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Ein neues Kapitel

NEW BUSINESS - NR. 6, JUNI 2022
Unternehmensnachfolgen sichern Arbeitsplätze und Fortbestand des Betriebes. © Adobe Stock/BillionPhotos.com

In den nächsten Jahren stehen Tausende Unternehmen mit mindestens einem unselbständigen Mitarbeiter vor einer potenziellen Übergabe: Welche Schwierigkeiten dieser bedeutende Schritt ...

... für beide Seiten mit sich bringt und was man bei der Nachfolgeplanung unbedingt beachten sollte.

In den letzen Jahren mussten sich viele Unternehmer mit krankheits- bzw. quarantäne­bedingten Ausfällen von Mitarbeitern beschäftigen oder gar ihre eigenen Aufgaben temporär delegieren. Obwohl es sich dabei „nur“ um zeitlich begrenzte Absenzen handelte, waren die organisatorischen und personellen Herausforderungen groß.

Steht ein Firmenoberhaupt vor der schwierigen Aufgabe, sein Lebenswerk endgültig abzugeben, sind die Auswirkungen jedoch um einiges weitreichender.

Bis zum Jahr 2027 stehen rund 41.700 kleine und mittlere Betriebe zur Übergabe an – das sind 26 Prozent aller KMU der gewerblichen Wirtschaft Österreichs. Laut einer Studie der KMU Forschung Austria finden familieninterne Nachfolgen mit 55 Prozent etwas häufiger statt als externe Übergaben (45 %). Bezüglich der finanziellen Abwicklung von Unternehmensübergaben ist zu beobachten, dass 45 Prozent der Übergaben unentgeltlich und 55 Prozent entgeltlich erfolgen.

Die übergebenen Unternehmen können bereits auf eine lange Tradition zurückblicken. Mehr als die Hälfte besteht schon mehr als 25 Jahre. Vor allem im Rahmen familieninterner Übergaben werden traditionsreiche Unternehmen übergeben, während bei externen Übergaben eher jüngere Unternehmen den Besitzer wechseln.

Die gedankliche Auseinandersetzung der Übergeber mit dem Thema Unternehmensübergabe und auch die Nachfolgersuche erstrecken sich oft über mehrere Jahre. Schneller erfolgt dann die Auswahl des Nachfolgers – wobei externe Übergaben deutlich schneller abgewickelt werden als familieninterne Nachfolgen.

Wenn sich die ältere Generation ausklinkt, fehlt deren Arbeitskraft
„Eine Nachfolge hat gegenüber einer Neugründung viele Vorteile: Es kann auf bestehende Kunden und Dienstleister zurückgegriffen werden, Umsätze können sofort lukriert werden und die Abläufe im Betrieb sind eingespielt und bekannt“, weiß WKÖ-Vizepräsidentin Amelie Groß. „Dies alles erleichtert den Start ins Unternehmertum beträchtlich. Erfreulich ist auch, dass durch Übernahmen bewährte und etablierte Unternehmen erhalten bleiben und damit auch Arbeitsplätze gesichert werden.“

Wer ein Unternehmen kauft oder von den Eltern übernimmt, hat jedoch oft mit diversen Anfangsschwierigkeiten zu kämpfen. Die häufigsten Probleme hat die Plattform „Betrieb-zu-haben.at“ gemeinsam mit dem Managementcenter Nord (MCN) in der Betriebsnachfolge-Studie 2022 erhoben. Abgefragt wurden 39 mögliche Problemfelder, die sich nach einer Übernahme für die Neo-Unternehmer ergeben könnten.

Die meiste Zustimmung (Summe aus „stimme voll zu“ und „stimme eher zu“) gab es mit 68 Prozent für die Antwortmöglichkeit „Konflikte mit im Betrieb beschäftigten Familienmitgliedern“, gefolgt von „Konflikte mit verbleibendem Seniorunternehmer“ mit 63 Prozent.

