Voll automatisierte Logistikdrohnen

NEW BUSINESS Guides - TRANSPORT- & LOGISTIK GUIDE 2017
Die Zahl der Drohnen im kommerziellen und privaten Bereich wächst kontinuierlich – und damit auch die ­Vielfalt der Einsatzmöglichkeiten. © Pixabay

Fliegen, fahren, schwimmen und liefern

Drohnen werden in der Logistik immer wichtiger. Während hierzulande der Drohneneinsatz zur Warenlieferung aufgrund der gesetzlichen Lage momentan wenig realistisch ist, steht die Transportdrohne in anderen Regionen mittlerweile vor der Einführung. Zudem soll Luftfracht dank Riesendrohnen künftig merklich günstiger werden. Doch es kommt nicht immer nur auf die Größe an, auch ­„kleinere" Entwicklungen werden die Logistik umkrempeln.

In Science-Fiction Filmen gehören sie nicht selten zum guten Bild – Drohnen, die in zahllosen Varianten durch die Lüfte schwirren und Waren wie auch Personen von einem Ort zum anderen bringen. Doch die Realität sieht anders aus. Noch, denn der kommerzielle Drohneneinsatz zur Warenlieferung steht in einigen Ländern knapp vor der Marktreife. So hat der Onlinehändler Amazon in Großbritannien einen Testbetrieb für die Lieferung mittels Drohne gestartet. In einer ländlichen Region werden seit Ende 2016 drei Kunden mittels Drohnen beliefert, dafür errichtete der Konzern ein spezielles Auslieferungszentrum in Containerbauweise. Dort sind spezielle Startplätze für die Drohnen installiert, die weitestgehend automatisch bestückt werden. Und die Drohnen agieren vom Moment des Starts über die Zustellung des Pakets bis zur Rückkehr ins Logistikzentrum völlig autonom.
Doch die Vordenker der Branche gehen inzwischen deutlich weiter und denken in größeren Maßstäben. Geht es beispielsweise nach dem Start-up Natilus, soll Luftfracht dank Riesendrohnen künftig deutlich günstiger werden. Langfristiges Ziel ist es dem Unternehmen zufolge, mit amphibischen, autonomen Fluggeräten in der Größe einer Boeing 777 die Kosten um die Hälfte zu senken. Im heurigen Sommer sollen erste Testflüge mit einem annähernd zehn Meter langen Prototypen durchgeführt werden, bis 2020 soll eine Drohne in voller Größe folgen.
Derzeit gibt es für Überseefracht zwei Varianten: langsam und billig per Schiff oder schnell und teuer per Flugzeug. Natilus hofft nun darauf, mit den Drohnen einen goldenen Mittelweg zu eröffnen. Als Beispiel verweisen die Projektverantwortlichen auf die Strecke von Los Angeles nach Schanghai. Der Transport von gut 9.000 Tonnen Fracht soll demnach nur 30 Stunden dauern und somit 17-mal schneller sein als per Schiff. Im Vergleich zu einer Boeing 747, die nur elf Stunden braucht, würden sich die Kosten auf 130.000 Dollar halbieren.

Drohnen legen in Häfen an
Möglich machen sollen dies Drohnen in der Größe eines Jumbo-Jets, die Propellerturbinen, Mantelstromtriebwerke und normalen Flugzeugtreibstoff nutzen. Die Fluggeräte sollen in einer Höhe von rund 6.000 Metern verkehren. Um Probleme mit Luftfahrtbestimmungen zu vermeiden, verzichtet Natilus komplett auf Überlandflüge. Stattdessen sieht das Design der amphibischen Drohnen vor, dass sie in Häfen anlegen, um dort Fracht auf- und abzuladen.
Natilus schwebt vor, seine Drohnen sowohl an Logistiker wie UPS oder FedEx, aber auch Großhandelsketten wie Costco zu verkaufen. Laut Natilus-CEO Aleksey Matyushev sei aber auch denkbar, selbst eine Flotte zu betreiben und die Drohnen mit Kunden-Branding zu fliegen.

