IHS-Chef Holger Bonin: Österreichs Wirtschaft in "Konsolidierungsphase" © APA - Austria Presse Agentur
Österreichs Wirtschaft wird nach Einschätzung von IHS-Chef Holger Bonin bis zum Jahr 2029 "deutlich zu schwach" wachsen. Nach den Corona- und Hochinflationsjahren befinde man sich nun in einer "Konsolidierungsphase", sagte Bonin am Donnerstag. Durch das vergleichsweise geringe Wachstum werde es der wachsenden Bevölkerung wirtschaftlich nicht besser gehen und die Stabilisierung der Staatsfinanzen sei schwierig. Der Spitzenökonom drängt auf eine "Produktivitätsoffensive".
Aufgrund des im Euroländer-Vergleich geringeren Wirtschaftswachstums falle Österreich ausgehend von einem hohen Niveau "langsam weiter zurück", warnte der Direktor des Instituts für Höhere Studien (IHS). Das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) soll hierzulande 2025 bis 2029 durchschnittlich um 0,9 Prozent pro Jahr wachsen und im Euroraum um 1,3 Prozent. 2015 bis 2019 lag das jährliche Wirtschaftswachstum in Österreich im Schnitt noch bei 2 Prozent, 2020 bis 2024 waren es krisenbedingt nur 0,3 Prozent.
Nach zwei Rezessionsjahren nun Mini-Wachstum 2025 erwartet
"Die Binnennachfrage und die Exporte ziehen etwas an, die weiterhin bestehenden Strukturprobleme im Inland und das schwierige, unsichere internationale Umfeld dämpfen aber das Wachstumstempo", heißt es in der Mittelfristprognose. Nach den Rezessionsjahren 2023 und 2024 in Österreich prognostiziert das IHS für heuer ein Mini-Wirtschaftswachstum von 0,1 Prozent. In den kommenden Jahren soll die heimische Wirtschaft laut Prognose aber keinen Wachstumsturbo zünden. Das IHS rechnet mit einem Anstieg der Wirtschaftsleistung von 1 Prozent im Jahr 2025, +1,3 Prozent (2027), +1,2 Prozent (2028) und +1,1 Prozent (2029).
Aufgrund der zu schwach wachsenden Wirtschaft gestaltet sich auch die Budgetsanierung schwierig. Das gesamtstaatliche Defizit soll laut IHS-Mittelfrist-Konjunkturprognose von 4,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im Jahr 2024 langsam bis 2029 auf 3,2 Prozent sinken. Damit würde Österreich bis zum Ende des Jahrzehnts gegen die Maastricht-Schuldenregeln der EU von 3 Prozent verstoßen. Für heuer rechnet das IHS mit einem Budgetdefizit von 4,4 Prozent. Damit die Regierung sich budgetäre "Gestaltungsspielräume" erarbeite, brauche es nach dem Doppelbudget 2025/26 eine Reformagenda, unter anderem im Bereich Arbeitsmarkt, Bildung, Gesundheit und Soziales, sagte IHS-Chef
IHS-Chef Bonin appelliert an die Regierung von ÖVP, SPÖ und NEOS, sich stärker mit dem Produktionspotenzial der heimischen Wirtschaft zu beschäftigen. "Österreich braucht eine Produktivitätsoffensive. Das zieht auch Investitionen nach sich." Es sei eine "bedarfsgerechte Qualifizierung" notwendig, unter anderem ein effizientes Nachfolgemodell für die abgeschaffte Bildungskarenz, so der IHS-Chef. Beschäftigte und Arbeitslose müssten auch ihren Qualifikationen entsprechend im "bestmöglichen Job" eingesetzt werden. Im Bereich Bildung und Arbeitsmarkt müssten "neue Technologien" besser integriert werden. Staatliche Förderungen sollten effektiver und die Arbeitsteilung im öffentlichen Bereich effizienter erfolgen.
"Erratische US-Zollpolitik" belastet Österreichs Wirtschaft
Als Hauptgründe für "das mäßige Wachstumstempo" sehen die Wirtschaftsforscher "die verschlechterte Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Wirtschaft und das schwierige internationale Umfeld, etwa aufgrund der erratischen US-Zollpolitik". Die bisher verhängten US-Zölle könnten die Wirtschaftsleistung Österreichs heuer um 0,2 Prozent und 2026 um 0,1 Prozent verringern, geht aus der aktuellen Modellsimulation des IHS hervor. Der Simulation liegen die aktuell geltenden US-Importzölle in Höhe von 10 Prozent für alle EU-Exporteure, 25 Prozent für europäische Autobauer und 50 Prozent für Aluminium- und Stahlproduzenten zugrunde.
