Eine Wende werde nur mit intelligenten Systemlösungen, einem Mix von Antriebsformen, Förderungen und Investitionen sowie einem Überdenken der gesetzlichen Rahmenbedingungen gelingen. © Adobe Stock/malp
Will man das EU-Ziel Klimaneutralität 2050 erreichen, muss der Straßengüterverkehr moderner, effizienter und umweltverträglicher werden ...
... so eine Studie des Zentrums für Transportwirtschaft und Logistik.
Die europäische und die österreichische Wirtschaft werden voraussichtlich auch nach der Pandemie weiterhin wachsen. Als Folge davon wird auch der Güterverkehr in und durch Österreich Prognosen zufolge bis 2040 um rund 45 Prozent zunehmen. Ein Wachstum, das die Schiene auch bei einem maximalen Ausbau von Infrastruktur und Angebot wahrscheinlich nicht auffangen können wird. Selbst wenn der von Bahn und Politik angestrebte Anteil von 40 Prozent am Modal Split (2019: 28 %) erreicht wird, würde der Straßengüterverkehr bis 2040 um mehr als ein Fünftel steigen, so eine Studie des österreichischen Zentrums für Transportwirtschaft und Logistik. Auch ein realistischeres Szenario von plus 42 Prozent auf der Schiene und 49 Prozent Zuwachs auf der Straße würde die CO₂-Emissionen stark steigen lassen und den EU-Klimazielen diametral entgegenwirken. Das bedeutet den Studienautoren zufolge, dass die Straße auch langfristig der wichtigste Verkehrsträger für den Transport von Gütern bleiben wird und folglich im Mittelpunkt der Dekarbonisierung stehen muss. Österreich brauche deshalb umgehend ein integriertes, an Klimazielen orientiertes Gesamtkonzept für die Gütermobilität auf Straße und Schiene. Studienleiter Sebastian Kummer, WU Wien: „Wenn Österreich die EU-Ziele zur Reduktion der CO₂-Emissionen im Straßenverkehr erreichen will, besteht akuter Handlungsbedarf. Es braucht eine ganzheitliche Lösung für die Gütermobilität auf Straße und Schiene, Investitionen in Infrastruktur und Digitalisierung sowie umfassende Fördermaßnahmen für alternative Antriebsformen.“
Schiene kann Das Wachstum nicht auffangen
Die Kapazität der Schiene wird – nicht zuletzt durch den wachsenden Personenverkehr – selbst bei Realisierung aller geplanten Ausbaumaßnahmen ab 2030 an ihre Grenzen stoßen. Beim angestrebten Modal Split von 40 Prozent bis 2040 müsste der Schienengüterverkehr um 110 Prozent wachsen. Tatsächlich werden sich aber bereits bestehende Engpässe in Zukunft weiter verschärfen. Dazu zählen der Vorrang des Personenverkehrs gegenüber dem Güterverkehr – zusätzlich ab der Einführung des 1-2-3-Tickets – und daraus resultierende Stopps in Stoßzeiten, fehlende Überhol- und Ausweichgleise, Engpässe an Bahnhöfen und Umschlagpunkten, unzureichende Zubringerinfrastruktur, mangelnde technologische Interoperabilität im internationalen Verkehr und administrative Hürden wie der vorgeschriebene Personalwechsel bei Grenzübertritten. Eine Modellrechnung am Beispiel der österreichischen Westbahnstrecke habe gezeigt, dass bereits ab 80 Prozent Kapazitätsauslastung ein zuverlässiger Gütertransport fraglich ist. Zudem würden Markttrends wie die wachsende Konsumnachfrage nach vielen kurzfristigen Kleinlieferungen den Transportbedarf jenseits der Bahn zusätzlich steigen lassen.