Sicher in den Flugraum integriert
Die Zahl der Drohnen im kommerziellen und privaten Bereich wächst kontinuierlich, und wie das Natilus-Projekt zeigt, auch die Vielfalt der Einsatzmöglichkeiten. Damit wird die Drohnenindustrie zu einem attraktiven Marktsegment, insbesondere für die IT- und Telekommunika­tionsbranche. Neben vielen Vorteilen bringt der autonome Flug unbemannter Luftfahrzeuge aber auch Gefahren mit sich und sorgt mitunter für Beeinträchtigungen und Störungen innerhalb des Flugverkehrsmanagements. Die sichere Integra­tion in den allgemeinen Flugraum bekommt aufgrund der steigenden Zahl der Drohnen – in etwa fünf Jahren soll diese die Zahl der Flugzeuge überschritten haben – eine immer höhere ­Bedeutung.
Das Wiener Hightech-Unternehmen Frequentis positionierte sich daher an der Schnittstelle der Bereiche Air Traffic Management (ATM) und Unmanned Aircraft Systems (UAS) Traffic Management. Auch für die Abwehr von Drohnen entwickelt Frequentis Lösungen zu deren Er­fassung, Verifikation und Intervention. Diese Lösungen beweisen sich bereits in der Praxis. So kam bei Tests der US-Raumfahrtbehörde NASA das Location Information Service (LIS) von Frequentis am Reno Stead Airport in Nevada zum Einsatz. Dort fanden im Oktober 2016, als Teil der NASA-Forschungsinitiative zum Thema Drohnen, sogenannte Out-of-Sight-Flugtests statt. Ziel der Tests war die sichere Integration von Drohnen, die sich außer Sichtweite befanden, in den nationalen Flugraum. Das Frequentis-LIS-System lieferte dafür konkrete Lageinformationen und die Telemetriedaten der Drohnen.

Inventur mittels Drohne
Linde Material Handling stellte indes unlängst die Inventurdrohne Flybox vor. Durch den Einsatz von Drohnen könnte sich die Inventur von Lagerbeständen in Zukunft radikal vereinfachen. Auf der Fachmesse LogiMAT will das Unternehmen den Prototyp einer solchen Inventurdrohne zeigen. Durch die Kopplung der Drohne mit einem automatisierten Hochhubwagen seien eine dauerhafte Energieversorgung und eine Ortung in der Halle garantiert.
Die circa 50 Zentimeter große, mit sechs Rotoren, Kamera, Barcode-Scanner und Telemeter ausgestattete Inventurdrohne Flybox soll senkrecht vor einem Regal nach oben fliegen, von jedem Palettenstellplatz ein Foto machen und die Barcodes der gelagerten Waren erfassen. Sei die Drohne an der obersten Regalebene angelangt, bewege sie sich gemeinsam mit dem Fahrzeug um eine Regalposition weiter nach rechts oder links, um ihren Dokumentationsprozess nun von oben nach unten fortzusetzen. Dann gehe es erneut eine Position weiter und wieder nach oben – immer weiter, in Wellenformen, bis das gesamte Regal und alle dort gelagerten Paletten von der Drohne erfasst und die Informationen an den Computer übertragen seien. Dort würden sie dokumentiert und könnten jederzeit mithilfe einer Anwendungssoftware abgerufen werden, die am Bildschirm die Regalposition mit dazugehörigem Barcode und Foto zeigt, so die Vision des Herstellers.
„Das entscheidend Neue an der Erfindung ist, dass wir die Drohne zusammen mit einem autonomen Flurförderzeug nutzen“, erklärt Tobias Zierhut, Head of Product Management Warehouse Trucks bei Linde Material Handling. Denn die Flybox werde bei ihrem Inventureinsatz von einem automatisierten Linde-Hoch­hub­wagen, dem L-MATIC, geführt. Beide Geräte seien über einen Spannungswandler sowie ein sich selbst justierendes Kabel miteinander verbunden.

