Ein eigenes Ministerium für den Tourimus, lautet die Forderung © APA - Austria Presse Agentur
Vor der Nationalratswahl kommt aus Tirol der Ruf nach mehr Einfluss für den heimischen Tourismus in der Zeit danach. Es brauche in der nächsten Bundesregierung ein eigenes Tourismusministerium, sagte der Obmann des Verbandes der Tiroler Tourismusverbände, Benjamin Kneisl, im APA-Interview. Es sei ein Zeichen "geringer Wertschätzung", dass es ein solches bisher nicht gebe. Darüber hinaus müsse Schluss sein mit dem ständigen "Anzapfen" von Tourismus-Geldern in vielen Bereichen.
Ein eigenes Tourismusministerium wäre "notwendig", schließlich sei Österreich eine "stark touristisch geprägtes Land", erklärte Kneisl, dessen Verband VTT als Interessensvertretung für die 34 Tiroler Tourismusverbände fungiert. "Für jeden Schmähfu" gebe es mittlerweile ein eigenes Ressort, aber nicht für den Tourismus, der wichtiger Auftraggeber für die heimische Wirtschaft sei und den man als "Motor" derselben bezeichnen könne. Gleichzeitig betonte Kneisl aber auch, von der bisherigen Tourismusstaatssekretärin Susanne Kraus-Winkler (ÖVP), die im Wirtschaftsministerium ressortiert, sehr viel zu halten.
Jedoch müsse man konstatieren: "Die Wertschätzung der Regierung ist verloren gegangen", ging Kneisl, der in der Tourismushochburg Sölden ein Hotel betreibt, mit der türkis-grünen Bundesregierung hart ins Gericht - und ließ auch die Tiroler Landesregierung aus ÖVP und SPÖ nicht außen vor: "Bundesregierung und Landesregierung stehen nicht mehr so hinter dem Tourismus wie früher." Man haue zunehmend auf eine Branche ein, die "Arbeitsplätze schafft und erhält und "sehr viel im Land leistet", nicht zuletzt was das soziale Gefüge betrifft: "Man muss sich auch einmal fragen: Wo kommen die Gelder her." Hinzu komme, dass die Corona-Zeit "gesellschaftlich einiges zum Schlimmeren verändert" habe und auch die Tourismusbranche ins Fadenkreuz geraten sei, etwa durch die Entwicklung in den "Sozialen Medien". Hier hätten sich die Verantwortlichen in Bund und Land klarer zu positionieren gehabt.
Kneisl appellierte an die Politik, in Zukunft wieder die "Gelder im Tourismus zu belassen". Man sei derzeit mir vielen Themen konfrontiert bzw. nehme Aufgaben wahr, die eigentlich gar nichts mit dem Tourismus zu tun hätten und - wie etwa im Falle Tirols - dem "eigentlichen Tourismusgesetz" nicht entsprechen. "Es gibt endlose Wünsche, die wir nicht mehr erfüllen können. Immer mehr und immer öfter wird versucht, den Tourismustopf anzuzapfen. Gibt man den kleinen Finger, möchte man gleich die ganze Hand. Das geht sich nicht mehr aus. Wir sind nicht dazu da, Landschaftspflege zu betreiben und Bäder zu erhalten", sprach der Obmann die konkrete Situation in Tirol an.
Der Trend gehe aber auch über das Bundesland hinaus in diese Richtung. Dabei sei man zunehmend "überlastet": Auch unser Topf ist nicht wahnsinnig groß. Wir kommen immer öfter in die Bredouille." Es müsse "Schluss sein mit der Belastung der Tourismusverbände."
"Nur weil wir Tourismusverbände gut arbeiten, Arbeitsplätze schaffen, eine gesunde Haushaltspolitik betreiben, sollen wir denen, die das nicht machen, die Töpfe auffüllen", sprach Kneisl die prekäre finanzielle Lage vieler Körperschaften an und nahm Bezug auf die kürzlich von der Tiroler Landesregierung präsentierte Bäder-"Lösung" mit einem 75 Mio. Euro schweren "Bädertopf". In diesen sollen Gemeinden und Tourismusverbände insgesamt 25 Mio. Euro auf fünf Jahre unter anderem für Neubauten und Sanierungen einzahlen. Das werde es aber so nicht spielen, machte Kneisl klar. "Aus den Destinationen kommt kein zusätzliches Geld in den Bädertopf. Und zwar aus einem ganz einfachen Grund: Es gibt kein Geld, weil es eh schon Geld gibt." Bereits jetzt würde der Tourismus "ohne gesetzlichen Zwang" über 3,7 Mio. Euro in Bäder investieren. Das sei offenbar "vielen gar nicht bewusst", wie auch vieles andere mehr, was der Tourismus gesamtgesellschaftlich in Tirol und Gesamt-Österreich leiste.
In Richtung Landesregierung ließ der Obmann in Sachen Bäder wissen: "Ich laste ihnen an, dass sie gar nicht wissen, was wir bereits einzahlen." Es könne nicht angehen, dass man Gelder "irgendwo hin zentral" nach Innsbruck transferieren müsse und dort dann entschieden werde, "was mit diesen Geldern passiert". "Wir würden damit Gelder aus der Hand geben, die wir für unsere Infrastruktur benötigen", erklärte der Touristiker. Zudem reite man mit diesem Vorgehen "tote Pferde": "Ein Bad wird immer ein Zuschussbetrieb sein und Verluste schreiben." Massiv kritisierte Kneisl zudem, dass die Verbände im Vorfeld der Präsentation der Bäder-"Lösung" "nie eingebunden gewesen" seien: "Auf einmal gibt es eine Pressekonferenz, obwohl nie etwas zugesagt oder ausgemacht, geschweige denn darüber gesprochen worden ist. Es wurde jemand als Zahler bestimmt, ohne mit demjenigen auf Augenhöhe zu reden. Das ist schon ein sehr eigenartiges Vorgehen."
