Sie befinden sich hier:  Home  |  NEW BUSINESS  |  NR. 1, JÄNNER 2022  |  Verehrte Damen

Verehrte Damen

NEW BUSINESS - NR. 1, JÄNNER 2022
In Gedenken an ihren Erfindergeist verleiht die Stadt Wien seit 2018 den Hedy Lamarr Preis an innovative Wissenschaftlerinnen. © Adobe Stock/Konstantin Yuganov

Schönste Frau der Welt, Hollywood-Star und zukunftsweisende Erfinderin: Der Name Hedy Lamarr ist den meisten Menschen ein Begriff. Johanna Pirker, Laura Nenzi und Martina Lindorfer ...

... kennen bis dato nur wenige – höchste Zeit, diese Wissenslücken zu schließen.

Dass Not erfinderisch macht, ist zwar eine alte Binsenweisheit, nichtsdestotrotz wurde ihr Wahrheitsgehalt erst kürzlich wieder eindrucksvoll demonstriert. Der befürchtete Einbruch durch die Coronakrise blieb beim österreichischen Patentamt aus. Im Gegenteil: „Auch im vergangenen Jahr waren wir trotz Pandemie wieder unter den Top-Nationen bei den Patentanmeldungen. Platz 6 in der EU und Platz 11 weltweit zeigen: Österreich ist ein Land der Erfinderinnen und Erfinder“, freute sich Klimaschutzministerin Leonore Gewessler anlässlich der Bilanz.

Auch die Patentamtspräsidentin Mariana Karepova zeigt sich von den Ergebnissen des Krisenjahres tief beeindruckt: „Eigentlich mussten wir mit einem starken Rückgang rechnen. Stattdessen hatten wir mehr Patentanmeldungen als im Vorjahr, trotz Corona. Insgesamt waren es 2.737 Erfindungen, die 2020 bei uns angemeldet wurden. Aus jeder zweiten Anmeldung, sagt die Statistik, wird auch tatsächlich ein Patent. Und genau das steckt hinter diesen Zahlen: Mehr als 1.000-mal wurden in Österreich wirkliche Weltneuheiten erfunden. Das ist extrem beeindruckend.“

Die erfreulichen Ergebnisse waren jedoch vorrangig dem männlichen Geschlecht zuzuordnen: „Wenn heute eine Erfindung auf unserem Tisch landet, dann ist sie wahrscheinlich von einem Mann. 2020 hatten wir 2.737 Patentanmeldungen und nur sechs Prozent davon waren von Frauen. Das ist beschämend wenig“, mahnt Mariana Karepova. „Es wird zwar langsam besser – vor einem Jahrzehnt hätte man sagen können, jeder erfindet in Österreich, nur nicht Frauen – aber auch heute sind noch immer viel zu wenig Frauen am Erfinden.“

Studie belegt: Gründe für das Ungleichgewicht der Geschlechter sind vielfältig
Das Österreichische Patentamt ist der Sache nachgegangen und hat gemeinsam mit der WU Wien eine Studie durchgeführt, die zu folgenden Ergebnissen kam: Frauen studieren zwar viel öfter als Männer, aber viel seltener Technik. An den Universitäten forschen sie zwar viel, aber viel weniger in den Unternehmen, wo die meisten Patente entstehen. Und, so Karepova: „Frauen arbeiten häufig in Forschungsteams, aber selten in einer zentralen Position. Daher werden sie auch in den Patenten nicht erwähnt, auch wenn sie mitgemacht und etwas beigetragen haben.“

Die Studie zeigt außerdem auf, dass auch die Art, wie Frauen netzwerken, ein möglicher weiterer Grund ist: Mädchen sind meistens mit ihrer besten Freundin sozialisiert, während Buben das Netzwerken von Kindesbeinen an lernen. Sie bewegen sich in größeren Teams, auch in der Freizeit, z. B. beim Fußball. Dieser Nachteil zieht sich dann durchs ganze Leben. Und: „Wenn Männer in Karenz gehen, Elternteilzeit arbeiten und trotzdem Karriere machen wollen, dann werden sie noch immer schief angeschaut. Letztlich ist es für beide Geschlechter oft schwierig in Forschung und Technik zu arbeiten und gleichzeitig ihre familiären Pflichten in Einklang zu bringen. Das müssen wir ändern, und zwar für alle Geschlechter“, so Karepova.

