Gekommen, um zu bleiben.

NEW BUSINESS - NR. 7/8, JULI/AUGUST 2024
Im Büro steckt mehr Potenzial für Produktivitätssteigerung durch KI als bei Arbeitskräften in der Industrieproduktion. © Adobe Stock/Svante Berg

Der Einsatz von künstlicher Intelligenz verspricht uns Produktivität und Wirtschaftswachstum. Um sie als Werkzeug richtig nützen zu können, müssen wir noch lernen, sie richtig zu nutzen.

Auch um uns vor den Gefahren, die KI mit sich bringt, zu schützen.

Künstliche Intelligenz ist schon längst Teil unseres Lebens, mit dem Launch von Chat­GPT war sie allerdings plötzlich für jede:n sichtbar und zugänglich. Der Einsatz von KI durchdringt immer mehr Lebensbereiche und für die Wirtschaft birgt sie enormes Potenzial. Die österreichischen Unternehmen haben das in der Theorie bereits erkannt, und immer mehr haben die Technologie bereits im Einsatz. Zu diesem Ergebnis kommt der im Mai 2024 veröffentlichte Deloitte KI-Report.

Nach dem ersten ChatGPT-Boom hat sich bei der KI-Implementierung einiges getan.„Ein großer Teil der Betriebe ist bereits mit KI-Anwendungen vertraut. Allerdings beschränkt sich der Einsatz meist noch auf erste Anwendungsfälle“, erklärt Evrim Bakir, Managing Partnerin bei Deloitte Österreich. „Rund ein Fünftel nutzt die Technologie aktuell zur Automatisierung von Routineaufgaben, weitere 13 Prozent zur Optimierung der Kundeninteraktion.“ Für erweiterte Analytik, für Prognosen und Risikobewertungen oder die Unterstützung bei der Entscheidungsfindung wird KI nur selten herangezogen. „Der Grund liegt auf der Hand: Diese Tools benötigen eine fundierte Datenbasis – bei dieser gibt es in Unternehmen noch viel Aufholbedarf“, so Bakir.

Einen weiteren Grund für die zaghafte Nutzung erkennt die Studie im nötigen Investitionsbedarf. Für einen langfristig erfolgreichen Einsatz wird es laut Deloitte-Berechnungen etwa das 5- bis 20-Fache der aktuellen Investitionsvorhaben brauchen – das wären zwischen 250.000 und fünf Millionen Euro. „Ähnlich wie die KI-Anwendungen stehen auch die Investitionsvorhaben in diesem Zusammenhang noch am Anfang. Im kommenden Jahr müssen die Volumina aber dringend erhöht werden.

Denn fest steht: Wer jetzt nicht entsprechende Investitionen in KI tätigt, droht angesichts der rasant fortschreitenden Entwicklung im nationalen und internationalen Wettbewerb abgehängt zu werden“, ist Josef El-Rayes, Partner und KI-Experte bei Deloitte Österreich, überzeugt. Die hohen monetären Aufwendungen im Zusammenhang mit der KI-Implementierung sind nicht die einzige Herausforderung für die Unternehmen. Auch der noch unklare Return of Investment, offene Fragen betreffend Datenschutz und Schwierigkeiten bei der Integration in bestehende Systeme und Prozesse stehen bei vielen ganz oben auf der Sorgenliste.

Hinzu kommt, dass es vielen Unternehmen an qualifizierten Fachkräften zur Verwaltung und Wartung von KI-Systemen fehlt. Denn ohne die entsprechenden Skills bringen auch die ausgereiftesten KI-Systeme keinen Mehrwert. „Vor allem kritisches Hinterfragen, analytisches Denken und Problemlösefähigkeit gewinnen laut etwa der Hälfte der Befragten zunehmend an Bedeutung“, hält Josef El-Rayes fest und erklärt weiter: „Künftig müssen Unternehmen eine Balance zwischen menschlicher Kreativität und technologischem Fortschritt schaffen – und das in einem Umfeld, das ständiges Lernen und Ausprobieren von neuen KI-Werkzeugen ermöglicht. Nur so kann eine von KI geprägte Arbeitswelt auch ihren vollen Nutzen entfalten.“

18 Prozent mehr Wertschöpfung durch KI
Apropos Nutzen. Eine von Microsoft Österreich und Accenture in Auftrag gegebene und Mitte Juni veröffentlichte Studie sieht gleich für die Wertschöpfung in Österreich positive Effekte. Die könnte nämlich um ganze 18 Prozent steigen. Das heißt: Die Nutzung von KI hätte den gleichen wirtschaftlichen Effekt, als würde man jährlich 2,24 Milliarden zusätzliche Arbeitsstunden hinzufügen. Das entspricht der Gesamtleistung in den Bundesländern Wien und Steiermark zusammen. Wo versteckt sich dieses Potenzial?

