Der Ökonom Martin Kocher wird Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank. Das Politische, das der Arbeits- und Wirtschaftsminister nach einigen Jahren als Spitzenpolitiker verinnerlicht hat, verlässt er damit nicht zur Gänze, die Wirtschaftsexpertise bleibt gefragt. Kocher kann getrost als Karriere-Dauerläufer bezeichnet werden, der Langstreckenläufer besetzt seit Jahren gewichtige Posten: anfangs als Wissenschafter, dann als IHS-Chef bzw. Minister auf ÖVP-Ticket.

Von Mitarbeitern wird Kocher als umgänglich beschrieben. Fachlich sehen ihn Kritiker als tendenziell neoliberal an. Nicht unpassend, dass er von Ex-ÖVP-Chef und -Bundeskanzler Sebastian Kurz ins türkise Regierungsteam geholt wurde - nachdem seine Vorgängerin Christine Aschbacher als Arbeitsministerin wegen Plagiatsvorwürfen das Feld geräumt hatte. Als die frühere Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck ging, übernahm Kocher auch noch deren Agenden. Als einer der wenigen der ursprünglichen Kurz-ÖVP-Regierungstruppe blieb er auch in der Bundesregierung, nachdem die Grünen wegen Korruptionsvorwürfen den Rücktritt von Kurz praktisch erzwungen hatten und danach auch viele enge Vertraute des Altkanzlers das Regierungsteam verließen.

Was der 50 Jahre alte Universitätsprofessor (geboren am 13. September 1973) stets betonte, ist, dass er einer Bundesregierung mit FPÖ-Beteiligung nicht angehören wolle. Da dürfte der Weg auf den Notenbank-Chefsessel im kommenden Jahr angesichts derzeitiger Umfragewerte doppelt zupass kommen. Mit Robert Holzmann löst der Wirtschaftspsychologe zudem einen Gouverneur ab, der auf einem freiheitlichen Ticket in die Notenbank einzog. Aus Blau wird also Schwarz/Türkis - quasi besonders austroproporzhaft, denn die Besetzung kommt recht früh und laut Kritikern extra vor der Neuwahl, sodass ÖVP und Grüne noch die wichtigen Notenbank-Posten besetzen konnten.

Doch der allerpolitischste Mensch ist Kocher für einen Spitzenpolitiker nicht - auch wenn er gleich drei Bundesregierungen angehörte - Kurz II, Schallenberg und Nehammer. Er hat auch als Minister aus Sicht vieler Beobachterinnen und Beobachter den Mantel des Wissenschafters nie ganz abgelegt, was meist als angenehm empfunden wurde. Manche Journalisten sagen, er habe sich Fragen im Gegensatz zu manchen anderen Spitzenpolitikern tatsächlich angehört und nicht nur auf Stichworte aus der Frage mit üblichen Antwort-Stehsätzen reagiert.

Kritischere Stimmen meinen, Kocher geriere sich allzu gerne als Experte - was er zumindest in mehreren ökonomischen Bereichen unzweifelhaft auch ist. Im politischen Alltag kam bzw. kommt er verbindlich rüber - ohne die politische Agenda außer Acht zu lassen -, mit manchen Vorschlägen rund ums Thema Arbeit eckte Kocher dennoch an. Direkt auf andere hinhauen gibt es bei ihm nicht.

Neben dem Laufen, Kocher sprach immer mit Understatement über seine Leistungen dabei, geht der verheiratete Salzburger auch gerne bergsteigen. Studiert und habilitiert hat Kocher in Innsbruck. Mit dem Weg in die Nationalbank schließt sich ein Kreis: Als Forschungsgruppenleiter vor der Habilitation hatte Kocher Drittmittel unter anderem bei der OeNB eingeworben. Bis zum Weg ins IHS und danach die Politik war Kocher international bis ins ferne Australien als Lehrender unterwegs.

Als wissenschaftliche Hauptgebiete Kochers gelten Verhaltensökonomie, experimentelle Wirtschaftsforschung und Wirtschaftspsychologie. Das Experimentelle passt weniger in die Notenbank als das Wirtschaftspsychologische in Zeiten schwacher Konjunktur, hoher Zinsen und globaler Unsicherheitsfaktoren.

(Von Philip Stotter/APA)

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