Industrie am Scheideweg

NEW BUSINESS Guides - INDUSTRIE GUIDE 2025/2026
Der Status quo ist also eindeutig: Die österreichische Produktionswirtschaft steht weiterhin unter erheblichem Druck. © Adobe Stock/Best

Österreichs Industrie befindet sich in einer der angespanntesten Phasen seit Jahrzehnten.

Während die Sorge wächst, zeigt sich aber gleichzeitig eine beeindruckende Innovationsdynamik in den Unternehmen selbst.

Es gibt nichts zu beschönigen: Die Lage ist ernst – für die österreichischen Industrieunternehmen und für den heimischen Wirtschaftsstandort. Da sind sich alle einig. Die bisher längs­te Rezession in der österreichischen Industrie seit dem Zweiten Weltkrieg geht nahtlos über in eine andauernde Stagnation, gepaart mit einer hartnäckigen Inflation. Diese ­„Stagflation“ geht mit den bekannten Folgen einher: Arbeitsplatzverlusten und Realeinkommenseinbußen, budgetärem Stress bei den Gebietskörperschaften und Sozial­­ver­siche­rungen, Investitionszurückhaltung in Kombination mit einem Innovationsstau. „Wir sollten nicht einer Aufschwungsillusion unterliegen. Viele glauben, dass nach Jahren der Rezession jetzt endlich Besserung eintritt, aber die Realität spricht leider eine andere Sprache“, warnte­ etwa kürzlich Christoph Neumayer, Generalsekretär der Industriellenvereinigung (IV). 

Zwischen Stagnation und Inflation
Es mangelt an positiven Impulsen. Zwar würden laut der Industriellenvereinigung einzelne Maßnahmen in die richtige Richtung weisen, Strukturreformen und ­Leuchtturminitiativen, die geeignet wären, der erodierenden Standortqualität Einhalt zu gebieten und die ­Inves­ti­tionsstimmung zu drehen, blieben jedoch weiterhin aus. Neumayer weiter: „Die Industrie steckt zwischen Stagnation und Inflation fest. Es ist höchste Zeit, dass die Politik erkennt: Ohne mutige Strukturreformen und eine Ausgabenbremse – die Staatsquote muss wieder unter 50 Prozent –, die Vertrauen auf Besserung schaffen, bleibt jeder Aufschwung eine Illusion.“ Da verwundert es auch nicht, dass das jüngste IV-Konjunkturbarometer, für das 381 Unternehmen befragt wurden, eine Trendumkehr ins Negative zeigt.

Auch Lichtblicke
Das EY Industriebarometer spricht dieselbe Sprache: Im zweiten Quartal 2025 erwirtschafteten die heimischen Unternehmen des ­produzierenden Bereichs einen Umsatz von 95,3 Milliarden Euro. Das entspricht einem Rückgang von 0,9 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal. Bereits im ersten Quartal war ein Minus von 0,5 Prozent verzeichnet worden – die Rezession in der Industrie dauert damit das neunte Quartal in Folge an. Allerdings waren die Umsatzrückgänge im ersten und zweiten Quartal dieses Jahres deutlich ­geringer. „Die Industrie kämpft weiterhin mit einer schwachen Nachfrage, geopolitischen Unsicherheiten und hohen Kosten. Zugleich zeigt sich, dass die Rückgänge zuletzt weniger stark ausfallen – ein erstes Anzeichen dafür, dass sich die Lage langsam stabilisieren könnte“, kommentierte Axel Preiss, Sector Leader Industrials bei EY Österreich, die Ergebnisse.

Es gibt auch Lichtblicke: Besonders positiv entwickelte sich die Chemie- und Pharmabranche, die ihren Umsatz um mehr als zehn Prozent steigern konnte. Auch die Elektrotechnik-/Elek­tro­nik­industrie (+ 3,5 %) und die Gummi- und Kunststoffwarenbranche (+ 3,2 %) legten leicht zu. Die Maschinenbaubranche wuchs um 2,1 Prozent, die Metallerzeugung blieb bei einem kleinen Plus von 0,3 Prozent. Schwach verlief das zweite Quartal hingegen für die Textil- und Bekleidungsindustrie (– 5,4 %), Papier- und Pappeindustrie (– 4,0 %) sowie die Automobilbranche (– 3,9  %), die alle Rückgänge verzeichneten.