Häufig wird auch der aufgestaute Investitionsbedarf unterschätzt (62 %) oder die Planungsrechnungen waren zu optimistisch (59 %). Bei der Übergabe im Familienkreis kommen manchmal auch mehrere Faktoren zusammen, wie Studienleiter Thomas Reischauer aus der Unternehmensberatungspraxis weiß:

„Wenn Seniorchefs weiter im Betrieb mitreden, kann das zur Untergrabung der Autorität der Jungen gegenüber ihren Mitarbeitern führen, was sehr frustrierend ist. Umgekehrt kann es aber zu einem finanziellen Problem werden, wenn sich die bisher mitarbeitende ältere Generation plötzlich völlig ausklinkt, weil dann ihre Arbeitskraft fehlt und zusätzliche Mitarbeiter eingestellt werden müssen“, so der Experte.

Verkaufspreise liegen unter den errechneten Werten
Eine wichtige Erkenntnis der Studie ist auch, dass es häufig gravierende Unterschiede zwischen den von Fachleuten ermittelten Unternehmenswerten und den bei der Veräußerung tatsächlich erzielten Preisen gibt. Dabei wurden verschiedene Bewertungsmethoden verglichen.

Fazit von Co-Studienleiter Harald Schützinger: „Von den ermittelten Unternehmenswerten gibt es meist relativ hohe Abschläge. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass bei den Discounted-Cashflow-Verfahren Prognoserechnungen für die Zukunft eine wichtige Rolle spielen, die von den Käufern oft angezweifelt werden.“

Im Gegensatz dazu werden bei Multiplikator-Verfahren häufig die Umsätze bzw. Betriebsergebnisse der vergangenen Jahre herangezogen, was für potenzielle Käufer einfacher nachvollziehbar ist. „Wer ein Unternehmen verkaufen will, sollte daher bereits Jahre zuvor damit beginnen, seine Geschäftszahlen in Ordnung zu bringen“, empfiehlt Unternehmens- und Steuerberater Schützinger. 

Häufige Fehler vor dem Verkauf oder der Weitergabe 
Peter Buchegger, der gemeinsam mit Reischauer und Schützinger die Nachfolgeplattform „Betrieb-zu-haben.at“ gegründet hat, gibt zu bedenken, dass die Eruierung eines möglichst fairen Unternehmenswertes auch bei der Übergabe im Familienkreis eine wichtige Rolle spielt. „Wenn ein Betrieb an eine bestimmte Tochter oder einen Sohn übergeben wird und es sind mehrere Geschwister da, müssen die anderen in der Regel abgelöst werden, was natürlich ein gewisses Konfliktpotenzial birgt“, gibt Unternehmensberater Buchegger zu bedenken.

Aber auch bei Verkaufsverhandlungen mit externen Personen verläuft nicht immer alles friktionsfrei, so die Erfahrung von Buchegger. Häufige Gründe, warum potenzielle Käufer einen Deal platzen lassen, sind zu hohe Preisvorstellungen oder ungenügende Vorbereitungen des Verkäufers, das Aufdecken ungeahnter Risiken oder man kann sich über einzelne Vertragsdetails nicht einigen. 

„Leider gibt es immer noch Unternehmer, die bereits Jahre vor dem Pensionsantritt, der Übergabe oder dem beabsichtigten Verkauf nichts mehr investieren und die Kennzahlen vernachlässigen. Richtig wäre hingegen vorausschauendes Agieren: Eine detaillierte Betriebs­analyse und die Einleitung von Maßnahmen zur Verbesserung der Kennzahlen bereits Jahre vor der Weitergabe machen sich beim Ausstieg durch deutlich höhere Verkaufspreise mehr als bezahlt“, erklärt der Experte. 

Diskrete Suche nach Nachfolgern für regionale Handwerksbetriebe
Die Wertschätzung für lokale Produkte und Dienstleistungen ist in Pandemiezeiten wieder stark gestiegen. Die aktive Suche nach geeigneten Nachfolgern kann aber selbst für profitable Handwerksbetriebe schwierig werden und temporär auch die Kunden, Mitarbeiter und Lieferanten verunsichern.

