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Berufsbildung im Wandel

NEW BUSINESS - NR. 1, FEBRUAR 2019
Ein umfassender Reform- und Innovationsprozess soll der österreichischen Bildungslandschaft einen neuen Anstrich verleihen. © Fotolia/blackdiamond6

75 Prozent der österreichischen Unternehmen geben an, unter starkem Fachkräftemangel zu leiden. Mit einer Offensive will die WKO gegensteuern und das Problem an der Wurzel packen: der Bildung.

Fachkräftemangel, Digitalisierung und das damit einhergehende Entstehen neuer Berufe, das schlechte Image der Lehre ebenso wie mangelnde Grundkompetenzen von Schülern. Das sind laut Wirtschaftskammer die Herausforderungen, vor denen Österreichs Betriebe Tag für Tag stehen. Der gemeinsame Nenner: Bildung. Und genau hier soll in der im Jänner vorgestellten Offensive angesetzt werden: „Die Fachkräfte von morgen werden heute ausgebildet. Wir müssen jetzt in die Offensive gehen und die Bildung neu ausrichten“, erklärt WKÖ-Präsident Harald Mahrer bei der Auftaktpressekonferenz zu ebendieser. Das erklärte Ziel der Offensive: mehr Innovationskraft, Fachkräftesicherung, Wettbewerbsfähigkeit und Kundennähe. Dafür sollen die laufenden Ausgaben für den Aus- und Weiterbildungsbereich in den kommenden zehn Jahren auf jährlich 500 Millionen Euro erhöht werden. Die Aufwertung der Lehre, neue Standorte für Bildungscampus sowie eine virtuelle Lernplattform sind die Kernelemente der Offensive.

Fachkräftemangel dämpft Wachstum
Für die heimischen Unternehmen sind Schwierigkeiten bei der Suche nach geeigneten Mitarbeitern aktuell das größte Risiko – und eines, das sich immer weiter verschärft: Im Vergleich zu 2017 stieg 2018 der Anteil jener Unternehmen, die den Fachkräftemangel als Gefahr für die Entwicklung des eigenen Betriebs sehen, von 48 auf 59 Prozent an – so eine Studie der Prüfungs- und Beratungsorganisation EY aus dem Jahr 2018. Demnach fiel es den Unternehmen noch nie so schwer, geeignete Fachkräfte zu finden: Der Anteil der Unternehmen, die große Probleme bei der Rekrutierung von Fachkräften haben, hat sich seit 2015 von 15 Prozent auf aktuell 30 Prozent erhöht.
Weitere 49 Prozent geben an, dass ihnen die Suche nach qualifizierten Mitarbeitern „eher schwer“ fällt. Der leergefegte Arbeitsmarkt macht nicht nur den Personalabteilungen zu schaffen – er kostet die Unternehmen insgesamt viel Geld. Mehr als die Hälfte der Mittelständler beklagt Umsatzeinbußen aufgrund des Fachkräftemangels. Jedes achte Unternehmen verliert durch den Fachkräftemangel mehr als fünf Prozent seines Jahresumsatzes. Besonders gravierend sind die Folgen des Fachkräftemangels im österreichischen Handel: 17 Prozent der heimischen Händler büßen mehr als fünf Prozent Umsatz ein, weitere 42 Prozent bis zu fünf Prozent. Sofern für offene Stellen eine bestimmte formale Qualifikation verlangt wird, werden in über 50 Prozent der Fälle Absolventen einer Lehre gesucht, stellt das IBW (Institut für Bildungsforschung der Wirtschaft) fest.

