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Dagmar Koch, Country Managerin Coface Österreich © RNF

Coface-Österreich-Chefin Dagmar Koch erklärt im Interview, warum schon ein vergleichsweise kleiner Zahlungsausfall für Mittelständler heute existenzbedrohend sein kann – und wie man sich schützt.

Die heimische Wirtschaft befindet sich inmitten der längsten Rezession der Nachkriegszeit. Die Insolvenzwelle rollt, getrieben von geopolitischen Verwerfungen und einem enormen Margendruck, der unter anderem auch kleine und mittlere Betriebe in die Bredouille bringt. Doch es gibt Möglichkeiten, sich dagegen zu wappnen – und Partner, die dabei unterstützen. Coface ist einer dieser Partner. 1946 von der französischen Regierung gegründet, um den internationalen Handel abzusichern, ist das Unternehmen heute ein globaler Top-drei-Player in der Kreditversicherung. Doch das ist noch lange nicht alles, was Coface zu bieten hat, wie Country Managerin Dagmar Koch im Gespräch mit NEW BUSINESS erklärt.

Frau Koch, Coface wurde 1946 ursprünglich gegründet, um Handelsrisiken für den französischen Außenhandel zu versichern. Was macht Coface heute, besonders in Österreich?
Die DNA der Coface ist im Wesentlichen gleich geblieben. Wir sichern als Kreditversicherung Forderungen ab, die ein Unternehmen gegen ein anderes Unternehmen hat. Ein Unternehmen liefert zum Beispiel Scheinwerfer an einen Motorradproduzenten. Der Motorradproduzent bezahlt nicht sofort, sondern bittet um ein Zahlungsziel – 60, 80 oder 90 Tage. Das heißt, das eine Unternehmen gibt dem anderen einen Lieferantenkredit. Diesen Kredit sichern wir ab. Wir sind hier einer der Top-drei-Player weltweit. Aber nicht nur das. Wir sind so etwas wie eine Auskunftei plus. Eine Kreditauskunftei macht etwa die Angabe, dass ein Unternehmen gut für ein Kreditlimit von 500.000 Euro ist. Wir analysieren in über 200 Märkten global, wie die Unternehmen dort dastehen. Das ist unsere Urfunktion, wenn man so will. Was uns unterscheidet: Wenn wir uns täuschen, zahlen wir zwischen 80 und 95 Prozent dieses Betrags. Das heißt, wir nehmen unsere eigene Medizin und sind selbst im Risiko, wenn wir unseren Kunden eine positive Kreditlimitentscheidung erteilen. Dafür braucht man enorm viele Daten und Wissen vor Ort. Wir haben derzeit Daten zu 245 Millionen Unternehmen weltweit in unserer Datenbank. Mit diesen Daten können wir einerseits das Absicherungsmodell betreiben, können sie unseren Kunden andererseits aber auch unabhängig von der Absicherung zur Verfügung stellen. Diesen Bereich haben wir auch in Österreich sehr stark ausgebaut. Wir legen einen starken Fokus auf die Qualität der Daten, aber auch darauf, wie leicht verdaulich sie präsentiert werden. Gerade kleine und mittelständische Betriebe haben nicht dieselben Ressourcen wie ein Großkonzern. Als Geschäftsführer will man sich nicht in Risikoberichte vertiefen, sondern idealerweise auf einen Blick sehen, wo man aufpassen muss. Das ermöglichen wir mit URBA360, einer Art Cockpit, mit dem man Abnehmer oder Lieferanten prüfen kann.

Das ist mir persönlich wichtig, weil ich sehe, wie die Komplexität zunimmt. Je weniger Ressourcen man für Lieferketten-Monitoring oder ESG zur Verfügung hat, desto leichter müssen wir es den Kunden machen. Das ist unser Mehrwert: Wir sichern die Risiken ab und ermöglichen es gleichzeitig, ressourcenschonend mit der Komplexität umzugehen.

