Linde-Industriegase werden weltweit in nahezu allen Bereichen von Industrie, Handel, Wissenschaft und Forschung eingesetzt. © Linde AG
Linde und Praxair schließen sich zum größten Industriegasekonzern der Welt zusammen
Am 22. Oktober 2018 gab die US-amerikanische Federal Trade Commission (FTC) mit der fusionskontrollrechtlichen Freigabe grünes Licht für den Unternehmenszusammenschluss zwischen der Linde AG und der Praxair, Inc.
Damit ist die 75 Milliarden Euro schwere Fusion der beiden führenden Anbieter von industriellem Sauerstoff und Helium unter Dach und Fach. „Mit der fusionskontrollrechtlichen Freigabe durch die FTC sind alle Bedingungen für den Vollzug des Unternehmenszusammenschlusses eingetreten“, teilte Linde mit. Der deutsche Industriekonzern und sein Aufsichtsratschef Wolfgang Reitzle hatten das Vorhaben seit Jahren in mehreren Anläufen gegen alle Widerstände vorangetrieben. „Die Fusion von Linde und Praxair ist ein überzeugender und zukunftsweisender Zusammenschluss, mit dem sich einzigartige Möglichkeiten für unsere Kunden, Aktionäre und Mitarbeiter eröffnen“, so Reitzle.
Globale Marktpräsenz und Wertschöpfung
Laut den beiden Unternehmen generiert der Zusammenschluss eine überzeugende Wertschöpfung für alle Beteiligten und nutzt die einzigartigen Stärken von Linde AG und Praxair, um einen globalen Marktführer für Industriegase zu schaffen. Mit mehr als 80.000 Mitarbeitern in mehr als 100 Ländern, die mehr als zwei Millionen Kunden bedienen, soll Linde PLC von einer starken Präsenz in allen wichtigen geografischen Regionen und Endmärkten profitieren, was zu einem ausgewogeneren und globaleren Portfolio sowie einem erhöhten Engagement in langfristigen makroökonomischen Trends führen werde. Aus Sicht der Mitarbeiter sei das gemeinsame Unternehmen ein globaler Arbeitgeber mit einer außergewöhnlich starken Kultur operativer Exzellenz, Innovation und Leistung.
Synergien und Kosteneffizienzen im Milliardenbereich erwartet
Damit der Wettbewerb um Kunden in Industrie und Gesundheitswesen gewahrt bleibt, müssen beide Konzerne jedoch große Teile ihres Geschäfts an Konkurrenten verkaufen. Die erforderlichen Veräußerungen in den Vereinigten Staaten umfassen insbesondere den Verkauf des nahezu gesamten US-Bulkgeschäfts sowie Verkäufe aus den Geschäftsbereichen Kohlenstoffmonoxid, Wasserstoff, Synthesegas und Dampfreformierung. Linde ist verpflichtet, die Veräußerungen bis zum 29. Jänner 2019 zu vollziehen; danach würden die Veräußerungen nach Vorgaben der FTC umgesetzt.
Zudem sind Linde und Praxair zunächst verpflichtet, ihre Geschäfte weltweit unabhängig und getrennt voneinander zu führen und ihre Geschäftsaktivitäten nicht miteinander abzustimmen. Diese sogenannten Hold Separate Order wird aufgehoben, sobald der wesentliche Teil der Veräußerungen vollzogen ist. In der Gesamtbetrachtung erwarten die Fusionspartner, dass die angestrebten jährlichen Synergien und Kosteneffizienzen in einer Bandbreite von 1,1 bis 1,2 Milliarden US-Dollar innerhalb von etwa drei Jahren erzielt werden.
Warnung von IG Metall und IG BCE
Die deutsche IG Metall und die IG BCE (Bergbau, Chemie, Energie) blicken der Fusion hingegen eher kritisch entgegen, denn die beiden Gewerkschaften sehen durch die Fusion deutlich mehr Arbeitsplätze gefährdet, als bislang angenommen. „Es tritt ein, wovor wir seit Beginn der Fusionsverhandlungen gewarnt haben“, sagte Jörg Hofmann, erster Vorsitzender der IG Metall. Linde muss sich in den USA unter Zeitdruck von attraktiven Unternehmensbereichen trennen, Praxair von seinem gesamten Gasegeschäft in Europa. Die durch Kartellauflagen erzwungenen Verkäufe erhöhen den Druck auf Effizienz und Synergien und damit auf die Beschäftigung. Wie viele Arbeitsplätze durch die mögliche Fusion gefährdet sind, lässt sich nicht beziffern. Linde beschäftigt in Deutschland insgesamt rund 7.000 Frauen und Männer.
