Sinnliches Industrie-Erlebnis

NEW BUSINESS Innovations - NR. 01, JÄNNER 2023
Virtuelle 360-Grad-Inszenierungen für KTM © 360 Perspektiven

Auch wenn man auf einer einsamen Insel sitzt, kann man heute genüsslich durch österreichische Betriebe schlendern. Aber 360-Grad-Inszenierungen bieten für Unternehmen noch viel mehr ...

... praktische und interessante Einsatzmöglichkeiten.

Neue Mitarbeiter:innen bei KTM erhalten von ihrem Arbeitgeber ganz besondere Post – schon Tage, bevor sie zum ersten Mal an ihrem künftigen Arbeitsplatz auftauchen. Inhalt des schlichten Kuverts: ein kleines Willkommens-Päckchen, darin ein knappes Infoschreiben samt QR-Code, über den eine Videoanleitung zum Start der 360-Grad-KTM Onboarding-Tour abgerufen wird, sowie eine VR-Brille aus Pappe.

Diese KTM-gebrandete Cardboard-Virtual-Reality-Brille ist in wenigen Sekunden zusammengefaltet und verwandelt sich in Kombination mit dem eigenen Smartphone zum virtuellen 3D-Guide durch das komplette Firmengelände sowie alle Werkshallen und Abteilungen des oberösterreichischen Motorradherstellers. Die Dauer der Erkundungstour, deren Zeitpunkt und Abfolge sowie das Verweilen an einzelnen Orten können von den Neuen im KTM-Team völlig individuell bestimmt werden.

Umgesetzt wurde das Welcome-Projekt von der auf 360-Grad-Inszenierungen spezialisierten Agentur 360 Perspektiven. Gerald Stöllnberger, Gründer und Geschäftsführer der Wiener Kreativschmiede: „Im Gegensatz zu herkömmlichen Bildern bieten virtuelle Rundgänge mittels 360-Grad-Inszenierungen und 360-Grad-Guide-live-Touren transparentere Einblicke in ein Unternehmen. Dies wirkt authentisch, und mit der interaktiven Führung durch den Betrieb werden beispielsweise Bewerber:innen alle notwendigen Informationen multimedial bereitgestellt.“

3D-Technik vom Recruiting bis zur Schulung
KTM setzt dann mit der eigenen 3D-Inszenierung bereits beim Recruiting-Prozess an, sämtliche Bewerber:innen können sich bei einem virtuellen Rundgang durch das Unternehmen einen ersten, umfassenden Eindruck von KTM verschaffen. Wahlweise in deutscher Sprache sowie auf Englisch. Und wer erst einmal bei den Oberösterreichern angeheuert hat, erhält nicht nur die VR-Wegwerfbrille, sondern wird anschließend vielfach auch via virtueller Realität eingeschult. Das Zusammenbauen eines Motorrades beispielsweise wird dann nicht am Fließband und bei laufendem Betrieb geübt, sondern mittels VR-Brille am nicht wirklich real existierenden Objekt.

Klingt kompliziert. Ist es aber nicht wirklich. Wenngleich der Aufwand doch einigermaßen beachtlich, aber letztendlich auch wieder überschaubar ist. Für die 360-Grad-Virtual-Recruiting- sowie die Onboarding-Tour wurden an drei Produktionstagen Stativ- und Hochstativaufnahmen sowie Drohnenpanoramen – alles in 360-Grad-Optik – und zusätzlich zwei Videos produziert. Vertreter des Managements sowie andere Mitarbeiter:innen des Unternehmens wurden mittels spezieller Verfahren (Green Screen und Chroma Keying) in die 360-Grad-Touren integriert.

In Summe wurden für das gesamte Projekt mehr als 2.000 Einzelfotos geschossen und bearbeitet. Beispielsweise wurden allein für die Sequenz zum „E-Cross Center“, die Teststrecke auf dem Firmengelände, 129 Bilder produziert, um mehrere Fahrer simultan darzustellen zu können.

Spaziergang im Müllverbrennungsofen
Auch die oberösterreichische Energie AG setzte 3D-Inszenierungen ein – für ganz unterschiedliche Zwecke. Beispielsweise werden Gäste, insbesondere externe Fachbesucher, mittels 360-Grad-Aufnahmen und virtueller Realität durch das Unternehmen geführt. Während die verbalen Ausführungen der Energie-AG-Spezialisten simultan für Dutzende Zuhörer:innen erfolgen, können sich diese individuell zu einzelnen Anlagenteilen zoomen, um das Gehörte mit den Bildern zu synchronisieren.