Rückgänge bei Beschäftigung und Exporten
Zum Ende des zweiten Quartals 2025 waren im produzierenden Bereich 1,07 Millionen Menschen beschäftigt – 1,8 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Damit wurden innerhalb eines Jahres rund 19.400 Arbeitsplätze abgebaut. Der Rückgang liegt etwas unter dem Minus des ersten Quartals (– 2,2 %). Am stärksten betroffen ist die Automobilindustrie, in der fast jede zehnte Stelle verloren ging. Insgesamt wurden dort innerhalb von zwölf Monaten rund 3.400 Jobs gestrichen. Nur die Chemie-/Pharmabranche konnte im Jahresvergleich Personal aufbauen, mit einem kleinen Plus von 1,1 Prozent. Langfristig zeigt sich ein gemischtes Bild: Seit 2019 entstanden in vier von acht untersuchten Branchen zusätzliche Stellen – vor allem in der Elektrotechnik-/Elektronikindustrie (+ 10.000 Jobs/+ 14 %) und im Maschinenbau (+ 7.800 Jobs/+ 9 %).

Ebenfalls unerfreulich entwickelten sich die Ausfuhren beweglicher Güter einschließlich elektrischen Stroms. Sie sanken im zweiten Quartal 2025 auf 46,4 Milliarden Euro. Das entspricht laut EY einem Minus von 1,4 Milliarden Euro gegenüber dem Vorjahr. Den stärksten Rückgang verzeichneten die Exporte in die USA (– 17 %), gefolgt von der Schweiz (– 14 %), China (–12 %) und Deutschland (– 2 %). Positiv entwickelten sich die Exporte nach Großbritannien (+ 24 %), in die Niederlande (+ 7 %) und nach Italien (+ 5 %).

Innerhalb der Branchen zeigt sich ein geteiltes Bild: Fünf von acht Sektoren steigerten ihre Ausfuhren, angeführt von Chemie/Pharma mit einem Plus von zwölf Prozent. Auch die Gummi-und Kunststoffindustrie sowie die Elektrotechnik/Elektronik erzielten Zuwächse von rund 4,5 Prozent. Die Automobilindustrie verzeichnete dagegen ein Minus von gut acht Prozent.

Indirekte Effekte
Besonders interessant an der Exportsituation: Trotz geringer direkter Abhängigkeit von den USA setzten etwa deren jüngste Zollerhöhungen von 15 Prozent auf fast alle Waren aus der EU Österreichs Wirtschaft besonders unter Druck. Laut neuen Berechnungen des Supply Chain Intelligence Institute Austria (ASCII) und des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO), die im November veröffentlicht wurden, droht ein Rückgang der gesamten Wirtschaftsleistung um − 0,31 Prozent, gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP).

Besonders stark betroffen ist die heimische Industrie: Ihre Wertschöpfung könnte um rund − 0,56 Prozent sinken. Während die direkten gesamtwirtschaftlichen Verluste durch weniger Exporte in die USA mit rund − 0,1 Prozent moderat ausfallen, machen indirekte Effekte über europäische Lieferketten mehr als zwei Drittel des gesamten Rückgangs aus. Das liegt vor allem daran, dass wichtige Partnerländer in Europa aufgrund ihrer Produktionsrückgänge weniger österreichische Zulieferungen nachfragen.

Die aktuelle Analyse basiert auf Handelsdaten von September 2025 und berücksichtigt sowohl direkte Exportverluste als auch indirekte Effekte über europäische Liefer­ketten, die ansonsten häufig übersehen werden. „Die Verluste sind ein spürbarer Einschnitt für eine kleine, stark exportorientierte Volkswirtschaft wie Österreich, die derzeit ohnehin unter einer sehr langsamen wirtschaftlichen Erholung leidet. Österreichs Wirtschaft ist eng in europäische Wertschöpfungsketten eingebunden und damit besonders verwundbar gegenüber globalen Handelskonflikten“, erklärte Asjad Naqvi, Senior Economist am WIFO und Forscher am ASCII. „Nicht der direkte Handel mit den USA, sondern indirekte Effekte über europäische Lieferketten sind der Hauptgrund für die Einbußen. Damit wird deutlich, wie stark Handelskonflikte über Europas eng verflochtene Produktions­netzwerke systemweit durchschlagen können.“

Wirtschaft wird gebremst
Besonders stark treffen die Zölle jene Branchen, die eng in europäische Produktionsketten eingebunden sind: vor allem die Metallindustrie (− 0,61 %), die chemische Industrie (− 0,57 %) und der Maschinenbau (− 0,52 %), gefolgt von der Elektrotechnik (− 0,25 %) und der Fahrzeugproduktion (− 0,29 %). In allen Fällen stammt der Großteil der Verluste nicht aus dem direkten US-Geschäft, sondern aus indirekten Effekten über europäische Lieferketten.

