Der grüne Anspruch ist goldrichtig

NEW BUSINESS Guides - UMWELTTECHNIK- & ENERGIE-GUIDE 2022/23
Martin Zahlbruckner ist CEO der delfortgroup AG und seit diesem Jahr auch Austropapier-Präsident. © RNF

Papier ist geduldig, sagt man. Derzeit ist es aber in Europa vor allem eines: teuer in der Herstellung. Rohstoff- und Energiekosten explodieren als Folge von zerrütteten Lieferketten ...

... und dem Krieg in der Ukraine.

Martin Zahlbruckner, CEO der delfortgroup AG, hat heuer die Präsidentschaft von Austropapier, der Interessenvertretung der österreichischen Papierindustrie, angetreten. Im Interview mit NEW BUSINESS spricht er über die kurzfristigen Herausforderungen, mit denen die heimischen Papierhersteller wegen der aktuellen Energiekrise konfrontiert sind, und die langfristigen grünen Ziele der Branche.

Herr Zahlbruckner, wie kommt man eigentlich von den Rechtswissenschaften und im Besonderen vom Europarecht zur Papierindustrie?
Das war reiner Zufall. Nach fünf Jahren in der Vorbereitung auf die Mitgliedschaft ­Österreichs in der Europäischen Union habe ich einen Industriellen kennengelernt, Christian Trierenberg, der die Trierenberg-Gruppe entwickelt hat und große Wachstums­pläne hatte. Er hat mir seine Antipathie gegenüber Juristen erklärt und gleichzeitig seine Wachstumspläne. Darauf habe ich gesagt: „Herr Trierenberg, ich teile beides. Lassen Sie mich mitmachen.“ (lacht) 

In der Gruppe gab es verschiedenste Divisionen, unter anderem eine kleinere Papier­gruppe, die ich im Vorstand 2005/2006 verselbstständigen und zu einer eigenen Unternehmung entwickeln durfte (Anm.: die heutige delfortgroup AG).

Die Papierindustrie zählt zu den ­energieintensivsten Industrien und benötigt auch von allen produzierenden Industrien das meiste Gas. Wofür wird diese Energie gebraucht?
Wenn man sich die Mengenbilanz nach Verbrauch in Österreich ansieht, haben Sie schon recht. Wir arbeiten mit einer Naturfaser, die aufbereitet werden muss. Die Zellstofffertigung ist in Österreich energieautonom beziehungsweise erzeugt sie sogar einen Energieüberschuss, der ins Netz eingespeist wird und den wir so an andere Verbraucher abgeben.

In der Papier­produktion muss der Zellstoff dann je nach Papiereigenschaft aufbereitet werden. Die Faser für ein Hygienepapier wird anders aufbereitet als die Faser für ein Schreibpapier oder ein Verpackungspapier. ­Diese teilweise konkurrierenden Eigenschaften werden über die Faser und bestimmte Auftragsverfahren gesteuert.

Für das Aufschließen der Fasern durch Mahlmaschinen brauchen wir viel Strom. Dann haben wir einen gleichmäßigen, nassen Brei auf einer Bahn, der getrocknet wird. Diese Trocknungsenergie liefert das Gas. Bei diesem Prozess entsteht in den Hallen viel Abwärme, die bei uns industriell genutzt wird. Fast alle Unternehmen unserer Industrie hängen an Fernwärmenetzen. Wir versorgen damit weit über 100.000 Haushalte. Wir haben das einmal überschlagen: Die österreichische Papierindustrie versorgt eine Stadt wie Linz mit Wärme.

Wie hoch ist der Anteil der Energie­kosten an den Gesamtkosten in der Papierindustrie?
Von unseren einzelnen Mitgliedern wissen und kommunizieren wir das nicht, schon allein aus wettbewerbsrechtlichen Gründen. Aber aus öffentlich verfügbaren Daten lässt sich heraus­lesen, dass die Energiekosten früher bei 15, dann bei 20 Prozent gelegen sind. Jetzt haben wir Gasnotierungen im Bereich des Zehnfachen dessen, was wir lange Zeit gewohnt waren. Das kann man hochrechnen. Der Energiekosten­anteil hat sich radikal erhöht und führt die Industrie an ihre Belastungsgrenzen.

Es geht jetzt also ans Eingemachte?
Ganz sicher. Denn was kann der Konsument noch tragen? Viele unserer Unternehmen stehen auch im internationalen Wettbewerb, der Großteil im europäischen. Im Westen Europas ist die Energieversorgung noch günstiger als im Osten Europas. Diejenigen, die außerhalb Europas exportorientiert aktiv sind, haben derzeit ganz große Nachteile.

