Energiewende anpacken

NEW BUSINESS Guides - UMWELTTECHNIK- & ENERGIE-GUIDE 2023/24
Österreichs Energieversorger sind angesichts ihrer hohen Klimaziele noch unzureichend aufgestellt. © Adobe Stock/ra2 studio

Ohne die Wende hin zu erneuerbaren Energien lassen sich die gesteckten Klimaziele nicht erreichen. Darüber herrscht ein breiter Konsens. Genauso wie darüber, dass dafür noch viel getan werden muss.

Anpacken lautet die Devise!

Das Bewusstsein dafür, wie essenziell die Energiewende für die Zukunft ist, ist in der gesamten Gesellschaft vorhanden. Laut einer Umfrage im Auftrag von Stiebel Eltron halten es 91 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher für wichtig, erneuerbare Energien aus Wind, Sonne und Wasserkraft zügig auszubauen. Dafür nehmen die Menschen Veränderungen im eigenen Umfeld in Kauf: 82 Prozent akzeptieren den Betrieb von Windrädern und Sonnenkollektoren in der eigenen Nachbarschaft, 79 Prozent sind bereit, neue Stromleitungen für grüne Energie hinzunehmen.

„Die Ergebnisse unserer Umfrage sind ermutigend, denn ohne den konsequenten Ausbau erneuerbarer Energiequellen lassen sich die Klimaziele nicht erreichen“, so Thomas Mader, Geschäftsführer des Haus- und Systemtechnikanbieters Stiebel Eltron Österreich. Die Privathaushalte verbrauchen einen Großteil der Energie im Heizungskeller. Hier setzt sich laut Mader der positive Trend hin zu Anlagen, die erneuerbare Energien nutzen, aus dem Vorjahr fort: „In den ersten drei Monaten dieses Jahres erreichte die Zahl der verkauften klimafreundlichen Wärmepumpen einen neuen Rekord.“

Doch auch wenn moderne Technologien wie Wärmepumpen nachhaltige Energiequellen aus der Umwelt – aus dem Grundwasser, dem Erdreich oder der Umgebungsluft – in Energie zum Heizen oder im Sommer auch zum Kühlen umwandeln, brauchen sie zum Betrieb immer noch Strom. Der kommt in Österreich zwar bereits zu 80 Prozent aus erneuerbaren Quellen, aber das Ziel sind 100 Prozent. Und wie so oft ist auch hier das letzte bisschen mit besonders viel Aufwand verbunden.

Der Handlungsdruck ist groß
Um das Ziel der Klimaneutralität zu erreichen, müssen Europas Energieversorger – als die wichtigsten Treiber der Wende – ihren Anteil an erneuerbaren Energien in ihrem Erzeugungsportfolio noch deutlich ausweiten. Allerdings besteht unter den Energieunternehmen selbst wenig Zuversicht, die Klimaziele auch zu erreichen: Nur 14 Prozent der Top-Entscheider:innen glauben, dass ihre bisher gesetzten Transformationsmaßnahmen ausreichen, um die Energiewende zu schaffen.

Der Handlungsdruck ist groß. Denn Österreichs Energieversorger sind, was ihr Operating Model betrifft, noch unzureichend aufgestellt. Das zeigen die Ergebnisse der Analyse „Die eigene Transformation aktiv gestalten – Wie sich europäische Energieversorgungsunternehmen neu organisieren müssen“ von Strategy&, der globalen Strategieberatung von PwC, in deren Rahmen CEOs und C-Level-Führungskräften von Energieunternehmen in Österreich, Deutschland und der Schweiz befragt wurde.

„Der europäische Energiesektor erlebt aktuell eine der größten Transformationen. Allerdings stehen die Energieversorger bei dieser Mammutaufgabe erst am Anfang. Für das Gelingen der Energiewende – und somit einen Beitrag zum Bewältigen der Klimakrise – sind sie aber der wichtigste Treiber. Ohne sie kann die Wende nicht gelingen“, erklärt Johannes Schneider, Partner bei Strategy& Österreich. 

Die Transformation geht nicht weit genug 
Die jüngsten makroökonomischen Entwicklungen haben zwar bei rund 81 Prozent der befragten Top-Entscheider:innen dazu geführt, dass sie sich in ihrem Unternehmen nun stärker auf ­dessen strategische Ausrichtung fokussieren. Mehr als drei Viertel (77 %) von ihnen haben bereits strategische Veränderungen eingeleitet – etwa in Form einer Neuausrichtung von Unternehmensbereichen oder der Gesamtunternehmensstrategie. Jedoch sind 86 Prozent der Führungskräfte der Meinung, dass in ihrem Unternehmen hinsichtlich der Umgestaltung ihres Operating Models noch zu wenig getan wird, um die Energiewende und zukünftige Herausforderungen zu bewältigen.

