Größter deutscher Betrugsfall seit 1945 © APA - Austria Presse Agentur

Mit einer Entschuldigung und Angriffen gegen den Kronzeugen hat der dritte Angeklagte im Wirecardprozess am 138. Verhandlungstag sein Schweigen gebrochen. Der ehemalige Chef der Buchhaltung, E., räumte zu Beginn seines auf 2 Tage angesetzten Statements ein, Fehler gemacht zu haben, die er bereue und für die er sich entschuldigen wolle. Jedoch wies er an vielen Stellen auch Verantwortung und Zuständigkeit von sich und attackierte den Kronzeugen der Anklage, Oliver Bellenhaus.

Bellenhaus, der die Anklage weitgehend einräumt und dessen Aussage die beiden anderen Angeklagten belastet, sei "gut im Lügen und Verdrehen", sagte E. im Laufe seiner selbstverfassten Aussage, die seiner Verteidigerin zufolge rund 190 Seiten umfasst. Den "Belastungseifer" seines Mitangeklagten führte E. unter anderem darauf zurück, dass dieser ihm seinen Titel und sein Gehalt geneidet habe. Zudem habe er ihn mit seinen Nachfragen nach Belegen "genervt" - wohl auch weil Bellenhaus diese dann habe fälschen müssen.

Von sich selbst zeichnete E. dagegen ein vollkommen anderes Bild. Er habe sich nicht persönlich bereichert und stets nur das Beste für das Unternehmen gewollt. Darüber hinaus will er für vieles aber nicht zuständig gewesen sein oder keine Zeit dafür gehabt haben. Zudem betonte der ehemalige Chef der Buchhaltung, selbst eigentlich kein Buchhalter zu sein.

"Ich hatte sehr viele Themen auf dem Tisch und kam mir vor wie ein Jongleur, der voll damit beschäftigt war, dass kein Ball herunterfällt", beschrieb E. seine Tätigkeit. Dabei habe er keine Zeit gehabt, sich mit den einzelnen Bällen eingehender zu beschäftigen. Heute sehe er aber ein, dass er innehalten und dies hätte tun sollen.

Insgesamt zeichnete E. ein Bild von schlechter personeller Ausstattung, schlechten Prozessen und überforderndem Arbeitsvolumen."Es war eigentlich immer so, dass zwei Leute gleichzeitig etwas von mir wollten", beschrieb er seinen typischen Arbeitstag. Insbesondere bei den Jahresabschlüssen habe es viel Zeitdruck gegeben. "Man hat nicht die Zeit und die Kraft, alles zu hinterfragen. Dafür gibt es die Fachabteilung", sagte E. Auf deren Informationen müsse man vertrauen können. Oft habe man deren Antworten nur an die Wirtschaftsprüfer weitergeleitet. "Wenn die zufrieden damit waren, waren wir es auch."

Zum Drittpartnergeschäft, das beim Zusammenbruch von Wirecard eine zentrale Rolle spielte, äußerte sich E. zunächst kaum. Er schränkte Erwartungen allerdings bereits zu Beginn seiner Aussage ein. Dies sei nicht Schwerpunkt seiner Arbeit gewesen, viele Informationen dazu habe er nur vom Hörensagen. Er könne nur "von vielen Jahren Schreibtisch" bei Wirecard erzählen.

"Ein Geständnis haben wir nicht gehört", fasste Gerichtssprecher Laurent Lafleur die erste Hälfte des 138. Verhandlungstags zusammen. Und die Tendenz scheine auch nicht in diese Richtung zu gehen. Die Staatsanwaltschaft zeigte sich "ein kleines bisschen enttäuscht" von den Aussagen. Die Verteidigung des ebenfalls angeklagten Ex-Wirecard-Chefs und gebürtigen Österreichers Markus Braun zeigte sich dagegen zufrieden. Die Aussage E.s stütze die Angaben ihres Mandanten. Man sehe, dass zwei Angeklagte die Wahrheit sagten und einer nicht, sagte sie mit Blick auf Braun und E. beziehungsweise Bellenhaus.

Der Zahlungsdienstleister Wirecard war im Juni 2020 in die Insolvenz gegangen, weil auf Treuhandkonten verbuchte 1,9 Mrd. Euro nicht mehr auffindbar waren. Die Anklage wirft den drei Angeklagten sowie dem abgetauchten früheren Vertriebsvorstand Jan Marsalek und weiteren Komplizen vor, Umsätze in Milliardenhöhe schlicht erfunden zu haben, um den eigentlich defizitären Konzern über Wasser zu halten. In dem seit Dezember 2022 geführten Prozess hatte E. bisher geschwiegen. Braun bestreitet alle Vorwürfe, der geständige Bellenhaus tritt als Kronzeuge auf und beschuldigt die beiden Mitangeklagten.