„Österreichische Unternehmen liefern zentrale Zwischenprodukte an große europäische Hersteller. Wenn dort ­aufgrund der US-Zölle die Nachfrage sinkt, überträgt sich dieser Effekt über den europäischen Binnenmarkt auch auf österreichische Zulieferer. Insbesondere exportorientierte Branchen geraten dann unter Druck, und Österreichs Wirtschaft wird gebremst. Auch geringe Abschwächungen der europäischen Industrie können sich über die verflochtenen Lieferketten deutlich auf Produk­tion, Beschäftigung und Einkommen in Österreich auswirken“, betonte Klaus Friesenbichler, stellvertretender Direktor des ASCII. 

Um die heimische Wirtschaft widerstandsfähiger zu machen, empfehlen die Forscher:innen auf nationaler Ebene, beispielsweise die Export­märkte stärker zu diversifizieren, die Anpassungsfähigkeit und Innovationskraft von Lieferketten zu erhöhen und besonders gefährdete Industriecluster wie Maschinenbau, Chemie und Fahrzeugproduktion in den Fokus zu rücken. Gleichzeitig braucht es ihnen zufolge aber auch eine koordinierte europäische Industrie- und Han­­dels­politik, um die Wettbewerbsfähigkeit und die Resilienz gemeinsamer Wertschöpfungsnetz­werke zu stärken. 

Österreichs Industrie im Umbruch
Der Status quo ist also eindeutig: Die österreichische Produktionswirtschaft steht weiterhin unter erheblichem Druck. Auch die aktuelle siebente Ausgabe der TU-Studie „Made in Aus­tria: Zukunft Produktionsarbeit Österreich“ 2025 spricht davon, dass die Stimmung in der Indus­trie angespannt ist und die Wettbewerbsfähigkeit sinkt. Gleichzeitig zeigen sich viele Unternehmen aber „kämpferisch“ und treiben Innovation, Digitalisierung und Nachhaltigkeit voran.

„Trotz schwieriger Rahmenbedingungen arbeiten viele Unternehmen aktiv an zukunftsfähigen Lösungen“, so Studienleiter Sebastian Schlund, Leiter des Forschungsbereichs ­Industrial Engineering am Institut für Managementwissenschaften (IMW) der TU Wien und Geschäftsführer von Fraunhofer Austria. Die Ergebnisse der Befragung, an der 2025 wieder mehr als hundert Führungspersönlichkeiten aus insgesamt 94 Produktionsunternehmen in Österreich teilnahmen, wurden Mitte Oktober im Rahmen des „Made in Austria IndustrieFORUM 2025“ vorgestellt.

Kritisch: Nur 50,5 Prozent der Unternehmen bewerten der TU-Studie zufolge ihre aktuelle Geschäftslage als positiv – der niedrigste Wert seit Beginn der Befragung im Jahr 2019. Noch deutlicher fällt die Einschätzung zur internationalen Wettbewerbsfähigkeit aus: 85,4 Prozent der Befragten sehen eine Verschlechterung der Standortbedingungen in den letzten fünf Jahren. Damit kämpft die heimische Industrie nicht nur mit konjunkturellen Schwächen, sondern auch mit strukturellen Wettbewerbsnachteilen.

„Die Studie zeigt klar, dass die Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Industrie unter Druck steht“, sagte Sabine Hesse, Geschäftsführerin des Fachverbands Metalltechnische Industrie. Hohe Kosten, komplexe Vorgaben und globale Unsicherheiten belasten die Unternehmen. Gleichzeitig wächst der Druck, sich neu zu positionieren. Diese Einschätzung spiegelt die wachsende Sorge wider, dass Österreich ohne eine gezielte Standortpolitik und Innovationsförderung als Produktionsstandort weiter an Attraktivität verlieren könnte.

