V. l.: Günter Hirschbeck, Managing Director European Logistics, und Michael Rainer Managing Director Air and Sea Logistics. © Dachser
Günter Hirschbeck und Michael Rainer von DACHSER Austria über die weitreichenden Auswirkungen der Corona-Krise, technologische Trends und das gestärkte Berufsbild des Logistikers.
Herr Rainer, die Corona-Krise hat Branchen und Industrien rund um den Globus vor beispiellose Herausforderungen gestellt. Mit welchen Auswirkungen waren die Geschäfte von Dachser konfrontiert?
Michael Rainer (MR): Da gebe ich Ihnen Recht! Als international tätiges Logistikunternehmen hat uns die Krise natürlich ebenso getroffen wie viele unserer Kunden, insbesondere was die Stabilität der weltweiten Lieferketten und – bedingt durch sich laufend ändernde politische Entscheidungen und Maßnahmen – hoch volatile Rahmenbedingungen betrifft. Die Mengenrückgänge im Industriekundengeschäft waren aufgrund des eingeschränkten Geschäftslebens seit dem Lockdown im Frühjahr unvermeidbar. Unser flexibles Netzwerk, die breite Aufstellung sowie die Vielfalt unserer Kunden hat uns diesbezüglich jedoch Gestaltungsfreiräume eröffnet, die wir bestmöglich ausnutzen konnten.
Herr Hirschbeck, die Bedeutung eines funktionierenden Krisenmanagements wird durch die aktuelle Krise deutlicher denn je. Welche Maßnahmen haben Sie durch diese herausfordernde Zeit begleitet?
Günter Hirschbeck (GH): Zuallererst stand natürlich die Gesundheit unserer Mitarbeiter im Fokus. Um diese zu schützen, haben wir einen Landes-Krisenstab gebildet, dessen Entscheidungen nach wie vor an die Entwicklung der Pandemie angepasst werden. Präventions- und Hygienemaßnahmen sind dabei für uns das A und O. Dort, wo es das Aufgabengebiet erlaubt, setzen wir auf mobiles Arbeiten, Homeoffice oder auf im Wochenrhythmus alternierende Teams.
Wie ist es Ihnen gelungen, den Geschäftsbetrieb für Ihre Kunden aufrecht zu erhalten?
GH: In aller Kürze: mit Flexibilität, Kooperation und Technologie. Intelligent digitalisierte Prozesse sind in der Krise essenziell geworden. Mit unserem einheitlichen IT-System und Regelwerk sind wir diesbezüglich gut aufgestellt. Mehr als 90 Prozent aller Speditionsaufträge werden bei uns elektronisch abgewickelt. Das verschafft uns einen großen Vorteil, ebenso wie die enge Zusammenarbeit mit Transportunternehmern in unserem European-Logistics-Netzwerk. Ein Beispiel: Als der Personenverkehr in Ungarn aufgrund der Grenzschließung zum Erliegen kam, waren auch unsere LKW-Fahrer betroffen. Daher haben wir sie auf unsere Kosten in Hotels eingebucht und konnten so die wichtigsten Linien am Laufen halten.
Welche Branchen sind Ihrer Ansicht nach am stärksten von der Krise betroffen?
MR: Das liegt eigentlich auf der Hand. Geschlossene Geschäfte und Grenzen haben Handel, Tourismus und Transport gleich zu Beginn der Krise getroffen. Das Aus für Messen, Kongresse und andere Großveranstaltungen wiederum die Eventbranche. Der eigentliche Schaden geht aber weit über einzelne Branchengrenzen hinaus: Wenn nämlich weltweite Lieferketten nicht mehr stabil sind, Vorprodukte nicht mehr produziert werden und Mitarbeiter für Montage und Wartung nicht mehr reisen dürfen, wird die international so eng verflochtene Wirtschaft schnell empfindlich gestört. Diese Erkenntnis hat mittlerweile einige Steine ins Rollen gebracht, denn zahlreiche Unternehmen planen, zumindest Teile ihrer Produktion wieder näher an die Absatzmärkte zu holen. Die Pandemie hat diesen Trend jedoch nicht ausgelöst sondern lediglich beschleunigt. Mittlerweile schauen sich fast 40 Prozent nach neuen, näher gelegenen Lieferanten um. Es bleibt aber zu bedenken, dass eine komplette Nationalisierung oder Regionalisierung ebenso suboptimal oder riskant ist, wie sämtliche Produkte aus einem Land zu beziehen.
Gibt es für Sie auch Gewinner der Krise?
