Blick auf die Energiesysteme

NEW BUSINESS Innovations - NR. 04, MAI 2018
Zwar entwickelt sich die Technik rasant, alternative Energiequellen gestalten das Energiemanagement dabei allerdings äußerst komplex. © Pixabay

Mit welchen Herausforderungen sind die Stromnetze der Zukunft konfrontiert und welche Rahmenbedingungen müssen dafür geschaffen werden? Diese Fragen beschäftigen aktuell verschiedenste Experten ...

... Die technologische Entwicklung in diesem Sektor prescht indes ungezügelt weiter.

Der Energiebereich befindet sich – nicht nur in Österreich – in einem grundlegenden Umbruch, die technologischen Entwicklungen können als revolutionär bezeichnet werden. Dennoch lässt sich derzeit noch nicht abschätzen, was in zehn Jahren sein wird. Umso wichtiger sei es daher, dass Energiesysteme auch gesamtheitlich betrachtet werden.
Doch wie steht es um die Versorgungssicherheit in Österreich? Mit welchen Herausforderungen sind die Stromnetze der Zukunft konfrontiert und welche Rahmenbedingungen muss die Politik dafür schaffen? Diese Fragen diskutierte Brigitte Ederer, Sprecherin und Vorstandsvorsitzende des Forums Versorgungssicherheit, mit Expertinnen und Experten aus dem Energiebereich im Rahmen der Diskussionsveranstaltung „Standpunkte: Energienetze der Zukunft – Voraussetzungen, Forderungen, Visionen“.
„Die erneuerbaren Energieträger machen das Netz volatiler. Darum sollten die Netzbetreiber auch selbst Strom speichern dürfen – nicht, um Strom zu handeln, sondern um im Fall einer Dunkelflaute die Netzstabilität aufrechterhalten zu können“, betont Ederer. Das Netz werde komplexer, unterstrich auch Peter Weinelt, Generaldirektor-Stellvertreter der Wiener Stadtwerke GmbH, „und wir haben vergessen, dass auch die Infrastruktur mitwachsen muss“. Anfang der 1990er-Jahre habe es im Bereich der Wiener Netze zwischen 15 und 20 Einspeiser gegeben, mittlerweile gingen die Einspeisungen bereits in das Tausendfache. Für eine gesamtheitliche Herangehensweise sei die Sektorenkoppelung daher unverzichtbar, so Weinelt, Gas und Wärme müssten also mit betrachtet werden. „Wir müssen die Lücken schließen. So ist juristisch immer noch nicht klar, wer für die übergreifende Versorgungssicherheit mit neuen Playern am Markt überhaupt zuständig ist.“