Straße bleibt mit Abstand größter Güterverkehrsträger
Dadurch wird die Straße auch 2040 und darüber hinaus der dominierende Güterverkehrsträger bleiben. Ausgehend von einem Modal Split von 69,3 Prozent Straße und 27,7 Prozent Schiene im Jahr 2019, also vor den Auswirkungen der Corona-Pandemie, haben die Studienautoren im Auftrag des Zentralverbands Spedition & Logistik (ZVL) drei unterschiedliche Szenarien errechnet. Als wahrscheinlichste Entwicklung wurde daraus ein durchschnittliches Wachstum der Schiene von jährlich 2,2 Prozent bis 2040 und infolge ein Straßengüterverkehrswachstum von 49 Prozent oder 26,5 Milliarden Tonnenkilometern errechnet. Selbst in einem optimistischen Szenario, das von 40 Prozent Schienenanteil im Jahr 2040 ausgeht, würde der Transport auf der Straße noch immer um 21 Prozent zunehmen.
Sowohl die bisherige Entwicklung des Modal Split als auch das prognostizierte Wachstum des Straßengüterverkehrs widersprechen deutlich den Zielsetzungen der Europäischen Union. Während die EU einen Schienenanteil von 30 Prozent bis 2030 und 40 Prozent bis 2040 anstrebt, hat sich dieser in Österreich von über 40 Prozent im Jahr 1980 auf unter 30 Prozent im Jahr 2019 reduziert. Zugleich bedeutet der zunehmende Güterverkehr auf der Straße eine gegenläufige Entwicklung zu den verbindlichen CO₂-Zielen der EU. Sebastian Kummer: „Das genannte optimistische Szenario würde zusätzliche CO₂-Emissionen im Ausmaß von jährlich 9,6 Millionen Tonnen bedeuten. Realistisch gesehen müssen wir aber mit jährlich 20 Millionen Tonnen rechnen. Das offenbart, wie dringend wir uns um konstruktive und weitreichende Lösungsansätze auch abseits der Schiene kümmern müssen.“
Antworten auf diese Herausforderungen
Die Antwort auf diese Herausforderungen könne nur ein beide Verkehrsträger umfassendes, integriertes Konzept sein, so Kummer. Es müsse sowohl ineinandergreifende Maßnahmen in der Bahn- und Straßeninfrastruktur als auch die Förderung von Investitionen und nachhaltigkeitsorientierte Gesetzesanpassungen für den Straßengüter- und Schwerverkehr enthalten. Kummer: „Hier geht es nicht um die Frage ‚entweder Schiene oder Straße‘, sondern wo man wie viel dekarbonisieren kann. Angesichts des großen Handlungsbedarfs gilt es aber dort hinzugreifen, wo man am meisten bewirken kann, und das ist eine umgehende Emissionsreduktion im Straßengüterverkehr.“
Alexander Friesz, Präsident des Zentralverbands Spedition & Logistik, schlägt in dieselbe Kerbe und fordert Maßnahmen der Regierung: „Die Kernkompetenz der Logistikbranche ist, Abläufe so zu gestalten, dass Waren so effizient wie möglich transportiert werden können. Dieses Wissen können und wollen wir auch nützen, um die Umwelteffekte des Straßenverkehrs zu minimieren. Wir brauchen jetzt eine gut geplante Klimakehrtwende im Güterverkehr. Ohne den Beitrag der Politik wird das aber nicht gehen.“ Das sei auch Aufgabe des Mobilitätsmasterplans des Verkehrsministeriums, der noch dieses Jahr erarbeitet werden soll und die Rahmenbedingungen für die Mobilität der nächsten Dekaden in Österreich festlegen soll. Laut Friesz müsse die Regierung, speziell die dafür verantwortliche Verkehrsministerin Leonore Gewessler, die reale Bedeutung des Güterverkehrsträgers Straße für eine ökologische Zukunft erkennen: „Die Zahlen beweisen, dass die Straße schlicht und einfach den stärksten Klimaschutzhebel im Güterverkehr bietet. Mit einem Mix unterschiedlicher Antriebsformen, besserer Aerodynamik, dem Ausbau der Intermodalität und der Reduktion von Umwegverkehren könnten wir ab sofort sehr viel erreichen. Die Logistikwirtschaft kann hier enorm viel bewirken, benötigt für die Einführung neuer Technologien aber Investitionssicherheit und nachhaltige Rahmenbedingungen.“