Meilensteine in der Bildungslandschaft setzen
Die WKÖ möchte deswegen die Berufsbildung in Österreich neu aufsetzen und startete Anfang des Jahres die Bildungsoffensive für die Wirtschaft. „Wir haben es als Wirtschaftskammer-Organisation und als größter privater Bildungsanbieter in Österreich selbst in der Hand, der Berufsbildung eine neue Dimension zu geben, und tun dies in Form eines umfassenden Reform- und Innovationsprozesses. Wir gestalten die Lehre neu und erweitern sie um digitale Kompetenzen zu einer trialen Ausbildung, wir schaffen einen Campus der Wirtschaft als generationenübergreifenden Workspace für alle, wir entwickeln virtuelle Lernplattformen und bieten mit 1.000 Bildungspfaden lebenslange Karriereperspektiven“, zeigt sich Mahrer bei der Vorstellung der Offensive voller Tatendrang. „Um heute die Fachkräfte von morgen auszubilden, benötigen wir eine klare Strategie. Wir wollen Meilensteine in der heimischen Bildungslandschaft setzen und dafür investieren wir in die Zukunft dieses Standortes und damit in die Zukunft unserer Jugend. Wir haben die Hebel in der Hand, die Berufsbildung am Standort Österreich neu auszurichten.“ Bereits jetzt wenden die Wirtschaftskammern Österreichs pro Jahr rund 380 Millionen Euro für Bildungsmaßnahmen auf. Ab 2030 – also in rund zehn Jahren – sollen es laut WKO rund 500 Millionen Euro sein. Zusätzlich werden für Einzelmaßnahmen wie etwa den Aufbau des Campus der Wirtschaft rund 100 Millionen Euro investiert. Ein weiteres Ziel ist es, die Zahl von derzeit 900.000 Teilnehmern an Bildungsaktivitäten der Wirtschaftskammern bis 2025 auf 1,2 Millionen zu steigern.

Wettbewerbsfähig bleiben
In fünf bildungspolitischen Handlungsfeldern wurden in den vergangenen Wochen und Monaten in einem Konsultationsprozess in der WKO mit Landeskammer und Sparten gemeinsam wesentliche Leitlinien zur Ausrichtung der Bildungsoffensive erarbeitet. Bereits jetzt leiden 75 Prozent der heimischen Unternehmen unter starkem Fachkräftemangel. Durch die Veränderungen der Digitalisierung bis 2030 wird sowohl bis zu 30 Prozent an bisher geleisteter Arbeit wegfallen, es werden aber auch bis zu 33 Prozent an neuen Jobprofilen entstehen. „Wer heute als BekleidungsverkäuferIn tätig ist, wird den Kunden künftig digital beraten und Schnittmuster maßgeschneidert und online in Auftrag geben können. Wer heute MalerIn ist, wird künftig Malroboter bedienen und 3D-Aufmaße erstellen. Die Berufswelt ist einem drastischen Wandel unterworfen, die dauernde Weiter- und Höherqualifizierung wird für jeden von uns Alltag. Deshalb müssen wir im Bildungssystem umfassend, aber auch umsichtig Maßnahmen setzen, damit Bildung und Digitalisierung unsere Standortvorteile im internationalen Wettbewerb sind“, unterstrich der WKÖ-Präsident.

Mehr Wirtschaftskompetenzen ins Schulsystem bringen
Mit den Maßnahmen zielt die Wirtschaft auf unterschiedliche Handlungsfelder. Diese sind etwa das Etablieren virtueller Lernplattformen mit virtuellen Betriebsbesichtigungen für Jugendliche und der Online-Berufsinformation BIC.at auch für Erwachsene. Es sind aber auch digitale Lernwelten für Lehrlinge, Onlinetools zur Planung und Dokumentation der Lehrlingsausbildung und eine digitale Aus- und Weiterbildungsplattform für Ausbilder als Bausteine der trialen Berufsbildung geplant. Außerdem: Die „Lehre neu“ für Erwachsene, Campusse der Wirtschaft als rund um die Uhr erreichbare Orte der Aus- und Weiterbildung sowie eine Stärkung der MINT-Kompetenzen in der Schule und einer Neudotierung der Innovationsstiftung für Bildung.
Neben einer Sicherung der Grundkompetenzen am Ende der Pflichtschule zielt die Wirtschaft auch auf eine stärkere Ausbildung von IT-Fachkräften für die Unternehmen und auf verstärkte Kooperationen mit dem Bildungsministerium ab, um mehr Wirtschaftskompetenzen ins Schulsystem zu bringen. „Es ist unser Beitrag, den heimischen Bildungs­standort bunter zu gestalten, und es ist unser Beitrag, den wir für die Jugend und die Zukunft in Österreich leisten, und damit ist die Bildungsoffensive unsere Antwort an die Zukunft“, so Mahrer abschließend. (VM)

