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Die Erforschung des Lebens.

NEW BUSINESS - NR. 1, JÄNNER 2026
Die Stärkung des Pharma- und Life-Sciences-Bereichs ist für die Versorgung, die Forschung, die Wirtschaft und die Wettbewerbsfähigkeit Österreichs hoch relevant. © Adobe Stock/BillionPhotos.com

Der Life-Science-Sektor hat sich zu einem boomenden Wirtschaftsfaktor in Österreich entwickelt. Wien ist dabei das Zentrum mit dem größten Anteil an Umsatz und Beschäftigten ...

... aber auch andere Regionen wie Tirol bauen ihre Aktivitäten aus.

Die Geschichte der Lebenswissenschaften reicht von antiken Anfängen wie den Werken von Aristoteles bis zu modernen Disziplinen wie der Biotechnologie, die im 20. Jahrhundert entstanden ist. Die moderne „Life Science“-Forschung entwickelte sich aus der Biologie und weiteren Wissenschaften wie der Genetik, Molekularbiologie und der Erforschung der Zellstrukturen und DNA. Historisch gesehen entstanden die Lebenswissenschaften aus Traditionen der Medizin und Naturgeschichte. Sie kombinieren Naturwissenschaften mit Technik und IT, um von der Grundlagenforschung zu praktischen Anwendungen wie Impfstoffen oder neuen Agrartechnologien zu gelangen.

Der österreichische Life-Science-Sektor ist durch exzellente Forschung, eine wachsende Unternehmenslandschaft und starke Vernetzung in den Bereichen Biotechnologie, Pharma und Medizintechnik gekennzeichnet. Die Branche ist innovationsfreudig und trägt signifikant zur österreichischen Wirtschaftsleistung bei – insbesondere in der Bundeshauptstadt. Mit 754 Organisationen, die in Wien forschen, entwickeln und produzieren – davon 646 Unternehmen, 19 Forschungseinrichtungen und 89 weitere wichtige Organisationen – beheimatet die Stadt auch mehr als die Hälfte der österreichischen Branche. Der aktuelle Life-Sciences-Report liefert vielversprechende Daten: Von 2020 bis 2023 stieg der Jahresumsatz der Branche um 22 Prozent auf 22,7 Milliarden Euro. 81 Prozent (18,4 Milliarden Euro) davon entfallen auf Biotechnologie- und Pharmaunternehmen.

Auch bei den Beschäftigten legte die Branche zu: Die Zahl der Mitarbeitenden wuchs um 8 Prozent auf über 49.000. Davon sind 47 Prozent im Biotechnologie- und Pharmabereich tätig, 22 Prozent in der Medizintechnik und 26 Prozent in Forschungseinrichtungen. „Diese Ergebnisse sind ein starkes Signal für die Wirtschaft und bestätigen den Wiener Weg der letzten 20 Jahre, konsequent auf den Ausbau des Forschungsstandortes und gezielt auf die Stärkung der Life Sciences zu setzen“, führt Wiens Bürgermeister Michael Ludwig aus. „Durch die Entwicklung medizinischer Innovationen tragen die Life Sciences maßgeblich zum Wohlergehen der Menschen und damit zur hohen Lebensqualität bei, für die Wien international geschätzt wird – und die Spitzenkräfte aus aller Welt anzieht.“

Die Life-Sciences-Branche in Wien wächst seit fünf Jahren kontinuierlich und wird zunehmend vielfältiger. Digitale Technologien, smarte Produktion und neue Therapieansätze prägen das Feld – ebenso wie der Einsatz von Software und künstlicher Intelligenz, etwa in Diagnostik und Medikamentenentwicklung. Das neue Krebsforschungszentrum des Pharmakonzerns Boehringer Ingelheim ist nur einer von vielen Leuchttürmen. Zudem zählte die Branche zu den Top 5 der Neuansiedlungen in Wien im Jahr 2024. 

Dominic Weiss, Geschäftsführer der Wirtschafts­agentur Wien, ergänzt: „Die Life Sciences zählen zu den zentralen Innovationstreibern Wiens. Mit Aithyra, dem neuen Institut für Künstliche Intelligenz in der Biomedizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, hat sich die Stadt erfolgreich im internationalen Wettbewerb durchgesetzt. Dieses europaweit einzigartige Forschungsinstitut stärkt Wiens Rolle als führende Wirtschaftsmetropole und liefert zugleich wegweisende Impulse für die Medizin der Zukunft.“

Neben starken Forschungseinrichtungen sind im Raum Wien auch die 20 bedeutendsten Pharma- und Medizinprodukte-Unternehmen und eine Vielfalt an KMU und Start-ups ansässig. Die Entwicklung wegweisender Behandlungsmethoden für Krebs und seltene Krankheiten sowie von Impfstoffen, In-vitro-Diagnostika oder Digital-Health-Lösungen spielt eine große Rolle in der Stadt. Dabei kommen modernste Technologien zum Einsatz. Das Spektrum reicht von Organoiden und der CRISPR-Methode bis hin zu fortschrittlichen Wirkstoff-Lipidverpackungen und neuen 3D-Druckverfahren.