Aber auch die Kontrolle riesiger Müllverbrennungsöfen auf Schäden und für Wartungsarbeiten erfolgt beim oberösterreichischen Energieversorger längst mittels aufwendiger 3D-Technik. Die Innenwände der Öfen werden dafür fotografisch abgetastet, während sich die Techniker:innen so einen Eindruck vom Zustand des Innenraums verschaffen können, ohne diesen tatsächlich betreten zu müssen. Das spart Zeit und Geld, reduziert aber vor allem die Strapazen der Mitarbeiter:innen.

Kundenakquise mit der VR-Tour
Wer bei der AMAG in Ranshofen (Bezirk Braunau) an einer Werksführung teilnimmt, wird dann auf eine virtuelle 360-Grad-Premium-Tour geschickt, während der detaillierte, sonst verborgene Einblicke in die Fertigungsprozesse, Arbeitsplätze sowie sogar in die Abteilung Forschung & Entwicklung geboten werden. Es sind allerdings nicht nur Schulklassen und Pensionistenvereine, die auf diese Art und Weise durch das weitläufige Werksgelände an der oberösterreichisch-­bayerischen Grenze gelotst werden.

Mit der eigenen VR-Inszenierung verfolgt die AMAG ganz klare kommerzielle Ziele. Denn auch internationale Partner und potenzielle Auftraggeber werden zu einem solchen virtuellen Rundgang eingeladen. Da können dann – unabhängig vom Standort des jeweiligen Gegenübers – Produktionsanlagen und Fertigungsprozesse ausführlich und detailreich vorgestellt werden.

Ihre 360-Grad-Darstellung ließ sich die AMAG in Form einer sogenannten Hybrid-Tour anlegen. Damit können sich Be­sucher:innen, Lieferant:innen und Kund:innen einen schnellen Überblick im großflächigen Werks- und Verwaltungsgelände verschaffen. Anderseits wurde für die detaillierte Unternehmenspräsentation die VR-Inszenierung zusätzlich mit Fotos, Bildern, Videos, externen Links und anderen Informationen angereichert.

Zertifizierung im Lockdown
Die Unternehmensgruppe Kwizda produziert Arzneimittel, Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmittel auf biologischer Basis. Um den strengen gesetzlichen Auflagen, erforderlichen Qualitätsstandards und anderen Vorgaben zu entsprechen, bedarf es vielfach aufwendiger Dokumentationen und Zertifizierungen. Das stellte das österreichische Familienunternehmen gerade während der strengen Lockdowns in der Coronazeit vor große Herausforderungen. Wie sollten z. B. Anlagen von externen Expert:innen zertifiziert werden, wenn diese nicht oder kaum reisen durften?

Die Lösung bestand ebenfalls in 360-Grad-Inszenierungen, die auch für „Online-Audits“ eingesetzt werden. Zum praktischen Nutzen gesellt sich zudem eine Imagekomponente, denn eine 360-Grad-Tour und 360-Grad-Produktvorstellungen werden auch Kund:innen und der Öffentlichkeit als Informationsquellen zu Themen rund um das Unternehmen angeboten.

Bundesheerjet landet am Heldenplatz
Als die traditionelle Leistungsschau des Bundesheeres am Nationalfeiertag auf dem Wiener Heldenplatz coronabedingt abgesagt werden musste, diente ebenfalls eine 360-Grad-­Inszenierung als Ersatz. Das Heer ließ dafür sogar eine Hercules-Transportmaschine und einen Eurofighter-Jet auf dem Heldenplatz mitten in der Wiener Innenstadt landen. In der Realität einfach nicht möglich, dank VR-Inszenierung kein Kunststück.

Längst sind 360-Grad- und VR-Darstellungen zu einem Gut geworden, das für Unternehmen jeder Größe leistbar ist. Das Spektrum reicht vom Konzern über Tourismusdestinationen bis zur Familienpension am Attersee und zur Kinderführung am Wiener Donauturm.

„Leistungsfähige VR-Brillen kosten heute nur noch wenige Hundert Euro“, berichtet Stöllnberger. Und der Agenturchef sieht für den kommerziellen Einsatz virtueller Inszenierungen schon ganz klar den nächsten Schritt: „Die Richtung geht heute hin zu immersiven Technologien und Anwendungen, zum Metaverse. Das Metaverse wird ein digitaler Layer über der realen Welt.“ (ALS)


INFO-BOX
Links zu virtuellen 3D-Welten

• Erklär-Video von KTM: 
www.youtube.com/watch?v=mBvDCtr3LzU&t=12s 

• Virtueller Raum MetaQuartier: 
https://gridslight.zreality.com/jXJiSRt/360-grad-­perspektiven/ 

• Agentur 360 Perspektiven:
https://360perspektiven.com/