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Das Büro im Handgepäck

NEW BUSINESS - NR. 4, MAI 2021
Die veränderte Arbeitswelt schafft neue touristische Angebote. © Adobe Stock/Zarya Maxim

New Work hat Tourismus und Hotellerie eine neue Zielgruppe beschert: Mobile Arbeitskräfte, die ihr Tagewerk mit einem Tapetenwechsel kombinieren. Viele Anhänger der sogenannten „Workation“ ...

... zieht es in typische Urlaubsregionen, doch immer mehr Städter packen ihre Koffer für ein Landleben auf Zeit.

Kaum aus den Federn, sitzt man am Schreibtisch. Für Mitarbeiter- und Kundengespräche reicht ein Klick auf den Zoom-Link im Posteingang. Ein paar Schritte Richtung Küche haben den Spaziergang zum ausgedehnten Business-Lunch abgelöst. Zwischendurch gönnt man sich ab und zu eine kleine Runde durchs Grätzl und schon ist man „back to work“. In letzter Zeit ist unsere Arbeitswelt recht klein geworden und die Sehnsucht nach einem Tapetenwechsel wächst vielen Berufstätigen mittlerweile über den Kopf. Die gute Nachricht: Dass wir uns so viele Monate ins Homeoffice zurückgezogen haben, könnte dazu führen, dass wir unseren Arbeitsplatz künftig in immer weitere Ferne verlegen. 
„Ein Laptop mit der notwendigen Software, ein Smartphone und eine stabile Internetverbindung sind in der Regel alles, was Büroarbeiter heutzutage benötigen“, ist der Geschäftsführer der Initiative Auslandszeit Frank Möller überzeugt. Derart ausgestattet, lassen sich Jobs zu Hause erledigen, aber ebenso in einem Coworking-Space oder Strandcafé von Pattaya oder Palma de Mallorca. Dies galt bis dato vor allem für selbständige Akademiker der „Generation Z“, also die Geburtsjahrgänge um 2000, die im Extremfall als digitale Nomaden ohne festen Wohnsitz ihre Work-Life-Balance auf Reisen rund um den Globus ausloten. Sie erstellen Websites, schreiben Blogs, entwickeln Software, halten Remote-Vorträge, arbeiten als Fotografen, Übersetzer oder im Onlinemarketing. Doch mittlerweile ist ortsunabhängiges Arbeiten nicht mehr nur das Privileg von Mittzwanzigern, die ein Telefon mit Wählscheibe ausschließlich aus Erzählungen ihrer Eltern kennen. Auch älteren Arbeitnehmern eröffnen sich durch die pandemiebedingten Verschiebungen des Bürostandorts neue Chancen, wie zum Beispiel „Workation“ und „Bleisure Travel“. Die dahintersteckenden Konzepte, klingen wie aufgeblasene Schlagworte aus einem Marketingratgeber, meinen aber beide dasselbe: dort arbeiten, wo andere Urlaub machen.

Von der Projektarbeit im Ausland bis zur ausgedehnten Dienstreise
Mit Workation – zusammengesetzt aus „work“ (Arbeit) und „vacation“ (Urlaub) – werden Arbeitsaufenthalte in typischen Urlaubsgebieten bezeichnet. Der Vorteil: Im Gegensatz zu einem Leben als digitaler Nomade, der kontinuierlich von verschiedensten Orten der Welt arbeitet, ist eine Workation zeitlich begrenzt und kein gravierender Einschnitt in die berufliche wie private Lebensplanung, sondern vielmehr eine bereichernde Abwechslung vom Daily Business. Ein Trend, dem auch Corona neuen Schwung verliehen hat. Zum einen reagiert die Hotelbranche auf die finanziellen Einbußen der Pandemie, indem sie ihre Räumlichkeiten für Freiberufler zur Verfügung stellt. Zum anderen bieten auch Unternehmen ihren Mitarbeitern immer häufiger Workations an. „Teams, die morgens gemeinsame Firmenprojekte entwickeln und anschließend zusammen Skikurse belegen, arbeiten auch in der Heimat enger zusammen“, sagt Möller.
Bleisure Travel kombiniert die englischen Wörter „business“ (Geschäft), „leisure“ (Freizeit) und „travel“ (Reisen) und wird häufig als Synonym für Workation genutzt. Ein schwammiger Begriff, der dem modernen Berufsleben aber durchaus Rechnung trägt. Denn wer dank mobilen Internets immer und überall erreichbar ist und sein Privatleben in sozialen Netzwerken mit der Öffentlichkeit teilt, kann ebenso gut selbst bestimmen, wo er seiner Arbeit nachgeht – also auch ein paar Tage nach der eigentlichen Dienstreise in der Hotellobby oder vorher, im Zug dorthin. Mittlerweile begegnen auch Reiseveranstalter diesem Trend mit speziellen Bleisure-Travel-Paketen: Hotelzimmer mit Vollpension plus Arbeitsplatz in einem nahegelegenen Coworking-Space. Entspannung in der Sonne und Abstand vom Alltag, Büro inklusive.

