Welche Realität hätten Sie gern?

NEW BUSINESS Innovations - NR.11, DEZEMBER 2018/JÄNNER 2019
Mit smarten Datenbrillen bekommen Mitarbeiter alle Informationen, die sie brauchen, haben die Hände frei und trotzdem ungetrübte Sicht. © APA-Fotoservice/Hörmandinger

Wer Realitäten vermischt, ist oft ein Fall für den Psychoanalytiker. Zumindest war das einmal so ...

... Denn heute schafft die „Melange“ aus virtuellen und realen Realitäten entscheidende Vorteile in vielen Berufen und Geschäftszweigen. Ein Paradebeispiel dafür haben A1 und Nagarro abgeliefert.

Mit der Realität ist das so eine Sache. Einerseits gibt es die „reale“ Realität, die wir alle kennen und die für jeden – mehr oder weniger – gleich aussieht. Dann gibt es noch die virtuelle Realität, in die man mit VR-Brille und Kopfhörern ausgerüstet komplett abtauchen kann. Aber das sind nur zwei Extreme dieses technologischen Ansatzes. Dazwischen gibt es auch „Grautöne“ wie zum Beispiel Augmented Reality bzw. Mixed Reality. Dabei werden virtuelle Bilder in die reale Welt integriert, etwa über spezielle Brillen oder einfach Tablet und Smartphone. Sie haben doch sicher schon einmal etwas von Pokemon Go gehört? Das letztgenannte Beispiel ist natürlich „nur“ ein spielerischer Zeitvertreib. Doch gerade die Vermischung der virtuellen mit der echten Welt hat großes Potenzial auch – oder besonders – in der professionellen Anwendung, sei es in der Industrie, der Logistik, dem Retail-Bereich oder in vielen anderen Branchen.

Assistent auf dem Nasenrücken
Der Technologiedienstleister Nagarro beispielsweise ist ein „Fan“ von Assisted Reality. Hierbei geht es nicht um bunte Bildchen oder fantastische Tierwesen, die täuschend echt ins Blickfeld eingeblendet werden, sondern ganz reale und vor allem nützliche Informationen, die den Mitarbeitern dann über eine vergleichsweise einfache Datenbrille zur Verfügung gestellt werden, wenn sie sie brauchen – und das, ganz ohne den Blick auf das Wesentliche, nämlich die aktuelle Aufgabe, zu verstellen. „Die Idee des Connected Worker wird sich in vielen Bereichen durchsetzen und in wenigen Jahren für Unternehmen so normal sein wie Schutzhelme auf Baustellen“, ist Thomas Riedl, Managing Director von Nagarro Austria, überzeugt. Riedl weiter: „Heute sind die Lösungen noch maßgeschneidert für jeden Kunden, aber sobald sich Standardszenarien herauskristallisieren, die man mit wenig Aufwand einsetzen kann, sind sie auch für kleinere Betriebe und Teams hochinteressant.“
Der „Connected Worker“ ist dem Nagarro-Manager zufolge keine Science Fiction: „Diese Lösungen sind bereits Teil des Alltags! In den Werkstätten von Boeing etwa arbeitet man seit Längerem mit Datenbrillen und Assisted Reality. Auch in Österreich wagen sich die Unternehmen vorwärts, wir durften schon einige Testprojekte umsetzen. Viele hängen es nicht an die große Glocke, wollen die Mitarbeiter nicht mit den neuen Arbeitswelten überrumpelt, sondern schrittweise da hineinwachsen.“

Connected Worker bei A1
Einen eindrucksvollen Beleg dafür hat Nagarro in Zusammenarbeit mit dem Mobilfunker A1 abgeliefert. Der initiale Gedanke war so einfach wie nachvollziehbar: Bei A1 gab es den Bedarf, Abläufe effizienter zu gestalten. Im Speziellen ging es um die Dokumentation und Abnahme von Reparatur- und Wartungsarbeiten an Antennenmasten.
Gemeinsam mit A1 realisierte der Technologiepartner Nagarro daraufhin ein neues Connected-Worker-Arbeitsszenario für den Einsatz im Außenbereich – das erste seiner Art in Österreich. Mittels Datenbrille und Assisted Reality vereinfacht die neue Lösung den Arbeitsprozess. Ein nicht unwesentlicher Nebeneffekt ist, dass außerdem die Sicherheit von Technikern an schwer zugänglichen Orten oder in großer Höhe deutlich gesteigert wird. „Mit der Technologie haben wir uns bei Nagarro schon lange im Zuge internationaler Entwicklungskooperationen auseinandergesetzt. So konnten wir binnen acht Wochen mit A1 einen Proof-of-Concept umsetzen”, erinnert sich Thomas Riedl an den Projektstart.

