Sie befinden sich hier:  Home  |  NEW BUSINESS Export  |  NB EXPORT 1/2018  |  Generation Europa

Generation Europa

NEW BUSINESS Export - NB EXPORT 1/2018
Bei jungen Menschen stehen Stärken, Chancen und Errungenschaften der EU über den negativen Aspekten. © imago/Martin Müller

Demokratie, Freiheit, wirtschaftlicher Wohlstand und der Wunsch nach Frieden und Sicherheit – die pro-europäische Ideologie ist weitverbreitet ...

... Neue Forschungsergebnisse zeigen, dass Staaten der Europäischen Union trotz Finanz- und Flüchtlingskrisen zusammenhalten. Und auch bei jungen Menschen erlebt Europa dieser Tage ein Comeback.

Am 5. und 9. Mai 2018, den sogenannten Europa­tagen, erinnerte man sich an die Gründung des Europarats 1949 sowie die Schuman-Erklärung 1950, die kurz darauf in die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) mündete und damit den Grundstein der heutigen Europäischen Union bilden sollte. Die Genera­tion, die diese historischen Ereignisse miterleben durfte, sehnte sich nach Ende des Zweiten Weltkriegs nach einem friedlichen und kooperativen Europa. Eine Wertvorstellung, die 70 Jahre später eine neue Hochkonjunktur erlebt.

Krisen und Zusammenhalt in der EU – ein Zehn-Jahres-Rückblick
Verschiedene Krisen haben die EU-Mitgliedstaaten in den vergangenen Jahren erschüttert und den Vormarsch populistischer Parteien begünstigt. Neue Forschungsergebnisse deuten allerdings darauf hin, dass bisher weder die Krisen noch die Populisten den Zusammenhalt in der EU sprengen konnten.
Das European Council on Foreign Relations (ECFR) hat mit Unterstützung der Stiftung Mercator gemessen, wie sich der europäische Zusammenhalt, also die Bereitschaft der EU-Staaten und ihrer Bürger zur Zusammenarbeit, in den letzten Jahren verändert hat. Die jüngste Studie stellt fest, dass das Gesamtniveau des Zusammenhalts – sozusagen der Klebstoff, der die EU zusammenhält – in den letzten zehn Jahren leicht gewachsen ist, auch wenn einige Länder deutlich zurückbleiben. Die EU ist also weit davon entfernt, „auseinanderzufallen“.
Der EU Cohesion Monitor 2018 des ECFR errechnet für jeden EU-Mitgliedstaat ein eigenes Kohäsionsprofil. Um den Zusammenhalt zu messen, aggregiert der Index 32 Faktoren aus öffentlichen Datenquellen, wie etwa dem Eurobarometer oder dem Social Justice Index, zu einem Set von zehn Indikatoren. Der Index bewertet sowohl die strukturellen ­Beziehungen zwischen den EU-Staaten als auch den individuellen Zusammenhalt der Gesellschaften. Die leichte Zunahme des Zusammenhalts insgesamt zwischen 2007 und 2017 ist zum Teil auf die wirtschaftliche Integration der neuen Mitgliedstaaten in Mittel- und Osteuropa ­zurückzuführen. Aber das ist nicht die einzige ­Erklärung. Die meisten EU-Mitgliedstaaten haben von einem wachsenden individuellen Zusammenhalt profitiert; ihre Bevölkerungen fühlen sich in Bezug auf gemeinsame Sprachen, Erfahrungen und Einstellungen zunehmend europäisch.

Italien wird zum Sorgenkind
Die größten Verlierer sind Griechenland, Italien, Frankreich, Polen, Ungarn und Spanien. Die größte Sorge bereitet Italien, das mit einem Rückgang des strukturellen und individuellen Zusammenhalts (–1,7 Punkte) den deutlichsten Rückgang aller EU-Staaten im Index verzeichnet. Das Gründungsmitglied hat sich von einem der EU-freundlichsten Staaten zu einem Staat am Rande entwickelt. Das Kohäsionsprofil Italiens rückt immer näher an das des Vereinigten Königreichs, des Schlusslichts der Studie, ­heran.
Sieben der neun Länder, die sowohl im strukturellen als auch im individuellen Zusammenhalt gewachsen sind, befinden sich im Osten der EU. Polen und Ungarn gehören nicht dazu, denn hier steigt zwar das Niveau des Zusammenhalts auf struktureller, aber nicht auf individueller Ebene. Mehr noch, vor allem der Indikator Engagement geht deutlich zurück. Dieser Indikator spiegelt die Wahlerfolge europaskeptischer Parteien sowie die Beteiligung an nationalen und europäischen Wahlen wider.

