Wifo-Direktor Felbermayr und IHS-Chef Bonin fordern "mutige Reformen" © APA - Austria Presse Agentur

Die Wirtschaftsforscher von Wifo und IHS warnen vor einem verlorenen Jahrzehnt ohne Wachstum. Die längste Rezession seit 1945 hält in Österreich laut Prognose zumindest noch bis zur Jahresmitte an. Gebremst wird die heimische Wirtschaft durch schwache Industrie-Exporte, Konsumzurückhaltung, Sparpläne der neuen Regierung und US-Zölle. Wifo und IHS haben am Donnerstag ihre Konjunkturprognose für 2025 massiv gesenkt und erwarten nun ein drittes Rezessionsjahr.

Sollte der Zollkonflikt mit den USA noch weiter eskalieren und die Weltwirtschaft stark belasten, ist für die Ökonomen auch ein viertes Rezessionsjahr in Österreich nicht auszuschließen. Im Dezember gingen die Wifo/IHS-Wirtschaftsforscher noch von einem Wirtschaftswachstum hierzulande von 0,6 bzw. 0,7 Prozent für heuer aus, nun wird ein Rückgang um 0,3 bzw. 0,2 Prozent prognostiziert. Die heimische Wirtschaft hat sich 2024 im EU-Vergleich mit Abstand am schwächsten entwickelt. Im Jahr 2023 schrumpfte das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Österreich um 1,0 Prozent und 2024 um 1,2 Prozent.

Wifo-Chef: "Lost decade" droht

"Österreich steckt in einer Wirtschaftskrise", sagte Wifo-Direktor Gabriel Felbermayr bei der Präsentation der Konjunkturprognose in Wien. Die Krise sei "zu einem Teil strukturell" und "hausgemacht", die neue Bundesregierung müsse "mutige Strukturreformen" angehen, etwa im Bereich Pensionen oder Föderalismus. Der Wifo-Chef warnte vor einem Jahrzehnt ohne Wirtschaftswachstum, einer "lost decade" in Österreich, wenn die Regierung nicht entschlossen handelt.

IHS-Chef Holger Bonin unterstützt den "Weckruf" von Felbermayr "uneingeschränkt". Es brauche "ein Paket ambitionierter Reformen" und "eine nationale Kraftanstrengung". Österreich habe es "zum Gutteil selbst in der Hand die Probleme zu lösen", erklärte Bonin.

Problembereiche der heimischen Wirtschaft

Der Wifo-Chef verwies auf mehrere Problembereiche der heimischen Wirtschaft. Das reale BIP pro Kopf werde 2025 voraussichtlich um 2,5 Prozent niedriger sein als 2019, aber die verfügbaren privaten Einkommen pro Kopf 2 Prozent höher. "Die Krise ist beim durchschnittlichen Haushalt noch gar nicht angekommen", sagte Felbermayr. Die Stabilisierung der Einkommen sei durch staatliche Transfers und hohe Lohnabschlüsse erfolgt. Besonders tief ist die Industrierezession in Österreich. Die heimische Industrie schrumpfe 2025 weiter und werde auf das Niveau von 2018 zurückfallen, erwartet der Wifo-Chef. Die Industriebetriebe hätten in den vergangenen Jahren deutlich an Wettbewerbsfähigkeit verloren.

Beide Ökonomen sehen die Koppelung von Gehältern und Löhnen, Mieten und Sozialleistungen in Österreich an die Teuerung kritisch. Dies sei "eine österreichische Besonderheit" und bringe "Standortnachteile", so Bonin. Der öffentlichen Hand empfehlen die beiden Wirtschaftsforscher bei Pensions- und Gehaltserhöhungen in den nächsten Jahren "vorsichtig" unter der Inflationsrate zu bleiben, um bei der Budgetsanierung voranzukommen. Auch die Gewerkschaft sollte bei den Kollektivvertragsverhandlungen eine gewisse Lohnzurückhaltung an den Tag legen, damit der Wirtschaftsmotor wieder anspringe, erklärten die Spitzenökonomen.

Spardruck wird in den nächsten Jahren "härter sein"

Das Budgetdefizit soll 2025 erneut die Maastricht-Grenze von 3 Prozent des BIP überschreiten und trotz Sparpaket bei 3,3 Prozent (Wifo) bzw. 3,2 Prozent (IHS) liegen. "Die Budgetkonsolidierung durch die neue Bundesregierung dämpft dabei das Wachstum um 0,3 Prozentpunkte", rechnet das Institut für Höhere Studien (IHS) in der Konjunkturprognose vor. Um die Konjunktur nicht weiter abzuwürgen, sollte die neue ÖVP/SPÖ/NEOS-Regierung nach Ansicht von Wifo und IHS die für heuer angekündigten Einsparungen in Höhe von 6,3 Mrd. Euro umsetzen, aber nicht noch mehr sparen. Ein EU-Defizitverfahren sei "kein Beinbruch", betonte Felbermayr. Für Bonin ist "eine pragmatische Politik im Krisenmodus" zielführend.