Einverständnis zwischen Arbeitgeber und ­Arbeitnehmer als Entscheidungsgrundlage
In Anbetracht dieser Vorstellung ist eine Entscheidung pro Workation oder Bleisure schnell getroffen – sollte man meinen. Doch viele Arbeitnehmer hegen erhebliche Zweifel. Denn wenn es um Geschäftsreisen oder die temporäre Verlagerung des Homeoffice geht, spielen Haltung und Richtlinien des Arbeitgebers in der Praxis eine wichtige Rolle. Laut einer Studie des Travel-Management-Unternehmens Egencia haben 20 Prozent der Reisenden weltweit ihre Pläne, eine Geschäfts- und Privatreise zu kombinieren, schon einmal verworfen – aus Bedenken, wie dies auf den Arbeitgeber wirken könnte. Mit 32 Prozent sorgen sich die Reisende in Asia-Pacific am meisten um die Außenwirkung. An Platz zwei und drei stehen Nordamerikaner (20 Prozent) und Europäer (15 Prozent). „Die Erkenntnis, dass viele Geschäftsreisende aufgrund der Wahrnehmung durch ihren Arbeitgeber von einer ‚Bleisure‘-Reise Abstand nehmen, birgt eine Chance im Wettlauf um die besten Talente“, analysiert Wendy White, Vice President Marketing von Egencia. „Da immer mehr Unternehmen eine ausgewogene Work-Life-Balance propagieren, ist es vielleicht an der Zeit, die Verlängerung von Geschäfts- zu Privatreisen in die Reiserichtlinien aufzunehmen. So investieren Unternehmen in ihre Mitarbeiter und ermutigen sie, jede Reise so anzugehen, dass sie zählt.“
Ein Unternehmen, das diese Empfehlung bereits in die Tat umsetzt, ist Storyclash. Bis zu zwei Monate im Jahr sollen Mitarbeiter des Linzer Start-ups künftig von überall auf der Welt aus arbeiten können. Mit dem neuen Benefit planen die Co-Founder Andreas Gutzelnig und Philip Penner gerade für die Zeit nach der Pandemie. „Das letzte Jahr hat uns gezeigt, wie gut remote working für uns funktioniert. Dass wir diese Erkenntnis auch mit in die Zukunft nehmen wollen, ist für uns ein natürlicher nächster Schritt“, so Gutzelnig. Schon in der Vergangenheit hatte das Start-up mit der Einführung zusätzlicher Urlaubstage in den Sommermonaten, den „Sunny Fridays“, auf sich aufmerksam gemacht. Mit dem Launch des Workation-Benefits soll Mitarbeitern längerfristiges Reisen ermöglicht und ein wichtiger Beitrag zur Work-Life Balance geleistet werden. „Natürlich erfordert die aktuelle Situation noch etwas Geduld“, weiß Gutzelnig. „Aber gerade jetzt freuen sich viele schon darauf, wenn sie wieder mehr reisen können. Genau diesem Wunsch wollen wir mit der Workation entgegen kommen.”