Die Studie zeigt, dass die Energieversorger tiefer gehende Änderungen ihres Operating Model bisher noch kaum vorgenommen haben. So gibt der Großteil der Befragten, die bereits eine Änderung eingeleitet haben, an, lediglich kleinere Maßnahmen wie eine begrenzte Anpassung der Organisationsstruktur (91 %), der betrieblichen Abläufe oder Zuständigkeiten (82 %) sowie der Personalressourcen (73 %) bereits durchgeführt zu haben.

Dahingegen wurden weitreichende Maßnahmen zur Organisationstransformation noch deutlich weniger häufig umgesetzt. Etwas mehr als die Hälfte (55 %) der Befragten meint, bereits Allianzen gebildet oder M&A-Prozesse initiiert oder unternehmensinterne Prozesse grundlegend überarbeitet zu haben (45 %).

Schneider dazu: „Wir sehen, dass die bisherigen Maßnahmen nur an der Oberfläche kratzen. Der Ausstieg aus fossilen Energieträgern bei gleich­zeitig rasantem Ausbau von Erneuerbaren, von Speichermöglichkeiten und Wasserstoffinfrastruktur erfordert ein grundlegendes Überdenken des organisatorischen Set-ups.“

Handlungsbedarf bei Veränderungsbereitschaft und Offenheit 
In der Studie wurden die Top-Entscheider:innen auch nach jenen Aspekten gefragt, die für eine erfolgreiche Transformation am wichtigsten und ausbaufähigsten sind. Das Ergebnis ist überraschend: Im Bereich „Kultur und Mindset“ besteht aktuell der größte Handlungsbedarf. Insbesondere eine offene Denkweise (88 %) und Flexibilität (82 %) sind für die Befragten ausschlaggebend. Hier spielen vor allem die Veränderungsbereitschaft sowie die Offenheit gegenüber Stakeholdern eine große Rolle.

In den Bereichen „Prozesse und Schnittstellen“ sowie „Strukturen und Ressourcen“ wurden häufig interne Schnittstellen (82 %) und funktionsübergreifende Teams (83 %) als wichtigste Bausteine genannt, was zum Teil auf den zunehmenden Bedarf an interner Zusammenarbeit zur Bereitstellung integrierter Lösungen zurückzuführen ist. Weiters werden im Bereich „Fähigkeiten“ digitale Kompetenzen als am wichtigsten eingeschätzt (79 %). 

„Diese Zahlen verdeutlichen, dass eine Umgestaltung des Operating Model in allen Dimensionen notwendig ist: Sie erfordert nicht nur neue Prozesse, Fähigkeiten und Schnittstellen – vor allem im Hinblick auf den digitalen Anlagenbetrieb –, sondern geht viel tiefer. Transformation verlangt einen regelrechten Mindset-Shift. Wir müssen das Operating Model, die Art und Weise, wie Energieversorger aufgebaut sind und wie sie ticken, grundlegend transformieren“, sagt Johannes Schneider.

Es wartet viel Arbeit
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Den Energieversorgern ist bewusst, dass viel Arbeit auf sie wartet – und sie sind nicht untätig. „Die Energiewende wird man sehen können: Wir investieren in erneuerbare Energien, wo wir können; wir bauen Windkraft- und PV-Anlagen. Gleichzeitig treiben wir den Netzausbau voran. Denn der Erneuerbaren-Ausbau hilft uns nur, wenn wir die Energie auch transportieren und speichern können“, so etwa Peter Weinelt, designierter Generaldirektor der Wiener Stadtwerke, der sein Amt offiziell mit 1. Jänner 2024 antreten wird.

Es brauche daher unbedingt auch einen Systemumbau, also ausreichend Netzkapazitäten sowie die Entwicklung neuer Speicherpotenziale und die Implementierung neuer Technologien und Flexibilitätsoptionen, sagte Weinelt im Sommer im Zuge einer Veranstaltung des gemeinnützigen Vereins CEOs for Future, bei dem das von 22 Unternehmen unterstützte Positionspapier „Energiewende: Impulse zur Dekarbonisierung des Energiesystems“ präsentiert wurde. 

