20 Jahre nach Gründung der ARGE Gentechnik-frei sind Lebensmittel ohne Gentechnik von Österreich aus in ganz Europa zum wichtigen Qualitätsfaktor auf dem Lebensmittelmarkt geworden. © Pixabay
Österreich ist europaweiter Vorreiter in Sachen Landwirtschaft und Lebensmittel ohne Gentechnik. Als erstes Land der EU hat Österreich 2015 die Gentechnikfreiheit ...
... im Anbau sogar in der Verfassung verankert.
Im August 1996 lief das erste Schiff mit gentechnisch verändertem Soja aus den USA den Hamburger Hafen an, um die neue US-Technologie auch in Europa zu verbreiten. Die noch sehr junge Disziplin der Gentechnik sollte damals – wenn es nach dem Willen der großen US-Unternehmen ging – rasch auch in Europa den Durchbruch erzielen. Aber weit gefehlt: Im Großteil Europas überwog die Skepsis. Speziell in Österreich formierte sich eine hartnäckige Ablehnung des Einsatzes der Gentechnik in der Land- und Lebensmittelwirtschaft. Das Gentechnik-Volksbegehren mit 1,23 Millionen Stimmen gegen Gentechnik setzte 1997 ein klares Zeichen. Die von einer Reihe von Pionierbetrieben und -organisationen (anfänglich: SPAR, Berglandmilch, Toni’s Freilandeier, Global 2000 und Bio Austria) gegründete ARGE Gentechnik-frei wurde zum Erfolgsmodell und ist mittlerweile Vorbild für ganz Europa. Kein anderes Land verfügt über ein derart breites Angebot kontrollierter Lebensmittel mit der Qualitätsauslobung „Ohne Gentechnik hergestellt“.
Führungsrolle in der Gentechnikfreiheit
„Österreich hat mit dem Gentechnik-Volksbegehren vor 20 Jahren eine Führungsrolle bei der Gentechnikfreiheit in Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion übernommen. Als erstes Land der EU haben wir 2015 die Gentechnikfreiheit im Anbau sogar in der Verfassung verankert. Ich bin sehr stolz, dass uns das gelungen ist, und ich bin überzeugt, dass unser Weg der richtige ist“, erklärte Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter bei der Festveranstaltung „20 Jahre ohne Gentechnik in Österreich“.
„Ohne Gentechnik hergestellte Produkte sind ein Aushängeschild Österreichs, und wir können zu Recht stolz darauf sein. Schon 1998 hat das Gesundheitsministerium einen verlässlichen Gentechnik-frei-Standard als Richtlinie im Österreichischen Lebensmittel-Codex verankert und seither stetig weiterentwickelt. Damals wurden wir in Europa noch belächelt. In der Zwischenzeit ist der österreichische Standard zur europäischen Benchmark geworden. Zahlreiche EU-Länder folgen mittlerweile unserem Vorbild und setzen verstärkt auf gentechnikfreie Lebensmittel“, bekräftigt Gesundheitsministerin Pamela Rendi-Wagner die Vorreiterrolle Österreichs.
„Ohne Gentechnik hergestellt“ – Markenzeichen für österreichische Qualitätsprodukte
Mit dem Kontrollzeichen „Ohne Gentechnik hergestellt“ hat sich die ARGE Gentechnik-frei, Europas erstes und erfolgreichstes Kennzeichnungssystem für gentechnikfrei erzeugte Lebensmittel, 20 Jahre nach ihrer Gründung als wichtige Qualitätsinstitution auf dem Markt etabliert. Es ist dabei eine wesentliche Markttransformation gelungen: Heute sind mehr als 3.300 österreichische Lebensmittel mit dem Kontrollzeichen „Ohne Gentechnik hergestellt“ ausgelobt. Bei Milch und Molkereiprodukten, Eiern sowie beim Großteil des Geflügelfleischs (Huhn, Pute) ist die Gentechnikfreiheit Branchenstandard. Produkte mit dem grünen Kontrollzeichen „Ohne Gentechnik hergestellt“ erfüllen die strengen Produktionsvorschriften des Österreichischen Lebensmittel-Codex bzw. der EU-Bioverordnung; deren Einhaltung wird auf allen Stufen der Produktion regelmäßig von unabhängigen Kontrollstellen überprüft.
