Österreichs Wirtschaft im Sog des Konjunkturabschwungs © Adobe Stock/Scanrail
Die Welt ist in eine Schieflage geraten – und Österreich gleich mit. In der globalisierten Wirtschaft ist eben niemand eine Insel. Noch dazu haben die heimischen exportorientierten Unternehmen ...
... einen überproportional großen Einfluss auf Produktivität, Innovation, Beschäftigung und Wertschöpfung im Land. Kann Österreichs Wirtschaft sich dem Sog des internationalen Konjunkturabschwungs entziehen und ihre Balance halten?
Österreich lebt vom Export – so weit, so bekannt. Immerhin werden mehr als zwei Drittel des heimischen BIP – auch unter Berücksichtigung von importierten Intermediärgütern – im Ausland erwirtschaftet. Das ist in Anbetracht der aktuellen Herausforderungen auf dem internationalen Parkett natürlich ein zweischneidiges Schwert, aber die aktuelle Leistungsbilanz Österreichs im ersten Halbjahr 2022 ist laut Zahlen der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) positiv.
Doch wenden wir uns zuerst „ganz allgemein“ den exportorientierten Unternehmen im Land zu. Wie wichtig sind sie für Produktivität, Innovation, Beschäftigung und Wertschöpfung? Entsprechende Untersuchungen zur Lage in Österreich sind spärlich gesät.
Nun hat sich eine neue Studie des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) in Kooperation mit dem Austrian Institute of Technology (AIT) diesen Fragen gewidmet, aufbauend auf einer ähnlichen Studie aus dem Jahr 2009 und mit Daten aus den Jahren 2008 bis 2019 unterfüttert.
Große Leitbetriebe sind Exportweltmeister
„Unternehmen, die exportieren, sind wesentlich größer, innovativer, produktiver und auch profitabler, zahlen höhere Löhne, investieren mehr und tun auch mehr für den Umweltschutz“, fasst Robert Stehrer, wissenschaftlicher Direktor des wiiw und Co-Autor der Studie, zusammen. Gemeinsam mit Bernhard Dachs vom AIT hat Stehrer dafür 5.000 Unternehmen aus der Sachgüterproduktion analysiert. Zwei Drittel von ihnen – in Zahlen 3.500 – exportieren ihre Produkte auch ins Ausland.
Die größten unter ihnen zeichnen dabei zugleich für den Löwenanteil der Exporte verantwortlich. So entfielen 2019 wertmäßig immerhin 65 Prozent der Ausfuhren auf die größten fünf Prozent der Unternehmen im Land. Das Viertel der größten heimischen Firmen tätigte sogar 90 Prozent aller Exporte. Ebenso steigt die Bedeutung von Exporten für die Geschäftstätigkeit mit der Firmengröße.
Während Unternehmen bis 49 Beschäftige im Schnitt weniger als 20 Prozent ihrer Umsätze im Ausland erzielen, sind Firmen mit über 1.500 Beschäftigten fast ausschließlich Exporteure (97 Prozent Umsatzanteil). „Exportweltmeister sind also vor allem die großen Leitbetriebe in der Industrie“, so der Co-Autor der Studie Bernhard Dachs vom AIT.
Exportorientierte Unternehmen weisen auch eine deutlich höhere Arbeitsproduktivität auf. Bei ihnen liegt sie pro Arbeitsstunde um den Faktor 1,2 bis 1,6 höher als bei Firmen, die nicht exportieren. Obwohl der Anteil der Exporteure bei den heimischen Unternehmen bei zwei Dritteln liegt, sorgen sie für nicht weniger als 90 Prozent der Beschäftigung, des Umsatzes, der Investitionen und der Ausgaben für Umweltschutz. „Die Kehrseite davon ist allerdings auch eine hohe wirtschaftliche Anfälligkeit für Lieferkettenprobleme, wie uns der Ukraine-Krieg – etwa in der Autoindustrie – gerade wieder vor Augen führt“, argumentiert Robert Stehrer.
Forschung und Entwicklung sind die Grundvoraussetzung
Firmen, die im Export tätig sind, investieren auch viel mehr Geld in Forschung und Entwicklung sowie Digitalisierung. Das zeigt vor allem der Hochtechnologiebereich. Hightech-Unternehmen weisen mit rund 80 Prozent die höchsten F&E-Aktivitäten und mit 70 Prozent auch den größten Exportanteil am Umsatz auf. Das eine bedingt dabei das andere. „Lukrative Exportmöglichkeiten schaffen Anreize, innovative Produkte zu entwickeln. Forschung und Entwicklung sind aber überhaupt die Grundvoraussetzung, um international konkurrenzfähig zu sein“, erklärt Bernhard Dachs, Ökonom am AIT.