Wien gilt zudem als globales Zentrum in der Herstellung überlebenswichtiger Medikamente. Octapharma und Takeda bereiten in Wien jährlich rund 4 Millionen Liter Blutplasma auf, das entspricht rund einem Fünftel des weltweit verarbeiteten Volumens. 95 Prozent der daraus erzeugten Produkte werden exportiert und dienen der Therapie schwerer Bluterkrankungen. Rekombinante Peptide, komplexe Proteine und Nukleinsäuren für die Human- und Veterinärmedizin werden ebenfalls hergestellt – beispielsweise auch bei Boehringer Ingelheim, Biomay und MSD.

Unternehmen von Weltrang mit Wiener Wurzeln
Unternehmen mit Wiener Wurzeln gelingt es aber auch, richtungsweisende Diagnostiklösungen auf den Markt zu bringen. Ein Beispiel dafür ist MADx – Macro Array Diagnostics GmbH. 2016 gegründet, trägt das Unternehmen heute mit seinem revolutionären Allergietest in mehr als 90 Ländern zur Entlastung des Gesundheitssystems bei. CEO Christian Harwanegg erklärt: „MADx hilft Ärzt:in­nen dabei, Allergien bis ins kleinste Detail zu verstehen. So kann die Therapie noch genauer auf die betroffenen Patient:innen abgestimmt werden.“

Der Konzern Octapharma wiederum entwickelt und produziert in Wien hochwertige Arzneimittel. Geschäftsführerin Barbara Rangetiner: „Wien ist ein zentraler Standort für pharmazeutische Forschung und Produktion – insbesondere im Bereich der blutplasmabasierten Therapien. Um die langfristige Verfügbarkeit lebenswichtiger Behandlungen für Patient:innen sicherzustellen, braucht es gezielte Innovationsförderung und eine enge Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Industrie und Politik. Nur durch starke Partnerschaften können wir den medizinischen Fortschritt vorantreiben, die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Stadt steigern und Gesundheitssysteme nachhaltig stärken – zum Wohle der Patient:innen und der Gesellschaft insgesamt.“

Das Wiener Life-Sciences-Start-up contextflow liefert ein weiteres Best-Practice-Beispiel. Es unterstützt Radio­log:in­nen mit KI-gestützter Erkennung von Lungenkrebs, interstitiellen Lungenerkrankungen und chronisch obstruktiver Lungenkrankheit. Markus Holzer, CEO und Co-Founder, deklariert: „Als Spin-off der MedUni Wien liegen die Wurzeln unserer umfassenden Analysesoftware für Thorax-CTs also im schönen Wien und bei den Menschen, die hier leben und arbeiten. Wichtig für den Aufbau unseres Unternehmens war die Unterstützung durch das Innovation Incubation Center der TU Wien und weitere Partner, die von Anfang an an unsere Idee geglaubt haben.“

Ottobock, eines der größten Medizintechnikunternehmen Wiens, stellt jährlich in der Stadt Produkte im Wert von rund 200 Millionen Euro her, um weltweit Menschen in ihrer Mobilität zu unterstützten. Andreas Eichler, Geschäftsführer der Wiener Ottobock Healthcare Products GmbH, betont: „Für unsere Forschungsarbeit in der Medizintechnik stellt Wien den idealen Standort dar. Die hohe Lebensqualität und gut ausgebaute Infra­struktur mit mehreren renommierten Universitäten ermöglichen uns, hoch qualifizierte Spezialisten für unseren Standort zu gewinnen. Mit dieser Expertise entwickeln wir gemeinsam innovative Hilfsmittel und neue Technologien, um unseren Anwendern ein selbstbestimmteres Leben zu ermöglichen.“

Die HeartBeat.bio AG entwickelt mit Herz-Organoiden und KI neue Wirkstoffe gegen Herzinsuffizienz. Michael Krebs, Mitgründer und Geschäftsführer, erklärt: „Spitzenforschung in Wien sorgt für Innovationen: Das IMBA-Spin-off HeartBeat.bio nutzt aus Stammzellen gezüchtete Mini-Herzen, um Krankheiten zu modellieren und mithilfe von KI und Automatisierung neue Wirkstoffe gegen unterschiedliche Formen der Herzinsuffizienz zu entwickeln. Unser internationales Team schätzt die hohe Lebensqualität in Wien und die breite Unterstützung für Gründungsprojekte.“