„Auch die bisherigen Betreiber können nicht immer angemessene Kaufpreise erzielen, wenn sie zum Beispiel die Gewinne durch steuerliche Optimierungsmaßnahmen jahrelang möglichst kleingerechnet haben“, erklärt Peter Buchegger.

Für beide Seiten können Fehleinschätzungen also teuer werden. Deshalb bieten auf der Plattform auch erfahrene Unternehmensberater, Rechtsanwälte, Steuerberater und Finanzierungsexperten ihre Unterstützung an. Jeder kann, aber niemand muss auf die Hilfe von Experten zurückgreifen. Außerdem gibt es auf „Betrieb zu haben“ ein Tool, das selbständig zur überschlagsmäßigen Unternehmensbewertung genutzt werden kann.

Die Ausschreibung der Betriebe erfolgt in der Regel anonymisiert, um die Mitarbeiter, Kunden und Lieferanten nicht unnötig zu verunsichern. Zudem wird dadurch vermieden, dass der Ruf von Traditionsbetrieben in ihrem Marktumfeld leidet, wenn die Suche nach Interessenten trotz realistischer Kalkulation der Verkaufspreise länger dauern sollte. 

Neutraler Dreh- und Angelpunkt für ­Betriebsweitergaben
Vom Start weg sind bereits einige Betriebe auf der Plattform zu finden, darunter eine im Linzer Umland befindliche Bio-Bäckerei mit 21 Vollzeitmitarbeitern. Die Preisvorstellungen des Verkäufers liegen bei 780.000 Euro, wobei als Übergabetermin der Juli 2024 angepeilt wird.

„Jede Transaktion muss sorgfältig geplant und vorbereitet werden“, erklärt Buchegger. Einem umfangreichen Check durch Experten sollte allerdings nicht nur das Übergabeobjekt unterzogen werden, sondern auch die Kaufinteressenten.

„Auf herkömmlichen Nachfolgebörsen kommt es leider immer wieder vor, dass auch Anfragen von unseriösen Personen gestellt werden, die gar nicht über die nötigen Eigenmittel verfügen“, erläutert Buchegger. Den kreditgebenden Banken sind allerdings nicht nur genügend Eigenmittel wichtig, sondern auch ein überzeugender Businessplan. Und auch dabei bieten Experten auf der Plattform ihre Unterstützung an.

„Angefangen vom Erstgespräch bis zum Closing können sowohl Käufer als auch Verkäufer auf ein lückenloses Betreuungsangebot zurückgreifen. Diese neutrale Dreh- und Angelpunkt-Funktion für Betriebsweitergaben macht unseren Verein zu etwas ganz Besonderem“, zeigt sich der Co-Founder von „Betrieb zu haben“ überzeugt. 

Sanfte Übernahme unter operativer Involvierung der Gründer
Einen anderen Ansatz verfolgt die Beteiligungsgesellschaft Epoona. Sie hat es sich zum Ziel gemacht, Mittelstandsbetriebe, die keinen internen Nachfolger haben, zu übernehmen und unter operativer Involvierung der Gründer zukunftsfit zu machen. Martin Lehner, Ex-CEO von Wacker Neuson, verstärkt seit Kurzem das Team rund um die beiden Gesellschafter Lothar Stadler und Werner Töpfl.

„In den nächsten Jahren wird das Thema Nachfolge immer wichtiger werden. Mit dem Ausscheiden der Gründergeneration kämpfen viele Betriebe damit, keine Nachfolge zu haben. Und genau da setzen wir an“, erklärt Werner Töpfl, bei Epoona für Finanzen, HR, IT und Supply Chain zuständig.

