Mit hoher Treffgenauigkeit kann der auf den Normalzustand trainierte „Nero“ Störattacken auf ein Funknetz erkennen. © h_da/Samira Schulz
5G-Technologie wird auch genutzt, um komplexe, zeitkritische Abläufe zu steuern. Diese können mit einfach gebauten Störsendern leicht lahmgelegt werden. Nero soll das verhindern.
Die 5G-Technologie wird inzwischen in vielen Bereichen genutzt. Zum Beispiel in großen Logistikzentren, in der Automobilindustrie, in Krankenhäusern und künftig möglicherweise auch bei Sicherheitsbehörden oder der Feuerwehr. Diese kritische Infrastruktur kann – die nötige kriminelle Energie vorausgesetzt – mit einfach gebauten Störsendern nicht nur behindert, sondern komplett ausgeschaltet werden. Um diese 5G-Mobilfunknetze besser vor Angriffen zu schützen, arbeitet ein Team um Stefan Valentin, Professor für Mobile Netzwerke am Fachbereich Informatik der Hochschule Darmstadt h_da, an einer Lösung.
„Es gibt zur Zeit keinen europäischen Hersteller von 5G-Modems“, beschreibt Stefan Valentin die Ausgangslage und erklärt weiter: „In allen Geräten stecken also Bauteile aus Übersee. Dieses Lieferkettenproblem können wir nicht lösen, deshalb stellen wir 5G-Basisstationen einen Wachhund an die Seite.“ Valentin hat sich dafür mit Informatikprofessor Martin Stiemerling zusammengetan, beide leiten gemeinsam die Forschungsgruppe Netztechnologien an der h_da.
Am Projekt „ADWISOR5G“ beteiligt sind außerdem die Universität Padua, das Fraunhofer Institut für Integrierte Schaltungen IIS sowie zwei Industriepartner: der Mobilfunkdienstleister Mugler und der Netzausrüster Albis-Elcon. Ihr Wachhund für 5G hat auch schon einen Namen: Der Network Real-time Observer, kurz Nero, soll Alarm schlagen, wenn im Netz etwas nicht mit rechten Dingen zugeht.
Stiletto oder Turnschuh
Im Zentrum des Projekts stehen die Netzwerke in Unternehmen: In Logistikkonzernen oder der Automobilindustrie werden 5G-Netze genutzt, um zeit- und betriebskritische Abläufe zu steuern. Also alles, wo es auf Präzision und Geschwindigkeit ankommt. In der Fabrikhalle von Tesla in Brandenburg „tanzen die Roboter Ballett“, beschreibt Valentin ein Beispiel. „Gesteuert wird diese Choreografie teilweise über Funksignale. Wenn die gestört werden, steht alles still.“
Ähnlich sieht die Situation in den Lagern von Logistikriesen wie Amazon oder Zalando aus. Die Kommunikation von Bundesbehörden und Feuerwehr könnte bald auf 5G umgestellt werden. Und auch Windkraftanlagen in Europa werden größtenteils über Funk, in diesem Fall Satellitenfunk, gesteuert. „Zu Beginn des Ukrainekriegs gab es eine große Störung des Satelliten KA-SAT. Da waren auf einmal viele Windkraftwerke in Europa nicht mehr erreichbar“, so Valentin.
Das Problem: Funknetze lassen sich leicht lahmlegen. Zum Beispiel durch einfach gebaute Störsender, sogenannte „Jammer“, die die Signale des Funknetzes mit lautem Rauschen überlagern. Valentin nennt das die „Turnschuh-Methode“ – im Gegensatz zu raffinierteren Störern, die gezielt bestimmte Frequenzen blockieren. „Das ist dann die Stiletto-Variante: Wenn ich jemandem mit einem spitzen Absatz auf den Fuß trete, tut das mehr weh als ein weicher Turnschuh“, so Valentin, der für die metaphernfreudigen Erläuterungen seiner Forschungsvorhaben mehrfach mit Preisen ausgezeichnet wurde.
Selbstlernendes System
Den Angreifern geht es in der Regel entweder um Sabotage oder um Spionage: „Entweder will ich einem Konkurrenten das Leben schwer machen oder ich lenke mit dem Störsender von meinem eigentlichen Angriff ab, bei dem ich Daten stehle.“ In ein Unternehmen sind solche Jammer-Störsender leicht einzuschleusen: Die kleinen Geräte haben eine Antenne im Hosentaschenformat und sind schnell hergestellt: „Meine Studierenden bauen so etwas in einer Minute zusammen“, so Valentin. „Die kann man einfach in ein Retourenpaket packen – und schon landet der Sender im Lager“, so der Professor. Ist der Störenfried erst einmal platziert, kann er selbst gänzlich ungestört sein unheilvolles Werk verrichten.
Und hier kommt Nero ins Spiel. Im Projekt trainiert Professor Valentins Team ein KI-System mit maschinellem Lernen darauf, Abweichungen vom Normalzustand eines Funknetzes zu erkennen. Dafür wird Nero zunächst mit regulären Funksignalen „gefüttert“. Das System lernt: So sieht ein normales Funksignal aus. Gleichzeitig ist Nero, wie ein echter Hund heutzutage, „gechipt“. Er verfügt über einen von Valentin selbst programmierten Funkchip, der ihn wachsam macht: Der vollständig durch Software gesteuerte Chip – der Fachterminus ist „Software Defined Radio“ – meldet Abweichungen vom ungestörten Signal.
„Der Auftrag an Nero lautet: Wenn etwas nicht stimmt, schlägst du Alarm.“ Um das System zu trainieren und zu testen, hat Valentin im Labor ein eigenes 5G-Netz aufgebaut, verschiedene Störer installiert und Nero darauf angesetzt. Mit großem Erfolg: In Hunderten Testläufen hat die Software gut 96 Prozent der Störattacken erkannt. Wenn solch ein Fall im realen Leben auftritt, muss der Störer schnellstmöglich geortet und entfernt werden. „Das ist im Grunde die einzige Art, den Angriff zu beenden“, erklärt Valentin. „Die Kolleginnen und Kollegen am Fraunhofer Institut befassen sich deshalb intensiv mit dem Thema Funkortung.“
Nicht auszutricksen
Was Valentin und sein Team vorhaben, ist weitgehend neu. „Bisher analysieren die meisten Systeme Netzwerkdaten. Wir dagegen wehren Angriffe auf physikalischer Ebene ab“, so Valentin. Der große Vorteil: Die Gesetze der Physik sind nicht verhandelbar. Wenn Nero einmal funktioniert, lässt er sich nicht austricksen. Ein Wettrüsten wie zwischen Hackern, die immer neue Computerviren programmieren, und IT-Sicherheitsexperten wird es rund um Nero also nicht geben.
In einer weiteren Phase des Projekts will sich das Team auch mit der Detektion komplexerer Störangriffe befassen, den „Stiletto“-Attacken, wie Valentin sie nennt. Am Ende der Projektlaufzeit soll dann der Prototyp eines technischen Wachhundes stehen, der von einem Unternehmen zur Marktreife gebracht werden könnte. Interessenten gibt es auch schon. (BS)