Nach dem Vorbild von Hedy Lamarr
Ein großes Vorbild für heimische Wissenschaftlerinnen und Innovatorinnen ist und bleibt die im Jahr 2000 verstorbene Hedy Lamarr. Die gebürtige Wienerin war nicht nur Hollywood-Schauspielerin und Unterstützerin der Alliierten im Zweiten Weltkrieg, ihrer Forschung verdanken wir heute auch die Grundlagen für Bluetooth und WLAN. 

Noch ist Hedy Lamarr, an deren Geburtstag am 9. November der Tag der Erfinder:innen gefeiert wird, relativ einsam, aber nicht allein, denn es gibt beeindruckende Frauen, die ihrem Beispiel folgen. Wie zum Beispiel Charlotte Ohonin, die ein Gerät erfunden hat, mit dem Medikamente für neurologische Erkrankungen, wie Alzheimer oder Parkinson, am Gehirn eines konkreten Patienten getestet werden, ohne den Körper zu berühren. Oder die Staatspreisträgerin Alberta Bonanni, die 2016 mit ihrer Erfindung, einem neuen Halbleiterlaser für den wichtigen Infrarotbereich in der Telekommunikation, den Staatspreis Patent in der Kategorie „Hedy Lamarr“ gewonnen hat. Beim Österreichischen Patentamt ist man stolz auf diese Frauen, und ja, Österreich braucht mehr von ihnen.

Um den Innovationsgeist weiblicher Forscherinnen zu wecken, wird auch einmal im Jahr der Hedy Lamarr Preis der Stadt Wien verliehen. „Dieser zeichnet innovative Frauen in der IT aus und macht ihre Leistung damit sichtbar“, so Vizebürgermeisterin und Frauenstadträtin Kathrin Gaál. „Namensgeberin des Preises ist die in Wien geborene Erfinderin und Hollywood-Schauspielerin Hedy Lamarr. Sie ist abseits von Rollenbildern ihren eigenen Weg gegangen – genauso wie die Preisträgerinnen. Vorbilder machen Mädchen und jungen Frauen Mut, selbstbewusst ihren eigenen Weg zu gehen, und zeigen, dass ihnen alle Chancen offenstehen. Die Botschaft des Hedy Lamarr Preises ist: Traut euch alles zu!“

Johanna Pirker – Virtuelle Lernmethoden und ­immersive Spiele
Für ihre besondere Leistung im Bereich innovative Lernmethoden ging der Hedy Lamarr Preis 2021 an Johanna Pirker. Sie hat 2017 an der TU Graz ihr Doktoratsstudium in Computerwissenschaften abgeschlossen und auch am renommierten MIT (Massachusetts Institute of Technology) studiert. Im Rahmen ihrer Dissertation initiierte sie das Projekt Maroon, eine preisgekrönte Virtual-Reality(VR)-Lernumgebung, die sogar im Forbes-Magazin vorgestellt wurde. Johanna Pirker ist Assistenzprofessorin an der TU Graz, Gründerin der Forschungsgruppe GameLab Graz, organisiert die größte österreichische Spieleentwicklungskonferenz „Game Dev Days“ und hat in ihrer Zeit in der Spieleentwicklung bei Electronic Arts ​​mitgearbeitet.

„Nicht nur die wissenschaftliche Bedeutung der Arbeit von Dr.in Johanna Pirker im Bereich virtueller Lernmethoden und immersiver Spiele ist beeindruckend, sondern auch ihre Leistungen auf gesellschaftlicher Ebene“, begründet Verena Fuchsberger-Staufer, Forscherin an der Universität Salzburg und erste Hedy Lamarr Preisträgerin des Jahres 2018, die Juryentscheidung. „Pirker entwickelt Tools, um Lernen interaktiver und spannender zu machen, und bringt diese zum Einsatz, veröffentlicht ihre Vorlesungen und Vorträge und unterstützt Tech-Start-ups, um nur einige ihrer Leistungen zu nennen. Ihr Ziel, die Zukunft des Lernens zu revolutionieren und dass sie insbesondere junge Mädchen ermutigt, Informatik als buntes, kreatives Werkzeug zu sehen, um die Welt zu verbessern, machen sie zu einem ausgezeichneten Vorbild und einer würdigen Hedy Lamarr Preisträgerin.“