Health Hub Tirol: internationale Drehscheibe für Life Sciences
Auch in Tirol zeigt der Life-Science-Sektor eine dynamische Szenerie. Im Vergleich von 15 europäischen Regionen liegt das Bundesland beim Beschäftigungswachstum seit 2011 an der Spitze. „Life Sciences stehen in Tirol für mehr als 10.000 Arbeitsplätze und nahezu vier Milliarden Euro Jahresumsatz – das ist ein klarer Beleg für ihre wirtschaftliche Schlagkraft und ihre Be­deutung als Wachstumsmotor für Tirol. Die Branche schafft jährlich hochwertige Jobs, stärkt Forschung und Innovation und erhöht die internationale Wettbewerbsfähigkeit“, zeigt sich Mario Gerber, Landesrat für Wirtschaft, Digitalisierung und Tourismus, überzeugt.

Mit dem Health Hub Tirol setzen das Land Tirol und seine Standortagentur einen klaren Schwerpunkt auf die Zukunftsbranche. Rund 10 Millionen Euro wurden in den letzten Jahren in Förderprogramme, Beratungsservices und modernste Infrastruktur investiert – nun findet dieses Engagement im Innsbrucker West Park eine zentrale Heimat. Am 13. November 2025 wurde dort der Health Hub Tirol eröffnet: Auf 4.000 m² bietet die hundertprozentige Tochter der Standortagentur Tirol modernste Labor- und Büroräume, Werkstätten, Services für Unternehmensgründung und -skalierung sowie Zugang zu einem starken Investorennetzwerk.

„Mit dem Health Hub Tirol setzen wir dort an, wo klassische Start-up-Rezepte scheitern: Life Sciences brauchen längeren Atem und mehr Kapital –  die Entwicklung eines neuen Medikaments kann zehn bis vierzehn Jahre dauern und rund zwei Milliarden Euro kosten. Darum unterstützen wir Forschungsunternehmungen schon in sehr frühen Phasen. Tirol bringt dafür starke Voraussetzungen mit: exzellente Universitäten und eine außergewöhnliche klinische Infrastruktur. Genau dieses Zusammenspiel beschleunigt den Weg von der Idee zur Anwendung“, so Health-Hub-Geschäftsführer Klaus Weinberger.

Erste Unternehmen aus Medizintechnik, E-Health, Pharma und Biotechnologie haben sich im neuen Life-Scien­ces-Zentrum in der Exlgasse bereits angesiedelt. Eines davon ist Sola Diagnostics, ein 2020 gegründetes Unternehmen, das auf 30 Jahre Forschung zu Frauengesundheit aufbaut und Diagnostiktests zur Früherkennung gynäkologischer Krebserkrankungen entwickelt. Dass sich Tirol bereits in der Vergangenheit als fruchtbarer Boden für Life-Sciences-Innovationen erwiesen hat, zeigt auch das am Health Hub Tirol angesiedelte Innsbrucker Biotechnologieunternehmen Cyprumed: Es entwickelt Technologien, die es ermöglichen, bislang ausschließlich per Injektion verabreichte Medikamente in Tablettenform einzunehmen. Im Frühjahr 2025 konnte Cyprumed mit einem US-Pharmaunternehmen eine Lizenz- und Optionsvereinbarung im Umfang rund 500 Millionen US-Dollar abschließen.

Auch der international renommierte Wissenschaftler Josef Penninger ist mit seinem Team mit an Bord, unter anderem in der Erforschung neuer Medikamenten- und Behandlungsmöglichkeiten bei Diabetes. Mit Angios können menschliche Blutgefäße im Labor nachgebildet werden. Dieses Modell hilft, neue Therapien – zum Beispiel gegen chronische Wunden – und Antikörper gegen Gefäßprobleme bei Diabetes und Krebs zu entwickeln. 

2024 noch viele innovative Arzneimittel – aber Forschungsstandort Österreich unter Druck
Rekordinvestitionen in Forschung & Entwicklung haben ermöglicht, dass in den letzten zehn Jahren rund 400 innovative Therapien in Europa zugelassen und für die Patient:innen verfügbar gemacht werden konnten. Auch 2024 kamen 38 Arzneimittel mit einem komplett neuen Wirkstoff auf den Markt – darunter ein Brustkrebs-Medikament, das bei Therapieresistenzen neue Optionen eröffnet, und ein neues Kombinations-Antibiotikum für schwere und lebensbedrohliche Infektionen, das bestehende Resistenzen umgehen kann. Markant sinkende Zahlen bei klinischen Studien geben aber Anlass zu Sorge und signalisieren, dass die Forschung in Europa bzw. Österreich unter Druck gerät.