Sollten die von US-Präsident Donald Trump angedrohten 30 Prozent Zolltarif für EU-Unternehmen wirklich eingeführt werden, würde dies einen BIP-Rückgang von 0,3 bis 0,4 Prozent im ersten Jahr bedeuten, sagte IHS-Ökonom Michael Reiter. Der Experte empfahl der EU eine differenzierte Handelspolitik und nicht gleich hohe Vergeltungszölle auf alle US-Warengruppen. Die USA seien aber stärker negativ von ihrer eigenen Handelspolitik als die EU betroffen. Die IHS-Wirtschaftsforscher schätzen die BIP-Verluste für die USA aufgrund der aktuellen Zollpolitik auf 0,5 Prozent im Jahr 2025 und 0,7 Prozent im Jahr 2026.
In den vergangenen Jahren führten in Österreich die wirtschaftliche und geopolitische Unsicherheit, die hohen Energie- und Finanzierungskosten sowie die stark gestiegenen Lohnstückkosten zu einem Rückgang der Investitionen. Für die nächsten Jahre rechnet das IHS wieder mit steigenden realen Bruttoanlageinvestitionen. Auch der private Konsum soll in den kommenden Jahren anspringen und wieder die Zuwachsraten der Jahre 2015 bis 2019 erreichen. Zudem sollen die Exporte bis 2029 wieder spürbar wachsen, aber bei weitem nicht das Wachstumstempo der Phase 2015 bis 2019 erreichen.
Inflation soll sinken, Arbeitsmarkt "robust"
Nach den Rekord-Inflationsjahren 2022 und 2023 in Österreich mit 8,6 Prozent bzw. 7,8 Prozent und dem Rückgang auf 2,9 Prozent im Jahr 2024 soll die Teuerung laut Schätzung heuer bei 2,9 Prozent verharren. Für den Zeitraum 2025 bis 2029 prognostiziert das IHS einen durchschnittlichen Anstieg des Verbraucherpreisindex von 2,3 Prozent pro Jahr. Die Europäische Zentralbank (EZB) strebt mittelfristig eine Inflationsrate von 2,0 Prozent an.
Die Arbeitsmarktlage entwickelt sich laut IHS "trotz lang anhaltender Rezession robust, auch wenn die Beschäftigung seit Mitte 2023 stagniert und die Arbeitslosenquote langsam zugenommen hat". Die Ökonomen erwarten ein Sinken der Arbeitslosenquote von 7,5 Prozent im laufenden Jahr auf 6,2 Prozent im Jahr 2029. "Mit der Rückkehr auf einen verhaltenen Wachstumspfad und verstärkt durch eine demografisch bedingt deutlich gedämpfte Zunahme des Arbeitskräfteangebots dürfte die Arbeitslosigkeit ab dem kommenden Jahr wieder zurückgehen", heißt es in der Prognose.
Konjunkturprognose mit "erheblichen Abwärtsrisiken"
Die Wirtschaftsforscher sehen aber "erhebliche Abwärtsrisiken" für ihre Konjunkturprognose. Die Wirtschaftspolitik von US-Präsident Donald Trump und die geopolitischen Spannungen würden international zu einer hohen Unsicherheit führen. "Weitere Zollerhöhungen und eine Schwächung des regelbasierten internationalen Handelssystems könnten den Welthandel und die Industrieproduktion noch stärker dämpfen", so die IHS-Ökonomen.
Angesichts der schwachen Wachstumsaussichten bis 2029 orten FPÖ und die Industriellenvereinigung großen Reformbedarf. Es brauche eine Steuer- und Abgabenentlastung für den Mittelstand, "eine tiefgreifende Reform der Gewerbeordnung" und "ein Ende der ideologisch motivierten Klimabelastungspolitik", so FPÖ-Wirtschaftssprecherin Barbara Kolm in einer Aussendung. "Wir können die US-Zollpolitik nicht wirklich beeinflussen, aber wir können entscheiden, ob Österreich ein attraktiver Standort bleibt", sagte IV-Generalsekretär Christoph Neumayer.