Walter Schinnerer: »Der Reiz der DSAG war und ist für mich, gemeinsam mit anderen Anwendern SAP-Software zu verbessern und die Zusammenarbeit mit SAP im Sinne der Anwender zu optimieren.« © DSAG/Foto Fabry
Die Welt des Softwareanbieters SAP ist durch den Druck der Digitalisierung ordentlich in Bewegung geraten. Damit diese Bewegung auch in die richtige Richtung geht ...
... gibt es die Deutschsprachige SAP-Anwendergruppe. Wir haben mit Österreich-Vorstand Walter Schinnerer gesprochen.
Die Deutschsprachige SAP-Anwendergruppe (DSAG) ist einer der einflussreichsten Anwenderverbände der Welt. Mehr als 60.000 Mitglieder aus über 3.500 Unternehmen bilden ein starkes Netzwerk, das sich vom Mittelstand bis zum DAX-Konzern und über alle wirtschaftlichen Branchen in Deutschland, Österreich und der Schweiz erstreckt. Seit Oktober 2018 ist Walter Schinnerer neuer Vorstand der DSAG in Österreich, er hat damit die Nachfolge des langjährigen Österreich-Vorstands Wolfgang Honold angetreten.
Schinnerer kennt sich in der SAP-Welt ausgezeichnet aus, gehört er doch beruflich zu den Großanwendern der Software. Er ist seit mehr als 30 Jahren bei der Wiener Gebietskrankenkasse bzw. der IT-Services der Sozialversicherung GmbH (kurz ITSV) in unterschiedlichen Führungsrollen in der Finanzabteilung bzw. im Informatikumfeld beschäftigt. Seit mehr als 25 Jahren und seit 2004 in leitender Funktion, begleitet der gelernte Finanzbuchhalter die Geschicke des SAP-Kompetenzzentrums der österreichischen Sozialversicherungsträger.
Das Kompetenzzentrum betreut alle SAP-Anwendungen der österreichischen Sozialversicherungsträger. Er war maßgeblich am Aufbau diverser SAP-Communitys in Österreich beteiligt und bekleidet aktuell das Amt des stellvertretenden Chairmans der PSUG.A (Public Sector Usergroup Austria), welche alle SAP-Kunden der öffentlichen Hand vereint. Seit 2011 engagiert sich Walter Schinnerer auch als Sprecher der DSAG-Arbeitsgruppe CCC Service & Support in Österreich.
Mit NEW BUSINESS sprach der Experte über seine Motivation, sich ehrenamtlich in der DSAG zu engagieren, aber natürlich auch über seine Sicht der Dinge in Sachen SAP sowie aktuelle und zukünftige Entwicklungen.
Herr Schinnerer, wann wurden Sie DSAG-Mitglied und warum?
Ich wurde im Jahr 2000 durch einen ehemaligen SAP-Mitarbeiter auf die DSAG aufmerksam. Er hatte damals die Idee, die kurz zuvor eingerichtete österreichische Usergruppe CCC Austria-Forum in die DSAG einzugliedern. Der Reiz der DSAG war und ist für mich, gemeinsam mit anderen Anwendern SAP-Software zu verbessern und die Zusammenarbeit mit SAP im Sinne der Anwender zu optimieren.
Wie kam es dazu, dass Sie für das Amt des DSAG-Vorstands in Österreich kandidiert haben? Ihnen wird doch sicher auch ohne diese Aufgabe nicht langweilig.
Als langjähriges aktives DSAG-Mitglied und in meiner Rolle als Sprecher der Arbeitsgruppe CCC Service & Support in Österreich habe ich immer wieder von der DSAG profitieren können. Ich habe festgestellt, dass die DSAG ein starkes Sprachrohr für Anwender ist. Die Möglichkeit der Einflussnahme auf SAP hat mich einfach gereizt. Durch das Vorstandsamt erhoffe ich mir, aktiver auf die Zusammenarbeit mit SAP einwirken zu können.
Bei all den vielen Alternativen, die es heute gibt, egal ob aus der Cloud oder nicht: Warum macht es Ihrer Meinung nach Sinn, sich für SAP zu entscheiden? Was macht SAP richtig oder besser als andere?