Wie kommen Sie zu Ihren Risikoeinschätzungen?
Wir kommen vom Großen ins Kleine. Zuerst schauen wir uns alle Länder der Welt an. Das resultiert in einem Risiko-Assessment von A – sehr gut, unterteilt in A1 bis A3 – bis E – gröbere kriegerische Konflikte oder Sanktionen. Österreich ist schon länger A3, Deutschland auch. Die Schweiz und Norwegen sind A1. Bei den Länderrisiken schauen wir uns an, wie sicher es für ein Unternehmen ist, in diesem Land Geschäfte zu machen. Das hängt ab von der finanziellen Stabilität, der Rechtssicherheit, der Zahlungsmoral, ökologischen Parametern und vielen unterschiedlichen Aspekten. All diese fließen in das Länder-Assessment ein. Dann gehen wir zur nächsten Stufe, den Branchen. Wir betrachten 13 Branchen, um die Vergleichbarkeit zu gewährleisten, und schauen, wie es zum Beispiel der Baubranche oder der Pharmabranche in einem bestimmten Land geht. Danach schauen wir uns die einzelnen Unternehmen an. Hier nutzen wir verschiedene Informationsquellen und setzen unsere Data-Intelligence darauf. Alle Informationen, wie Zahlungsverzugsmeldungen oder die Notwendigkeit immer längerer Zahlungsziele, fließen hier ein. Das ist die kleinste Granularität. Diese Zusammenschau ergibt eine gute und wertvolle Informationsbasis. 

 

"Das heißt, wir nehmen unsere eigene Medizin und sind selbst im Risiko, wenn wir unseren Kunden eine Auskunft erteilen." 

Dagmar Koch, Country Managerin Coface Österreich

 

Wie wichtig sind Services in dieser Art aktuell?
Wir haben momentan Insolvenzen ohne Ende. Wir liegen nach dem dritten Quartal bei über 5.100 Insolvenzen und rechnen mit 7.000 am Jahresende. Das ist ein Trend, der extrem gestiegen ist; so etwas haben wir in den letzten zehn Jahren nicht gesehen. Da ist Wachsamkeit wichtig. Blindes Vertrauen, auch in langjährige Geschäftspartner, ist gefährlich. Ein Unternehmen in "Schieflage" wird bis zum letzten Moment versuchen, seine Rechnungen zu begleichen. Das hat aber den Nachteil, dass man es als Letzter erfährt. Und da kommt die Kreditversicherung ins Spiel. Wir wissen früher davon, weil wir Überfälligkeitsmeldungen erhalten, damit der Versicherungsschutz bestehen bleibt. Damit haben wir eine Hygienefunktion und eine Vorwarnfunktion. Mit dem Rückspiegel zu fahren, führt garantiert zum nächsten Unfall. Sinnvoll ist es, nach vorn zu blicken, und dafür sind aktuelle und gute Informationen unumgänglich. 

Gibt es ein bestimmtes Thema, auf das Unternehmen derzeit besonders achten sollten?
Was ich in letzter Zeit beobachte, ist ein enormer Druck auf die Margen, gerade bei Klein- und Mittelbetrieben. Wo wir früher 20 Prozent Gewinnmarge gesehen haben, sehen wir jetzt oft nur fünf Prozent. Den großen Unternehmen ist die Kreditversicherung ein Begriff, aber kleinere Unternehmen haben oft viele Themen, die sie treiben, und übersehen dabei, dass ein Zahlungsausfall für sie existenziell werden kann, wenn die Gewinnmarge zurückgeht. Wenn etwa einer ihrer Abnehmer in Konkurs geht und, sagen wir einmal, 50.000 Euro schuldig bleibt, dann musste man früher bei einer Gewinnmarge von 20 Prozent 250.000 Euro Neugeschäft machen, um den Schaden aufzuholen – das war machbar. Heute, bei einer Gewinnmarge von nur fünf Prozent, muss man auf einmal eine Million Euro Neugeschäft machen. Das ist wahnsinnig viel und kann einem Unternehmen das Genick brechen. Kreditversicherungen nehmen den Unternehmen dieses Risiko ab. In einem Fall wie diesem kostet das in etwa ein Promille – und man ist dann auf der sicheren Seite.