Für den Verein CEOs for Future ist, ebenso wie für Weinelt, die Wärmewende einer der Schlüssel­faktoren für eine erfolgreiche Energiewende. „Wir investieren in den Ausbau und die Dekarbonisierung der Fernwärme, die Umstellung auf Wärmepumpen und wollen die Potenziale der Tiefengeothermie nutzen“, so der designierte Generaldirektor. Und weiter: „Eine sektorenübergreifende Planung ist dabei entscheidend, denn die Energiewende kann nur ganzheitlich umgesetzt werden.“

Es gibt aber auch eine wirtschaftliche Dimension dieser Thematik, betonte zum selben Anlass Berthold Kren, CEO Holcim Central Europe: „Die Industrie benötigt eine verlässliche Energieversorgung. Und diese wird mittel- und langfristig nur mit erneuerbaren Energien möglich sein. Der Zugang zu grünem Strom ist für uns in Zukunft wettbewerbsentscheidend.“ Kren weiter: „Wir investieren in Produktionsanlagen für unsere Energieversorgung. Als einer der Top-20-Energieverbraucher in Österreich übersteigt unser Jahresverbrauch aber unsere Möglichkeiten der Selbstversorgung, daher sind die Zusammen­arbeit mit anderen Branchen und die Umsetzung der Energiewende als gesamtgesellschaftliches Projekt für uns essenziell.“ 

Wichtig für die Industrie sei auch, dass es eine klare Prioritätensetzung beim Einsatz knapper Rohstoffe und Energieträger sowie bei erneuer­baren Gasen und Wasserstoff gibt. „Erneuerbare Gase sollen dort eingesetzt werden, wo es keine anderen Optionen gibt – eben in der Industrie“, so Kren. Auch hier müssten die nötigen Mengen gesichert und Infrastruktur bereitgestellt werden.

Jede Medaille hat zwei Seiten
Wie bereits von Peter Weinelt angesprochen: Die Erzeugung nachhaltiger Energie ist nur eine Seite der Medaille. Sie muss auch transportiert werden. Damit die Energiewende gelingen kann, muss also Österreichs Energieinfrastruktur ausgebaut und angepasst werden. Als Richtschnur dafür gilt der österreichische Netzinfrastrukturplan, dessen finale Fassung bis Jahresende vorliegen soll. Bei einer Pressekonferenz des OVE Österreichischer Verband für Elektrotechnik wurde im Oktober dessen rasche Konkretisierung gefordert.

Nach den Turbulenzen am Energiemarkt im vergangenen Jahr üben hohe Energiepreise nach wie vor großen Druck auf den Wirtschaftsstandort aus. Staatliche Eingriffe in anderen europäischen Ländern bzw. in wichtigen Exportmärkten bedrohen die heimische Wertschöpfung und bringen vor allem für exportorientierte Unternehmen einen Wettbewerbsnachteil. Die Politik müsse das gesamteuropäisch in den Griff bekommen und klare Rahmenbedingungen schaffen, forderte OVE-Präsident Kari Kapsch im Vorfeld der OVE-Energietechnik-Tagung in Klagenfurt.

„Energiekostenzuschüsse können nicht der Weisheit letzter Schluss sein, wir brauchen Rahmenbedingungen, auf die wir uns langfristig verlassen können. Wir dürfen nicht hinnehmen, dass massive Ungleichheiten im Energiemarkt unseren Wirtschaftsstandort gefährden und die Abwanderung von Industrie ins Ausland fördern.“ Leistbare nachhaltige ­Energie sei ein wichtiger Standortfaktor, die Umsetzung der Energiewende habe daher hohe Priorität.

Erfolg entscheidet sich im Stromnetz
„Der Erfolg der Energiewende entscheidet sich im Stromnetz“, betonte auch APG-Vorstand Gerhard Christiner: „Neben dem Netzausbau bedarf es einer umfassenden Gesamtsystemplanung inklusive einer Speicherstrategie sowie einer gleichzeitig abgestimmten digitalen Transformation aller Akteure des Energiesystems. Damit schaffen wir genügend Kapazitäten und ein intelligentes digitales Gesamtsystem, in dem die Flexibilität einzelner Akteure nutzbar gemacht wird und so die Integration volatiler erneuerbarer Energien versorgungssicher gelingt. Wir fordern daher, dass dem Ausbau der Netzinfrastruktur oberste Priorität eingeräumt wird und die schon lange in Diskussion stehenden Gesetze zur Beschleunigung der Genehmigungsverfahren endlich beschlossen werden.“

Es gibt also noch viele Baustellen, einigen Verbesserungsbedarf und jede Menge Stoff für Diskussionen. Was es nicht gibt, ist ein überschüssiges Maß an Zeit dafür. Deswegen heißt es jetzt für alle mitanzupacken, um die gesteckten Ziele zu erreichen. (RNF)