Management unter Druck
Das zukünftige Management wird unter enormem Synergiedruck stehen, damit sich die gesamte Fusion überhaupt noch rechnet. Die ökonomische Sinnhaftigkeit dieser Transaktion ist zweifelhaft, Ertrag und Kosten stehen in keinem Verhältnis, monieren die beiden Gewerkschaften. „Dieser Zusammenschluss rechnet sich nicht – weder für die Aktionäre noch für die Beschäftigten noch für den Industriestandort Deutschland“, sagte der Vorsitzende der IG BCE, Michael Vassiliadis.
Hofmann und Vassiliadis sind der festen Überzeugung, dass Linde allein sehr gut aufgestellt ist und sehr gute Zukunftschancen besitzt, die auch im Sinne der Beschäftigten eine bessere Lösung darstellen. Denn trotz der schwierigen Umstände hat sich die Linde AG hervorragend entwickelt. Im Vergleich zwischen dem ersten Halbjahr 2017 und dem ersten Halbjahr 2018 konnte die operative Marge von 23,9 Prozent auf 25,6 Prozent gesteigert werden. Das bereinigte Wachstum betrug in diesem Zeitraum fast fünf Prozent. Der Gewinn je Aktie konnte somit über 20 Prozent gesteigert werden.
Neben dem Zweifel an der ökonomischen Sinnhaftigkeit dieser Fusion schätzen beide Gewerkschaften das Integrationsrisiko mit Praxair als sehr hoch ein, da beide Unternehmen sehr unterschiedliche Kulturen haben. Es handelt sich bei dem Zusammenschluss auch nicht um eine Fusion auf Augenhöhe. Dies zeigt die schon jetzt geplante Besetzung des Managements unterhalb des Vorstands. Obwohl Praxair deutlich kleiner ist als Linde, werden von den USA aus zentrale Schlüsselfunktionen besetzt, das operative Geschäft wird ebenfalls von den USA aus gesteuert. IG Metall und IG BCE fordern deshalb Linde-Aufsichtsratschef Wolfgang Reitzle auf, sein Versprechen einer Gleichbehandlung beider Unternehmen in diesem Zusammenschluss einzuhalten, um dem Erbe von Linde und den Beschäftigten Rechnung zu tragen.
Vorstand unter kritischer Beobachtung
Der Fokus muss nun darauf liegen, die negativen Konsequenzen aus dieser Transaktion für die Beschäftigten möglichst gering zu halten. „Wir werden genauestens beobachten, ob der zukünftige Vorstand und die Anteilseigner der Linde PLC ihrer sozialen Verantwortung gerecht werden. Daran werden wir sie messen und gegebenenfalls auch mit den Belegschaften handeln“, sagten Jörg Hofmann und Michael Vassiliadis.
Das durch die Fusion neu entstehende Unternehmen Linde PLC unterliegt künftig nicht mehr der Mitbestimmung im Aufsichtsrat bei Großunternehmen. Der neue Konzern soll eine Kapitalgesellschaft nach britischem Recht sein, in deren Aufsichtsgremien Arbeitnehmervertreter keinen Sitz haben. (BO)
INFO-BOX
Linde Group: Geschäfte im Jahresrückblick
Die Linde Group hat im Geschäftsjahr 2017 einen Umsatz von 17,113 Milliarden Euro erzielt und ist damit eines der weltweit führenden Gase- und Engineeringunternehmen. Mit rund 58.000 Mitarbeitenden ist Linde in mehr als 100 Ländern vertreten.
Auch die Geschäfte im ersten Halbjahr 2018 haben sich gut entwickelt. Bereinigt um Währungseffekte und um die erstmalige Anwendung des neuen Rechnungslegungsstandards IFRS 15 erhöhte sich der Umsatz im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 4,7 Prozent. Das operative Konzernergebnis stieg währungsbereinigt um 10,1 Prozent. Die operative Konzernmarge lag mit 25,6 Prozent ebenfalls deutlich über dem Vorjahreswert von 23,9 Prozent. „Linde ist auf dem richtigen Weg: Wir sehen erfreuliches Umsatzwachstum und konnten die Konzernmarge weiter deutlich erhöhen“, sagte Aldo Belloni, Vorsitzender des Vorstands der Linde AG. „Wir arbeiten konsequent daran, die eingeleiteten Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz erfolgreich umzusetzen und unser Portfolio weiter zu optimieren.“
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