mir den Gedanken aufgreifen und weiterspinnen wollte.

Ziel muss sein, in unserem Land Spezialisten auszubilden. Wir sind ein Hochlohnland und wenn wir diese Gehälter weiterhin im wahrsten Sinne verdienen wollen, dann muss dieses Gehalt unsere Spezialisierung rechtfertigen. Themen wir Cloud, technische Systeme rund um Datenschutz und Datensicherheit, BI und Big Data, Data Analytics oder künstliche Intelligenz entwickeln sich so rasch weiter, dass ein Whitepaper, welches ich heute ausdrucke, morgen schon wieder veraltet ist. Spezialisierungen in diesen Themen brauchen ein Wahnsinns-Fundament hinsichtlich mathematischer Fähigkeiten, logischem Denken aber auch ein großes Maß an Lösungskompetenz und sozialer Kompetenzen. All das lässt sich nicht alleine in drei bis fünf Jahren Fachhochschule oder Universität ausbilden. Damit muss früh begonnen werden. 

Ich vergleiche das immer gerne mit Konzertpianisten: um ein solcher zu werden, beginnen Kinder bereits mit vier bis fünf Jahren mit gezielter Ausbildung und selbst dann schafft es nicht jeder an die Spitze. System-Architekten, Data-Analysten und Security-Spezialisten sind in diesem Sinne die Konzertpianisten – und unsere Regierung geht davon aus, dass es mit dem aktuellen Ausbildungssystem den nötigen Rahmen schafft. Meine tägliche Arbeit bestätigt, dass dies leider nicht der Fall ist.

Gertrud Hierzer, Autorin dieses Gastkommentars, ist Vice President HR bei T-Systems Alpine.