Auswirkungen der Flüchtlingskrise
Einzelne Daten zeigen einen klaren Zusammenhang zwischen der Flüchtlingskrise und der zunehmenden Unterstützung populistischer Parteien, die Ängste im Zusammenhang mit Einwanderung und deren Auswirkungen auf die europäischen Gesellschaften geschürt haben. Die Auswirkungen sind im Indikator Engagement in ganz Europa sichtbar. Allerdings wirkt sich dieser Wert im ECFR-Index nur in geringem Maße auf das gesamte Zusammenhaltsprofil der EU aus. „Die EU ist weitaus widerstands­fähiger, als uns die Schlagzeilen der Boulevardpresse glauben machen wollen. Die Flüchtlingskrise wird nicht dazu führen, dass die Europäische Union in absehbarer Zeit zusammenbricht. Die Ergebnisse zeigen jedoch, dass Krisen vor allem Auswirkungen auf die individuelle Ebene haben. Wenn wir die Europäische Union schützen und stärken wollen, müssen wir uns darauf konzentrieren. Die strukturellen Faktoren werden in ihrer Bedeutung abnehmen. Umso wichtiger wird werden, die Europa-Erfahrungen, -Kenntnisse und -Kompetenzen der Bürger zu stärken“, erklärt Studienautor Josef Janning.

Eurobarometer 2018
Ein Jahr vor der nächsten Europawahl stellte auch der ­Präsident des Europäischen Parlaments, Antonio Tajani, die Ergebnisse der jüngsten Meinungsumfrage zur Europäischen Union vor. Im April 2018 haben 27.601 Personen aus 28 Mitgliedstaaten an der Umfrage teilgenommen. Eine klare Mehrheit von 60 Prozent findet, dass die ­EU-Mitgliedschaft ihres Landes eine gute Sache ist. In ­Österreich waren, unverändert zu 2017, 45 Prozent dieser Meinung.
Mehr als zwei Drittel der Befragten sind davon überzeugt, dass ihr Land davon profitiert hat, ein Mitglied der EU zu sein. Dies ist seit 1983 der höchste jemals gemessene Wert. Österreichweit sind allerdings nur 54 Prozent von ihren EU-bezogenen Vorteilen überzeugt.
Erstmals sind auch mehr Europäer (48 %) und sogar 59 Prozent der Österreicher der Meinung, dass ihre Stimme in der EU zählt. Das ist das beste Resultat seit den Europawahlen im Jahr 2009.
Gute Stimmung vor der Wahl
Fast ein Drittel der Befragten kennt bereits das Datum der nächsten Europawahl (23. bis 26. Mai 2019), und 50 Prozent sind daran interessiert. Im Allgemeinen wird der Spitzenkandidatenprozess als positive Entwicklung für die europäische Demokratie wahrgenommen, wobei fast die Hälfte der Meinung ist, dass durch diesen Prozess eine höhere Wahlbeteiligung erreicht wird. 70 Prozent der EU-Bürger wollen, dass der Spitzenkandi­datenprozess von einer Debatte über europäische Themen und über die Zukunft der EU begleitet wird, in Österreich 71 Prozent.

Die wichtigsten Themen der ­Wahlkampagne
Auf die Frage, welche Themen in der europaweiten Wahlkampagne diskutiert werden sollen, nennen fast die Hälfte der Europäer (49 %) den Kampf gegen den Terrorismus als vorrangiges Thema, gefolgt von Jugendarbeitslosigkeit (48 %), Einwanderung (45 %) und dem Thema Wirtschaft und Wachstum (42 %). Etwa ein Drittel der Europäer nannte den Kampf gegen den Klimawandel und den Schutz der Umwelt (35 %), während die Förderung von Menschenrechten und Demokratie sowie der soziale Schutz der EU-Bürger von 32 Prozent der Befragten angeführt wurde.
Die Mehrheit der Befragten in Österreich sehen den Schutz der Außengrenzen, die Bekämpfung der Jugend­arbeitslosigkeit und die soziale Sicherung der EU-Bürger (je 47 %) als aktuell dringlichste Fragen im Vorfeld der nächsten Europawahl.
Die Mehrheit der Befragten ist weiterhin mit der Funk­tionsweise der Demokratie in ihrem Land (55 %) und in der EU (46 % EU-weit, 77 % in Österreich) zufrieden. Ebenso empfindet die Hälfte der befragten Europäer das Entstehen neuer Parteien oder politischer Bewegungen, die gegen das politische Establishment protestieren, nicht als Bedrohung gegen die Demokratie per se. Eine Mehrheit der Befragten (56 %) glaubt, dass solche neuen politischen Parteien ein Motor für Veränderungen sein könnten. Mehr als zwei Drittel (70 %) der Befragten warnen jedoch: „Einfach nur gegen etwas zu sein, verbessert nichts.“ Dies meinten in Österreich sogar 80 Prozent.