Auch bei den Beschäftigtenzahlen deckt sich die TU-Studie weitestgehend mit den Ergebnissen der bereits erwähnten Untersuchungen. Nur noch 44,7 Prozent der Unternehmen erwarten in den nächsten fünf Jahren ein Beschäftigungsplus an österreichischen Standorten, während 55,3 Prozent mit einem Rückgang rechnen. Besonders betroffen sind Produktions- und produktionsnahe Bereiche. Global bleiben die Erwartungen stabiler, was auf eine ­fortschreitende Verlagerung von Produktionskapazitäten ins Ausland hindeutet.

Hannes Hunschofsky, Mana­ging Director der EIT Manufacturing East GmbH, warnt: „Der erwartete Rückgang der Beschäftigung an österreichischen Standorten ist ein ernstes Signal. Wir müssen Qualifizierung, Technologieeinsatz und Standortpolitik zusammendenken, um die industrielle Basis zu sichern.“ Damit verweist er auf die Notwendigkeit, Bildung, Forschung und Industriepolitik stärker zu vernetzen, um Arbeitsplätze in Hochtechnologiebranchen langfristig zu erhalten.

Automatisierung, Kreislauf­wirtschaft und KI als Antwort
Mit 482 Industrierobotern pro 10.000 Beschäftigten liegt Österreich über dem internationalen Durchschnitt und setzt damit ein klares Zeichen für den steigenden Automatisierungsgrad. Trotz dieser Entwicklung bleibt die Bedeutung menschlicher Arbeit hoch: 95,7 Prozent der Betriebe messen ihr laut TU-Studie eine große oder sehr große Bedeutung bei. Parallel dazu nimmt der Einsatz von KI zu: 42,4 Prozent der Unternehmen nutzen bereits maschinelles Lernen, insbesondere im Qualitätsmanagement, in der Produktionsplanung und Instandhaltung. Der neue EU AI Act wird von einer Mehrheit der Befragten als hilfreicher Rahmen für Innovation und Rechtssicherheit wahrgenommen.

Für Walter Mayrhofer, Head of Research an der FHWien der WKW, ist klar: „Automatisierung und KI sind kein Selbstzweck – sie sind entscheidend, um dem Fachkräftemangel zu begegnen und die Wettbewerbsfähigkeit langfristig zu sichern. Wichtig ist, die Technologien menschenzentriert einzusetzen.“ Damit wird deutlich: Die Digitalisierung der Produktion steht nicht im Widerspruch zur Bedeutung menschlicher Arbeit, sondern kann – richtig gestaltet – deren Potenzial gezielt stärken. 

Immer mehr Unternehmen halten auch Kreislaufwirtschaft für ein tragfähiges Geschäfts­modell. Im Jahr 2025 werden die befragten Unternehmen im Durchschnitt 15 Prozent ihres Umsatzes mit zirkulären Prozessen erwirtschaften. Besonders stark wachsen Unternehmen, die 25 bis 50 Prozent ihres Umsatzes mit zirkulären Prozessen generieren. Damit entwickelt sich die ökologische Transformation zunehmend zu einem wirtschaftlichen Erfolgsfaktor.

Trotz wirtschaftlicher Unsicherheiten bewerten 83 Prozent der Betriebe ihre Innovationskraft positiv. Zudem berichten 67 Prozent von verkürzten Lieferzeiten. Dies deutet auf stabilisierte Wertschöpfungsketten und eine verbesserte operative Effizienz hin. Herausforderungen bestehen weiterhin bei der Flexibilisierung der Arbeitszeiten. Nur 37,1 Prozent der Unternehmen berichten von einer hohen Bereitschaft zur Schichtarbeit.

Österreichs Industrie Zwischen Druck und Gestaltungswillen
Aus diesen Ergebnissen lässt sich herauslesen, dass Österreichs Industrie vor tiefgreifenden strukturellen Veränderungen steht. Auf der anderen Seite zeigt sich jedoch die enorme Anpassungs- und Innovationsfähigkeit der Unternehmen. Zahlreiche Betriebe investieren massiv in Digitalisierung, Automatisierung und Nachhaltigkeit. Sie packen an und gestalten den Wandel aktiv mit. Der Industriestandort Österreich steht somit vor einer klaren Richtungsentscheidung. Gelingt es nicht, die unternehmerische Transformationsdynamik durch intelligente Rahmenbedingungen seitens der Politik zu entfesseln, droht sich das Wetter weiter einzutrüben. Gelingt es jedoch, diesen Schulterschluss zu vollziehen, hat die heimische Industrie das Potenzial, die ­aktuelle Krise nicht nur zu überwinden, sondern gestärkt daraus hervorzugehen. (RNF)