Komplexe Regulatorien, fragmentierte Forschungsdatenlandschaften und wenig finanzielle Anreize machen anspruchsvolle Arzneimittelprüfungen zunehmend herausfordernd. Das zeigen auch die Zahlen. Im Vergleich zu anderen Weltregionen, etwa den USA, ist Europa bei der Genehmigung neuer Studien deutlich langsamer. Der Anteil klinischer Prüfungen im Europäischen Wirtschaftsraum ist von 22 Prozent im Jahr 2013 auf nur noch 12 Prozent im Jahr 2023 gesunken.

Alexander Herzog, Generalsekretär der Pharmig, betont: „Die Entwicklung neuer Therapien ist langwierig, wissenschaftlich komplex und streng reguliert. Sie ist zudem mit hohen Kosten und unternehmerischem Risiko verbunden. Nur ein Bruchteil der untersuchten Wirkstoffe schafft es tatsächlich bis zur Zulassung als neue Therapie. Damit Österreich im Sinne eines ‚Made in and with Austria‘ weiterhin Teil dieser wichtigen Forschungstätigkeiten sein kann, müssen wir forschungsstarke Unternehmen im Land halten, neue gewinnen und ein dynamisches Life-Sciences-Ökosystem schaffen.“

Pharmastrategie: Deutschland als Vorbild
Deutschland macht es vor und hebt die pharmazeutische Industrie auf die höchste politische Ebene, indem eine eigene Pharmastrategie für die Stärkung des Standorts und der Versorgung implementiert wurde. Eine derartige Strategie ist auch seitens der österreichischen Politik geplant, und daher betont Alexander Herzog die Notwendigkeit, diesen Plan auch umzusetzen: „Die wirtschaftliche Lage in Österreich ist angespannt und unsere Wettbewerbsfähigkeit steht auf dem Spiel. Hier könnte im besonderen Maße eine Wachstumsbranche, wie es die Life Sciences darstellen, gegensteuern und wichtige Impulse setzen. Dafür ist es allerdings notwendig, ihr den Rücken zu stärken, und zwar idealerweise mit einer entsprechend umfassenden und mit konkreten Maßnahmen ausgestatteten Strategie. Gerade als Forschungs- und Produktionsstandort konkurriert Österreich mit vielen anderen, starken Ländern. Da gilt es, Stärken und Potenziale auf- und auszubauen, und zwar jetzt.“

In diesem Sinne bedarf es laut dem Pharmaverband entsprechender Maßnahmen in drei großen Bereichen, und zwar bezüglich der Stärkung des Forschungsstandortes, der heimischen Arzneimittelproduktion und ebenso in Bezug auf die frühe und uneingeschränkte Verfügbarkeit neuer, aber auch bewährter Therapien, womit speziell Anpassungen bei den Preis- und Erstattungsregelungen gemeint sind. Entscheidend wäre, dass eine derartige Strategie in die Arbeitsprogramme insbesondere des Wirtschafts-, Gesundheits-, Wissenschafts- und des Innovationsministeriums aufgenommen wird.

Eine nationale Pharma- und Life-Sciences Strategie, die Vertrauen gibt, muss den richtigen Rahmen für Forschung, Innovation und Produktion setzen sowie darauf achten, dass Produkte auch am Markt zur Verfügung stehen. Denn innovative Arzneimittel können nur wirken, wenn sie auch bei den Patient:innen ankommen. Dazu braucht es faire, planbare Rahmenbedingungen für neue ebenso wie patentfreie Arzneimittel. Für eine resiliente Versorgung ist dabei auch die Vielfalt des Angebots entscheidend – über alle Therapiegebiete und über den gesamten Lebenszyklus eines Arzneimittels hinweg. Dazu Herzog: „Der Marktzugang entscheidet über Tempo, Gerechtigkeit und Zukunftsfähigkeit der Versorgung. Unser Ziel muss es sein, die modernsten Therapien bereits am ersten Tag nach der Zulassung den Patientinnen und Patienten zukommen zu lassen, um medizinischen Fortschritt in gesunde Lebensjahre umzuwandeln.“

Unternehmen schauen sich sehr genau an, wo für neue Produkte ein innovationsfreundliches Umfeld herrscht. Denn man möchte dort, wo geforscht und produziert wird, die jeweiligen Produkte auch ohne Verzögerung auf den Markt bringen können und für die Versorgung bereitstellen. Daher brauche es, so Herzog, einen ganzheitlichen Ansatz, der wirkungsvolle Maßnahmen in all diesen Bereichen, von der Forschung über die Produktion bis hin zum Marktzugang, integriert. „Dies nützt am Ende den Patientinnen und Patienten, der Volkswirtschaft und damit Österreich insgesamt.“ (BO)