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Markus Krammer, CPO Nfon AG © RNF

Markus Krammer, CPO der Nfon AG, über die Erfahrungen des Unternehmens mit Lissabon als Entwicklungsstandort.

Portugal hat seinen Besuchern aus aller Welt einiges zu bieten. Die Kultur, die Küche, traumhaftes Wetter und natürlich das Meer lassen die Touristen ins Land strömen. Die hohe Verfügbarkeit ausgezeichnet ausgebildeter Fachkräfte auf dem portugiesischen Arbeitsmarkt hat aber auch dazu geführt, dass das Land nicht nur viele Tech-Start-ups hervorgebracht, sondern außerdem das Interesse ausländischer Unternehmen geweckt hat. 

Ausgerechnet 2020, in einer Hochphase der Corona-Pandemie, ging beispielsweise die Nfon AG, europäischer Anbieter für Cloud-Businesskommunikation, in Portugals Hauptstadt Lissabon an den Start. Von den insgesamt rund 80 Softwareentwicklern des Unternehmens sitzt ungefähr ein Viertel im dortigen Development Center.

Markus Krammer, seit der Gründung von Nfon Lda. im September 2020 Managing Director der portugiesischen Niederlassung und seit Kurzem auch Chief Product Officer der Nfon AG, war federführend am Aufbau dieses Entwicklungszentrums beteiligt. Im Interview mit NEWS BUSINESS spricht er über die Gründe für diese Entscheidung und was Nfon – und auch er persönlich – daraus gelernt haben.

Herr Krammer, warum Portugal und nicht ein anderes Land? Was war der Grund für die Entscheidung? 

Warum Portugal? Wir haben sieben Länder verglichen und haben für uns 20 Kriterien definiert. Natürlich gibt es Faktoren wie politische Stabilität, English-Proficiency, Cost-Ratio. Für uns war Logistik wichtig, also wie schnell man von unseren Hauptstandorten in Deutschland, wo wir Entwickler haben, dorthin kommt. Man kann natürlich auch zum Beispiel nach ­Rumänien gehen, da gibt es auch tolle Standorte. Da fliege ich aber nach Bukarest und sitze noch mal drei Stunden im Auto. Dadurch geht ein Tag verloren. Das ist ein ganz wichtiger Punkt.

Dann haben wir auch das Thema MINT-Absolventen. Wie viele von ihnen kommen pro Jahr von den Universitäten? Sehr wichtig war auch die Arbeitsethik, die Arbeitsattitüde. Also ist die Arbeitsethik des Portugiesen ähnlich der des Deutschen? Dann gibt es noch internationale Faktoren, wie Kultur, oder Work-Life-Balance. Diese Faktoren haben wir bewertet. Und dann gab es eine Shortlist, auf der standen Spanien und Portugal. Relativ schnell ist es dann Portugal geworden.

Es gibt circa 260 Millionen Menschen, die Portugiesisch sprechen. Hier sind Menschen aus Brasilien, aus Mosambik, Angola, Osttimor usw. Wir haben selbst fünf Brasilianer im Team. Portugiesen denken global, sie denken auch in anderen Zeitzonen. Das ist von unschätzbarem Wert, gerade wenn man Innovationen angehen und außerhalb festgetretener Pfade denken möchte. Das sind Fähigkeiten und Eigenschaften, die die Menschen in diesem Land mitbringen.

Und warum Lissabon?

Porto im Norden Portugals ist auch schön, aber im Winter fliegt kein Flugzeug von Berlin nach Porto – ein klarer Nachteil. Es kam aber noch ein Faktor für Lissabon dazu, sein Einzugsbereich in dem insgesamt zweieinhalb Millionen Menschen leben. Das ist ein riesiges Einzugsgebiet mit mehreren Universitäten.

 

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„Portugiesen denken global, sie denken auch in anderen Zeitzonen. Das ist von unschätzbarem Wert, gerade wenn man Innovationen angehen und außerhalb festgetretener Pfade denken möchte.“

Markus Krammer,
CPO Nfon

 

Der Startschuss für dieses Projekt fiel ja zu Beginn der Corona-Pandemie, im März 2020. War das trotz oder wegen Corona? Warum gerade dieser Zeitpunkt?

Es war mehr oder weniger Zufall, die Zusammenkunft von unterschiedlichen Faktoren, glücklichen und unglücklichen. Aber nichts im Leben passiert ohne einen Grund. In dem Fall sollte es so sein und hat sich auch gut entwickelt. Es hat gezeigt, dass wir gerade dann, wenn andere in eine Schockstarre verfallen, agieren. Auch die Unternehmen, Universitäten, Recruiting-Agenturen und Start-ups, mit denen wir hier in Portugal gesprochen haben, waren überrascht, dass wir unser Projekt gerade in dieser unsicheren Phase initiieren wollten. 

Wir wollten eigentlich schon im März eine Roadshow machen, aber dann kam das Reiseverbot und wir mussten absagen. Also haben wir das virtuell gemacht. Es gab Tage, an denen ich von morgens 8 bis abends 18 Uhr nur in Videokonferenzen war. So haben wir uns eine gute Informationsgrundlage verschafft. Diese gesammelten Erfahrungen und Informationen haben uns dann letztendlich zu dem Schluss gebracht, mit weiterem Abebben von Corona Vollgas zu geben – mit Erfolg.

Gab es irgendwelche Fallstricke oder Schwierigkeiten in der Startphase, mit denen Sie nicht gerechnet haben?

