Zwischen Chef & Coach

NEW BUSINESS Guides - BILDUNGS- & KARRIERE-GUIDE 2025
Der Rollenwechsel von der erfahrenen Führungskraft zum Coach ist eine Herausforderung und ­benötigt ein neues Skillset. Auch das Selbstbild wird auf die Probe gestellt. © Freepik

Autorität war gestern – heute soll die Führungskraft coachen, befähigen und begleiten.

Doch was bedeutet das für erfahrene ­Führungspersönlichkeiten, deren Selbstverständnis oft über Jahre ­gewachsen ist?

Führung bedeutete für viele Jahre vor allem eines: Entscheidungen treffen, Klarheit schaffen, Kontrolle ausüben. Doch diese klaren Machtstrukturen weichen zunehmend einer kollaborativen Kultur. Heute sollen Führungskräfte Teams befähigen, sich selbst zu organisieren, Talente entwickeln und psychologische Sicherheit fördern. 

Als erfahrene Führungskraft bringe ich oft eine starke Identifikation mit meiner Rolle mit – nicht selten ist diese auch eng mit persönlichem Erfolg und Anerkennung verknüpft. Der Wechsel zum Coach stellt daher nicht nur ein neues Skillset, sondern eine emotionale Herausforderung dar. 

Einer der größten inneren Widerstände liegt im Thema Kontrollverlust. Wenn ich Mitarbeitenden mehr Verantwortung übergebe, begebe ich mich in Unsicherheit. Kommen sie allein zurecht? Wird das Ergebnis meinen Vorstellungen entsprechen? Diese Fragen lösen Zweifel aus – nicht an den Mitarbeitenden, sondern an mir selbst.

Auch das eigene Selbstbild wird auf die Probe gestellt. Früher war ich der Fels in der Brandung, heute soll ich mehr zuhören, moderieren, begleiten. Das bedeutet nicht, dass ich schwächer werde, im Gegenteil: Coaching-Führung erfordert emotionale Intelligenz, Geduld und Klarheit – und damit Herausforderung auf einer neuen Ebene.

Digitalisierung als Treiber – und Störfaktor
Die Digitalisierung wirkt wie ein Katalysator für diesen Wandel. Sie beschleunigt Prozesse,­ verändert Kommunikationswege und bringt durch künstliche Intelligenz (KI) eine ganz neue Dynamik in die Arbeitswelt. Durch die Automatisierung verändern sich Rollenprofile oder fallen weg.

Als Führungskraft stehe ich damit vor der Aufgabe, Verlust­ängste im Team zu moderieren, Perspektiven aufzuzeigen und gleichzeitig auch meine eigene Unsicherheit im Umgang mit diesen Technologien zu bewältigen. Ich muss verstehen, wie KI funktioniert, was sie leisten kann – und was nicht. Und ich muss lernen, wie ich Menschen dort abhole, wo sie stehen – mit ihrer Angst, ihrer Wut, ihrer Verunsicherung.

Besonders herausfordernd ist der Umgang mit Mitarbeitenden, deren Aufgaben durch KI teilweise wegfallen. Hier ist die emotionale Komponente entscheidend. Was macht es mit einem Menschen, wenn sein Erfahrungswissen plötzlich nicht mehr gebraucht wird? Meine Aufgabe als Coach-Führungskraft ist es, Zukunftsperspektiven aufzuzeigen, individuelle Potenziale zu erkennen und neue Rollen im Unternehmen zu gestalten. Das bedeutet, aktiv zuzuhören, mit den Betroffenen gemeinsam Lösungen zu erarbeiten und ihnen das Gefühl zu geben: Du bist weiterhin wertvoll – nicht trotz, sondern gerade wegen deiner Erfahrung.

Neue Führung als Wettbewerbsfaktor
In dieser Umbruchszeit wird Führung zur strategischen Ressource. Unternehmen, die eine moderne, menschenzentrierte Führungskultur etablieren, sind resilienter. Sie ziehen Talente an und halten sie. Sie fördern Eigenverantwortung, Kreativität und unternehmerisches Denken – die entscheidenden Hebel für die Wettbewerbsfähigkeit in einer dynamischen, digitalen Welt.

Wer heute noch in hierarchischen Silos denkt und Führung mit Kontrolle gleichsetzt, verliert nicht nur den Anschluss an den Markt, sondern auch an die eigenen Leute. Der Wandel hin zu einer neuen Führungskultur ist also betriebswirtschaftlich notwendig.

Fazit: Nicht weniger führen, sondern anders
Der Wechsel vom klassischen Führungsverständnis zur Coaching-Mentalität ist kein Verlust, sondern ein Wandel. Ich führe nicht weniger – ich führe anders. Ich gebe nicht meine Autorität ab, sondern verwandle sie in Vertrauen und Wirksamkeit. Dieser Prozess ist nicht bequem, aber notwendig. Denn nur so kann ich in einer digitalen, komplexen und dynamischen Welt langfristig Wirkung entfalten – mit meinem Team, nicht über meinem Team. (EHK)


DIE AUTORIN
Elisabeth Hofstätter-Kollarich
ist Head of Training der Quality Austria Academy, die ab Herbst 2025 das Seminar „Dynamik meistern – Souverän führen in unsicheren Zeiten“ anbietet.

Nähere Informationen finden Sie unter www.qualityaustria.com