Das als "Wirtschaftsweise" bekannte deutsche Expertengremium hat seine Wachstumsprognose für Deutschland für das kommende Jahr mehr als halbiert. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) dürfte dann um lediglich 0,4 Prozent steigen, heißt es in dem am Mittwoch veröffentlichten Jahresgutachten des Sachverständigenrates. Im Frühjahr waren die fünf Professorinnen und Professoren noch von plus 0,9 Prozent ausgegangen, während die deutsche Regierung mit 1,1 Prozent Wachstum rechnet.
Für das zu Ende gehende Jahr 2024 erwartet das Gremium sogar einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um 0,1 Prozent, nachdem sie zuvor noch ein Mini-Plus von 0,2 Prozent vorausgesagt hatten. Bereits 2023 war Europas größte Volkswirtschaft um 0,3 Prozent geschrumpft.
Damit dürfte das Bruttoinlandsprodukt in den vergangenen fünf Jahren inflationsbereinigt nur um 0,1 Prozent gewachsen sein. In den USA liegt es dagegen schon um mehr als zwölf Prozent über dem Vor-Corona-Niveau 2019, im Euroraum um gut vier Prozent. "Die Schwäche der Industrie und die Dauer der Schwächephase legen nahe, dass die deutsche Wirtschaft neben konjunkturellen auch von strukturellen Problemen ausgebremst wird", sagte die Vorsitzende des Sachverständigenrates Wirtschaft, Monika Schnitzer. "In Deutschland gab es in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten Versäumnisse in der Politik und in der Wirtschaft." Umso wichtiger sei es, die Modernisierung des Landes jetzt entschlossen voranzutreiben.
Um Deutschland wieder flott zu machen, sollte die Politik zukunftsorientierte öffentliche Ausgaben priorisieren. Die Versäumnisse zeigten sich insbesondere bei den Ausgaben für Verkehrsinfrastruktur, Verteidigung und Schulbildung, deren gesellschaftlicher Nutzen größtenteils erst in der Zukunft eintrete. "Diese werden gegenüber Ausgaben, die der derzeitigen Wählerschaft zugutekommen, von der Politik oft zurückgestellt", erklärte der Sachverständigenrat, der die Bundesregierung berät.
Die Wirtschaftsweisen plädieren auch für ein Bündel von Maßnahmen, um den schwierigen Wohnungsmarkt anzukurbeln. In den Ballungsräumen sei Wohnraum besonders knapp und dies sei nicht nur ein soziales, sondern auch ein gesamtwirtschaftliches Problem. "Die Knappheit von Wohnraum hemmt den Zuzug von Arbeitskräften in produktive Regionen", heißt es in dem Gutachten. Hier sollten das Angebot erhöht und der Bestand effizienter genutzt werden, erklärten die Regierungsberater.
Bauland auszuweisen und Hürden für die Nachverdichtung abzubauen könnte ebenso helfen wie Schritte zur Senkung der Baukosten. Um den Zugang zu angemessenem Wohnraum für einkommensschwache und benachteiligte Bevölkerungsgruppen zu verbessern, sollten sich die Politik zum Wohngeld und zu Sozialwohnungen ergänzen.
"In Deutschland haben sich die Preise für Wohnimmobilien seit dem Jahr 2010 mehr als verdoppelt", so die Expertinnen und Experten. Neumieten seien in der gleichen Zeit um gut 60 Prozent gestiegen, Bestandsmieten um rund 20 Prozent. "Der Wohnungsneubau kann durch die Mobilisierung von Baulandpotenzialen, stärkere Bauanreize und eine Senkung der Baukosten durch harmonisierte Bauvorschriften erhöht werden", sagte Veronika Grimm, Mitglied des Beratergremiums. "Auch die Einführung des Gebäudetyps E, der eine rechtssichere Möglichkeit bietet, von den aktuell anerkannten Regelungen abzuweichen, könnte die Baukosten senken."
(APA)