Meiler auf dem Areal von Three Mile Island © APA - Austria Presse Agentur

Der maßlose Energiehunger von generativer Künstlicher Intelligenz (KI) lässt nahe der Kleinstadt Middletown im US-Bundesstaat Pennsylvania einen Industriekoloss wieder auferstehen, der auf eine unrühmliche Geschichte zurückblickt: Das Atomkraftwerk Three Mile Island wird wieder in Betrieb genommen, weil der Microsoft-Konzern dringend Strom braucht.

Das Akw war 1979 Schauplatz des schwerwiegendsten Atomunfalls in der Geschichte der USA. Die einen feiern den wirtschaftlichen Segen der Atom-Renaissance für die Region. Die anderen, etwa viele Anrainer, sind besorgt.

Der Vorsitzende des Gewerkschaftsverbandes BCTC, Robert Bair, sieht in der Atomkraft eine hervorragende Energiequelle. Überall im Land würden Kohle-Kraftwerke abgeschaltet, und Gas als Energieträger sei unter Beschuss, sagt Bair. "Man braucht Grundlaststrom. Und die Kernkraft ist wahrscheinlich die effizienteste Grundlastquelle, die wir haben." Die Wiederinbetriebnahme von Reaktor 1 werde ganz Pennsylvania zugutekommen. Bair rechnet mit der Schaffung von 3.400 Arbeitsplätzen und 3 Mrd. Dollar (2,85 Mrd. Euro) an Steuereinnahmen für die umliegenden Gemeinden.

Partielle Kernschmelze in Reaktor 2 anno 1979

Der Atomunfall im Kraftwerk Three Mile Island (TMI) auf der gleichnamigen Flussinsel nahe Middletown und Harrisburg sorgte vor 45 Jahren weltweit für Schlagzeilen. Am 28. März 1979 kam es in Reaktor 2 zu einer partiellen Kernschmelze, bei der radioaktive Gase austraten. Rund 140.000 Menschen flohen aus der Umgebung oder wurden evakuiert.

Zeitweise bestand die Furcht vor einer Atomkatastrophe beispielloser Dimension, die am Ende ausblieb. Das Schlimmste, das Bersten des Reaktorbehälters, konnte verhindert werden, aber der Störfall verdeutlichte eindringlich die Gefahren der Atomkraft und führte zu einer Verschärfung der Auflagen für die Kraftwerksbetreiber. Während der Unglücksreaktor 2 in den Jahren danach zurückgebaut wurde, konnte Reaktor 1 sechs Jahre nach dem Unglück wieder ans Netz gehen. 2019 schließlich wurde auch er heruntergefahren, weil die Anlage seit Jahren rote Zahlen schrieb.

Ab 2028 wieder Strom aus Reaktorblock 1

Die KI-Revolution und der Wettkampf von Internet-Giganten wie Microsoft um die Weiterentwicklung der generativen KI sorgen für ein neues Kapitel in der Geschichte von Three Mile Island. Generative KI-Systeme wie Chatbots, Bildgeneratoren oder Sprachmodelle sind extrem stromhungrig, die Rechenzentren der Konzerne verzeichnen einen gigantischen Energiebedarf. Im September unterzeichnete der TMI-Betreiber Constellation Energy einen Vertrag mit Microsoft, dem größten Anteilseigner des KI-Pioniers OpenAI. Ab 2028 wird der Konzern für 20 Jahre exklusiv Strom aus dem dann wieder aktivierten Reaktorblock 1 beziehen können.

Bart Shellenhamer von der Gemeinde Londonderry, zu der Three Mile Island gehört, sagt, die Anlage sei seit seiner Inbetriebnahme 1974 "ein guter Nachbar für die Gemeinde Londonderry und für ihre Umgebung gewesen".

Für andere ist der Schrecken des Frühjahrs 1979 nicht vergessen. "Die meisten Anrainer wollen, dass die Anlage geschlossen bleibt", sagt Matthew Canzoneri vom Stadtrat in Goldsboro, der Gemeinde auf dem gegenüberliegenden Ufer des Flusses Susquehanna, in dem Three Mile Island liegt. "Die dort erzeugte Energie bringt den Gemeinden direkt keinen Nutzen, und angesichts der Geschichte von TMI gibt es definitiv Grund zur Sorge."

Noch heute werfen Anrainer den Behörden vor, den Vorfall damals heruntergespielt zu haben. Manche Studien belegen, dass in den Jahren nach dem Störfall die Rate an Lungen-, Schilddrüsen- und Blutkrebs in der Region überdurchschnittlich hoch war. Keine dieser Studien stellte allerdings einen direkten Zusammenhang zu dem Unfall her.

"Habe viele Klassenkameraden durch Krebserkrankungen verloren"

Die Anrainerin Maria Frisby war 1979 noch ein Teenager. Sie halte die Wiedereröffnung der Anlage für keine gute Idee, die partielle Kernschmelze in Three Mile Island sei viel schlimmer gewesen als die Behörden damals zugegeben hätten. "Ich habe viele Klassenkameraden durch verschiedene Krebserkrankungen verloren, die in ihren 50ern starben", sagt die 60-Jährige. Der Zusammenhang mit dem Unfall steht für sie außer Frage.

Gewerkschaftschef Bair verweist darauf, dass zwischen Reaktorblock 1 und 2 unterschieden werden müsse. Block 1 sei jahrelang die effizienteste Anlage des Landes gewesen. Das Kraftwerk hatte eine Kapazität von 837 Megawatt, genügend für die Versorgung von mehr als 800.000 Haushalten.

Eric Epstein von der gemeinnützigen Organisation EFMR, welche die von TMI ausgehende Strahlung überwacht, weist auf das ungelöste Atommüll-Problem hin. Der Betreiber will die abgebrannten Brennelemente weiterhin auf der Insel lagern. "Es ist ein Pakt mit dem Teufel", sagt Epstein. "Man bekommt Strom für einen Moment und radioaktive Abfälle für immer."