Teuerung geht kaum zurück

Nach den Rekord-Inflationsjahren 2022 und 2023 mit 8,6 Prozent und 7,8 Prozent sank die Teuerung 2024 auf 2,9 Prozent und soll heuer bei 2,7 Prozent (Wifo) bzw. 2,9 Prozent (IHS) liegen. Das Auslaufen der Strompreisbremse, der Anstieg der Netzentgelte bei Strom und Erdgas und die Anhebung von Erneuerbaren-Förderung und CO2-Steuer haben die Teuerung in Österreich Anfang 2025 deutlich steigen lassen. Die Wirtschaftsforscher rechnen im weiteren Jahresverlauf aber mit einer rückläufigen Inflationsrate. Die Inflation in Österreich ist im Vergleich zur Eurozone weiterhin "zu hoch", so der Wifo-Chef. Hierzulande soll heuer die Teuerung um 0,5 Prozentpunkte höher sein als im Eurozonen-Durchschnitt, im Vorjahr war die Inflationsrate um 0,6 Prozentpunkte höher als im Euroraum-Schnitt.

Arbeitsmarkt "relativ robust"

Der Arbeitsmarkt erweist sich laut Wifo-Ökonomen "angesichts der Dauer und Schwere der Rezession als relativ robust". Das IHS sieht das ähnlich: "Im historischen Vergleich erweist sich die Arbeitsmarktlage immer noch als recht stabil". Für heuer wird ein Anstieg der Arbeitslosenrate nach nationaler Berechnung um 0,3 bzw. 0,5 Prozentpunkte auf 7,3 bzw. 7,5 Prozent erwartet.

Die IHS-Ökonomen weisen auf "gravierende Abwärtsrisiken" für die Konjunkturprognose hin. Die politische Unsicherheit sei seit der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten "stark gestiegen". "Erratische Änderungen" in der internationalen Wirtschaftspolitik - u. a. US-Zollpolitik - würden die Prognose erschweren, so das Wifo. Auch durch das deutsche Milliarden-Finanzpaket und die geplante EU-Aufrüstung steige die Prognoseunsicherheit zusätzlich.

Leichter Aufschwung könnte 2026 kommen

Sollte sich die österreichische und die globale Wirtschaft im laufenden Jahr so wie derzeit prognostiziert entwickeln, dann wird laut Wifo und IHS 2026 der lang erwartete Aufschwung kommen. Das Wirtschaftswachstum soll im kommenden Jahr dann 1,2 Prozent bzw. 1,1 Prozent betragen. Die Inflation wird 2026 laut Prognose deutlich auf 2,1 bzw. 2,0 Prozent zurückgehen, die Arbeitslosenrate leicht auf 7,1 bzw. 7,3 sinken.

FPÖ gegen EU-Defizitverfahren, Grüne gegen Lobautunnel-Finanzierung

FPÖ-Wirtschaftssprecherin Barbara Kolm warnte erneut vor den Auswirkungen eines EU-Defizitverfahrens. Dieses sei "samt unabsehbaren Mehrbelastungen und Reputationsschäden kein Schicksal, sondern eine ganz bewusste politische Entscheidung dieser Regierung", so Kolm in einer Aussendung. Der Budgetsprecher der Grünen, Jakob Schwarz, empfahl der Bundesregierung, klimaschädliche Subventionen in Milliardenhöhe einzusparen und den umstrittenen Lobautunnel in Wien nicht zu ermöglichen.

Die Arbeiterkammer drängt angesichts steigender Arbeitslosenzahlen auf arbeitsmarktpolitische Maßnahmen im Bereich Aus- und Weiterbildung für Arbeitssuchende und Beschäftigte. Die IV forderte als kurzfristige Maßnahme die Erhöhung des Investitionsfreibetrags, "um die Steuerlast auf Investitionsrücklagen zu senken".

Die Gewerkschaften drängen wegen des seit 2023 andauernden Wirtschaftsabschwungs unter anderem auf Konjunkturpakete. ÖGB-Chefökonomin Angela Pfister plädiert für "ein Offensivpaket für sozialen Wohnbau, für Infrastruktur, sowie für Städte und Gemeinden". Der Chef der Gewerkschaft vida, Roman Hebenstreit, wünscht sich von der Regierung "eine aktive Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik" mit Fokus auf Ausbildung, Beschäftigungssicherung und Verbesserungen im Dienstleistungsbereich. Wenig Verständnis für Lohnzurückhaltung hat der Bundesvorsitzende der Produktionsgewerkschaft (PRO-GE), Reinhold Binder: "Werden Nulllohnrunden oder KV-Abschlüsse unter der Inflationsrate verlangt, wird das zu weiterer Konsumzurückhaltung führen."