Der Wiener Börse Chef, Christoph Boschan, fordert die künftige Regierung auf, den Kapitalmarkt besser für die Bewältigung aktueller Herausforderungen zu nützen. "Er bietet große Hebel bei der Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme, bei der Transformation der Wirtschaft oder der Innovations- und Wohlstandssicherung," sagte Boschan zur APA. Dafür brauche es "größere Kapitalsammelstellen" in Österreich und Europa - auch um attraktiver für potenzielle Börsenneulinge zu sein.

Um mehr Mittel an den Kapitalmarkt zu bringen, wäre für den Börsenchef vor allem eine Anpassung des heimischen Pensionssystems sinnvoll. Dabei müsse kein allzu großes Risiko eingegangen werden. Boschan schlägt eine "geringe Veranlagung im Bereich von zwei Prozent der 1. Säule (staatliche Pension, Anm.) in börsennotierte Unternehmen und eine Stärkung der 2. und 3. Säule (betriebliche und private Vorsorge, Anm.)" vor. Vorbilder für die Ausgestaltung gibt es zahlreiche - beispielsweise die Staatsfonds in Norwegen und Schweden -, "wir müssen das Rad nicht neu erfinden".

"Tatsache ist, dass das österreichische Pensionssystem eines der teuersten, aber keinesfalls eines der besten ist", so Boschan weiter. Österreich wende einen hohen Anteil des Bruttoinlandsprodukts (BIP) - 14 Prozent - für Pensionen auf, zahle aber schlechtere Ersatzraten (durchschnittliche Pensionshöhe gemessen am Durchschnittslohn) als andere Länder wie Dänemark und die Niederlande, die einen deutlich geringeren Anteil des BIP für Pensionen aufbringen würden.

Mehr Kapital am Markt könnte Börsenneulinge anziehen

Mehr Kapital für den Finanzmarkt hätte außerdem das Potenzial, mehr Börsenneulinge anzuziehen bzw. in der Region zu halten. Derzeit würden europäische Unternehmen ein Listing in den USA vorziehen um die größeren Kapitalquellen nutzen zu können. Innovation und junge Unternehmer gehen Europa damit zunehmend verloren. "Wenn wir das nächste Google, Meta oder Amazon in Europa haben wollen, brauchen wir größere Kapitalsammelstellen", sagte Boschan.

Generell gebe es am heimischen Markt aber laufend Interesse von Unternehmen an Börsengängen - das sehe man auch in den Workshops der Wiener Börse. Konkrete Ankündigungen könne man aber noch nicht machen. Im ablaufenden Jahr gab es in Wien keine Börsengänge in den Segmenten ATX oder im ATX Prime.

Keine dieser Forderungen seitens des Börsenchefs sind neu, bewegt hat sich in den vergangenen Jahren politisch allerdings nur wenig. Auch die Abschaffung der Kapitalertragssteuer (KESt) auf Wertpapiere mit gleichzeitiger Einführung einer Behaltefrist wurde in der schwarz-grünen Regierung jahrelang diskutiert, zu einer Einigung kam es aber nie, obwohl das Vorhaben im Regierungsprogramm verankert war. Eine Umsetzung wäre leicht möglich und "überfällig", so Boschan.

Wiener Börse führt Midpoint Handel ein

Ungeachtet der politischen Stagnation hat das Unternehmen Wiener Börse seine Produktpalette heuer weiter ausgebaut. Österreichische Bundesanleihen sind nun ganztägig handelbar, weiters wurde Anfang Dezember der "Midpoint Handel" eingeführt. Damit können Aktien zu einem Mittepreis aus bestem Kauf- und Verkaufslimit gehandelt werden. Größere Orders können damit "diskreter" gehandelt werden, da der Marktpreis weniger stark durch erhöhtes Angebot oder erhöhte Nachfrage beeinflusst wird. Auch die Kosten für große Orders könnten damit reduziert werden. Die Wiener Börse komme mit der Einführung einer erhöhten Nachfrage entgegen, hieß es im Dezember in einer Aussendung.

Der Wiener Leitindex ATX sowie der ATX TR (inklusive Dividenden) gehen heuer mit Kursgewinnen aus dem Jahr. Bis zum 23. Dezember lag der ATX um rund 5 Prozent im Plus, beim ATX TR waren es knapp 10 Prozent - und das, obwohl die heimische Konjunktur heuer bereits im zweiten Rezessionsjahr feststeckt. Für den ATX sind jedoch internationale Konjunkturentwicklungen von größerer Bedeutung als die lokale Wirtschaft, da an der Wiener Börse rund drei Viertel aller Investoren internationale Anleger sind. Die gesamte Marktkapitalisierung der in Wien gelisteten österreichischen Unternehmen betrug zu diesem Zeitpunkt rund 124 Mrd. Euro.

Auch der Aktienumsatz befand sich 2024 wieder auf hohem Niveau. Heuer wird dieser 64 Mrd. Euro erreichen, was einem Plus von über 17 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht, wie die Wiener Börse am Freitag mitteilte. Haupttreiber dieser Entwicklung waren außergewöhnlich hohe Umsätze im Immobiliensektor während der Monate Juni bis September. Zu den am häufigsten gehandelten österreichischen Aktien zählten bis zum 20. Dezember die Erste Group Bank AG (11,0 Mrd. Euro), die OMV AG (7,6 Mrd. Euro) und die CA Immobilien Anlagen AG (6,9 Mrd. Euro).

Börsenjahr international positiv

International verlief das Börsenjahr ebenfalls überwiegend positiv. Der deutsche DAX steht kurz vorm Jahreswechsel rund 18 Prozent im Plus, der Euro-Stoxx-50 liegt um rund 7 Prozent höher als zu Jahresbeginn. Der US-Leitindex Dow Jones gewann im Jahresverlauf mehr als 13 Prozent.

(APA)