Sein Partner Lothar Stadler, der sich um Vertrieb, Marketing, Digitalisierung und Innovation kümmert, ergänzt: „Unternehmer:innen über 55 stehen zudem auch oft vor der Herausforderung, dass vor Abschluss größerer Finanzierungen das Nachfolgethema geregelt sein muss.“

Das Unternehmen verfolgt eine längerfristige Strategie ohne Exit-Druck und positioniert sich im Bereich von Kaufpreisen zwischen 5 und 20 Millionen Euro. „Kleinere Betriebe können an Business Angels verkaufen, größere an Private-Equity-Unternehmen. Für den klassischen Mittelstand gibt es – abgesehen von Banken – wenige Optionen. Da schließen wir die Lücke“, freut sich Lothar Stadler. 

Tradierte Unternehmen mit neuen Ideen befruchten
Die übernommenen Unternehmen werden schnell operativ weiterentwickelt, um Umsätze und Ergebnisse zu verbessern. Epoona setzt dabei auch auf die Zusammenarbeit mit innovativen Start-ups, die die tradierten Unternehmen mit neuen Ideen befruchten sollen.

„Bei uns geht es um weit mehr als die reine Übernahme. Eine gründliche Vorbereitung, die bereits einige Jahre vor der effektiven Übergabe beginnt, ist fundamental. Durch das frühzeitige gemeinsame Arbeiten kann der Unternehmenswert signifikant gesteigert werden und das erzeugt eine Win-win-Situation zwischen Übergebendem und Übernehmenden“, so Stadler.

Bei der Übernahme wird auch darauf geachtet, bestehende Strukturen des Unternehmens zu belassen und Mitarbeite­r:innen durch Beteiligungsmodelle einzubinden. Großen Wert legt man auch auf die Einhaltung der UN-Nachhaltigkeitsziele sowie auf Gender Equality. „Ganz wichtig ist uns, dass auf allen Ebenen Impact erzeugt wird: in den Unternehmen, der Gesellschaft und auf die Umwelt“, erklärt Töpfl.

„Unternehmer, die ihr Lebenswerk abgeben, wollen natürlich genau wissen, was nach der Übergabe damit passiert“, so Töpfl weiter. Epoona bietet daher flexible Ansätze in der Übernahme von Anteilen, beispielsweise kann mit Minderheitsanteilen oder der Übernahme der Betriebsimmobilie gestartet werden, allerdings bereits mit einer klaren Option auf eine Mehrheitsübernahme. So lernen sich Unternehmer und Epoona kennen und können Vertrauen zueinander aufbauen.

„Das macht es den Menschen deutlich leichter“, weiß Stadler. „Sie müssen das Gefühl haben, dass das, was sie mit viel Kraft aufgebaut haben, in vertrauenswürdige Hände gelegt wird.“ (BO)

INFO-BOX
Nachfolger oft erfolgreich: Großes Potenzial an Übernahmeunternehmen
61 Prozent der übernommenen Unternehmen in Österreich konnten seit der Übergabe laut deren Auskunft Umsatzsteigerungen erzielen. Die Beschäftigungssituation blieb bei etwa der Hälfte stabil, 36 Prozent der Nachfolger ­stellten sogar zusätzliches Personal an. Im Zeitraum 2020 bis 2029 gibt es 51.500 Unternehmen (knapp 23 % aller derzeitigen Arbeitgeberunternehmen) mit mindestens einem unselbstständig Beschäftigten, die potenziell zur Übergabe anstehen. Die meisten dieser Unternehmen befinden sich in den Sektoren ­Handel, freiberufliche, wissenschaftliche und technische Dienstleistungen sowie in der Beherbergung und Gastronomie. Wenn für alle potenziell zur Übergabe anstehenden Unternehmen ein Nachfolger gefunden wird, könnten 692.000 Arbeitsplätze bzw. 22 Prozent aller Arbeitsplätze in Arbeitgeberunternehmen gesichert werden. Das Übergabepotenzial im Zeitraum 2020 bis 2029 ist in den westlichen Bundesländern Vorarlberg, Salzburg, Tirol und Oberösterreich relativ gesehen am höchsten. Hier stehen jeweils rund 24 Prozent der Arbeitgeber­unternehmen zur Nachfolge an.
(Quelle: KMU Forschung Austria)