„Die Nachfrage nach dem Kennzeichen ‚Ohne Gentechnik hergestellt‘ hat in den letzten Jahren massiv zugenommen. Österreichs Lebensmittelhersteller haben erkannt, dass das Qualitätszeichen auf dem heimischen Markt, aber immer mehr auch im Export wichtige Marktvorteile bietet“, erklärt Markus Schörpf, Obmann der ARGE Gentechnik-frei. „Damit ist Österreichs Lebensmittelbranche bei der Gentechnikfreiheit den europäischen Mitbewerbern klar voraus. Erfreulich ist außerdem: Derzeit gewinnt die Gentechnikfreiheit in ganz Europa an Bedeutung und Nachfrage. In den letzten Jahren sind in mehreren europäischen Ländern – z. B. in Deutschland, Frankreich, Italien, Slowenien und Luxemburg – nach österreichischem Vorbild vergleichbare Systeme entstanden. Die Gentechnikfreiheit hat damit die Chance, vom österreichischen Erfolgsmodell zu einem europäischen Qualitätsstandard zu werden.“
Das Kontrollzeichen genießt hohes Vertrauen
74 Prozent der Konsumenten (Focus 2015) bewerten
das Kontrollzeichen als glaubwürdig. 81 Prozent der Konsumenten erachten gentechnikfreie Produktion als sehr wichtig bzw. wichtig für ihre Kaufentscheidung (AMA 2016; im Vergleich: Frische – 99 Prozent, hohe Qualität – 98 Prozent, österreichische Herkunft: 90 Prozent).
Tragende Rolle für österreichische Milchwirtschaft
„Von allem Anfang an nahm die Milchwirtschaft eine treibende Rolle bei der gentechnikfreien Produktion ein“, erinnert sich Florian Faber, Geschäftsführer der ARGE Gentechnik-frei. „Die Berglandmilch hat die ARGE Gentechnik-frei in ihrer Gründungsphase maßgeblich inhaltlich, bei der Erstellung der Richtlinien für Produktion und Kontrolle, aber auch finanziell gefördert. Die Tirolmilch war 2003 das erste große österreichische Unternehmen, das einen Teil der Produktion auf gentechnikfrei umstellte. Derartige Pionierbetriebe, die gegen zum Teil erheblichen Widerstand von Politik oder Eigentümern die Gentechnikfreiheit als Qualitätsfaktor etablierten, waren in praktisch allen Branchen ein wesentlicher Erfolgsfaktor für den Erfolg der gentechnikfreien Produktion.“
Mit ausschlaggebend für den massiven Schub bei der Umstellung der Milchwirtschaft auf gentechnikfreie Produktion im Jahr 2005 war die EU-Verordnung (EG) 1829/2003 – die Kennzeichnungsverordnung für gentechnisch veränderte Lebensmittel. Die darin enthaltene signifikante Lücke – keine Kennzeichnungspflicht für tierische Produkte mit gentechnisch veränderten Futtermitteln – wurde in Österreich als Chance zur Positionierung gesehen: Bereits 2005 stellten zahlreiche große Molkereien (u. a. NÖM, Kärntnermilch, Obersteirische Molkerei, Gmundner Milch) auf Gentechnikfreiheit um. Im Juni 2010 war die österreichische Milchwirtschaft als erste europäische Branche komplett gentechnikfrei!
GentechnikFreiheit als breiter gesellschaftlicher Konsens
Die Gentechnikfreiheit hat sich in Österreich als breiter gesellschaftspolitischer Konsens etabliert – gemeinsam getragen von Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft. Die ARGE Gentechnik-frei ist dafür ein wichtiges Spiegelbild: Lebensmittelhandel und Hersteller arbeiten dabei ebenso konstruktiv an der Weiterentwicklung der Gentechnikfreiheit wie Organisationen und Institutionen aus den Bereichen Umwelt, Landwirtschaft und Konsumentenschutz.