Die Politik sollte daher alles tun, um Forschung und Entwicklung, die Produktivität und die Exportmöglichkeiten der Unternehmen zu stärken, so die Autoren. Mehr Innovation spielt dabei aus ihrer Sicht die Schlüsselrolle. „Verstärkte Anstrengungen bei Forschung und Entwicklung und eine Wissenschafts- und Bildungspolitik, die ein Umfeld schafft, in dem Forschung gedeihen kann, wären essenziell“, meint Dachs. Nur so werde man auch mehr Menschen für einschlägige Berufe begeistern und damit den akuten Fachkräftemangel gerade in den Naturwissenschaften lindern können.
Die aktuelle Lage
Doch jetzt „Butter bei die Fische“: Wie sehen die Zahlen ganz aktuell aus? Den Ergebnissen der eingangs erwähnten Leistungsbilanz für das erste Halbjahr 2022 zufolge gar nicht so schlecht. Trotz der außergewöhnlichen Rahmenbedingungen, insbesondere einer fortgesetzten Disruption von Liefer- und Produktionsketten und rasch steigender Energiepreise, hat die OeNB für Österreichs Außenwirtschaft einen positiveren und stärkeren Beitrag zum Wirtschaftswachstum errechnet, als 2021 erzielt werden konnte – nämlich 3,6 Milliarden Euro oder 1,7 Prozent des BIP.
Die gesamte Leistungsbilanz Österreichs, einschließlich Erwerbs- und Vermögenseinkommen sowie laufender Transfers vis-à-vis der übrigen Welt (Primär- und Sekundäreinkommen), bilanzierte immerhin geringfügig positiv im Ausmaß von knapp einer Milliarde Euro oder 0,5 Prozent des BIP und kehrte damit, nach dem Defizit im ersten Halbjahr 2021, wieder zu einem Einnahmenüberschuss zurück.
Die Güterhandelsbilanz wies laut Zahlungsbilanzstatistik der OeNB ein Einnahmendefizit in Höhe von minus 0,8 Milliarden Euro aus. Die Importe wuchsen unter dem Eindruck stark steigender Preise für Energie- und Brennstoffe im Vergleich zu den Exporten stärker, was gegenüber dem ersten Halbjahr 2019, als Maßstab für die nominellen Werte vor Ausbruch der Covid-19-Pandemie, ein Wachstum um 29 bzw. 24 Prozent bedeutet. Positiv ausgewirkt haben sich auf die Güterbilanz Transithandelserträge (4,1 Mrd. Euro) sowie jene Erträge, die aus dem Warenverkehr im Zuge internationaler Produktionsketten stammten (2,6 Mrd. Euro).
Reiseverkehr erholt sich, bleibt aber unter dem Niveau von 2019
Die Reiseverkehrseinnahmen Österreichs betrugen im ersten Halbjahr 2022 nach erster Schätzung 8,2 Milliarden Euro. Das ist um knapp ein Viertel weniger als noch im Vergleichszeitraum des Jahres 2019, aber deutlich mehr als 2020 (7,3 Mrd. Euro) und vor allem 2021 (1,3 Mrd. Euro). Der Hauptanteil der Einnahmen kam von Gästen aus dem Nachbarland Deutschland, deren Marktanteil sich auf knapp 50 Prozent erhöhte.
Die Durchschnittsausgaben ausländischer Gäste in Österreich (gesamte Reiseverkehrsausgaben pro gezählte Übernachtung) lagen mit rund 182 Euro um zwei Prozent unter jenen des ersten Halbjahres 2019. Unter Berücksichtigung des Preisauftriebs in Beherbergung und Gastronomie habe sich das Ausgabeverhalten im Reiseverkehr in realer Betrachtung allerdings deutlich verringert, so die OeNB.