Keine reine Männerdomäne: Videospiele als ­Empathiemaschinen
Pirkers Forschung umfasst die Themen Artificial Intelligence, Virtual Reality, Games und Human-Computer Interaction und beschäftigt sich dabei auch mit den Bereichen Energieforschung, Stadtplanung und Medizin. „Ich freue mich sehr und bin dankbar, mit dem Hedy Lamarr Preis 2021 ausgezeichnet zu werden“, sagt Johanna Pirker in ihrer Dankesrede. „Videospiele und Virtual Reality kämpfen immer noch ständig mit vielen Vorurteilen. Dabei bieten diese unterschiedliche Möglichkeiten für motivierendes Lernen, für interaktive Therapien oder auch für Klimaforschung und werden nicht umsonst auch als Empathiemaschinen bezeichnet. Diese Medien erlauben innovative Arten des Erlebens, die mit traditionellen Methoden nicht möglich sind. Dieses Potenzial der virtuellen Welten möchte ich nutzen, um auch die reale Welt ein bisschen besser zu machen. Außerdem möchte ich mit meiner Arbeit jungen Frauen zeigen, dass Gaming und IT keine reine Männerdomäne sind.“

Laura Nenzi – Maschinen besser verstehen
Laura Nenzi vom Institut für Computer Engineering der TU Wien durfte sich im Vorjahr über die Auszeichnung der Stadt Wien im Namen Hedy Lamarrs erfreuen. Sie hat 2012 an der Universität Triest ein Mathematikstudium sowie 2017 an der IMT Lucca Computer­wissenschaft abgeschlossen. Ihr Forschungsprojekt „High-dimensional statistical learning: New methods to advance economic and sustainability policies” an der TU Wien wurde mit zwei Mio. Euro vom österreichischen Wissenschaftsfonds FWF gefördert.

Nenzi arbeitet an Methoden, komplexe Computersysteme zu analysieren, um ihr Verhalten besser verstehen zu können. Das gelingt mit anspruchsvollen Methoden, die auf den Gesetzen der formalen Logik beruhen. „Wir leben in einer von Software gesteuerten Gesellschaft. Der zunehmende Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) erleichtert unseren Alltag, allerdings stellen sich auch besorgniserregende Fragen“, erklärt Laura Kovacs ihrerseits die Schwerpunktsetzung der Jury auf den Bereich der Grundlagenforschung im Jahr 2020.

„Die Arbeit von Dr. Laura Nenzi schafft die Ausgangsbasis dafür, gültige Antworten auf diese dringlichen Fragen zu finden“, heißt es in der Jurybegründung. „Um Modelle des ,Machine Learning‘ zu erklären und das Verhalten von cyberphysischen Systemen vorherzusagen, kombiniert Dr. Nenzi den streng logischen Zugang der Informatik mit ,deep mathematics‘. Die Resultate dieser Methodik lassen uns in Folge das ultimative Ziel erreichen, nämlich die vermeintlich ,schwarze Magie‘ der KI in einen erklärbaren und zugänglichen Ansatz für Expert:innen und Endbenutzer:innen zu übersetzen.“

Wissenschaft und Theater – Lamarrs und Nenzis Leidenschaften
In ihrer Dankesrede betonte Laura Nenzi: „Es ist mir eine große Ehre, diesen Preis zu erhalten. Erstens, weil ich in einem Informatikbereich arbeite, der weniger bekannt ist – ,Formal Methods‘. Ich bin stolz, dieser speziellen ,Community‘ Sichtbarkeit zu verleihen. Zweitens, weil Hedy Lamarr auch Schauspielerin war.“ Nenzi spielt nämlich seit ihrer Schulzeit selbst Theater und hat bereits vor ihrer Auszeichnung begonnen, unter dem Begriff „wissenschaftliches Theater“ fachübergreifende Projekte zu erarbeiten.