Inventur außerhalb der Arbeitszeiten
Durch diese Kopplung löst Linde zwei Herausforderungen, die einem breiten Einsatz von Drohnen in Lagerhallen bisher im Weg standen – zum einen die Energieversorgung (Drohnen­akkus reichen in der Regel nur rund 15 Minuten), zum anderen die Lokalisierung unter dem Hallendach ohne GPS-Empfang. Dank Geo­navigation wisse das Linde-System stets genau, wo sich die Drohne befinde. Die Drohne, die Linde Material Handling zusammen mit dem französischen Automatisierungsexperten Balyo entwickelt, soll die gesetzlich vorgeschriebenen Inventurprozesse radikal vereinfachen und Unternehmen damit wertvolle Zeit und hohe Kosten sparen. Derzeit würden Betriebe bis zu acht Prozent des inventarisierten Lagerwerts aufwenden, um Aushilfskräfte oder eigene Mitarbeiter zu bezahlen, Formulare zu beschaffen oder Hilfsvorrichtungen bereitzuhalten. Gleichzeitig störe der manuelle Zählvorgang den Betriebsablauf, und es komme immer wieder zu Fehlern, Unfällen oder Beschädigungen an Waren und Einrichtungsgegen­ständen. Mit der Flybox könnten diese Probleme bald alle der Vergangenheit angehören. Die Drohne soll komplett automatisiert arbeiten und die Inventur außerhalb der regulären Arbeits­zeiten durchführen – nachts, am Wochenende oder an den Weihnachtsfeiertagen.
Der Grafikchiphersteller NVIDIA hat mit Jetson TX2 indes ein System für künstliche Intelligenz (KI) im Scheckkartenformat vorgestellt, das vor allem in selbstfahrenden Autos, Fabrik­robotern, kommerziellen Drohnen und smarten Kameras zum Einsatz kommen soll. Die Plattform sei nicht nur zweimal so schnell wie das Vorgängermodell TX1, sondern mit einem Stromverbrauch von lediglich 7,5 Watt auch noch deutlich effizienter.

Künstliche Intelligenz für Drohnen
„Im Lauf der vergangenen fünf Jahre hat die mobile Revolution immer mehr Geräte ins ­Internet geschickt“, erklärt Deepu Talla, als Vice President und General Manager für das Tegra-Geschäft bei NVIDIA verantwortlich. Gleich­zeitig habe das GPU-basierte „tiefergehende ­Lernen“ Computern ermöglicht, völlig neue Arten des Verstehens und Analysierens von riesigen Datenströmen zu entwickeln, die von allen vernetzten Geräten gesammelt werden. „Solche Datenauswertungen werden nicht nur in der Cloud benötigt, sondern beispielsweise auch in Robotern, Drohnen oder Überwachungs­kameras“, betont Talla. Dem NVIDIA-Experten zufolge soll mithilfe der Jetson-TX2-Plattform eine neue Klasse von intelligenten Maschinen entstehen. „Mit Jetson TX2 kann man noch tiefere und größere neuronale Netze nutzen, wodurch die Endgeräte noch smarter werden. Auf diese Weise lassen sich höhere Genauigkeiten und schnellere Antwortzeiten bei Aufgaben wie Bild- oder Spracherkennung oder Navigation erzielen.“

Lieferwagen mit Drohnen als Boten
Auch der Automobilkonzern Daimler will im Drohnengeschäft mitmischen und präsentierte im letzten Herbst mit dem Vision Van ein Zukunftsprojekt, welches die Paketzustellung mittels E-Lieferwagen samt Landeplatz für ­Drohnen optimieren soll. Zu diesem Zweck arbeitet der Konzern mit dem Drohnenhersteller Matternet zusammen.
Der Laderaum des Fahrzeugs soll voll automatisiert sein – samt integrierten Drohnen zur autonomen Luftzustellung. Der Lieferwagen soll sich zudem über einen Joystick steuern lassen. Das Fahrzeug selbst wurde mit einem 75 Kilowatt starken, umweltschonenden Elektromotor ausgestattet, der eine Reichweite von bis zu 270 Kilometern ermöglichen soll. Ausgeklügelte Algorithmen sollen dem Postboten das Kommissionieren und Verladen von Paketen wesentlich vereinfachen. Automatisch sollen auch das Management des Laderaums sowie die Routen­planung für das Fahrzeug und die Zustelldrohnen erfolgen. Dem Paketboten selbst, so versprechen beide Unternehmen, würden optimierte Zulieferwege berechnet. Vorgesehen sei beim Laderaummanagement, dass dieses Pakete automatisch für die manuelle Zustellung am Entladepunkt über eine interne Paketausgabe an den Postboten übergebe. Parallel dazu soll das System zwei Drohnen mit einer Nutzlast von je zwei Kilogramm mit Lieferungen versorgen, die sie in einem Radius von zehn Kilometern autonom zustellen sollen. Die Landegenauigkeit soll bei fünf Metern liegen.