In den finanziellen Forderungs- und Verpflichtungsbeständen Österreichs gegenüber dem Ausland spielte im Umfeld der gegenwärtigen globalen Friktionen neben dem Anstieg der Auslandsverschuldung des Sektors Staat und des Bankensektors die Marktabwertung, sowohl der Forderungen als auch der Verbindlichkeiten, aufgrund von negativen Preiseffekten eine deutliche Rolle. Eine negative Börsendynamik drückte auf die Aktienbestände, und die Kurse von verzinslichen Wertpapieren sanken im Umfeld steigender Zinsen. Wechselkurseffekte infolge der Abwertung des Euro wirkten im Vergleich zu den Preiseffekten nur geringfügig.
In Summe sanken die österreichischen Bestände an Auslandsverbindlichkeiten in Absolutwerten wesentlich stärker als jene der Forderungen. Im krisengeschüttelten internationalen Umfeld resultierte daraus ein beachtlicher Anstieg der Nettovermögensposition Österreichs (ein Plus von 37 Prozent gegenüber dem zweiten Quartal 2021) auf einen Rekordwert von 77 Milliarden Euro im Vergleich zum zweiten Quartal 2021.
Österreichs Wirtschaft im Sog des Konjunkturabschwungs
Eine aktuelle Einschätzung und Prognose publizierte jüngst auch das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo) und titelte düster mit „Österreichs Wirtschaft im Sog des internationalen Konjunkturabschwungs“. „Die Lage auf den Energiemärkten hat sich zuletzt deutlich entspannt. Weil die Preise dennoch höher waren als im Vorjahr, treiben sie nach wie vor die Inflation“, so der Autor des aktuellen Konjunkturberichts, Stefan Ederer.
Die internationale Konjunktur schwächt sich laut Wifo seit dem Frühjahr ab. Die hohen Energie- und Rohstoffpreise dämpfen dabei die Stimmung der Unternehmen und privaten Haushalte. Während der weltweite Warenhandel in den Sommermonaten etwas an Schwung verlor, hat sich das Wachstum der Industrieproduktion aber bislang nicht verlangsamt. In den USA wuchs die Wirtschaft im dritten Quartal wieder kräftig, nachdem sie im ersten Halbjahr geschrumpft war.
Im Euroraum hingegen schwächte sich die Konjunktur in den Sommermonaten ab. Unternehmensbefragungen würden darauf hindeuten, dass der Konjunkturabschwung in den nächsten Monaten anhält. Die Lage auf den Energie- und Rohstoffmärkten hat sich zuletzt zwar leicht entspannt, und der Erdgaspreis, der seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine enorm gestiegen war, gab im Oktober stark nach. Die Rohstoffpreise lagen aber dennoch deutlich über den Vorjahreswerten, sodass die Inflation weltweit hoch blieb.
In Österreich stagnierte die Wirtschaft dem Wifo zufolge im dritten Quartal. Die Exporte und die Wertschöpfung in der Sachgütererzeugung sanken im Sog des internationalen Konjunkturabschwungs gegenüber dem Vorquartal. Auch die Bruttoanlageinvestitionen gingen zurück. Die Konsumausgaben der privaten Haushalte stützten hingegen trotz hoher Energiepreise die Konjunktur.
Die Aussichten für die österreichische Wirtschaft sind laut Wifo-Konjunkturtest eher trüb. Sowohl die Einschätzungen zur aktuellen Lage als auch die Konjunkturerwartungen der befragten Unternehmen verschlechterten sich im Oktober weiter. Die Inflation erreichte laut Schätzung von Statistik Austria im Oktober mit elf Prozent einen neuen Höchstwert. Strom und Gas dürften trotz der leichten Entspannung auf den Energiemärkten abermals die stärksten Preistreiber gewesen sein. Zudem waren Lebensmittel, Alkohol und Tabak, Industriegüter und Dienstleistungen im September markant teurer als im Vorjahr.
WKÖ und IV machen sich für ihre Mitglieder stark
Die trüben Aussichten haben natürlich bereits die Interessenvertretungen auf den Plan gerufen. So betonte etwa WKÖ-Generalsekretär Karlheinz Kopf Ende November in seinem Rückblick auf das vergangene Halbjahr, dass die Herausforderungen durch Ukraine-Krieg, Energiepreiskrise und abgeschwächte Konjunktur die interessenpolitische Arbeit der Wirtschaftskammer Österreich prägen würden. Kopf: „Österreich wird ein geringes BIP-Wachstum knapp über der Nulllinie prognostiziert, die heimische Industrie könnte in eine Schrumpfung rutschen, und die Sorge und Skepsis der Unternehmerinnen und Unternehmer wächst.“
Vor diesem Hintergrund sei der Energiekostenzuschuss eine wichtige Entlastungsmaßnahme, der aber weitere folgen müssten, betonte Kopf. „Wir kämpfen gerade um die Fortsetzung eines Energiekostenvergütungsmodells ab 1. Oktober, und ich bin zuversichtlich, dass wir ein Anschlussmodell durchsetzen, das dem deutschen um nichts nachstehen wird und auch nicht nachstehen darf“, unterstrich der WKÖ-Generalsekretär mit Verweis auf die enge wirtschaftliche Verflechtung der heimischen mit der deutschen Wirtschaft.