Außerhalb Europas bestehen ganz andere Energiekosten. Auch die sind gestiegen, aber wesentlich weniger. In den USA reden wir von einem Siebentel dessen, was wir hier sehen, und wenn Sie Länder wie die Türkei, Indien, China hernehmen, die jetzt sehr günstig aus Russland einkaufen, dann spielen wir hier nach ganz anderen Spielregeln.

Wie sieht der Energiemix in der ­heimischen Papierindustrie aus?
In unserer Industrie haben wir bereits 60 Prozent erneuerbare Energien im Einsatz, das heißt 40 Prozent müssen wir anders aufbringen. Unser Dekarbonisierungsprogramm hat dazu geführt, dass wir allein in den letzten 20 Jahren pro ­Tonne erzeugtem Papier um 40 Prozent weniger Emissionen ausstoßen. Die ganz klare Strategie lautet: raus aus den fossilen Brennstoffen. Das ist ein Transformationsprozess, den wir aus der Industrie unterstützen können, für den wir aber Rahmenbedingungen brauchen, die die europäische Gemeinschaft und die Nationalstaaten schaffen. Wir brauchen etwa einen Netzausbau. 

Diese Umstellung der Netze, der Energieerzeugung und der Speicherung wird uns die nächsten sieben bis zehn Jahre beschäftigen. Aus unserer Sicht muss man das große Ziel wie einen Pflock einschlagen und einen Maßnahmenplan erarbeiten, der dorthin führt.

Es steht im Raum, auch in der Papier­industrie kurzfristig auf fossile ­Energieträger umzuschwenken, um den Energiebedarf zu decken. Wie kurzfristig geht das, und mit ­welchem Aufwand ist das verbunden?
Wir müssen aufpassen, nicht durch das Krisenmanagement auf das große Ganze zu vergessen. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir uns jetzt in diesem fürchterlichen Kriegszustand alternativ versorgen können. Gas hat den Vorteil, dass es am umweltfreundlichsten von allen fossilen Rohstoffen verbrennt – im Unterschied zu ­Kohle und Öl.

Es gibt eine LNG-Strategie (Anm.: liquefied natural gas, LNG) und eine Pipeline-Strategie der europäischen Union, und dieses Gas wird uns in unserem Transformations­prozess unterstützen. Das müssen wir jetzt sehr teuer zukaufen, was uns im Vergleich zu anderen Regionen extrem wehtut, weil wir nicht mehr wettbewerbsfähig sind. Aber es hat – sehr überspitzt formuliert – auch etwas Gutes, dass es teuer ist, weil wir damit die Möglichkeit haben, in die alternative Versorgung hineinzukommen. 

Wir dürfen nur nicht übersehen, dass wir nicht allein auf der Welt sind. Die Probleme Europas sind nicht die Probleme der Welt. Daher ­müssen wir diese Transformation im ­Krisenmanagement überbrücken und, solange Gas nicht ausreichend zur Verfügung steht, was Experten zufolge noch zwei Jahre der Fall sein wird, alternative Versorgungsquellen erschließen. Kohle ist be­sonders schädlich, aber da haben wir in Öster­reich auch kaum Kapazitäten im Gegensatz zu Polen oder Deutschland. Man kann also nur schauen, dass man ausreichend Öl bekommt.

Es läuft also auf Öl hinaus?
Die gesamte Papierindustrie ist bis vor zehn oder 15 Jahren mit Öl gefahren und hat dann alle Brenner durch hocheffiziente Gasbrenner ersetzt. Zwischendurch gab es auch die weniger effizienten Switch-Brenner (Anm.: können sowohl Öl als auch Gas verwerten). Jetzt muss man auf die neueste Generation der Switch-Brenner zurückwechseln, aber die Kapazitäten sind völlig ausgebucht.

Dann braucht es noch die gewerberechtlichen Verfahren, und dann muss man auch wieder Öltanks aufbauen, denn die wurden alle gereinigt und entsorgt. Das dauert und wird ein Rennen gegen die Zeit. Wie lange wird es diese Gasreserven noch geben, und wann kann man auf andere Brennstoffe umstellen? Langfristig muss die Strategie einmal eingeschlagen sein. Eine Strategie ist nicht nur eine Ankündigung, sondern ein Fahrplan. An den müssen wir uns halten, und den brauchen wir auch.

Zu der Diskussion bezüglich Kohle und Öl muss man fairerweise dazusagen, dass die Erdgaslenkungsmaßnahmen-Verordnung, auf die wir warten, keine Beschränkung hat. Man kann sehr wohl auch auf erneuerbare Energien setzen und bekommt das auch kompensiert. Es muss kein ökologischer Rückschritt gemacht werden. Entsprechende Vorbereitungen wurden in unserer Branche schon sehr früh gestartet.