Das Beste aus beiden Welten und wo man es findet
Auf die Bedürfnisse abwechslungshungriger Geschäftsleute hat die Hotellerie vereinzelt bereits mit der Entwicklung sogenannter Coworking-Hotels reagiert. Diese Häuser unterscheiden sich insofern von klassischen Businesshotels, als dass sie neben den richtigen Arbeitsbedingungen auch eine entspannte und gesellige Atmosphäre bieten. Viele Coworking-Hotels halten regelmäßig Veranstaltungen wie Livekonzerte, Fitnesskurse, aber auch Business-Keynotes, Netzwerktreffen und Podiumsdiskussionen ab. „Coworking-Hotels bieten einerseits die besten Bedingungen für konzentriertes Arbeiten und stärken gleichzeitig die Vernetzung unter den Coworkern. Oftmals bringen die Coworking-Spaces nicht nur Hotelgäste, sondern auch Besucher von außerhalb zusammen – zum Beispiel lokal ansässige Selbständige und kleine Firmen, die sich keine eigene Infrastruktur anschaffen möchten“, sagt Torsten Richter, Global Chief Editor der HolidayPirates Group, die seit ihrer Gründung im Jahr 2012 zu einer der größten Online-Reisecommunitys herangewachsen ist.
Laut den Reiseexperten von HolidayPirates haben sich vor allem südostasiatische Länder aufgrund der niedrigen Lebenshaltungskosten bei einer guten digitalen Infrastruktur in den letzten Jahren zu einem beliebten Workation-Ziel entwickelt. Das Co-Living- und Coworking-Hotel Dojo im balinesischen Canggu bietet neben privaten Arbeitsplätzen auch Business-Visa, SIM-Karten für Highspeed-Internet und Surfstunden an. In Lateinamerika ist die Selina Group mit ihren Coworking-Hostels in Panama, Costa Rica, Mexiko, Nicaragua, Ecuador und Kolumbien stark vertreten. Von Hängematten und Zelten über Schlafsäle bis hin zu Suiten ist für jedes Preisniveau etwas dabei. Auch verschiedene Optionen für die Nutzung der Coworking-Spaces gibt es zur Auswahl. So kann man zum Beispiel zwischen einem monatlichen „Hot Desk“, also einem frei wählbaren Arbeitsplatz, und einem täglich fest zugewiesenen Stammplatz wählen.
In Europa gilt das Hotel Schani in Wien als Pionier der Coworking-Hotellerie. Es kombiniert die Wiener Kaffeehaustradition mit einem Coworking-Space in der Lobby, der neben den Hotelgästen auch ausdrücklich örtliche Kreative, Freelancer und Selbständige ansprechen soll. Das Volkshotel in Amsterdam setzt dagegen auf unkonventionellen Stil. Das in einem ehemaligen Redaktionsgebäude untergebrachte Hotel vermittelt mit seinem Innendesign den produktiven Vibe einer Zeitungsredaktion. 

Kreative Freiräume abseits von Großstadtlärm und Massentourismus
Um in den Genuss einer Workation-Erfahrung zu kommen, wird es jedoch immer weniger nötig, exotische oder urbane Tourismus-Hotspots aufzusuchen. Denn während manche Regionen unter Over-Tourism leiden, Städte immer voller und teurer werden und dabei die kreativen Freiräume verschwinden, entstehen auch auf dem Land Coworking-Spaces, neuartige Unternehmensnetzwerke und Start-ups, digitale Kreativorte sowie gemeinschaftliche Wohnprojekte. So locken selbst in entlegene, touristisch kaum erschlossene Alpendörfer die Gemeinschaftsbüros des vereinsbasierten Netzwerks CoworkationALPS Stadtflüchtige in die Berge. Im strukturschwachen Nordhessen beispielsweise haben sich innovative Unternehmer und Gründer zum Netzwerk Homeberger zusammengeschlossen und werben mit neuen digitalen Chancen für ihre Region. Und im Project Bay auf der Insel Rügen können Städter temporäres Wohnen und Arbeiten mit Meerblick kombinieren und das Landleben erproben. „Insbesondere für entlegene Regionen ist das eine Chance, Menschen zurückzugewinnen, die in den letzten Jahrzehnten in die Ballungsräume gezogen sind, oder sogar bislang überzeugte Städter anzuziehen“, prophezeit die Direktorin des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung, Catherina Hinz. „Den Zuzug brauchen viele ländliche Regionen dringend, um dem demografischen Wandel etwas entgegenzusetzen.“ In den letzten eineinhalb Jahren haben das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung und die Wüstenrot Stiftung insgesamt 56 solcher Projekte, Initiativen und Netzwerke sowie deren Wirkung untersucht und in der Studie „Digital aufs Land“ beschrieben.

