Die wirtschaftlich immer weitreichendere Digitalisierung klopft beharrlich an die Tür der heimischen Energieversorger. © Pixabay
Die Energiebranche im digitalen Transformationsprozess
Eine aktuelle Studie der Österreichischen Energieagentur zeigt: Die Energiewirtschaft rechnet angesichts der voranschreitenden Digitalisierung mit großen Veränderungen. Profitieren sollen vor allem Start-ups und branchenfremde Unternehmen.
Die Einschätzungen der Effekte der Digitalisierung sind eindeutig: 88 Prozent der im Rahmen der aktuellen Studie „Digitale Transformation der Energiewelt“ befragten Experten aus Energieunternehmen vertreten die Ansicht, dass mit starken Veränderungen zu rechnen ist. Weitere zwölf Prozent erwarten zumindest mittlere Auswirkungen. Keiner der Befragten rechnet damit, dass die Digitalisierung die Energieunternehmen nur schwach berühren wird. Andere Branchen sehen das Thema etwas gelassener: Knapp drei Viertel gehen von starken Veränderungen aus, sieben Prozent glauben an schwache Auswirkungen.
Energiebranche sieht sich nicht als Profiteur der Digitalisierung
„Die gesamte Energiebranche geht von großen Veränderungen durch die Digitalisierung aus. Interessanterweise sieht sie sich allerdings nicht als Profiteur dieser Entwicklung“, analysiert Herbert Lechner, wissenschaftlicher Leiter der Österreichischen Energieagentur. Die Befragten sind sich einig, dass etablierte Energieunternehmen in Zukunft starke Konkurrenz bekommen werden. Ganze 88 Prozent sehen energierelevante Start-ups als neue Player. 85 Prozent glauben, dass etablierte branchenfremde Unternehmen profitieren werden, insbesondere IKT-Unternehmen. „Dabei zeigt sich ein interessanter Aspekt: Bei den neuen Akteuren zählt nicht mehr vorrangig der Besitz von Infrastruktur, sondern die Kontrolle der Schnittstelle zwischen Anbieter und Kunden. Vormals branchenfremde Anbieter oder Start-ups verkaufen Strom, ohne ein Kraftwerk zu besitzen“, erläutert Lechner.
Kann die Energiebranche die Chancen nützen?
Aus Sicht der Energieunternehmen ist die Relevanz der Digitalisierung sehr hoch, der Mehrwert für die Branche fällt tendenziell etwas geringer aus. „Interessant ist die niedrigere Einschätzung des Mehrwerts im Vergleich zur Relevanz der Digitalisierung. Sie kann als Zweifel der Energiebranche interpretiert werden, ob sich die Digitalisierung auch wirtschaftlich in den derzeitigen und künftigen Geschäftsmodellen niederschlagen wird“, analysiert Günter Pauritsch, Leiter des Centers Energiewirtschaft & Infrastruktur in der Österreichischen Energieagentur und Co-Autor der Studie. In den Antworten anderer Branchen ist dieses Muster auch zu erkennen, allerdings in geringerem Ausmaß.
Hohes Potenzial, auch branchenfremde Unternehmen bieten Energiedienstleistungen an
Dennoch wird das Marktpotenzial für neue B2C-Dienstleistungen, das sich aus der Digitalisierung ergibt, als sehr hoch eingeschätzt: Das bestätigen Experten aus Energieunternehmen zu 81 Prozent. Hier geht es vor allem um Dienstleistungen im Bereich Energieeffizienz und -management. Aber auch Analyse- oder Mobilitätsdienstleistungen oder smarte Tarife stehen hoch im Kurs.
Die Umfrage zeigt auch, dass sich die Energiebranche mit neuen Dienstleistungen beschäftigt. Die Hälfte der Energieunternehmen bietet diese bereits an, die weiteren 50 Prozent entwickeln sie. Hier kommen bereits branchenfremde Unternehmen in Spiel: Immerhin die Hälfte bietet ebenfalls bereits energiebezogene Dienstleistungen an, weitere 13 Prozent entwickeln diese gerade.
Geringe Rentabilität und rechtliche Rahmenbedingungen hemmen Marktdurchdringung
Als die größten Hemmnisse für die erfolgreiche Markteinführung und den Markterfolg von neuen Dienstleistungen geben Energieunternehmen eine mögliche geringe Rentabilität, gefolgt von den rechtlichen Rahmenbedingungen an. Ebenso werden niedrige Energiepreise, die den Unternehmen derzeit schon zu schaffen machen, und auch die fehlende Zahlungsbereitschaft der Kunden genannt.
Die Hälfte der Energieunternehmen verfügt über Digitalisierungsstrategie
Rund die Hälfte der Energieunternehmen (54 Prozent) gibt an, über eine Digitalisierungsstrategie zu verfügen. In anderen Branchen sind es drei Viertel (73 Prozent). Rund ein Viertel der Energieunternehmen (27 Prozent) arbeitet aber aktuell an einer entsprechenden Strategie oder organisatorischen Einheit.
Dienstleistungen für Energieunternehmen
Über drei Viertel (77 Prozent) der Energieunternehmen sehen auch Potenzial für Dienstleistungen im Bereich der Digitalisierung, die sie selbst als Kunden in Anspruch nehmen würden. Dabei sind die Themenfelder Kundenanalyse und -segmentierung am bedeutendsten.
Gleich darauf folgen das Management der Kundenbeziehungen sowie das Datenmanagement. „Für die etablierten Player der Branche ist klar, dass die Energiezukunft ohne Digitalisierung nicht stattfinden wird. Für sie gilt es die Entwicklungen zu analysieren, Auswirkungen einzuschätzen und entschlossen zu reagieren. Dabei haben sie erkannt, dass das Zusammenspiel mit vielen, auch externen Experten funktionieren muss, um diese Herausforderung zu meistern“, fasst Lechner zusammen. (BO)
INFO-BOX
E.ON treibt die Digitalisierung der Energiewirtschaft voran: Erstmals Stromhandel über die Blockchain
Die Energieunternehmen E.ON und ENEL haben kürzlich zum ersten Mal Strom über einen neuen Marktplatz gehandelt, der die sogenannte Blockchain-Technik nutzt. Die Blockchain erlaubt es Handelspartnern, in Sekunden Geschäfte direkt untereinander abzuwickeln, für die üblicherweise ein zentraler Vermittler erforderlich ist. Durch den von solchen weiteren Partnern befreiten, direkten Handel sinken auch die Kosten der Strombeschaffung. Eine Kostensenkung, von der zukünftig die Energiekunden profitieren werden.
Der dezentrale Energiegroßhandel wurde 2016 im E.ON Future Lab getestet. Seine Basis ist ein Peer-to-Peer-Netzwerk, das vom Energie-IT-Spezialisten Ponton entwickelt wurde. Im Mai 2017 gründeten die Partner dann mit weiteren europäischen Energieunternehmen die Enerchain-Initiative. Das Ziel der mittlerweile 33 zusammengeschlossenen Unternehmen ist es, einen dezentralen europäischen Marktplatz für den Energiehandel zu entwickeln. Mit dem ersten Vertragsabschluss wurde ein bedeutender Meilenstein auf dem Weg zu diesem Ziel erreicht. Matthew Timms, Chief Digital Officer von E.ON: „Die Enerchain-Initiative ist ein gutes Beispiel für eine offene, industrieübergreifende Zusammenarbeit. Wir alle glauben an das enorme Potenzial, das die Blockchain-Technologie für die neue Energiewelt und vor allem unsere Kunden bietet.“
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