Wenn Förderungen wie der Energiekostenzuschuss erst nachträglich ausgezahlt würden, könne dies zu Liquiditätsengpässen in den Betrieben führen. Daher brauche es jetzt ganz besonders Maßnahmen zur Liquiditätsstärkung, ebenso wie die Wiedereinführung des Verlustrücktrags im Dauerrecht oder die Stundung von Steuern und SV-Beiträgen, ergänzte Kopf.
Auch die Industriellenvereinigung (IV) hat sich ungefähr zur gleichen Zeit bei einem Treffen des europäischen Arbeitgeberdachverbands BusinessEurope in Stockholm für rasche und intelligente Lösungen in der Energiekrise eingesetzt. Zu dem Treffen kamen die Präsidenten der 40 europäischen Industrie- und Arbeitgeberverbände anlässlich des bevorstehenden Beginns der schwedischen EU-Ratspräsidentschaft zusammen. Der hochkarätige Austausch unter anderem mit dem für Industriepolitik zuständigen EU-Kommissar Thierry Breton und der schwedischen Ministerin für Europaangelegenheiten, Jessika Roswall, stand insbesondere im Licht der aktuellen Energiekrise.
Im Rahmen des Treffens verabschiedete der Rat der Verbandspräsidenten die sogenannte Stockholm-Deklaration mit wichtigen Eckpunkten und Empfehlungen für eine kluge Industriepolitik der kommenden EU-Ratspräsidentschaft. „Die Lage ist sehr ernst, und es geht für große Teile der europäischen Industrie eindeutig um das Überleben. Es gibt bereits Anzeichen für eine Verlagerung der Produktion mit allen Konsequenzen wie dem Verlust von zehntausenden Arbeitsplätzen und einem deutlichen Wohlstandsverlust in Europa“, mahnte IV-Präsident Georg Knill. In der Deklaration wiesen die Interessenvertreter auf die Dringlichkeit einer gesamteuropäischen Lösung als „Gamechanger“ in der Energiekrise hin und forderten einmal mehr eine temporäre Entkopplung der Strom- und Gaspreise.
„Wir zählen darauf, dass die schwedische Ratspräsidentschaft alle Möglichkeiten für koordinierte EU-Maßnahmen ausschöpft, um die Energiekosten für Unternehmen und Haushalte wirksam zu senken. Solange wir in Europa fünf- bis siebenmal mehr für Gas bezahlen als in den USA, ist es für Unternehmen kaum möglich, am Weltmarkt wettbewerbsfähig zu bleiben. Da die langfristigen Energieverträge oder Hedges vieler Unternehmen in den kommenden Monaten auslaufen werden und die Politik nicht reagiert, wird sich die Situation weiter verschärfen“, sagte IV-Generalsekretär Christoph Neumayer.
Darüber hinaus mahnten die BusinessEurope-Verbände den Abbau überzogener regulatorischer Maßnahmen und eine ambitionierte Außenhandelspolitik ein. In der Handelspolitik solle es darüber hinaus um eine Vertiefung nach innen über eine Weiterentwicklung des Binnenmarkts gehen. Gleichzeitig sei es aber auch wichtig, dass Handelspartner internationale Regeln einhalten und dass ein „level playing field“ die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen sichert, erinnerte Knill: „Wir sind enttäuscht über die protektionistischen Maßnahmen, die die USA mit dem Inflation Reduction Act beschlossen haben. Solche Maßnahmen verstoßen eindeutig gegen WTO-Regeln, da sie die Exporte ausländischer Unternehmen diskriminieren. Sie wirken sich auf Investitionen in der EU aus. Wir drängen auf eine Verhandlungslösung, bevor dieses Gesetz Anfang 2023 in Kraft tritt.“ (RNF)