Ich bin jemand, der sagt, es gibt eigentlich nichts, was man nicht lösen kann. Es gab Situationen, auch bei dem Ausbau unserer Büros, in denen beispielsweise gesagt wurde, dass etwas erst nächstes Jahr geht oder gerade nicht verfügbar ist. Da mussten wir dann gemeinsam eine Lösung finden. Wir haben natürlich auch parallel nach Mitarbeiter:innen gesucht. Manchmal gab es Anforderungen von unseren Kollegen aus Deutschland, die unsere Kandidaten nicht erfüllt haben. Umgekehrt hatten auch die Kandidaten manchmal gewisse Anforderungen, die wir nicht erfüllen konnten. Da mussten Kompromisse gefunden werden. Auch das Arbeitsrecht ist ein bisschen anders, da muss man aufpassen. Aber das sind alles keine wirklichen Fallstricke, irgendwie auch normal.

Die Kultur und die Mentalität sind aber schon ein bisschen anders?

Ja, klar. Der Portugiese schätzt per se deutsche Unternehmen, was uns entgegenkommt. Er schätzt Stabilität, schätzt aber auch seinen Freiraum, schätzt seine eigene Flexibilität. Und er hat auch den Anspruch, Karriere zu machen und sich weiterzuentwickeln. Gerade den Menschen im Tech-Sektor ist das Vorankommen enorm wichtig. Man muss ihnen klar sagen können, welche Karrierechancen sich bieten. 

Ein Recruiting-Prozess dauert hier drei bis vier Wochen, maximal. In dieser Zeit kriegst du in Deutschland vielleicht die Einladung zum Vorstellungsgespräch. Das ist anders, und das mussten wir auch lernen und uns anpassen. Wenn wir zum Beispiel jemanden gefunden hatten und ich den Lebenslauf weitergegeben habe, dann kam teilweise nach einer Woche die Anfrage des Kandidaten, wie es denn jetzt aussieht. Der Recruiting-Agent in Deutschland hatte das aber erst für die nächste Woche auf dem Radar. Dann ist der Kandidat weg. Das können wir jetzt viel besser.

Auch unsere Mitarbeiter:innen hier werden sicher vier bis fünf Mal in der Woche von Headhuntern angesprochen. Also musst du ein gutes Klima erzeugen, dafür sorgen, dass sie sich wohlfühlen, damit sie sich gar nicht erst darauf einlassen.

 

Markus Krammer ist beeindruckt von der Can-Do-Mentalität seiner portugiesischen Mitarbeiter:innen.
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Gab es umgekehrt irgendwelche positiven Überraschungen?

Beeindruckt haben mich die Arbeitsloyalität, Working Discipline und die Can-Do-Mentalität. Mitteleuropa sagt ja ganz gerne süffisant über die Südeuropäer, sie würden es mit der Arbeit nicht so genau nehmen. Da muss ich widersprechen! Vielleicht gibt es eine Siesta in Spanien und hier in Portugal geht man auch schön zum Mittagessen, aber dann ist wieder Fokus da. Und wenn es um 18 Uhr heißt, „Hey, das ziehen wir jetzt durch“, dann sind alle bereit, dabei zu bleiben. Da sehe ich eher den einen oder anderen in Mitteleuropa, der um 17 oder 18 Uhr sagt, jetzt gehe ich aber nach Hause, Schicht im Schacht. Hier in Portugal ist das anders, man will sich beweisen. 

Entstehen durch die Ansiedelung ausländischer Unternehmen, die ein gewisses Lohnniveau anbieten können, nicht auch die Spannungen in der Bevölkerung?

Das ist ein wichtiger, ein sensibler Punkt. Genau das ist der Fall. Wohnraum ist für Portugiesen im Großraum Lissabon unerschwinglich geworden. Die Immobilien- und Mietpreise wurden brutal nach oben gezogen. Und generell ist das Lohnniveau immer noch sehr niedrig. Das ist Fluch und Segen. Auf der einen Seite schwärmt Portugal von diesem Tech-Hub Lissabon und welche tollen Unternehmen den Weg nach Portugal finden, um neue Arbeitsplätze zu schaffen. Die Konsequenzen sind die Verteuerung von Wohnraum und von Lebenshaltungskosten. Viel Wohnraum wurde auch durch ausländische Investoren gekauft und steht leider leer. Das sorgt natürlich für Spannungen. Regierung und auch die Industrie müssen zusammenarbeiten, um diese Probleme intelligent zu lösen. Ich glaube, da gibt es Möglichkeiten. Wir müssen nur kreativ werden.

Was haben Sie persönlich aus Ihrer bisherigen Zeit in Portugal mitgenommen?

Ich glaube, ich bin als Führungskraft gereift. Ich habe gelernt, mit Unsicherheit noch besser umgehen zu können, weil vieles unklar, unsicher war. Man lernt, damit umzugehen, situativ die richtige Entscheidung zu treffen. Das war ein Learning. Dann gab es auch eine große Bestätigung: Egal, wie digitalisiert wir jetzt sind, oder in Zukunft sein werden, es geht nichts über den persönlichen Kontakt und Austausch. Die menschliche Komponente, die Empathie, die von dir als Führungskraft gefordert wird, wird in einer digitalisierten Welt noch mehr an Bedeutung gewinnen.

Und ich glaube, wir denken in Unternehmen zu sehr in Schranken, in Barrieren. Es ist wichtig, frei zu denken und keine Angst vor Fehlern zu haben – das ist einfach nur Erfahrung. Nicht verstecken hinter Prozessen, nicht verstecken hinter irgendwelchen Vorschriften oder Richtlinien. Let's do it! (RNF)

 

Mehr über Portugal als Entwicklungsstandort für europäische Firmen erfahren Sie übrigens auch in unserem Artikel „Portugal hat viel zu bieten“ aus dem NEW BUSINESS BILDUNGS- & KARRIERE-GUIDE 2023.