Energiegewinnung noch weit entfernt von Nachhaltigkeit
Josef Plank, der Generalsekretär des Bundesministeriums für Nachhaltigkeit und Tourismus, zeigte sich dessen bewusst, „dass die regulatorischen Bestimmungen aus der Vergangenheit kommen und der Realität immer hinterherhinken“. Bei der integrierten Klima- und Energiestrategie, die derzeit von der Regierung erarbeitet werde, sei daher ein gesamtheitlicher Blick notwendig, denn alle Beteiligten würden sehr schnell nur jeweils den eigenen Bereich sehen – es gelte jedenfalls, auch den Gesamtenergieverbrauch zu senken. Hinzu komme, dass das Energiesystem „extrem abhängig von politisch instabilen Regionen“ sei, und „dass diese Energiegewinnung weit entfernt von Nachhaltigkeit ist“. Die dramatische Klimaveränderung erfordere engagiertes Handeln. Neue Technologien – insbesondere erneuerbare Energien – würden „gut geplant und optimal eingesetzt“ zur Problemlösung beitragen.
Eine mögliche Lösung für die Probleme, die durch die massive Integration dezentraler Stromerzeugung entstehen, beschrieb Albana Ilo, die als Assistenzprofessorin für Energietechnik an der TU Wien eine neue technische Gesamtlösung für die Stromversorgungsnetze entwickelt hat. Die „LINK“-Lösung organisiere die Verwaltung von Netzen, Stromerzeugung, Energiespeichern und Verbrauchern neu, indem das gesamte System in klar definierte Einheiten („Links“) unterteilt werde, die jeweils ein eigenes Steuerungssystem und klar definierte Schnittstellen zu ihrer Nachbareinheit aufweisen würden. „Dies sollte zu einer einfacheren und automatisierten Elektrizitätswirtschaft führen, die Stabilität erhöhen und Datenschutzprobleme lösen“, erläutert Ilo.
Die einzelnen LINKs würden sich wie Glieder in einer Kette zusammenfügen, die je nach Anforderung miteinander verknüpft oder getrennt betrieben werden könnten. Die absolut notwendigen auszutauschenden Daten seien klar definiert, daher entfalle die Notwendigkeit, große Datenmengen auszutauschen. Als Folge teile jeder LINK nur ein kleines Set von unbedingt nötigen elektrischen Daten mit den Nachbareinheiten – die restliche Information werde lokal verwendet. Der Datenschutz werde gestärkt und die Gefahr von Cyberattacken von außen dadurch drastisch verringert. In einem Modellversuch auf kleinerer Skala in einer Testregion in Salzburg wurde bereits gezeigt, dass das Konzept funktioniert. „Ein allmählicher Übergang vom aktuellen System zur LINK-Lösung ist möglich, und wenn wir den Schritt zur Energiewende machen wollen, sollten wir jetzt beginnen“, erläuterte Ilo.

„Handbremse“ lösen und langfristig planen
Langfristige Planbarkeit ist für Weinelt jedenfalls ausschlaggebend, um die Herausforderungen der Energiezukunft bereits jetzt anzugehen: „Wenn man die künstlich angezogene Handbremse löst, muss man sich nicht fürchten. Man muss die Netzunternehmen arbeiten lassen und die Rahmenbedingungen müssen halten.“
Auch Fraunhofer UMSICHT widmete sich unlängst dem Thema Energiesystem der Zukunft, gerade in Hinblick auf den zunehmenden Anteil von Wind- und Solarstrom. Die Abhängigkeit erneuerbarer Energien von Witterung und Tageszeit führe zu kurzfristigen Schwankungen bei der Einspeisung in die Stromnetze, und es gebe große saisonale Unterschiede. Hinzu komme, dass Energiebedarf und Energieproduktion vermehrt räumlich voneinander entkoppelt seien. Durch den regional ungleichmäßigen Ausbau von Wind- und Solarstromanlagen komme es in einigen Regionen zu Stromüberangeboten. Um die Netzstabilität zu gewährleisten, müssten immer öfter erneuerbare Energieerzeuger heruntergeregelt werden. Zusätzliche Ungleichgewichte würden durch die Stilllegungen der Kernkraftwerke und fossiler Kraftwerke entstehen.
Die aktuellen Entwicklungen würden Energiesysteme vor neue Herausforderungen stellen. Eine Möglichkeit, ein stabiles Energiesystem aufzubauen und gleichzeitig den zeitlichen und regionalen Stromausgleichsbedarfen zu begegnen, sei die Nutzung von Speicher- und Transportkapazitäten der Gas- und Wärmenetze über sogenannte Sektorenkopplungstechnologien. Diese würden der Energieumwandlung zwischen verschiedenen Energieträgern (Strom, Gas und Wärme) dienen. Im Fokus stünden dabei Technologien wie Power-to-Heat, Power-to-Gas, Kraft-Wärme-Kopplung und Wärmepumpensysteme. „Die Vorteile liegen auf der Hand, denn Wärme- und Gasspeicher sind günstiger und besser für die Langzeitspeicherung geeignet als Stromspeicher“, erklärt Anne Hagemeier, Abteilung Energiesysteme bei Fraunhofer UMSICHT. Um die resultierende Wechselwirkung zwischen den Sektoren zu untersuchen und den optimalen Einsatz unterschiedlicher Technologien ermitteln zu können, müssten diese integriert betrachtet werden. (TM)
www.versorgungssicherheit.at
www.umsicht.fraunhofer.de