Laut Friesz müssten zur Erreichung der Klimaziele auch die gesetzlichen Rahmenbedingungen auf einen CO₂-neutralen Straßengütertransport ausgerichtet werden. Das gehe von der Mautbefreiung klimafreundlicher Fahrzeuge über steuerliche Anreize und Förderungen bis hin zur Anpassung von Fahrverboten. Die größten Potenziale würden sofort verfügbare klimafreundlichere Technologien wie LNG-betriebene Fahrzeuge (Liquified Natural Gas, verflüssigtes Erdgas), bessere Aerodynamik sowie flexiblere Längenmaße und Gewichte bieten. So könnten Autotransporter mit der gleichen Zugmaschine mehr Autos transportieren, aerodynamische Aufbauten den Energieverbrauch stark verringern oder auch Lang-LKW aus drei LKW zwei machen und so ebenfalls viel Energie und damit Emissionen einsparen. Mittelfristig hätten auch Batterieelektrik und Wasserstoff große Einsparungspotenziale. Grundsätzlich werde eine Wende nur mit intelligenten Systemlösungen, einem Mix von Antriebsformen, Förderungen und Investitionen sowie einem Überdenken der gesetzlichen Rahmenbedingungen gelingen. Der Zentralverband Spedition & Logistik fordert daher dringend einen Gütermobilitätsplan, der nicht nur Jahreszahlen und CO₂-Ziele festlegt, sondern konkrete, wissenschaftlich fundierte Schritte zur Zielerreichung. Dabei müssten aber auch Vorlaufzeiten für die Implementierung neuer Technologien und Investitionssicherheit für Betriebe mitberücksichtigt werden.
Im Auftrag des ZVL haben die Studienautoren des österreichischen Zentrums für Transportwirtschaft und Logistik auch errechnet, mit welchen Maßnahmen bis wann ein Null-Emissions-Ziel erreicht werden könnte. Mit den kumulierten Einsparungspotenzialen von Batterieelektrik (–34 %), LNG (–17 %), Wasserstoff (–9 %), Ladekapazitätssteigerungen (–4 %), angepassten Fahrverboten (–3 %) sowie Leichtbau und Aerodynamik würde der Zielwert bis 2030 noch deutlich verfehlt. Trotz einer dynamischen Veränderung der einzelnen Hebel wäre Österreichs Ziel von null Emissionen im Jahr 2040 noch außer Reichweite. Das Null-Emissions-Ziel 2050 der EU könnte hingegen vor allem durch einen Anstieg der Effekte von Wasserstoff und Batterieelektrik sowie einen Mix an schon heute verfügbaren Technologien erreichbar sein.
Unterschiede zwischen Kurz- und Langstrecke
Wesentliche Potenziale könnten mit dem Einsatz batterieelektrischer Fahrzeuge auf kürzeren Strecken wie etwa im städtischen Verkehr gehoben werden. Die bereits verfügbare Technologie kann bis 2030 ein Einsparungspotenzial von rund einer Million Tonnen CO₂-Äquivalent nützen, und im Jahr 2050 über 3,3 Millionen Tonnen. Jedoch besteht hier noch eine Reihe bekannter Defizite: von zu langen Batterieladezeiten über die Umweltbelastung bei der Erzeugung und den oft noch klimaschädlichen Strommix bis hin zur schwankenden Netzstabilität und Verfügbarkeit von Solar- und Windenergie. Um diese Einsparungsmöglichkeiten zu nützen, müssen unter anderem Kaufanreize wie Steuervergünstigungen gesetzt oder spezielle Park-, Halte- und Ladezonen eingeführt werden. Außerdem brauche es einen eigenen Strategieplan für Batterieelektrikfahrzeuge, um sowohl die Forschung und Entwicklung als auch den Infrastrukturausbau mit Ladestationen, Stromnetz und grüner Stromerzeugung massiv voranzutreiben. Dazu ZVL-Vizepräsident Peter Umundum: „Die Paketdienstleister beweisen, wie rasant sich eine Branche auf neue Herausforderungen einstellen und diese meistern kann, wenn Technologie und Rahmenbedingungen stimmen. Dabei zeigen wir als Branche heute schon, was mit dem Ausbau der E-Flotte in puncto CO₂-Einsparung alles möglich ist.“
Für den Schwer- und Langstreckenverkehr ist Elektromobilität aus heutiger Sicht jedoch keine geeignete Lösung. Wasserstoffantriebe verfügen hingegen über großes Potenzial, jedoch werden für die technologische Entwicklung und die wirtschaftliche Herstellung von grünem Wasserstoff noch einige Jahre benötigt. Für CO₂-reduzierende Effekte bis 2030/2040 müssen vorhandene Technologien wie LNG, bessere Aerodynamik, Leichtbau, flexiblere Längenmaße und Gewichte sowie andere Übergangstechnologien wie synthetische Kraftstoffe zugelassen und aktiv gefördert werden.