Neue Impulse auf dem Land
Die neuartigen Orte und Initiativen sind inspiriert von der Stadt, kopieren aber nicht die dortigen Modelle, sondern orientieren sich an den aktuellen Herausforderungen ländlicher Regionen. Während in der Stadt Coworking-Spaces vor allem von digitalen Freiberuflerinnen und Gründern genutzt werden, reicht die Bandbreite der ländlichen Coworker vom klassischen ­Digitalarbeiter, dem Angestellten eines Versicherungsunternehmens, über den Vereinsvorstand und Handwerker bis zur Wirtschaftsförderin. Auch wenn unter Städtern das Interesse am Land wächst, wollen nicht alle dauerhaft im Dorf statt in der Stadt leben. Gerade Menschen, die in Kreativ- und Wissensberufen tätig sind, schätzen die Vorteile aus beiden Welten: Angebote wie Worka­tion, Co-Living oder auch das Landleben auf Zeit. Gemeinschaftliche Wohnprojekte sind Beispiele dafür, wie in Leerstand oder auf Brachflächen neues Leben einziehen kann. In alten Vierseithöfen oder Industrieruinen, aber auch mit Neubauten im Miniaturformat, sogenannten Tiny Houses, bauen sich Gleichgesinnte ein gemeinschaftliches Lebensumfeld auf. Engagierte Macher starten Angebote, die sie selbst in den Dörfern und Kleinstädten vermissen, und bereichern damit das Landleben auch für andere.
In sogenannten Kreativorten eröffnen sie Hightech-Werkstätten für Kinder, organisieren Festivals oder schaffen Räume für Workshops, Konzerte und Treffen aller Art. Inzwischen wagen es auch Gründer, ihre innovativen Geschäftsideen auf dem Land zu verwirklichen. Damit bringen sie nicht nur die wirtschaftliche Entwicklung ländlicher Räume voran, sondern schaffen auch neue Arbeitsmöglichkeiten sowohl für Einheimische, die auf der Suche nach einem Job sonst wegziehen würden, als auch für potenzielle neue Landbewohner. „Ländlich ist eine neue Art von cool“, drückte es einer der Interviewpartner aus. Voraussetzung hierfür ist ein leistungsstarker Internetanschluss. Zum einen bietet es hochqualifizierten Arbeitskräften die Chance, ortsunabhängig von ihrem städtischen Büro auch auf dem Land ihrem Broterwerb nachgehen zu können. Zum anderen entstehen ländliche Orte und Projekte, die das Leben auf dem Land in eine vielversprechende Zukunft katapultieren.

Co-kreatives Arbeiten in den Salzburger Bergen
Ein solcher Zukunftsort ist auch das idyllische St. Koloman, ein Bergdorf auf 850 Metern mit knapp 2.000 Einwohnern, 30 Minuten von Salzburg entfernt. Im Ortskern befindet sich mit der Tauglerei eines der ältesten Gebäude der Gemeinde. Seit dem 14. Jahrhundert kamen in dem meist als Wirtshaus geführten Haus die „Taugler“ zusammen, um sich auszutauschen, zu feiern und wichtige Themen zu besprechen. Heute ist das Haus im Besitz des Unternehmensberaters, Therapeuten und ehemaligen Verlegers Patrick Sellier und seiner Frau Sara. Der gebürtige Münchner und die Berlinerin waren bereits zuvor beruflich eng mit St. Koloman verbunden. Ihre Liebe zum Ort und seinen Bewohnern ist über die Jahre kontinuierlich gewachsen, weshalb sie sich schlussendlich entschlossen, hier sesshaft zu werden. Die beiden haben aus dem historischen Gebäudekomplex am Dorfplatz ein Zentrum der Begegnungen, Kreativität, des Ausgleichs und der Entwicklung gezaubert. Im ersten Stock werden Ayurveda-Anwendungen angeboten. Der ehemalige Tanzsaal kann als Seminarraum gebucht werden. Im zweiten Stock stehen fünf gemütliche Appartements für Übernachtungen zur Verfügung. Und in der alten Großküche gibt es seit 2019 mit der „Zammworkerei“ auch einen Coworking-Space, der von selbstständigen Städtern gerne als Arbeitsplatz auf Zeit genutzt wird. Einen gesunden Ausgleich zur Arbeit am Computer bieten die unbelastete Natur, sportliche Aktivitäten und ein ganzheitliches Angebot für Körper und Geist. Außerdem trifft man in einem Bergdorf wie St. Koloman Menschen, denen man in einer Großstadt niemals begegnet wäre. Menschen, die inspirieren und neue Perspektiven eröffnen. Der vielseitige Patrick Sellier, das lebendige Beispiel einer gelungenen „Staycation“, ist nur einer davon. „Ich werde oft gefragt, was ich eigentlich bin – Wirt, Berater, Ayurveda-Therapeut? Die Antwort ist, dass meine Frau und ich uns in der Tauglerei mit allen Facetten des Lebens beschäftigen. Wir möchten die Menschen zusammenbringen und sie dabei unterstützen, ihr Potenzial zu erkennen. Und das individuell – gesundheitlich, geschäftlich oder gesellschaftlich bei einem guten Essen und vielleicht auch bei ein paar Bieren.“ (BO)

INFO-BOX
Tauglerei Remote Experience
• 5 Nächte in einer individuell eingerichteten Ferienwohnung mit getrenntem Schlaf- und Wohnraum und eigener Arbeitsmöglichkeit 
• einen Arbeitsplatz im Coworking-Space „Zammworkerei“ 
• zwei persönliche QiGong-Stunden 
• eine auf den Besucher abgestimmte ayurvedische Massage 
• Frühstück und Mittagessen 
• eine geführte themenbezogene Wanderung in der Natur 
• ein Meet-up mit lokalen Coworkern und Entrepreneuren
• Pauschalpreis 1.200 Euro

www.tauglerei.at
www.zammworkerei.com