INFO-BOX I
Die Aufwertung der Lehre
Ein zentraler Punkt der Bildungsoffensive ist die Aufwertung der Lehre. Aber bereits im Vorfeld wurde die Meisterqualifikation in Österreich auf dieselbe ­Bildungsstufe gestellt wie der Ingenieur und der akademische Abschluss ­Bachelor. Die Wirtschaftskammer argumentiert diesen Schritt ebenfalls mit einer Maßnahme gegen den Fachkräftemangel. „Mit der nun erfolgten Zuordnung des Meisters zur Niveaustufe 6 des Nationalen Qualifikationsrahmens (NQR) wird ein richtiger und wichtiger Schritt gesetzt, um die Meisterqualifikation deutlich aufzuwerten. Es ist ein starkes positives Signal für das duale Ausbildungssystem insgesamt und ein starker Impuls an die jungen Menschen in der dualen ­Ausbildung, auch die Meisterprüfung in Angriff zu nehmen. Gleichzeitig ist die Aufwertung des Meisters eine wichtige Entscheidung in Hinblick auf den ­heimischen Fachkräfte- und Ausbildungsstandort Österreich“, betonte Harald Mahrer bereits im letzten Jahr.
Vor allem das Image und der Stellenwert, den die Lehre in der Wirtschaft und am Arbeitsmarkt hat, sollen dadurch aufpoliert werden. Die neue Zuordnung und die damit verbundene Aufwertung der Meisterprüfung erfolgt nicht nur aus der Perspektive des Bildungssystems selbst, sondern auch mit Blick auf die ­effektive Bedeutung eines Abschlusses am Arbeitsmarkt. Mahrer: „Das wird zu einer Aufwertung der dualen Ausbildung, also der Lehre führen. Es ist der richtige Weg, wenn es darum geht, die dringend benötigten Fachkräfte in Österreich auszubilden und berufliche Abschlüsse auch international vergleichbar zu ­machen.“ In Deutschland ist eine derartige Aufwertung schon vor Jahren
erfolgt – mit vielen Meister- und Befähigungsprüfungen kann man dort auch die Hochschulreife erwerben. Unmut verursachte diese Maßnahme allerdings bei den heimischen Universitäten, die eine Verwechslung und eine Degradierung der Hochschulabschlüsse befürchtet.

Gute Zukunftsperspektiven für Lehrlinge
Die Ergebnisse einer vom ibw durchgeführten Absolventenbefragung (705 ­befragte Personen) zeigen übrigens, dass die Meisterprüfung der Einstieg in Positionen mit Leitungs- und Entscheidungsbefugnisse ist. Viele Meister machen sich durch Neugründung bzw. Betriebsübernahme selbstständig: Meister­absolventen sind im Durchschnitt 30 Jahre alt und verfügen über mehr als zehn Jahre Berufserfahrung. Drei Viertel der jungen Meister üben tatsächlich ­Führungspositionen aus, ein Viertel sind Unternehmer.

INFO-BOX II
Top 10 der am schwierigsten zu besetzenden Jobs in Österreich
• Facharbeiter / Handwerker (Elektriker, Tischler, Schweißer, Maurer, Installateure)
• Vertriebsmitarbeiter (Verkaufsleiter, -berater, Verkäufer im Einzelhandel)
• Fahrer (für LKW, Schwerlasttransport, Zustellung)
• Techniker (im Bereich der Fertigung oder in der Instandhaltung)
• Ärzte / medizinische Fachangestellte (kein Pflegepersonal)
• Assistenz / Bürokräfte
• Management / Executives (Senior-Ebene, Geschäftsführung)
• Restaurant- und Hotelfachkräfte
• Ingenieure (Bau-, Maschinenbau-, Elektro- und Chemieingenieure)
• Reinigungspersonal(Quelle: Manpower Österreich)