Flughafenlogistik und Drohnenmanagement
Die airsight GmbH führt indes als einer der ­ersten Dienstleister Oberflächeninspektionen auf Flugbetriebsflächen mit Drohnen durch und ent­wickelt Sicherheitsbewertungen und -konzepte für den Drohneneinsatz auf Flugplätzen. Der Betrieb privat genutzter Drohnen auf Flughäfen oder in deren Umfeld habe schon des Öfteren für Schlagzeilen gesorgt, wenn über Zwischenfälle mit Unmanned Aerial Vehicles (UAV) und Luftfahr­zeugen berichtet wurde, sagt Reiko Schroeder, Mitglied der airsight-Geschäfts­leitung. Die Vorteile, die der Einsatz UAV-gestützter Verfahren biete, etwa bei der detaillierten Inspektion von Oberflächen zur Bauzustands­bewertung von Flugbetriebsflächen, würden aber auf der Hand liegen. Eine stetig steigende Nachfrage für den gewerblichen Einsatz in Lufträumen oberhalb von Flugplätzen sei die Folge.
Airsight biete hier nun technische Lösungen und Beratungsdienste an. Dabei gelte die Maxime, dass durch den gezielten Einsatz von Drohnen die Sicherheit der Abläufe auf dem Flugplatz und des täglichen Flugbetriebs nicht negativ beeinflusst werden darf. In den letzten Monaten führte das Unternehmen laut eigenen Angaben bereits erfolgreich eine Reihe von UAV-gestützten In­spektionen mehrerer Flughäfen in Europa, unter anderem in Berlin und Paris, durch. Schäden im Belag von Oberflächen, wie Rissbildungen, Kantenabbrüche oder fehlerhafte Fugen­versiegelungen, könnten auf Flugbetriebsflächen zu Beschädigungen an den Strukturen und den Triebwerken von Luftfahrzeugen führen. Daher sei eine regelmäßige Überwachung und Inspek­tion des Bauzustands dieser Flächen notwendig, um etwaige Störungen oder potenzielle Gefahren für die Sicherheit von Luftfahrzeugen oder den Flugplatzbetrieb frühzeitig zu identifizieren.
Derartige Bauzustandskontrollen seien aber für gewöhnlich sehr personal- und zeitintensiv. Nachdem airsight mehrere Monate in die Forschung und Entwicklung neuer Verfahren investiert habe, möchte das Unternehmen nun die UAV-gestützte Durchführung von Bauzustandskontrollen an Flugplätzen flächendeckend eta­blieren. Die eingesetzten Drohnen seien aus­gestattet mit GPS und einer speziellen Kameraausrüstung und könnten bei einer Befliegung der entsprechenden Flächen in kürzester Zeit ­Hunderte von Aufnahmen in hochauflösender Qualität produzieren.
„Drohnen können auf Flugplätzen durchaus sicher betrieben werden und bieten als Ergänzung zur Oberflächeninspektion zahlreiche neue Anwendungsmöglichkeiten zur Generierung von Video- oder 3-D-Bildmaterial, für digitale Zustandsaufnahmen, die Überprüfung und Kalibrierung von visuellen Anflughilfen oder der Flugplatzbefeuerung und vieles mehr“, betont Schroeder. (TM)
www.natilus.co, www.frequentis.com
www.daimler.de, www.nvidia.com
www.epfl.ch, www.airsight.de

INFO-BOX
„Insektendrohne" übersteht auch heftige Unfälle
Forscher der École polytechnique fédérale de Lausanne (EPFL) haben eine neuartige Drohne entwickelt, die aufgrund ihrer spezifischen Konstruktion auch heftigere Unfälle und Zusammenstöße ohne größere Schäden übersteht. Die Konstrukteure haben sich beim Bau von Bienen oder Wespen inspirieren lassen. Diese Insekten haben Flügel, die dank eines speziellen Exoskeletts einerseits gerade hart genug sind, um ihnen gute Flugeigenschaften zu verleihen, andererseits auch flexibel genug, um beim harten Aufprallen den Druck abzufangen.
Die Forscher haben sich an Insektenvorbildern orientiert, um einen flexiblen, aber gleichzeitig auch besonders robusten Rahmen für Drohnen zu konstruieren. Das Ergebnis sei ein Prototyp, der während des Flugs in der Luft steif bleibt, aber im Fall einer Kollision sicher nachgebe. Das Finden des richtigen Gleichgewichts aus Härte und Flexibilität sei eine zentrale Herausforderung im Rahmen des Entwicklungsprozesses gewesen. Denn wenn das Material der Drohne zu weich gewählt sei, könne sie zwar einen Aufprall gut überstehen, lasse sich aber vor allem bei schwierigeren Wetterbedingungen nur sehr schlecht steuern. Deshalb hätten sich die Forscher beim Design für einen Rahmen entschieden, der zwar grundsätzlich flexibel, aber mit gehärteten Magnetgelenken ausgestattet sei, die bei einem Aufprall einknicken würden. Auf diese Weise könnten Schäden minimiert werden.