Es ist wahrscheinlich auch eine Frage der Zeit und wie schnell man Was umsetzen kann, oder?
Und was zur Verfügung steht. Wenn es heute bereits Wasserstoff gäbe, würde keiner unserer Kollegen noch in einen Dieseltank investieren. Nachhaltigkeit steckt in unseren Köpfen und in unserer DNA. Wir müssen uns laufend gegenüber anderen differenzieren, die vielleicht mit etwas anderen Spielregeln ein bisschen günstiger sind. Am Ende wird der nachhaltige Weg der richtige sein.

Sie haben von einem Fahrplan gesprochen. Wahrscheinlich fordern Sie von der österreichischen Regierung, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die Industrie Rechtssicherheit für die zu setzenden Maßnahmen hat.
Ich fordere das gar nicht, es ist ein Unterstützungsangebot, weil wir überzeugte Österreicher und Europäer sind. Unsere Zukunft besteht darin, mit nachhaltigen Verfahren nachhaltige Produkte herzustellen. Der grüne Anspruch unserer Industrie ist goldrichtig, es gibt keine Alternative.

Was aber nicht passieren darf, ist, dass Strategie mit Troubleshooting vermengt wird. Wir müssen heute beides gleichzeitig machen, und das ist für alle fürchterlich anspruchsvoll. Was dazukommt: Das ist mit einer enormen Teuerung verbunden. Die grüne ­Transformation kostet. Wir müssen die Zeitschiene so ausdehnen, dass die Gesellschaft mitgehen kann und nicht überfordert wird. 

Es geht nicht darum, etwas zugunsten der ­Industrie zu verzögern. Im Gegenteil, je schneller, desto besser! Aber es muss finanzierbar bleiben, und wir dürfen uns als Gesellschaft nicht in Randgruppen aufspalten. Das ist keine Forderung, sondern ein Angebot zur Zusammen­arbeit. Weil wir es in dieser Phase nur durch Zusammenarbeit erfolgreich schaffen werden. Natürlich ist es auch notwendig, die Förderrichtlinien rechtzeitig bekannt zu geben, damit man planen kann und Rechtssicherheit hat. Das betrifft die ganze Industrie. 

Wie lange lässt sich unter diesen Bedingungen noch weiterarbeiten?
Es gibt Unternehmen in Europa, die bereits nicht mehr produzieren, weil die Kosten von den Kunden nicht mehr getragen werden können. Wenn wir etwas produzieren, wofür es keine Kunden mehr gibt, oder wenn der Kunde sich entscheidet, lieber chinesische, türkische oder indonesische Ware zu kaufen, dann können wir in Europa nicht mehr produzieren.

Das trifft heute primär Kollegen in Italien und Deutschland. Die haben ihre Maschinen schon abgestellt. Das Risiko ist auch bei uns vorhanden. Das Preisproblem betrifft die gesamte Wertschöpfungskette und gefährdet den ganzen Wirtschaftsstandort. Der Markt ist nicht österreichisch, sondern europäisch und zunehmend global. Durch die Vernetzung ist die Wertschöpfungskette ein labiles Gebilde. 

Es wird oft nur das Schreibpapier gesehen. Aber auch an Hygienepapiere haben wir uns gewöhnt. Wie wollen wir Butter einpacken, ohne Papier? Wie will ich Brot ohne Papier backen? Wie will ich Batterien bauen, ohne Separatoreinlage – auch ein Fasermaterial? Dann kracht die ­Wertschöpfungskette. Es geht nicht darum, Unternehmensgewinne zu sichern, sondern ­darum, nicht gesellschaftlich in eine instabile Lage zu kommen. (RNF)


INFO-BOX
Zur Person
Martin Zahlbruckner ist CEO der delfortgroup AG und hat 2022 die Funktion des Präsidenten von Austropapier, der Interessenvertretung der österreichischen Papierindustrie, übernommen. Zahlbruckner war im Europarecht tätig und promovierte 1995 an der Johannes-Kepler-Universität in Linz. Von 1997 bis 2000 leitete er die OP papírna in Tschechien und wechselte dann zur Trierenberg Holding AG als Finanzvorstand und Vorstand für Papier außerhalb der Tabakindustrie. Der gebürtige Linzer blickt inzwischen auf 16 Jahre als CEO-Vorstandsvorsitzender der delfortgroup AG in Traun zurück. Seit 2013 ist Martin Zahlbruckner Mitglied des Austropapier-Vorstands, seit 2020 stellvertretender Vorsitzender der Vereinigung. Zudem ist er unter anderem CEPI Board Member im europäischen Verband der Papier- und Zellstoffindustrie.