So nah und doch so fern
Die Anwendung wurde so konzipiert, dass das Technikerteam bei Abnahmeverfahren auf Antennenmasten durch Live-Zuschaltungen von Experten und eine integrierte Assisted-Reality-Softwarelösung unterstützt wird. Der zuständige Abnahmetechniker von A1 kann dabei an seinem Schreibtisch sitzenbleiben. Denn er ist mit dem regionalen Field-Techniker, also dem „Connected Worker“, über diese Softwarelösung verbunden. Der Monteur trägt während seines Einsatzes auf dem Sendemast eine Smart-Glass-Datenbrille, wodurch er zu jedem Zeitpunkt die Hände frei hat und sich so auf die Abnahme und Kommunikation mit dem Kollegen konzentrieren kann – und nicht zuletzt auf seine eigene Sicherheit.
Nagarro-Geschäftsführer Riedl geht ins Detail: „Die Lösung funktioniert so, dass der Techniker vor Ort nach Abschluss der Arbeiten die Brille aufsetzt. In der Brille kann er einen Call zum technischen Experten im Wiener Arsenal initiieren. Er sieht auch eine Auswahl der derzeit verfügbaren Experten, kann einen davon auswählen. Dann wird ein Videocall gestartet. Im Rahmen dieses Videocalls wird eine individuelle Checkliste durchgearbeitet, also die Abnahme durchgeführt. Ein Riesenvorteil dieser Lösung ist, dass sofort kleinere Mängel und Fehler behoben werden können, was früher nicht möglich war.“
Das Abnahmeprotokoll wird Schritt für Schritt über eine Dash-Board-Lösung von dem Techniker im Außeneinsatz und dem Experten im „Innendienst“ zusammen abgehakt. Der Experte von A1 hat über den Videofeed der Brille die komplette Übersicht. Mängel können so vor Ort verifiziert, mitunter gleich behoben oder die Fehlerdokumentation an die zuständigen Errichter übermittelt werden. Videos und Fotos werden mit der Brille aufgenommen und zu Dokumentationszwecken archiviert.

Mehr Output, weniger Zeit
Wo bisher die persönliche Anwesenheit mehrerer Experten nacheinander erforderlich war, kann jetzt mittels Datenbrillen und Assisted-Reality-Technologien synchron gearbeitet werden. Im Fall von A1 ist ein hochwertiges und rechtsgültiges Abnahmeverfahren nun in bis zu einem Viertel der Zeit möglich. In konkreten Zahlen ausgedrückt bedeutet das: Konnte ein Prüf­experte bisher zwei bis maximal drei Abnahmen täglich durchführen, da er jedes Mal vor Ort sein musste, braucht er nun zwischen 45 und 60 Minuten für die virtuelle Zuschaltung und kann sich dann gleich dem nächsten Fall zuwenden.
„Ein großer Vorteil ist das handsfree Arbeiten. Überall, wo Mitarbeiter die Hände frei brauchen, aber gleichzeitig ein Datenaustausch nötig ist, kann der Connected Worker gute Dienste tun. Es lassen sich Produktivität, Durchlaufzeiten, Qualität und in einigen Fällen auch die Sicherheit für die Mitarbeiter verbessern. Im Vergleich zu klassischen Lösungen zur Produktivitätssteigerung sind bei Datenbrillen-Lösungen auch die Investitionskosten relativ gering. Ein weiterer Vorteil ist, dass man über die Brille zahlreiche Daten erfassen und sofort in die IT-Systeme übernehmen kann. Und wie wir alle wissen, sind Daten inzwischen eine der wertvollsten Ressourcen geworden“, zählt Thomas Riedel weitere Vorteile solcher Lösungen auf.
Bewährt hat sich der Umgang mit der Datenbrille auch bei den Montagetechnikern, die direkt an den Sendemasten arbeiten: Das Arbeiten mit den Brillen hatten die Testteams durchschnittlich binnen drei Tagen erlernt. Die Hardware lieferte den Projektpartnern zufolge auch unter schwierigen Wetterbedingungen wie Wind und Regen gute Ergebnisse.

PionierProjekt des Digitalisierungszeitalters
Für welche Bereiche eignen sich solche Datenbrillen-Lösungen noch, außer beim „Kraxeln“ auf Handymasten? Thomas Riedl hat die Antwort parat: „Einsatzmöglichkeiten gibt es im Prinzip überall, wo Techniker, Field Services, Außendienstmitarbeiter Informationen austauschen und die Datenbrille besser geeignet ist als andere Devices. Auf der Hand liegen die Einsatzmöglichkeiten z. B. in Werkstätten, in der Servicetechnik sowohl indoor als auch outdoor und natürlich in Produktionsumgebungen.“
Doch zum Abschluss wieder zurück zu A1: Insgesamt lief das Projekt, das noch auf seinen endgültigen Rollout im „Echtbetrieb“ wartet, zehn Monate und lieferte in dieser Zeit viele nützliche Erkenntnisse. Reinhard Faber, Abteilungsleitung Network Strategic Planning bei A1, ist jedenfalls begeistert: „Wir haben hier ein Pionierprojekt am Start, ein Best-Practice für neue Arbeitsabläufe im Digitalisierungszeitalter.” (RF)

www.nagarro.com
www.a1.net

INFO-BOX
Vorteile der Connected-Worker-Lösung bei A1:
• Effiziente Kommunikation und Handhabung zwischen Monteur und A1-Techniker, der remote den Abnahmeprozess steuert und dirigiert.
• Zeitersparnis: Wo bisher die persönliche Anwesenheit ­mehrerer Experten nacheinander erforderlich war, kann jetzt mittels Datenbrillen und Assisted-Reality-Technologien ­synchron gearbeitet werden.
• Sicherheit: Techniker hat bei der Abnahme, die in großer ­Höhe stattfindet, die Hände frei.
• Leicht zu erlernen: Die Testteams haben das Arbeiten mit der Datenbrille durchschnittlich in drei Tagen erlernt.
• Transparenz: Während des Anrufs werden alle Checklisten und Einträge des Technikers in der Datenbrille angezeigt
• Die Hardware lieferte auch unter schwierigen Wetter­bedingungen wie Wind und Regen gute Leistung.