Bis 2050 allerdings könnte Wasserstoff zum wichtigsten Energieträger auf der Langstrecke werden. Bei großflächiger F&E-Förderung in den Bereichen Wasserstofferzeugung, Brennstoffzellen und Fahrzeuge wäre 2050 den Angaben zufolge auch hier ein Einsparungspotenzial von 3,3 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalent möglich. Zur Erreichung dieses Ziels sollten Pilotprojekte für den Schwerverkehr gestartet und ein Strategieplan für die Bereitstellung von Tankstelleninfrastruktur sowie die Distribution und Erzeugung von grünem Wasserstoff entwickelt werden. Auch die Förderung der Anschaffung und des Betriebs wasserstoffbetriebener Fahrzeuge, eine völlige Mautbefreiung und die Befreiung von Fahrverboten wären laut dem ZVL wichtige Bestandteile einer solchen Strategie. Um die CO₂-Emissionen auf null zu reduzieren, werde es aber auch bis 2050 einen Mix aus den bereits genannten Technologien und Maßnahmen benötigen.
Von den Nachbarn lernen
Zumindest bis die Herstellung von grünem Wasserstoff in ausreichendem Maße sichergestellt werden kann, sollte im Langstreckenverkehr schnellstmöglich die marktreife und von Ländern wie Deutschland oder Italien massiv geförderte LNG-Technologie genutzt werden, fordert der ZVL. Zentralverband-Vizepräsident Wolfram Senger-Weiss: „Wir dürfen uns nicht zurücklehnen und warten, bis ausschließlich sauberer grüner Wasserstoff vorhanden ist. Es gilt jetzt zu handeln und in den kommenden Jahren den Boden für diese Technologien aufzubereiten.“ Die jährlichen Einsparungen durch LNG werden sowohl für 2030 als auch 2050 mit 750.000 Tonnen CO₂-Äquivalent beziffert, bei verstärktem Einsatz von Biogas oder synthetischem Gas wäre sogar noch mehr möglich. Senger-Weiss zur aktuellen Herausforderung: „Wir brauchen jetzt eine nationale Umsetzungsstrategie für alternative Antriebe und müssen die Klima-Investitionen der Betriebe sichern.“ (RNF)
INFO-BOX
Zentralverband Spedition & Logistik
Der Zentralverband Spedition & Logistik ist die unabhängige und verkehrsmittelneutrale Interessenvertretung auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene. Er ist Mitglied der European Association for Forwarding, Transport, Logistics and Customs Services (CLECAT), um die Brancheninteressen der heimischen Logistik in der EU bestmöglich zu positionieren. Daneben vertritt der Zentralverband auch die internationale Logistikorganisation International Federation of Freight Forwarders Associations (FIATA). 11.000 Unternehmen des österreichischen Logistikwertschöpfungskerns beschäftigen unmittelbar 160.000 Personen. Spediteure, Transport-Umschlag-Lager-Logistik-Anbieter und Logistik-Technologie-Anbieter schaffen einen direkten Umsatz in Höhe von 33,6 Milliarden Euro.
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