Unternehmen beklagen Papierkrieg © APA - Austria Presse Agentur
"Das kumulative Ausmaß der Bürokratie hat ein Maß erreicht, das nicht mehr erträglich ist", beklagt Christian Mandl, Leiter der Abteilung für Europapolitik in der Wirtschaftskammer. "Für Österreich - und damit sind wir bei den Regierungsverhandlungen - fordern wir eine eigene ministerielle Zuständigkeit für Bürokratieabbau", sagte Mandl am Montag. Damit sei aber nicht die Schaffung eines zusätzlichen Ministeriums gemeint, präzisierte die WKÖ.
Nicht nur in Österreich, sondern auch auf EU-Ebene "ist es an der Zeit, eine bürokratische Entlastung und Vereinfachung des EU-Regelwerks für die Unternehmen zu beschließen", sagte Mandl bei einer Diskussionsveranstaltung der Wirtschaftskammer. "Über 70 Prozent der befragten österreichischen Unternehmen sehen die überbordende Regulierung und Bürokratie als Hemmnis im internationalen Wettbewerb." Die Unternehmen würden zum Teil schon aus Europa abwandern, warnte er.
"Zusätzlich vergrämen wir auch internationale Handelspartner. Wenn Sie das Thema Entwaldungsverordnung zum Beispiel in Indonesien anschneiden, werden Sie gleich bei der Tür rausgeschmissen." Nicht nur die EU-Kommission sei da in der Pflicht, sondern auch das EU-Parlament und die Mitgliedstaaten als Co-Gesetzgeber im EU-Rat. "Jeder Euro, der von österreichischen Unternehmen weniger für Informations- und Erfüllungspflichten aufgewendet werden müsste, erhöht das Bruttoinlandsprodukt um 1,62 Euro", zitierte Mandl Berechnungen des Wirtschaftsforschungsinstituts EcoAustria, das hauptsächlich von Unternehmen finanziert wird.
Köppl-Turyna: Gold Plating kostet mehr als 1 Mrd. BIP
EcoAustria-Direktorin Monika Köppl-Turyna verwies auf eine drei Jahre alte Studie ihres Instituts, wonach alleine durch das Gold Plating (übermäßige nationale Umsetzung von EU-Vorgaben, Anm.) ungefähr 30 Prozent der Bürokratiekosten entstehen würden. "Wir haben für Österreich festgestellt, dass uns alleine durch dieses Gold Plating ungefähr eine Milliarde BIP pro Jahr entgeht." Zu aktuellen Preisen wäre das schon deutlich mehr. Die KMU-Forschung habe berechnet, dass der jährliche Bürokratie-Zeitaufwand für Gewerbe und Handwerk rund 70 Millionen Arbeitsstunden betrage. "Das ist beinahe 7 Prozent der gesamten Personalkapazität." Doppelgleisigkeiten bei EU-Bestimmungen und nationalen Regelungen würden EU-weit rund 200 Mrd. Euro pro Jahr kosten, zitierte Köppl-Turyna eine Zahl aus dem Draghi-Report. "Das ist mehr als ein Prozent vom BIP der EU."
Grundsätzlich müsse man in Frage stellen, ob Regulierungen der richtige Weg zur Erreichung der Ziele seien. "Regulierung sollte immer Ultima Ratio sein." Oft sei eine Steuerung durch Preise effizienter als Regulierungen. Man dürfe nicht Ziele und Instrumente verwechseln, sagte Köppl-Turyna. Besser als das Lieferketten-Gesetz wäre etwa die Schaffung eines Pools von vorgescreenten Lieferanten, was mehrfache Nachweise überflüssig machen würde. Ähnliches gelte für die Taxonomieverordnung, die ein sehr ineffizienter Weg sei, Klimaziele zu erreichen. Das Lohntransparenzgesetz beispielsweise sei völlig wirkungslos bei der Beseitigung des Gender-Wage-Gap (Unterschied im durchschnittlichen Bruttoverdienst zwischen Männern und Frauen, Anm.).
Kocher für mehr "Sunset Legislation"
Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) hält Sunset Legislation für eine gute Idee, also befristete Gesetze, die auslaufen, wenn sie nicht verlängert werden. Allerdings werde damit auch die Planungssicherheit etwas eingeschränkt, räumte Kocher ein. Einheitliche EU-Regulierungen hätten zwar den Vorteil, dass sie 27 unterschiedliche nationale Regulierungen ersetzen. "Der große Nachteil europäischer Regulierung ist, dass es einen Umsetzungszeitraum gibt - ich muss also bis zu diesem Zeitraum umsetzen -, und damit hat natürlich in einer Koalition immer eine Partei, die noch etwas zusätzlich haben möchte in diesem Bereich, einen Hebel, das zu erpressen aus der Umsetzung."
EU-Kommission verspricht Bürokratie-Entlastung für Midcaps
Die stellvertretende Generalsekretärin in der EU-Kommission, die Österreicherin Elisabeth Werner, verwies auf das erklärte Ziel der Kommission, die Berichtspflichten um 25 Prozent zu reduzieren, ohne dadurch die politischen Ziele zu untergraben. "Hier haben wir auch schon Vorschläge eingeleitet in diesem Jahr. 41 Initiativen waren im Arbeitsprogramm der Kommission enthalten. Die dürften zu mindestens 4 Mrd. Euro Entlastungen bei den Berichterstattungen führen - zum Beispiel Zollberichterstattungen, zum Beispiel die elektronische Mehrwertsteuer und auch noch die Rechnungslegungsrichtlinie und auch die Erleichterung bei der Entsendung von Arbeitnehmern, wo man jetzt die Daten elektronisch eingeben kann."
Möglichst schnell wolle man auch ein E-Wallet für Unternehmen umsetzen, ähnlich dem elektronischen Ausweis für natürliche Personen. Daten könnten dann gespeichert und geteilt werden, was die mehrfache Erfassung überflüssig machen würde. Geplant sei außerdem die Definition einer neuen Kategorie von Unternehmen. "Die Idee ist hier, dass diesen Small Midcaps ähnliche Erleichterungen gegeben werden, wie KMU sie heute haben."
In der neuen Kommission werde jeder einzelne Kommissar für die bessere Umsetzung und die Vereinfachung der EU-Rechtsvorschriften in seinem Gebiet verantwortlich sein. Man wolle auch die Berichterstattungspflichten für KMU um 35 Prozent reduzieren. "Erstmals haben wir auch einen eigenen Kommissar der dafür zuständig ist. Der ist zwar nicht so bekannt wie Elon Musk in den USA, aber wer Valdis Dombrovskis kennt, der weiß: Er hat ein klares Mandat und er wird liefern."