„Mit der ARGE Gentechnik-frei haben Erzeuger, Umweltorganisationen und innovative Händler vor 20 Jahren Einzigartiges für die Gesundheit der Bevölkerung und die Sicherheit der Umwelt geschaffen. Diese Partnerschaft hat den Siegeszug des Gentechnik-frei-Standards ermöglicht und Österreich zum weltweiten Vorreiter gemacht“, erklärt SPAR-Vorstandsvorsitzender Gerhard Drexel. Die Plattform habe aber auch in Zukunft wichtige Aufgaben – insbesondere angesichts der Freihandelsabkommen wie CETA oder TTIP. Auch Frank Hensel, Vorstandsvorsitzender der REWE International AG, sieht die gentechnikfreie Produktion als klaren Auftrag: „Bei einer überwältigenden Mehrheit der Österreicherinnen und Österreicher besteht unverändert der dringende Wunsch, ausschließlich gentechnikfrei produzierte Lebensmittel zu konsumieren. Kein einziges Produkt, das in den Handelsfirmen der REWE International AG angeboten wird, ist daher gentechnisch verändert, und das wird auch so bleiben.“
Vielfältige Herausforderungen für die nächsten Jahre
Trotz aller Erfolge bestehen weiterhin vielfältige Herausforderungen, um die Gentechnikfreiheit langfristig abzusichern. So gibt es wichtige Bereiche in der österreichischen Produktion, in denen erst kleine Segmente auf die Herstellung ohne Gentechnik umgestellt sind: Insbesondere in der Schweine- und Rinderfütterung sind Maßnahmen gefragt, um eine großflächige Umstellung auf eine gentechnikfreie Produktion voranzutreiben. Bis dato haben insbesondere Qualitätsmarken (wie z. B. Gourmetfein, Fleischwaren Berger, Hütthaler, Schirnhofer bzw. manche Eigenmarken im LEH) auf gentechnikfreie Fütterung umgestellt.
Auch auf europäischer Ebene stellen sich große Aufgaben: Zwischen den bis jetzt existierenden nationalen Gentechnik-frei-Kennzeichnungssystemen (aktuell: D, F, I, LUX, SLO; in Vorbereitung: P, B, CH, H, BiH, HR) gibt es zum Teil deutliche Unterschiede in den Anforderungen an Produktion und Kontrolle. Eine europaweite Harmonisierung wird notwendig sein, wenn sich noch weitere Staaten dem österreichischen Beispiel anschließen. Das seit vielen Jahren in der Praxis erprobte österreichische System sollte dabei in der EU als Benchmark und Messlatte dienen.
Technologisch wird das Hauptaugenmerk auf die „neuen Züchtungstechniken“ zu werfen sein. Dabei werden gentechnische Methoden, wie z. B. derzeit die Genschere (CRISPR/CAS), als Zukunftstechnologien diskutiert, um das Genom von Pflanzen zu verändern. Anders als bei herkömmlichen Methoden der Gentechnik erfolgen die Veränderungen gezielter, aber auch breiter und tiefgehender. Teilweise werden auch keine artfremden Gene eingefügt, um die Eigenschaften der Pflanze zu verändern. Der Nachweis dieser Methoden im Endprodukt ist zumeist schwierig bis derzeit unmöglich.
„Wir haben viel erreicht, und die letzten 20 Jahre sind für Österreich ganz sicherlich eine Erfolgsstory. Wir werden den Schwung und die Zuversicht daraus nutzen, um auch weiterhin im breiten gesellschaftlichen Konsens der Gentechnik in Österreich wirkungsvoll Einhalt zu bieten“, sieht Markus Schörpf die Aufgaben für die Plattform als noch lange nicht beendet an. (BO)
INFO-BOXGentechnikfreie Milch – was bedeutet das im Klartext?Die Auslobung von Milch und Milchprodukten sowie von anderen Lebensmitteln als „Ohne Gentechnik hergestellt“ ist in der „Richtlinie zur Definition der gentechnikfreien Produktion und deren Kennzeichnung“ im Österreichischen Lebensmittel-Codex sowie im „Leitfaden zur risikobasierten Kontrolle auf Gentechnikfreiheit“ des BMWFW geregelt. Jährliche Kontrollen durch unabhängige Kontrollstellen – analog zu den Bio-Kontrollen – sind Voraussetzung für die Zertifizierung und Zeichenvergabe. Im Vordergrund steht dabei die Fütterung: Gentechnikfreie Futtermittel sowie alle Zutaten (Rohwaren, Zutaten, Zusatzstoffe, Verarbeitungshilfsstoffe) dürfen keine gentechnisch veränderten Organismen (GVO) sein, nicht aus GVO bestehen und keine GVO enthalten.