Gerade für die kleinen Unternehmen haben wir deshalb eine Versicherung entwickelt, die sich Easyliner nennt. Man muss dafür sehr wenige Obliegenheiten erfüllen, und es ist sehr einfach im Handling. Easyliner ist für Unternehmen mit einem Umsatz von 500.000 Euro bis maximal zehn Millionen Euro ausgelegt. Wenn ich fünf Millionen Umsatz habe, kostet mich das 5.000 Euro. Ich sage immer, unsere Kernkompetenz ist, dass unsere Kunden gut schlafen können. 

Sie haben vorhin Insolvenzen angesprochen. Wie ist denn gerade die allgemeine wirtschaftliche Lage in Österreich auf Basis Ihrer Zahlen? Welchen Branchen geht es besser, welchen schlechter? Und wie ist das im geopolitischen Kontext zu sehen?
Auf der einen Seite haben wir die längste Rezession in der Nachkriegszeit, und das spüren durch die Bank alle Branchen – manche etwas mehr als andere. Die Automobilzulieferindustrie und der Bau sind sicher besonders gebeutelt worden. Wobei wir im Bau eine ganz leichte Erholung sehen. Ich glaube, dass wir die Talsohle durchschritten haben. Ich erwarte aber keine rasante Erholung.

Unsere Exportquote ist nach wie vor unerfreulich. Das ist einerseits getrieben durch die USA, direkt, weil wir sieben Prozent unserer Wirtschaftsleistung dorthin exportieren, aber auch indirekt. Wir exportieren 29 Prozent nach Deutschland, und die wiederum exportieren viel in die USA. Diese indirekten Effekte treffen uns natürlich auch in Österreich. Diese Unsicherheit ist nach wie vor problematisch. Man weiß ja nie, was den USA morgen einfällt. 

Auf der anderen Seite fehlt uns als Europa eine klare Linie. Wollen wir das Verbrenner-Aus? Ja, nein, wann? Wer kann es Unternehmern verübeln, dass sie Investitionsentscheidungen vertagen? Das Fehlen einer klaren Linie, mangelndes strategisches Denken über eine Legislaturperiode oder über ein Vorstandsmandat hinaus sehe ich als Problem für die europäische Wirtschaft. Positiv ist, was derzeit in Deutschland passiert – mit Investitions-Boost, Genehmigungsturbo und auch den Investitionen in Verteidigung. Das wird garantiert auch einen positiven Effekt auf Österreich haben. Deutschland hat uns ein bisschen in die Krise mitgenommen, wird uns jetzt aber auch wieder aus der Krise herausbegleiten.

Coface-Österreich-Chefin Dagmar Koch rät dazu, in der aktuellen wirtschaftlichen und geopolitischen Lage besonders wachsam zu sein. ©RNF

 

Müssen wir uns an diese Unsicherheit, die uns schon einige Jahre begleitet, gewöhnen?
Wir werden auch in Zukunft mit Unsicherheit umgehen müssen. Wir haben das aber auch schon ganz gut gelernt. Wenn wir uns nur einmal anschauen, was in den letzten drei Jahren alles passiert ist: Wir haben den Schock des Ukraine-Kriegs erlebt und ihn mittlerweile auch in unsere Normalität integriert. Wir haben gelernt, mit den Energiepreisen, den Sanktionen und auch diesem gewissen "Eye-Opening-Moment" umzugehen, den es für Europa gab – weniger für unsere osteuropäischen Nachbarn. Ich glaube, dass unsere Strategie als Coface richtig ist: belastbare und faktenbasierte Daten zur Verfügung zu stellen, um diesen Fake-Informationen, die oft getrommelt werden – auch politisch –, mit faktenbasierten Zahlen entgegenzutreten. Dann kann man auf einem anderen Level Entscheidungen für die Zukunft treffen. Meine Message lautet: Die Unsicherheit wird bleiben. Und gut durch die Unsicherheit kommt der, der die richtigen Tools hat, um agil damit umzugehen.

Wie können Unternehmen mit diesen Risiken umgehen?
Diejenigen, die gut durch die Krisen kommen, agieren faktenbasiert und denken in Szenarien. Angesichts der Unsicherheit ist es sinnvoller, nicht nur eine Möglichkeit zu haben, sondern sich A, B und C überlegt zu haben. Leider ist es aber oft so, dass Unternehmen in Schockstarre sind und dass sich gerade Familienunternehmen wahnsinnig schwertun mit harten Entscheidungen, etwa wenn es um Mitarbeiter geht – was ja auch ein besonderer Wert ist. Dann ist es manchmal aber zu spät, und das kostet am Ende alle den Job.