MR: Ja, die gibt es. Experten rund um den Globus prophezeien einen Digitalisierungsschub durch die Corona-Krise. Start-ups, die digitale Lösungen für das „New Normal“ in der Pandemie entwickeln, haben große Chancen, sich über die Krise hinaus erfolgreich zu positionieren. Auch Biotech- und Medizintechnikunternehmen, die derzeit signifikante Kursgewinne an der Börse verbuchen, kann man durchaus als Gewinner der Krise bezeichnen. Durch das Wegbrechen alternativer Vertriebswege hat auch der Onlinehandel stark an Bedeutung gewonnen.
Erkennen Sie auch Auswirkungen der Corona-Krise auf das berufliche Ansehen des Logistikers?
GH: Durchaus. Erinnern wir uns nur an den täglichen 18-Uhr-Applaus während des ersten Lockdowns. Neben Ärzten, Pflege- und Supermarktpersonal haben viele auch für die LKW-Fahrer und die Logistics Operative geklatscht, die die Versorgung mit notwendigen Produkten aufrechterhielten. In Zeiten wie diesen rückt der Mensch vermehrt ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Berufe und Aufgaben, die zuvor weniger wahrgenommen wurden, werden nun wieder geschätzt. Und interessanterweise denken viele Arbeitnehmer gerade jetzt über einen Jobwechsel nach. Für uns bietet dies die große Chance, Dachser als attraktiven Arbeitgeber in der Logistikbranche zu positionieren und ausbildungsinteressierten Jugendlichen eine langfristige Perspektive zu bieten.
Welche Strategie verfolgt Dachser, um den Bedarf an zukünftigen Mitarbeitern zu decken?
GH: Wir setzten seit vielen Jahren auf die interne Ausbildung junger Menschen. Erst im Oktober sind deutschlandweit knapp 630 junge Menschen mit Dachser ins Berufsleben gestartet – in Österreich waren es 30 Nachwuchslogistiker. Insgesamt absolvieren derzeit rund 70 Jugendliche eine Lehre an unseren heimischen Standorten. Dieser Bildungsauftrag ist seit vielen Jahren ein fixer Bestandteil unserer Unternehmenskultur. Aufgrund der abgesagten Berufsmessen und fehlenden Schnuppertage haben wir die angehenden Lehrlinge in diesem Jahr kurzerhand mit digitalen Interviews rekrutiert. Außerdem profitieren wir von langjährigen Schulpartnerschaften, wie bspw. mit der Poly in Himberg oder in Schwaz in Tirol, dank welcher wir in der Lage sind, unsere ausgeschriebenen Lehrstellen gut zu besetzen. Aufgrund der verstärkten Medienpräsenz und Auflösung bestehender Lehrverträge konnten wir in der Corona-Krise sogar einen kleinen Anstieg an Initiativbewerbungen beobachten.
Welche Ziele und Projekte haben Sie sich für die Zukunft auf die Fahne geheftet?
MR: Wir bei Dachser verfolgen eine ganze Reihe an Zukunftsthemen. Vor allem im Bereich Forschung und Entwicklung haben wir unser Engagement intensiviert und unsere Aktivitäten in der zentralen Organisationseinheit ‚Corporate Solutions, Research & Development‘ zusammengeführt. Mit dem Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML in Dortmund pflegen wir außerdem eine intensive F&E-Partnerschaft.
Technologisch verfolgen wir seit vielen Jahren den unaufhaltsamen Trend der Digitalisierung in der Logistik und waren bei nahezu jedem Meilenstein proaktiv dabei: von prozessoptimierten IT-Kernsystemen über die Integration der Barcode-Technologie sowie die Nutzung von Internet und mobilen Endgeräten bis hin zu Zukunftstrends wie Big Data, Predictive Analytics, Sensorik, Internet of Things sowie künstliche Intelligenz und selbstlernende Systeme.
Mit welchem Gefühl starten Sie ins Jahr 2021?
MR: Da wir bislang stabil durch die Krise gesteuert sind, sind wir grundsätzlich optimistisch. Ein triftiger Grund dafür ist vor allem das tiefe Vertrauen unserer Kunden. Wir haben uns bereits auf ein belebtes Herbstgeschäft vorbereitet und zusätzliche Kapazitäten geschaffen. Da der Markt in Asien, wo die Pandemie unter Kontrolle zu sein scheint, an Fahrt gewinnt, erwarten wir eine besonders starke Saison für Dachser Air & Sea Logistics. Auch die positiven Aufholeffekte in Österreich lassen uns hoffen, dass wir das Gesamtjahr mit einem ähnlichen Ergebnis wie 2019 abschließen können. (BO)
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