Mithilfe künstlicher Intelligenz können Smart Grids kosteneffizient betrieben und weiter ausgebaut werden. © Siemens AG
Experten sind sich einig: Die Zukunft der Energiebranche ist smart und digital. Großes Potenzial sehen Energieversorger vor allem in künstlicher Intelligenz zur Wartung von Anlagen.
Die Digitalisierung wird die Energiewirtschaft massiv betreffen und verändern. Welche Auswirkungen und Zukunftsentwicklungen die Branche erwartet, hat die Österreichische Energieagentur in ihrer aktuellen Studie „Digitale Transformation der Energiewelt“ erhoben. Die Einschätzungen bezüglich der Effekte der Digitalisierung sind eindeutig: 88 Prozent der Experten aus Energieunternehmen vertreten die Ansicht, dass mit starken Veränderungen zu rechnen ist. Weitere zwölf Prozent erwarten zumindest mittlere Auswirkungen. Keiner der Befragten rechnet damit, dass die Digitalisierung die Energieunternehmen nur schwach berühren wird.
Andere Branchen sehen das Thema etwas gelassener: Knapp drei Viertel gehen von starken Veränderungen aus, sieben Prozent glauben an schwache Auswirkungen.
Energiebranche sieht sich nicht als Profiteur der Digitalisierung
„Die gesamte Energiebranche geht von großen Veränderungen durch die Digitalisierung aus. Interessanterweise sieht sie sich allerdings nicht als Profiteur dieser Entwicklung“, analysiert Herbert Lechner, wissenschaftlicher Leiter der Österreichischen Energieagentur. Die Befragten sind sich einig, dass etablierte Energieunternehmen in Zukunft starke Konkurrenz bekommen werden. Ganze 88 Prozent sehen energierelevante Start-ups als neue Player. 85 Prozent glauben, dass etablierte branchenfremde Unternehmen profitieren werden, insbesondere IKT-Unternehmen. „Dabei zeigt sich ein interessanter Aspekt: Bei den neuen Akteuren zählt nicht mehr vorrangig der Besitz von Infrastruktur, sondern die Kontrolle der Schnittstelle zwischen Anbieter und Kunden. Vormals branchenfremde Anbieter oder Start-ups verkaufen Strom, ohne ein Kraftwerk zu besitzen“, erläutert Lechner.
Aus Sicht der Energieunternehmen ist die Relevanz der Digitalisierung sehr hoch, der Mehrwert für die Branche fällt tendenziell etwas geringer aus. „Interessant ist die niedrigere Einschätzung des Mehrwertes im Vergleich zur Relevanz der Digitalisierung. Sie kann als Zweifel der Energiebranche interpretiert werden, ob sich die Digitalisierung auch wirtschaftlich in den derzeitigen und künftigen Geschäftsmodellen niederschlagen wird“, analysiert Günter Pauritsch, Leiter des Centers Energiewirtschaft & Infrastruktur in der Österreichischen Energieagentur und Co-Autor der Studie. In den Antworten anderer Branchen ist dieses Muster auch zu erkennen, allerdings in geringerem Ausmaß.
Noch nicht smart genug
Erheblichen Nachholbedarf sieht die Energiebranche beim Einsatz künstlicher Intelligenz (KI), zum Beispiel für Verbrauchs- und Netzauslastungsprognosen. Erst zehn Prozent der Energieversorger setzen sogenannte Predictive-Analytics-Systeme ein. Jedes zweite Unternehmen der Branche will das schnell ändern und sieht großes Potenzial in den KI-Entwicklungen. 60 Prozent wollen zudem ihren Bestand an intelligenten Sensoren deutlich ausbauen, um Kosten bei der Wartung der Anlagen zu sparen, so die Ergebnisse der Potenzialanalyse „Künstliche Intelligenz“ von Sopra Steria Consulting.
Die Energieversorger reagieren mit ihren geplanten Maßnahmen auf die zunehmende Dezentralisierung der Stromnetze. Energieverbraucher sind zunehmend auch Produzenten, so genannte Prosumer. Damit wird es schwieriger, abzuschätzen, wann diese Strom aus dem Netz beziehen. Verteilnetzbetreiber müssen jedoch zu jeder Zeit sicherstellen, dass sie ihre Kunden bei Bedarf zu hundert Prozent mit Energie versorgen können. Das erfordert entsprechende Investitionen in Smart Grids. „Über die Netzentgelte lassen sich diese Investitionen künftig nur noch bedingt refinanzieren. Alternative Lösungen sind gefragt“, sagt Sascha Krauskopf, Experte für Energieversorger von Sopra Steria Consulting.
Mit zusätzlichen Investitionen in künstliche Intelligenz wollen die Energieversorger die Kosten für den Smart-Grid-Ausbau und den Betrieb überschaubar halten. „Automatisierte und selbstlernende Systeme werden mit der Zeit immer besser darin, Vorhersagen zu treffen, wie viel Strom ein Haushalt oder ein Unternehmen in jedem Moment verbraucht und produziert. Die Kosten für das Netzmanagement und den Energiehandel lassen sich mit Predictive-Intelligence-Lösungen um rund 20 Prozent senken“, so Krauskopf.
Predictive Maintenance wichtiger Einsparfaktor
Ein weiteres Einsatzgebiet von KI-Technologien ist Predictive Maintenance. Intelligente Ortsnetzstationen liefern beispielsweise eine Vielzahl an Daten wie Transformator-Temperaturen, Lastgänge, Energieflüsse und Schaltzustände. Diese Informationen ermöglichen die vorausschauende Instandhaltung der Anlagen. Jährliche Kontrollgänge fallen weg. 60 Prozent der Energieversorger sehen in der Bewertung von strukturierten und unstrukturierten Informationen für eine effizientere Wartung den zentralen Nutzen künstlicher Intelligenz, so die Studie. Der Ausbau von Sensorik wird deshalb in der Branche als eines der wichtigsten KI-Einsatzfelder der Zukunft angesehen. (BO)