Wir können nicht bei unternehmerischen Entscheidungen unterstützen, aber wir können helfen, indem wir aktuelle und gute Daten zur Verfügung stellen und diese Risiken absichern. Mit dieser Absicherung geht oft eine Liquiditätsgenerierung einher, die für Unternehmen sehr positiv in der Working-Capital-Optimierung ist: Factoring. Das ist etwas, das in Zeiten wie diesen wichtig ist, weil so eine Factoring-Linie einerseits mit den Umsätzen des Unternehmens "atmet". Auf der anderen Seite kann ich, wenn ich eine Kreditversicherung habe, diese Forderungen regresslos, also ohne Rückhaftung auf mich, verkaufen. Als Unternehmen verkürze ich damit meine Bilanz und stärke meine Eigenkapitalquote. Banken schauen auf die Eigenkapitalquote und die Liquidität. 

 

"Meine Message lautet: Die Unsicherheit wird bleiben. Und gut durch die Unsicherheit kommt der, der die richtigen Tools hat, um agil damit umzugehen." 

Dagmar Koch, Country Managerin Coface Österreich

 

Kann man in so einer schwierigen Situation vielleicht auch Chancen sehen?
Ich gebe Ihnen ein paar konkrete Beispiele. Ich sehe die Kreativität des österreichischen Mittelstands wirklich sehr positiv: In der Coronakrise habe ich zum Beispiel einen Schnapsproduzenten beobachtet, der anstatt Schnaps Desinfektionsmittel produziert hat. Er hat sozusagen aus der Not eine Tugend gemacht und tolle Erträge mit dieser Idee generiert. Im Tourismus gibt es Unternehmen, die in den weniger frequentierten Saisonen, anstatt Hotels oder Skihütten zu beliefern, Gefängnisanstalten mit gutem Essen versorgen. Im Großen gibt es die Chancen, im Kleinen gibt es die Chancen auch. Man muss sie finden und nützen, und da sind die österreichischen Unternehmerinnen und Unternehmer sehr kreativ. Stichwort Stärkung der Verteidigung in Europa: Ich sehe auch Unternehmen in Österreich, die sich hier stärker positionieren. Es sind ja nicht alles Waffen, Minen und Geschütze, man braucht auch Transportmöglichkeiten. Die Chancen zu nützen, die sich – leider – bieten, halte ich für eine sehr wichtige und gute Maßnahme.

Zum Abschluss noch ein anderes Thema: Der Strategieplan von Coface bis 2027 heißt "Power the Core". Was bedeutet das?
Im Grunde genommen geht es darum, dass der Kern unseres Tuns auf guten, qualitativen Daten basiert. Power the Core heißt, sich stärker auf diesen Kern zu fokussieren und weg von der reinen Kreditversicherung zu gehen, hin zu einem umfassenden Daten- und Serviceprovider. Dafür gibt es im Wesentlichen vier Säulen, auf denen das alles aufgebaut ist. Die erste Säule ist natürlich unsere Legacy, die Kreditversicherung. Die zweite Säule ist die Business-Information, also die Daten, die wir in einer möglichst einfachen und übersichtlichen Art zur Verfügung stellen. Das ist die dritte, ganz wesentliche Säule, die sich um Themen wie Datenkonnektivität, Artificial Intelligence und die Geschwindigkeit und Genauigkeit unserer Daten dreht.

Diese Säulen nützen aber nichts, wenn sie kein solides Fundament haben, auf dem sie stehen, und das sind unsere Werte und unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das ist die Basis von unserem Erfolg: unsere Experten und Expertinnen und unsere Begeisterung für den Kunden, die jede und jeden Einzelnen hier, besonders in Österreich, treibt, neue Dinge zu entwickeln. Uns stärkt aber auch die Zusammenarbeit mit den regionalen und globalen Teams. Ein globales Geschäft mit Kunden in 200 Ländern weltweit, wie das von Coface, funktioniert nicht ohne Kollaboration und Mitarbeit von allen. (RNF)