„Ich hätte nie gedacht, eine Auszeichnung zu erhalten, die meine beiden Leidenschaften zusammenfasst“, so Nenzi als Schauspielerin, die in ihrer Rolle als Wissenschaftlerin noch anführt: „Dieser Preis erfolgt zu einem Zeitpunkt meines Lebens, an dem ich verstanden habe, dass der Weg zur Gleichstellung der Geschlechter noch weit ist. Österreich ist ein hervorragendes Beispiel für ein Land, das Initia­tive ergreift, dieses Ziel zu erreichen. Ich bin froh, Teil des Wandels zu sein und vielleicht eine junge weibliche Generation zu einer wissenschaftlichen Karriere inspirieren zu können.“

Martina Lindorfer – Sicherheit und Datenschutz im Auftrag der Gesellschaft
Bereits im Jahr 2019 konnte eine Forscherin der TU Wien den Hedy Lamarr Preis erringen. Martina Lindorfer ist Assistenzprofessorin an der TU Wien, wo sie auch ihren Master machte und 2017 „Sub Auspiciis Praesidentis“ promovierte. Zwischen 2016 und 2018 war sie an der University of California, Santa Barbara, als Postdoc tätig. Sie beschäftigt sich in ihrer Forschung mit Methoden zur automatisierten Erkennung und Abwehr von Schadprogrammen auf mobilen Geräten und hat dazu eine Sandbox für Android-Apps entwickelt, die sie auch öffentlich zur Verfügung stellte.

„Gerade im Bereich der Sicherheit und des Datenschutzes ist offene und unabhängige Forschung wichtig, die nicht von den großen Technologiekonzernen bestimmt wird. Die Ergebnisse meiner Forschung ermöglichen, Apps und Geräte automatisiert auf die Einhaltung von Datenschutzrichtlinien hin zu überprüfen, neuartige Sicherheitslücken und Datenmissbrauch aufzuzeigen und zu deren Beseitigung beizutragen“, so Lindorfer über ihre Forschungsarbeit, die wichtige Erkenntnisse zu wissenschaftlichen, angewandten als auch regulatorischen Fragen ermöglicht. „Die Aktualität und Relevanz ihrer Forschung, aber auch ihr Beitrag für die Gesellschaft sind bemerkenswert“, so die Fachjury in ihrer Begründung. 

„Ich fühle mich durch diese Anerkennung in meiner Entscheidung, eine Forschungskarriere einzuschlagen, bestätigt“, so die Preisträgerin anlässlich ihrer Auszeichnung. „Ich hoffe, durch meine Rolle als Professorin an der TU Wien mehr Mädchen für das Thema IT-Sicherheit begeistern zu können und insbesondere durch diesen Preis die Sichtbarkeit unserer Forschung an der TU Wien zu erhöhen und mehr Studienanfängerinnen im Informatikbereich anzulocken.“ (BO)


INFO-BOX I
Österreichs Patent-Bilanz 2020 im Detail
Österreichischer Rankingführer ist zum wiederholten Male AVL List (mit 180 angemeldeten Erfindungen), gefolgt von Julius Blum und Zumtobel Lighting. Insgesamt wurden letztes Jahr 2.737 Erfindungen beim Österreichischen Patentamt angemeldet. Das Bundesland Nummer eins ist Oberösterreich – mit 638 Erfindungsanmeldungen. Die Bundesländer auf Platz zwei und drei sind: Die Steiermark mit 522 und Wien mit 436 Erfindungsanmeldungen. Die größte Chance, eine Erfinderin oder einen Erfinder zu treffen, hat man in Vorarlberg. Das westlichste Bundesland liegt auf Platz eins bei der Anzahl an Erfindungen pro Einwohner:in.

INFO-BOX II
Hedy Lamarr Archiv kommt nach Österreich
Die US Friends of the Jewish Museum Vienna, ein Museum der Wien Holding, haben den Ankauf des Nachlasses der aus Wien stammenden Hollywood-Schauspielerin und Erfinderin Hedy Lamarr ermöglicht. Neben Fotos, persönlichen Briefen, Dokumenten und Kleidungsstücken überlässt Anthony Loder, der Sohn von Hedy Lamarr, auch die besonders wertvollen Handzeichnungen zur Torpedoabwehr, die als Vorläufer von Bluetooth gilt. Danielle Spera, Direktorin des Jüdischen Museums Wien: „Ich bin überglücklich, dass es mir gelungen ist, den Sohn von Hedy Lamarr davon zu überzeugen, dass dieses Archiv in ihre geliebte Heimatstadt zurückkehrt. Dieser Nachlass wäre sonst für Österreich verloren gegangen.“ Dem Auftrag von Anthony Loder entsprechend, wird nun in Wien nach ­einem permanenten Ausstellungsort für den Nachlass gesucht.