Das Lieferkettengesetz polarisiert - vor allem in Österreich © APA - Austria Presse Agentur
Die AK sieht einen möglichen historischen Tag vorüberziehen, kommt es morgen, Freitag, auf EU-Ebene nicht zu einer Zustimmung zum Lieferkettengesetz. Wie berichtet will sich ÖVP-Wirtschaftsminister Martin Kocher bei der Abstimmung enthalten, obwohl der grüne Koalitionspartner die Volkspartei weiter zur Zustimmung auffordert. Das taten am Donnerstag auch AK-Oberösterreich-Präsident Andreas Stangl, viele (Umwelt-)NGO, Gewerkschaften und die SPÖ.
"Stimmen Sie diesem Kompromiss unbedingt zu", forderte Stangl Kocher auf. Von SPÖ-Europasprecher Jörg Leichtfried hieß es: "Ich fordere ein klares österreichisches Bekenntnis zum EU-Lieferkettengesetz und insbesondere Wirtschaftsminister Kocher auf, diesem Gesetz zuzustimmen und sich nicht der Stimme zu enthalten." Industriellenvereinigung und Wirtschaftskammer hingegen zeigten sich zufrieden mit der angekündigten Enthaltung. Sie hatten stets vor einer Überregulierung gewarnt, die den Firmen nicht aufgebürdet werden könne. Für den Handelsverband wäre der final verhandelte Text "ein Papiertiger, der mittelständische Unternehmen massiv belastet". Die FPÖ fordert eine Ablehnung des Lieferkettengesetzes, nicht nur eine Enthaltung. "Wirtschaftsminister Kocher steht dabei mit seiner Enthaltung nicht auf der Seite der tausenden Unternehmen, die in Europa mit immer höheren Kosten und Auflagen zu kämpfen haben", so FPÖ-Europasprecherin und EU-Kandidatin Petra Steger.
Auch die Grünen ließen am Donnerstag nicht locker mit ihrer Forderung an ihren großen Koalitionspartner, zuzustimmen. Zu Wort meldete sich etwa die Chefin der Grünen Wirtschaft, Sabine Jungwirth: "Das Lieferkettengesetz betrifft Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeiter:innen bzw. in Risikosektoren Unternehmen mit mindestens 250 Mitarbeiter:innen", erinnerte sie. "Gleichzeitig profitieren zehntausende EPU und KMU in Österreich, die jetzt schon sozial und ökologisch nachhaltig wirtschaften." Die entscheidende Frage für Kocher sei: "Unterstützt er die verantwortungsvoll wirtschaftenden Unternehmen in Österreich - oder lässt er sich vor den Karren der ewiggestrigen Kammerlobbyisten spannen, die im Interesse der Großkonzerne jeden Fortschritt blockieren?" Der Wirtschaftsminister sollte aus Sicht der Grünen (Wirtschaft) "im Sinne der Interessen der überwiegenden Mehrheit der Unternehmen seine angekündigte Enthaltung bei der Abstimmung zum Lieferkettengesetz noch einmal überdenken", forderte Jungwirth. Ähnlich argumentieren auch anderen Grüne, wie etwa Europasprecher Michel Reimon.
Global 2000 "erinnerte" in einer Aussendung Kocher daran, "wie desaströs eine Enthaltung zum fertigen Kompromisstext wäre". Außerdem würden die liberale deutsche Regierungspartei FDP und einzelne Wirtschaftsverbände Unwahrheiten über das Lieferkettengesetz verbreiten, so die Umwelt-NGO. Aufgrund der Haltung der FDP enthält sich Deutschland bei der Abstimmung, auch wenn das die größeren Regierungsparteien SPD und Grüne nicht goutieren. Durch Deutschlands Enthaltung werden ähnliche Pläne auch in anderen EU-Ländern gewälzt, und auch Österreich gab nach der Deutschen Entscheidung seine Enthaltung bekannt. Kocher begründe seine Enthaltung aber eben genau "mit diesen falschen Behauptungen", so Global 2000. "Dieses Vorgehen ist nicht nur demokratiepolitisch äußerst bedenklich, sondern auch wirtschaftspolitisch schlichtweg falsch. Die von Kocher erwähnten nachhaltig produzierenden Unternehmen in Österreich würden von einem starken Lieferkettengesetz profitieren", so Anna Leitner von den Umweltschützern. Unternehmen wie Ikea Österreich, Oekostrom AG, VBV-Vorsorgekasse, Vöslauer und viele andere forderten daher auch die Umsetzung des Lieferkettengesetzes ein. Ähnlich argumentierte Greenpeace.