Vor allem in Sektoren, die bisher wenig KI einsetzen, sowie Berufen mit einem hohen administrativen Anteil. So hätten beispielsweise Beschäftigte mit hohem Anteil an Verwaltungstätigkeiten im Durchschnitt mehr Möglichkeiten zur Produktivitätssteigerung durch KI als Arbeitskräfte in der Industrieproduktion. Auch Führungskräfte in allen Branchen, die bereits eine hohe Wertschöpfung leisten, können durch KI unterstützt werden. Das bestätigt auch das PwC Jobs Barometer 2024. Branchen mit hoher KI-Nutzung erleben fast fünfmal (4,8-mal) höhere Wachstumsraten in der Arbeitsproduktivität. Um das volle Potenzial ausschöpfen zu können, müssten aber auch Arbeitnehmer:innen neue Fähigkeiten nachweisen oder erlernen.

„KI transformiert den Arbeitsmarkt weltweit und bringt gute Nachrichten für die globale Wirtschaft, die vor tiefgreifenden Herausforderungen steht. Für viele Volkswirtschaften mit Arbeitskräftemangel und niedrigem Produktivitätswachstum bieten die Ergebnisse Optimismus, da die Technologie eine Chance für wirtschaftliche Entwicklung darstellt“, erwartet Rudolf Krickl, CEO von PwC, und fordert, dass „Unternehmen und Regierungen weltweit sicherstellen, dass sie angemessen in die erforderlichen Fähigkeiten von Menschen und Organisationen investieren, um im KI-Zeitalter erfolgreich zu sein.“

Dem stimmt auch Patricia Neumann, Präsidentin des Digitalbranchenverbands Internetoffensive Österreich und Vorstandsvorsitzende der Siemens AG Österreich, im Rahmen der Pressekonferenz zur Präsentation der Microsoft-Studie zu: „Es ist wichtig, in allen Bereichen die digitalen Kompetenzen zu fördern. Da am Einsatz von KI am Arbeitsmarkt kein Weg vorbeiführen wird, braucht es eine rasche Anpassung des (Aus-)Bildungssystems. Es braucht mehr verpflichtende digitale Unterrichtsfächer über die gesamte Schullaufbahn hinweg, um die zukünftigen Arbeitskräfte gut vorzubereiten.“ 

KI in der Schule 
Der Forderung der Wirtschaft nach frühzeitiger Digital- und KI-Kompetenz kommt Bildungsminister Martin Polaschek mit einem umfassenden Maßnahmenpaket entgegen, das letzten Herbst präsentiert wurde. Mit diesem soll es gelingen, die Schulen besser für die Zukunftschancen von KI und Digitalisierung vorzubereiten. Dafür wurde eine Gruppe von Expert:innen aus Universitäten und Pädagogischen Hochschulen eingesetzt, um Maßnahmen im Rahmen des Schulpakets KI vorzuschlagen, zu reflektieren und zu begleiten.

„Künstliche Intelligenz eröffnet vielfältige Chancen zur effektiven Unterstützung von Lernprozessen im Unterricht. Neben dem Wissen, wie wir diese Möglichkeiten bestmöglich nutzen können, um damit zu lernen und zu arbeiten, ist gleichzeitig ein Ziel, den Schülerinnen und Schülern Gefahren und Herausforderungen sowie die Potenziale von KI aufzuzeigen“, so die Niederösterreichische Bildungslandesrätin Christiane Teschl-Hofmeister.

Eine der wichtigsten Maßnahmen: 100 Schulen werden zu KI-Pilotschulen. Diese sollen ein Projektbudget erhalten, können damit KI-Lernsoftware den Lernenden zur Verfügung stellen und diese – begleitet von Hochschulen – testen und evaluieren. So sollen für das gesamte Bildungssystem die richtigen Schlüsse im Umgang mit diesen KI-Lerntools gezogen werden können. Bundesminister Martin Polaschek verspricht: „Mit den neuen KI-Pilotschulen, treiben wir die Digitalisierung im Bildungsbereich mit voller Konsequenz weiter vo­ran. Neben der Digitalen Grundbildung, den Tablets und Laptops für Schülerinnen und Schüler sind nun die Pilotschulen zur Förderung des Umgangs mit künstlicher Intelligenz der nächste wichtige Schritt zum Klassenzimmer der Zukunft.“