Gleichzeitig verwies Kneisl darauf, dass die Tourismusbranche ihrerseits sehr wohl beständig an gesamtgesellschaftlichen Lösungen, auch im Sinne der Wirtschaft, mitarbeite und diese mittrage. So habe man sich etwa im Zuge der Verhandlungen zur Novelle der Tiroler Tourismusfinanzierung - und damit auch der Tourismusabgabe - "bereit erklärt, Gelder freizugeben." Die Senkung der Abgabe in einigen Bereichen stelle einen "großen Schritt in Richtung Entlastung" der Wirtschaft da, es finde gleichzeitig eine "Umschichtung der Belastung auf die Gäste" statt. "Diese Millionenlöcher gibt uns niemand zurück. Der Gast soll mehr bezahlen, die Tiroler Wirtschaft weniger", veranschaulichte Kneisl das seiner Ansicht in ausreichendem Ausmaß vorhandene Verantwortungsbewusstsein der Branche. Gleichzeitig nehme man auch Verantwortung im Bereich der Nachhaltigkeit im Zuge des aufgesetzten "Neuen Tiroler Weges" im Tourismus wahr, auch weil die Gäste entsprechende Ansprüche hätten. Aber auch hier brauche es in Zukunft eine bessere Trennung von Gemeindeaufgaben und touristischen Aufgaben.
Ins generelle Bild passte für Kneisl die von Landwirtschaftskammerchef Josef Moosbrugger (ÖVP) im Sommer aufgestellte Forderung nach einem "Übernachtungseuro" für Landwirte in alpinen Regionen - als bessere Abgeltung für Landschaftspflege und Almwirtschaft. "Dieser Vorstoß war schon sehr skurril", schüttelte der Tourismus-Chef den Kopf. Auch hier werde übersehen, was der Tourismus schon bisher leiste und finanziere. In vielen Verbänden werde für Bergbauern schon Geld bezahlt, es gebe Entschädigungen etwa für Langlaufloipen oder Wanderwege, zudem bestünden Bewirtschaftungsprämien. "Der Tourismus unterstützt die Landwirtschaft seit Jahren. Regionale Produkte werden verkauft, gefördert, vermarktet. Was soll denn noch mehr finanziert werden", erklärte und fragte Kneisl.
Kritik an Kneisl und dessen Aussagen kam indes am Montag von der Tiroler Regierungspartei SPÖ in Person von deren Wirtschafts- und Tourismussprecher Christian Kovacevic. Der "Rundumschlag" des VTT-Obmannes löse bei den Sozialdemokraten "Kopfschütteln" aus, meinte der Landtagsabgeordnete in einer Aussendung. "Abgesehen davon, dass es das Land Tirol und seine Mitarbeiter:innen mit der Finanzgebarung sehr genau nehmen: Die Landespolitik weiß um die Bedeutung des Tourismus und unterstützt die Branche wie kaum eine andere", so Kovacevic und ergänzte: "Seine Abgaben wird aber auch ein Herr Kneisl zahlen müssen. Genauso wie der Tourismus auch die Tirolerinnen und Tiroler wertzuschätzen hat: Auch die Bevölkerung muss vom Tourismus profitieren, nicht nur die Touristiker."
Gleichzeitig lobte Kovacevic wenig überraschend Parteifreund, Landeshauptmannstellvertreter Georg Dornauer. Dieser hatte in der "Tiroler Tageszeitung" eine "unleistbare Freizeit" für die Tiroler geortet und Seilbahnern wie Touristikern einen "Runden Tisch" in Aussicht gestellt. Der Hintergrund: Steigende Preise für Verbundkarten wie "Freizeitticket Tirol" oder Regio Card nach dem Aus für die "Hauptwohnsitzklausel" und damit für Einheimischenvergünstigungen aufgrund einer angedrohten Klage durch den Verein für Konsumenteninformation (VKI).
"Entschieden zurück" wies die Aussagen Kneisls auch der Präsident der Tiroler Industriellenvereinigung, Max Kloger. Diese hätten zu "großem Erstaunen" geführt. Kloger mahnte gegenüber der APA "mehr Augenmaß" ein. Denn: Der Tourismus habe eine "bereits umfassende politische Sonderstellung" inne: "Keine andere Branche der Tiroler und österreichischen Wirtschaft wird von der Politik so hofiert wie der Tourismus." Daher sei neben Augenmaß auch "mehr Zurückhaltung von den touristischen Branchenvertretern" angebracht.
Nichts anfangen konnte Kloger auch mit der Forderung nach einem eigenen Tourismusministerium. Und überhaupt: Verglichen mit der Industrie sei der österreichweite Anteil des Tourismus am Bruttoinlandsprodukt (BIP) gering - trotzdem habe die Industrie nicht die gleiche politische Vertretung. Auch dass der Tourismus ständig für die Finanzierung anderer Lebensbereiche "angezapft" werde, sei zurückzuweisen: "Vergünstigungen über die Gästekarten, Tourismusabgaben quer über alle Branchen, großzügige Förderungen von Land und Bund, massive Covid-Förderungen - die Liste der Unterstützungsleistungen für den Tourismus ließe sich lange fortsetzen."