Die Arbeiterkammer (AK) forderte stets eine strenge Auslegung des Lieferkettengesetzes. Sie argumentiert seit langem, dass so eine "Win-win-Situation" für die heimische Wirtschaft und den globalen Süden entstehen könne. Arbeitgeberorganisationen wie Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung waren hingegen stets kritisch, warnen vor einer Überregulierung und unterstützen die Enthaltung Kochers, der ja neue Verhandlungen auf EU-Ebene will. Der erzielte Kompromiss sei für die meisten heimischen Unternehmen nicht umsetzbar, argumentiert der Regierungspolitiker.
Durch das EU-Lieferkettengesetz sollen große Unternehmen zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie etwa von Kinder- oder Zwangsarbeit außerhalb der EU profitieren. Größere Unternehmen müssen zudem einen Plan erstellen, der sicherstellt, dass ihr Geschäftsmodell und ihre Strategie mit der Einhaltung der Pariser Klimaziele zur Begrenzung der Erderwärmung vereinbar sind. Dafür ist morgen eine qualifizierte Mehrheit im Ausschuss der Ständigen Vertreter der EU-Mitgliedsstaaten nötig.
Freiwillige Verpflichtungen wirkten nicht, verwies AK-Oö-Chef Stangl auf eine Studie der EU-Kommission aus dem Jahr 2020. Nur ein Drittel der EU-Unternehmen führe tatsächlich Sorgfaltsprüfungen (Due Diligence) im Hinblick auf Menschenrechte, Umweltschutz und Arbeitsstandards in den Lieferketten durch. Jeden Tag würden große Unternehmen das Leben von Menschen und die Umwelt auf der ganzen Welt schädigen. Bestehende Gesetze würden Unternehmen nicht zur Rechenschaft ziehen, wenn etwa Unfälle geschehen.
"Erstmals gibt es die Chance, verbindliche Mindeststandards für große Unternehmen in der EU und deren Zulieferbetriebe einzuführen und damit auch den Profit durch Kinder- oder Zwangsarbeit außerhalb der EU zu unterbinden", so Stangl.
Der Wirtschaftskammer- und IV-nahe Verein oecolution sieht die Sache naturgemäß anders. Auch beim Lieferkettengesetz zeige sich, "gut gemeint ist nicht gleich gut gemacht", so Geschäftsführerin Elisabeth Zehetner in einer Aussendung am Donnerstag. "Der vorliegende Entwurf ist ein weiterer Angriff auf die europäische Wettbewerbsfähigkeit und bedarf einer grundlegenden Überarbeitung."
Das globalisierungskritische Netzwerk Attac übte hingegen heftige Kritik an der angekündigten Enthaltung von Wirtschaftsminister Kocher. Der Wirtschaftsminister zeige, "dass ihm die kurzsichtigen Interessen von Industriellenvereinigung und Wirtschaftskammer wichtiger sind als Menschenrechte, Klima- und Umweltschutz. Zusätzlich torpediert er in letzter Minute einen von Österreich mitverhandelten Kompromiss zwischen Kommission, Rat und Parlament", kritisiert Theresa Kofler von Attac Österreich. "Jetzt, wo alles beschlussreif am Tisch liegt, wieder zurückzurudern, ist indiskutabel", sagt Hartwig Kirner, Geschäftsführer von Fairtrade Österreich. "So sollten die EU-Mitgliedsstaaten nicht agieren und es gibt auch kein gutes Bild der Union als Ganzes nach außen ab."