Wartung vor dem Ernstfall

NEW BUSINESS Innovations - NR. 08, OKTOBER 2018
Mittels Prognosen anhand von instandhaltungsrelevanten Kennzahlen können Ausfälle verhindert werden. © Pixabay

Vorausschauende Wartung anstatt Warten auf den Maschinenausfall, lautet die Vision der Industrie 4.0 ...

... Mit dem Thema „Predictive Maintenance“ hat sich ein internationales Forschungskonsortium 15 Monate lang beschäftigt.

Bisher werden in der Fertigungsindustrie Maschinen meistens erst dann repariert, wenn sie bereits ausgefallen sind. Das führt wiederum zu längeren und vor allem ungeplanten Stillstands- und Reparaturzeiten – ein echtes Worst-Case-Szenario, denn dadurch entstehen spürbare Mehrkosten für Unternehmer. Ganz anders in der Fabrik der Zukunft: Hier soll mithilfe von Daten vorausschauend agiert und nicht aufgrund von Stillständen reagiert werden. Für viele sei dies aber noch Zukunftsmusik, erklärt Matthias Wächter, COO/Prokurist bei GW Cosmetics: „Die Digitale Transformation ist bei Produktionsunternehmen momentan ein omnipräsentes Thema. Gerade für klein- und mittelständische Unternehmen ist der Zugang jedoch schwierig, da oft das nötige Know-how, die Ressourcen oder die finanziellen Mittel fehlen“.

Internationales Konsortium
Das von der Europäischen Union im Rahmen des Programms „Horizon 2020“ geförderte Projekt „Business Experiments in Cyber Physical Production Systems“ (kurz BEinCPPS) zielt dabei genau darauf ab, kleine und mittlere Betriebe auf ihrem Weg in Richtung Industrie 4.0 zu unterstützen. Der Kosmetikhersteller für Haar, Gesichts- und Körperpflegeprodukte GW Cosmetics hat sich gemeinsam mit Fraunhofer Austria im Dezember 2016 mit einem Forschungsantrag an dieser Ausschreibung beworben und den Zuschlag – trotz EU-weiter Konkurrenz – erhalten. Das auf 15 Monate angelegte Forschungsprojekt wurde nun Ende Juli 2018 erfolgreich abgeschlossen. Als Konsortialführer fungierte Fraunhofer Austria. Partner waren neben GW Cosmetics auch SIWAtec, verantwortlich für die technische Umsetzung, sowie das INEGI Institute in Portugal, das sich auf die Weiterentwicklung der Wertstrommethodik („Multi-Layer-Stream Mapping“) spezialisiert hat.

Prognose instandhaltungsrelevanter Kennzahlen
Als Referenzanlage für das Forschungsvorhaben diente eine halbautomatische Produktionslinie zum Befüllen und Kartonieren von Tuben für unterschiedliche Haarfarben im Werk des Anwendungspartners GW Cosmetics. Deklariertes Ziel war die Implementierung einer hochperformanten, aber dennoch kostengünstigen IT-Architektur. Diese sollte die Daten unterschiedlicher hierarchischer Ebenen vom Shop­floor bis zur Planungsebene erfassen, speichern und verarbeiten sowie dank eines kombinierten Predictive Maintenance- und Wertstromansatzes die Produktivität der Anlage erhöhen und gleichzeitig Ausfälle minimieren. Die Basis lieferten hierfür Machine-Learning-Methoden und innovative IoT-Technologien.
„Trotz unvollständiger Daten konnten neue Vorhersagetools entwickelt werden, um instandhaltungsrelevante Produktivitätskennzahlen zu prognostizieren“, zeigt sich die Projektleiterin Tanja Nemeth von Fraunhofer Austria zufrieden und erklärt weiter: „Wie auch in unserem konkreten Anwendungsfall haben viele KMU das Problem, dass die Datenqualität und die Menge an verfügbaren Daten zum Teil sehr gering sind. Diese sind aber zentrale Erfolgsfaktoren der Industrie 4.0.“ Aufgrund dieser Problemstellung wurde die Referenzanlage in einem ersten Schritt um ausgewählte Hardware- und Softwarekomponenten erweitert. Mithilfe der Sensoren an der Anlage konnten so vorab identifizierte Datenlecks geschlossen werden.
Begleitend entwickelten die Forscher des portugiesischen ­INEGI-Instituts ein neues Analyse-Tool für einen dynamischen Wertstromansatz. Das Tool ist dabei in der Lage, historische Daten, Echtzeit-Maschinendaten sowie auch prognostizierte instandhaltungsrelevante Kennzahlen anzuzeigen. So erhalten sowohl die Werksmitarbeiter als auch die Produktionsleitung von GW Cosmetics über die Echtzeitvisualisierung permanent Feedback über den Zustand der Anlage und deren Produktivität. Die Overall Equipment Effectiveness (OEE) wird auf der Basis von kontinuierlich vorhandenen Qualitätsmessdaten und dem zukünftigen Produktionsprogramm mit einer Genauigkeit von 84 Prozent vorhergesagt und so minimiert.

Best-Practice-Modell für KMU
„Wir konnten in dem Forschungsprojekt beispielhaft an einem österreichischen KMU aus der Kosmetikindustrie aufzeigen, dass trotz mangelnder Datenqualität, heterogener Datenquellen und -strukturen ein bedeutender Nutzen aus vorausschauenden Instandhaltungsansätzen für Unternehmen generiert werden kann“, schlussfolgert Nemeth.
Konkreter Nutzen durch die prognostizierte Gesamtanlageneffektivität zeigt sich etwa in einer Steigerung der Planungssicherheit und -stabilität für Produktionsbetriebe. Die Produktionsplanung kann somit aktiv auf zukünftige Schwankungen der Gesamtanlageneffektivität reagieren, indem diese bei der Einlastung von Produktionsaufträgen und bei der Vergabe von Lieferterminen berücksichtigt werden. Auch die Stillstandszeit durch bevorstehende Maschinenstörungen kann mithilfe des Prognosemodells weitgehend reduziert werden. Wird etwa eine geringere Gesamtanlageneffektivität prognostiziert, so ist mit einer höheren Zahl an Störfällen zu rechnen. Dementsprechend können personelle Kapazitäten in der Instandhaltung in Bereitschaft gestellt werden, um die Reaktionszeit auf Störungen entscheidend zu verkürzen. „Durch die fachliche Kompetenz und den einschlägigen Erfahrungsschatz der Projektpartner konnten zielgerichtete Ergebnisse erarbeitet werden, die maßgeschneidert auf die Bedürfnisse der GW Cosmetics abgestimmt waren und somit die Basis für eine Effizienzsteigerung in der Produktion bildeten. Zudem konnten durch das Projekt wesentliche Erkenntnisse gewonnen werden, um auch in Zukunft die Digitalisierung des Unternehmens voranzutreiben“, so Wächter abschließend. (MW)
www.fraunhofer.at