Tausendfach verklagt: Ex-Wirecard-Vorstandschef Braun © APA - Austria Presse Agentur
Im Prozess um milliardenschwere Schadenersatzforderungen Zehntausender Wirecard-Aktionäre rückt der Wirtschaftsprüfer EY ins Zentrum. Ob neben dem österreichischen Ex-Wirecard-Chef Markus Braun und den von Insolvenzverwaltern vertretenen Firmenresten auch die Wirtschaftsprüfer für mögliche Verfehlungen überhaupt zur Verantwortung gezogen werden könne, gehe aus dem Gesetz nicht eindeutig hervor, erklärte das Bayerische Oberste Landesgericht zum Verhandlungsauftakt am Freitag.
Das müsse im Prozess geklärt werden. Hoffnungen der Kläger richten sich vor allem auf EY, da dieses Unternehmen als weitaus zahlungskräftigster der Beklagten gilt. Das Gerichtsverfahren ist eines der umfangreichsten der deutschen Geschichte. In dem Prozess nach dem sogenannten Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) sollen zahlreiche Kernfragen von 8.500 Einzelprozessen geklärt werden, die vor dem Landgericht anhängig sind. Weitere 19.000 Anleger, die nicht vor dem Landgericht klagen, haben Ansprüche direkt beim Obersten Landesgericht angemeldet. Im Hintergrund stünden Aktionärsforderungen von bis zu 8,5 Mrd. Euro, sagte die Präsidentin des Obersten Landesgerichts und Senatsvorsitzende, Andrea Schmidt. Mehrere der rund 50 Anwälte verschiedener Prozessbeteiligter drangen am Freitag darauf, dass das Gericht das ungewöhnlich komplexe Verfahren rasch vorantreibt.
Gericht: Wohl zu früh für einen Vergleich
Denn erst wenn die Kernfragen mit einem Urteil in voraussichtlich einigen Jahren beantwortet sind, könnte das Landgericht auf dieser Basis über die Einzelforderungen entscheiden. Schmidt forderte die Prozessparteien auf, einen Vergleich nicht aus den Augen zu verlieren: "Der Senat denkt schon, dass alle Beteiligten gut beraten wären, hier über eine gütliche Einigung nachzudenken." Allerdings sei es bei dem gegenwärtigen Verfahrensstand wohl noch zu früh, darüber zu reden, räumte sie ein. Die Anlegervereinigung SdK rechnet damit, dass am Ende ein Vergleich stehen werde, wie ihr Vorstandsmitglied Marc Liebscher sagte.
Kläger konzentrieren sich vor allem auf EY. "Markus Braun hat keine acht Milliarden Euro", sagte Liebscher. "EY hat auch keine acht Milliarden Euro, aber EY hat wesentlich mehr Haftungsmasse als Markus Braun." EY hatte die mutmaßlich falschen Wirecard-Bilanzen abgesegnet. Der Münchner Zahlungsdienstleister brach im Juni 2020 zusammen, als aufflog, dass dem Konzern auf Treuhandkonten in Asien 1,9 Mrd. Euro fehlten.
EY, Braun und die übrigen Beklagten, die am Freitag allein ihre Rechtsanwälte in die Verhandlung schickten, sehen sich nicht in der Verantwortung. Knackpunkt im Falle von EY sei die Frage, ob die von den Wirtschaftsprüfern ausgestellten Abschlussvermerke (Testate) als Kapitalmarktinformation anzusehen seien, sagte Richterin Schmidt. "Der Senat hat sich zu dieser Streitfrage noch keine abschließende Meinung gebildet." Das Gericht werde das Für und Wider im Lauf des Verfahrens eingehend prüfen. "Wir bitten darum, möglichst verfahrensökonomisch vorzugehen", sagte einer der Rechtsanwälte. "Wir wollen ja hier vorankommen", fügte ein anderer hinzu.
Richterin rügt Vorarbeit des Landgerichts
Den vom Landgericht vorgelegten Fragenkatalog bezeichnete Richterin Schmidt jedoch als weitgehend unbrauchbar. "Die juristische Qualität dieses Vorlagebeschlusses ist, sehr vorsichtig formuliert, äußerst dürftig", sagte die Senatsvorsitzende. Die so genannten Feststellungsziele etwa zu Wirecard-Geschäftsberichten und zur Rolle der Wirtschaftsprüfer seien weitgehend "unbestimmt und damit unzulässig".
Das bedeute zwar keineswegs, dass der Prozess platze, erfordere aber umfassende Nacharbeit, machte die Richterin deutlich. "Wir sehen sehr wohl, dass geschädigte Anleger im Fall Wirecard Schadenersatzansprüche haben könnten", sagte sie. "Aber das kann eben nur in einem ordnungsgemäß betriebenen Verfahren geklärt werden." Dafür werde sich das Oberste Landesgericht zu einem späteren Zeitpunkt mit umfangreichen Ergänzungsanträgen der Prozessbeteiligten befassen. Diese umfassen nach Angaben des Gerichts rund 2500 weitere sogenannte Feststellungsziele, also zu klärende Einzelpunkte. Eine Entscheidung über das weitere Vorgehen will das Gericht am 28. Februar verkünden.
Dieser Termin soll dann wieder im Münchner Justizpalast stattfinden. Denn am Freitag war der Andrang in der eigens angemieteten früheren Flughafenhalle am Rande der Münchner Messe geringer als erwartet. Auf den rund 300 Zuhörerplätzen nahmen nur etwa 70 Personen Platz, darunter viele Journalisten. Prozessbeteiligte verwiesen auf den Wintereinbruch in München, der möglicherweise einige von der Anreise abgehalten habe.