Die fünf Leuchtturm-Initiativen der Bildungsoffensive im Überblick

• Virtuelle Lernplattform:
Eine „Virtuelle Lernplattform“, die für alle Interessierten offensteht und an der alle Weiterbildungsanbieter teilnehmen können, wird aufgebaut. Für die Anforderungen der Wirtschaft wird ein umfassendes Online-Kursangebot entwickelt. Die „Virtuelle Lernplattform” bietet innovative Lernformate wie Learning Rooms, E-Books, MOOCs oder virtuelle Klassenzimmer. Jede und jeder Lernende hat einen individuellen User-Account. Künstliche Intelligenz stellt sicher, dass die Benutzer laufend maßgeschneiderte Angebote erhalten.

• Triale Berufsbildung:
Das Erfolgsmodell der dualen Berufsbildung mit den Lernorten Betrieb und Berufsschule wird um ein zusätzliches, drittes Element erweitert. Denn bei der Ausbildung wesentlicher Zukunftskompetenzen – insbesondere von Soft und Digital Skills – benötigen die Ausbildungsbetriebe je nach Branche und Betriebsgröße Unterstützung. Alle Lehrabsolventen sollen über entsprechende digitale Kompetenzen verfügen. Zur Vermittlung von zukunftsrelevanten ­Kompetenzen entwickelt die WKO ein ergänzendes Angebot zu Betrieb und Berufsschule an einem „dritten Lernort“. Bei allen Angeboten werden digitale Technologien und Anwendungen (wie Gamification, Gamebased Learning, ­Virtual Reality) auch mit dem Ziel eingesetzt, den zeitlichen Aufwand zu ­minimieren. Das triale Angebot wird über die Virtuelle Lernplattform und den Campus der Wirtschaft verfügbar gemacht.

• Durchgängige Bildungspfade:
Die WKO hat bereits Bildungspfade erstellt, die durchgängige Entwicklungsmöglichkeiten für Fachkräfte aufzeigen. Zwischen den Bildungspfaden werden nahtlose Übergänge geschaffen, sämtliche Qualifikationen der Berufsbildung dem Bedarf der Wirtschaft angepasst. Für die höhere Berufsbildung wird eine attraktive Bildungsmarke etabliert. Die Lehre wird als Ausgangspunkt für Höherqualifizierungen und für attraktive Fachkarrieren positioniert.

• Campus der Wirtschaft:
Die integrierten „Campus der Wirtschaft“-Standorte bieten hochwertige ­physische Lern-Infrastrukturen mit Fokus auf digitalen Technologien. Schüler aller Schultypen, Lehrlinge, Lehrer, Studierende, Fachkräfte, Professoren und (angehende) Unternehmer erhalten rund um die Uhr direkten Zugang zur ­Anwendung von Zukunftstechnologien wie Virtual und Augmented Reality, ­spielerisches Lernen, künstliche Intelligenz und 3D-Druck. Bis 2025 sind drei Standorte geplant. Jeder Campus bringt unterschiedliche Zielgruppen mit ­Unternehmen zusammen.

• Wirtschaft in die Schule:
Unter dem Titel „WIRTSCHAFT in die Schule“ wird eine gemeinsame Dachmarke zur Förderung von Wirtschaftswissen und Unternehmertum für Schüler geschaffen. Unter dieser Dachmarke werden für Schüler und Lehrende alle bestehenden Initiativen gebündelt als auch laufend um neue Maßnahmen erweitert (u. a. Wettbewerb für den besten Wirtschaftsunterricht, Förderung von MINT-Fächern). Sie umfasst bestehende Programme wie den Unternehmerführerschein und bringt zudem neue Programme wie z. B. „Entrepreneurship-Projektwochen“ oder Unterrichtsmaterialien für Lehrende.(Quelle: WKO)