Jugend zeigt wachsende Zustimmung zu Europa
Die mittlerweile zweite Europäische Jugendstudie, die das Meinungsforschungsinstitut YouGov im Auftrag der TUI Stiftung durchgeführt hat, zeigt: Auch bei jungen Europäern wächst die Zustimmung zur EU. Gegenüber 2017 hat diese in allen befragten Ländern zugenommen: Wenn morgen ein Referendum über die EU-Mitgliedschaft des jeweiligen Landes stattfinden würde, würden 71 Prozent der Befragten gegen einen Austritt stimmen, 2017 waren es nur 61 Prozent. In Deutschland sind es sogar 80 Prozent (2017: 69 %).

Positive Aspekte überwiegen
Die EU wird insgesamt positiver wahrgenommen. Das zeigt sich auch am Anteil junger Europäer, die sich ausschließlich als Bürger ihres Heimatlandes beschreiben. Dieser nimmt ab, 2018 sind es 34 Prozent, 2017 waren es 42 Prozent. „Die Ergebnisse der Studie zeigen: Europa erlebt ein Comeback bei jungen Menschen. Der Brexit hat wachgerüttelt. Wir reden wieder über Stärken, Chancen und Errungenschaften. In einer Welt, die an vielen Orten in Unruhe ist, in der nationale Abschottung statt Kooperation als Lösung propagiert wird, erhält Europa eine neue Kontur, und wir haben wieder echte Debatten, mit denen sich positive Einstellungen zur EU stärken lassen,“ kommentiert Thomas Ellerbeck, Vorsitzender des Kuratoriums der TUI Stiftung.

Wichtigste Aufgabe: ­Terrorbekämpfung
Als wichtigste Aufgabe für die nächsten fünf Jahre sehen auch die befragten Jugendlichen auf EU-Ebene die ­Bekämpfung des Terrorismus (44 %), den Umwelt- und Klimaschutz (34 %) sowie die Regulierung von Einwanderung (33 %) an.
Auf nationaler Ebene stehen für junge Europäer die Förderung von Wirtschaftswachstum (39 %) und die Verringerung von sozialer Ungleichheit (35 %) an vorderster Stelle. Der Kampf gegen den Terrorismus liegt bei 29 Prozent. Als eine eher nationale Aufgabe sehen die jungen Erwachsenen die Unterstützung von Bildung und Wissenschaft. 17 Prozent erachten dieses Thema als wichtige Aufgabe der EU, 26 Prozent als wichtige Aufgabe ihres Landes. Für die deutschen Jugendlichen ist die Förderung von neuen Technologien sowie Internet und Digitalisierung von großer Wichtigkeit. Für 21 Prozent ist dies eines der wichtigsten drei Themen auf EU-Ebene und sogar für jeden Dritten (29 %) auf nationaler Ebene. Das ist der höchste Wert im Vergleich der sieben befragten Länder, in Spanien liegt der Wert zwischen sieben (EU) und fünf Prozent (national).

Junge Erwachsene misstrauen ­Behörden und Institutionen
Während die Zustimmung zur EU wächst, misstrauen die jungen Erwachsenen weiterhin den Behörden und Institutionen. Nur jeder Dritte (33 %) vertraut den EU-Institutionen wie dem Europaparlament oder der EU-Kommission. In Deutschland sind es immerhin 37 Prozent. Gewerkschaften, Banken, Kirchen und öffentlich-rechtliche Medien sowie Konzerne schneiden europaweit schlechter ab. Am meisten vertrauen die Befragten der Wissenschaft und Wissenschaftlern (71 %) sowie der Polizei (52 %) und den Gerichten (39 %). Die politischen Parteien landen ganz am Ende der Skala: In Deutschland wie in allen anderen Ländern glauben junge Menschen am wenigsten an die Verlässlichkeit von politischen Parteien, auch Parlament und Regierung genießen kein hohes Vertrauen.
Junge Europäer äußern einen starken Wunsch nach politischer Veränderung: Nicht einmal jeder Fünfte (17  %) ist der Meinung, dass das politische System im jeweiligen Land so funktioniert, wie es sollte. Nahezu jeder Zweite (45 %) denkt, dass das politische System reformbedürftig ist, und weitere 28 Prozent glauben, dass nur radikale Veränderungen die Dinge „wieder in Ordnung bringen“ können. Während in Deutschland der Anteil an jungen Menschen, die das politische System als funktionstüchtig einschätzen, überdurchschnittlich hoch ist (39 %), ist der Anteil derjenigen, die radikalen Wandel befürworten, besonders hoch in Griechenland (52 %), Italien (43 %) und in Spanien (35 %).