Aber auch ohne Pilotschulen setzen Lehrkräfte bereits auf die künstliche Intelligenz. Dabei sind die Anwendungsgebiete im schulischen Umfeld sehr breit: Ideengeber für die (Unterrichts-)Vorbereitung, Erstellung von Arbeitsblättern oder direkter Einsatz im Unterricht. „KI ist aus unserer Welt und so auch aus der Schule nicht mehr wegzudenken. Alle Beteiligten sind gefordert, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass Schüler:innen den bestmöglichen Umgang mit der neuen Technologie erlernen“, so Christina Hauer, Geschäftsführerin des öbv (Österreichischer Bundesverlag). Als Anbieter von Bildungsmedien sehe sie es als Aufgabe des öbv, in Zukunft KI sinnvoll in die Angebote einzubinden und hier Unterstützung zu liefern.

Parlamentsstudie zu generativer KI und Demokratie
Gleich wie sehr man sich mit KI beschäftigt oder nicht, sie beeinflusst bereits unsere Gesellschaft. Neue Technologien verändern unseren Informationsfluss, globale Ereignisse beeinflussen die Politik. Selten aber war der Wandel so stark spürbar wie jetzt. Die generative KI kann bereits eigenständig neue Inhalte in hoher Qualität erstellen und verbreiten. Chatbots oder Deepfakes eröffnen auch ganz neue Möglichkeiten für die Manipulation von Informationen und die Beeinflussung der öffentlichen Meinung. Das weiß auch die österreichische Politik. Die Fragen „Ist die Demokratie in Gefahr?“, „Deepfake – was ist Wahrheit?“ oder „Was ist noch real?“ wurden bei der Veranstaltung „Fake News, Deepfake, Desinformation – Wem können wir noch trauen?“ Ende Mai 2024 im Innenministerium erörtert.

Innenminister Gerhard Karner hielt in seinem Eröffnungsstatement fest: „Wir stellen uns diesen Aufgaben unter anderem mit einer Projektgruppe in der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, die sich mit der Frage befasst, wie wir künstliche Intelligenz für unsere Arbeit nutzen können. Ebenso mit der Kriminaldienstreform, nach der die Prävention bereits in Schulen ansetzt. Oder mit dem Einrichten von zeitgemäßen Befugnissen für Messenger-Dienste für die Polizei, und mit einem intensiven Austausch mit Expertinnen und Experten aus unterschiedlichsten Bereichen, um bestmöglich dagegen ankämpfen zu können.“

Bundesministerin für Frauen, Familie, Integration und Medien Susanne Raab hielt in ihrem Statement fest: „Eine vitale, vielfältige und unabhängige Medienlandschaft ist die Grundimmunisierung gegen Falschinformation und Fake News. Deshalb setzen wir nicht nur auf die Förderung der Medienkompetenz unserer Bürgerinnen und Bürger, sondern schaffen auch die Rahmenbedingungen, um unseren vielfältigen Medienstandort weiter zu stärken.”

Um ein ganz genaues Bild über die Auswirkungen der generativen KI auf die Demokratie zu erhalten, hat der Beirat für Foresight und Technikfolgenabschätzung des österreichischen Parlaments in diesem Zusammenhang das Institut für Technikfolgen-Abschätzung der ÖAW mit einer Kurzstudie zu den möglichen Auswirkungen von neuen KI-Anwendungsformen auf Gesellschaft, Politik und Demokratie beauftragt. Die Abgeordneten wollen wissen, wie die Demokratie mit den neuartigen Möglichkeiten umgehen kann, die sich aus den Anwendungen von generativer KI ergeben, und wie solche Manipulationen überhaupt erkannt werden können.

Die vom Parlament in Auftrag gegebene Kurzstudie wird Themen wie digitale Souveränität, hybride Bedrohungen, KI-Cyberkriminalität und Optionen für den Umgang mit KI erörtern. Auf Wunsch der Abgeordneten sollen dabei insbesondere die problematischen Aspekte von Deepfakes für Einzelpersonen angesprochen werden, darunter auch die Frage einer mögliche Diskreditierung oder sogar Erpressung von politischen Amtsträger:innen. In der Studie soll aber nicht nur nach den Risiken für die politische Meinungsbildung und den öffentlichen Diskurs gefragt werden, sondern auch mögliche Chancen und Visionen für die Demokratie erörtert werden. Erste Ergebnisse waren für Juni geplant (Anm.: vor Redaktionsschluss). (BS)