Sieben bis 23 Prozent populistisch eingestellt
In der Studie wurden in diesem Jahr auch erstmals populistische Einstellungen unter jungen Europäern gemessen. Dazu wurden 15 Fragen gestellt, unter anderem zum Anti-Elitarismus („Leute wie ich haben keinen Einfluss darauf, was die Regierung macht“), zur Volkssouveränität („Das Volk sollte bei allen wichtigen Entscheidungen gefragt werden“) und zum Verständnis des Volkes als Einheit („Die ein­fachen Leute ziehen alle an einem Strang“). Demnach reicht der Anteil von jungen Menschen mit populistischen Einstellungstendenzen von sieben Prozent in Deutschland bis zu 23 Prozent in Polen. Als populistisch gilt, wer zwölf der 15 Fragen zustimmend beantwortet hat. Diese Jugendlichen zeigen sich kritischer hinsichtlich der Gestaltung des demokratischen Systems: 39 Prozent geben an, dass das politische System in ihrem Land so schlecht funktioniere, dass radikale Veränderungen notwendig seien. Vor allem Griechenland (66 %), Italien (51 %), Polen (41 %) und Spanien (39 %) sind hier an der Spitze. Populistisch eingestellte Jugendliche sind eher bereit, grundsätzliche demokratische Elemente aufzugeben. So fänden es 64 Prozent dieser Jugendlichen besser, wenn wichtige politische Entscheidungen von unabhängigen Experten und nicht von gewählten Politikern getroffen würden.
„Für populistisch eingestellte Jugendliche ist die Staatsform Demokratie vielfach ein inhaltsleerer Begriff – sie haben die Vorstellung einer illiberalen Demokratie, in der rechtsstaatliche Prinzipien wenig zählen oder ausgehebelt werden können. So können sich über 35 Prozent vor­stellen, die Rechte der Opposition einzuschränken. Ihnen erscheint der politische Prozess also zu intransparent und zu zäh“, sagt Marcus Spittler vom Wissenschafts­zentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), der die Studie ­wissenschaftlich begleitet hat.

Facebook wird als wenig ­vertrauenswürdig eingeschätzt
Dies wird auch anhand der Mediennutzung der Befragten deutlich: 82 Prozent aller Befragten informieren sich im Internet über das aktuelle politische Geschehen und nur 30 Prozent über gedruckte Zeitungen und Nachrichtenmagazine. Mit Blick auf das Internet liegt Facebook bei der Beschaffung von Informationen über Politik mit 44 Prozent ganz weit vorn, gefolgt von Online-Angeboten von Zeitungen und Nachrichtenmagazinen (34 Prozent) und YouTube (28 Prozent). Öffentlich-rechtliche Medien genießen vor allem in Frankreich, Deutschland und Großbritannien hohes Vertrauen; in Polen und Griechenland vertrauen besonders wenige öffentlich-rechtlichen Medien. Obwohl Facebook als Informationsquelle sehr relevant ist, halten es die Befragten für nicht vertrauenswürdig. Ganz oben stehen die gedruckten Ausgaben der Tageszeitungen und Nachrichtenmagazine mit 37 Prozent, Facebook liegt nur bei 17 Prozent – in Deutschland wird dem sozialen Netzwerk von allen abgefragten Möglichkeiten am wenigsten vertraut (8 %).
Elke Hlawatschek, Geschäftsführerin der TUI Stiftung, kommentiert die Ergebnisse: „Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gehen Hand in Hand. Ein hohles Demokratieverständnis, wie wir es bei jungen Menschen mit populistischen Tendenzen beobachten, ist problematisch. Politische Bildung bleibt eine wichtige Aufgabe für alle gesellschaft­lichen Akteure, nicht nur die Politik. Als TUI Stiftung wollen wir unseren Teil beitragen, jungen Menschen die Vorteile eines demokratischen Europas zu erklären.“ (BO)