SAP hat die Stellung als Marktführer für Standardsoftware u. a. durch ihre breite Produktsuite und das hochintegrative Zusammenspiel von verschiedenen Komponenten bzw. Modulen erworben. Diese Integration wird auch im Zuge der derzeitigen Erneuerung der IT-Lösungen der Kunden ein wesentlicher Entscheidungsgrund für den fortgesetzten Einsatz der SAP-Plattform sein. Ein weiterer Grund ist, dass der Softwarekonzern – im Unterschied zu so manchen Marktbegleitern – trotz seiner Größe und der Globalisierung die proaktive Zusammenarbeit und Diskussion mit den Usergroups fördert bzw. unterstützt. Durch diese ständige Interaktion mit den Kunden können die SAP-Produkte sehr rasch an die Bedürfnisse des Marktes angepasst werden. Die Kunden bekommen dadurch stabilere und qualitativ ausgereiftere Produkte.
Umgekehrt: Was könnte SAP besser machen?
Ich setze mich als langjähriger Bestandskunde dafür ein, dass SAP dem On-Premise-Bestandsmarkt einen sicheren und soliden Übergangspfad von der „alten“ in die „neue“ Welt bereitstellt. Einen Pfad, der von Kunden mit gutem Gewissen und wirtschaftlich vertretbar beschritten werden kann. SAP gibt hier ein zu rasches Tempo vor. Ich wünsche mir, dass sich SAP wieder auf die individuellen Herausforderungen der Kunden konzentriert. Weniger Tempo, aber dafür mehr Kundenverständnis und Marktgespür wären sinnvoll. Konkret könnte das bei den angebotenen Lösungen ein „Weniger ist mehr“ bedeuten.
Wie stehen Sie, gerade aus Sicht der heimischen Anwenderunternehmen, zu SAPs „Cloud-first“-Strategie?
Für viele Neuinvestitionen ist die Cloud sicher die richtige Stoßrichtung. Es werden aber nicht alle Anwendungen und alle Daten in die Cloud wandern – und schon gar nicht nur um der Cloud willen. Das hat DSAG-Technologievorstand Steffen Pietsch bei dem Technologietagen 2019 bereits betont. Bei der „Cloud-first“-Strategie könnte ich mir ein „Wir akzeptieren auch eine langfristige Entscheidung für On-Premise“ von SAP gut vorstellen. Denn: Die Cloud stellt für viele Unternehmen zwar Zugang zu Innovationen, Skalierbarkeit und Elastizität sowie Verlagerung von Betriebsverantwortung dar, die nicht der eigenen Kernkompetenz entsprechen. Doch es gibt auch einige Hürden. Viele Unternehmen haben massiv in SAP-Software und deren Anpassungen investiert und bezahlen hohe Wartungsgebühren für das On-Premise-Portfolio. Daher erwarten sie, dass ältere Produkte grundlegend weiterentwickelt und gesetzliche Anforderungen umgesetzt werden. Vor einem Umstieg müssen die jeweiligen Cloud-Lösungen funktional fortgeschritten oder zumindest äquivalent zur heutigen On-Premise-Welt sein. Darüber hinaus sind für einige Branchen noch gesetzliche Hürden vor einem möglichen Umstieg in die Cloud zu beseitigen, dies wird auch einige Jahre in Anspruch nehmen.
Und was ist Ihre Meinung zu dem anderen SAP-Schwerpunkt S/4HANA, also dem von SAP angebotenen digitalen Kern? Müssen Unternehmen umsteigen? Oder nur bestimmte? Oder am Ende lieber niemand?
Nach meiner Einschätzung wird eine sehr große Anzahl der SAP-ERP-Kunden mittelfristig auf S/4HANA umsteigen. Unabhängig davon, ob das Wartungsende von SAP ERP erreicht ist. Um sich gut auf den Umstieg vorzubereiten, empfehle ich das S/4HANA-Adoption-Starter-Programm von SAP. Dieser Service bietet einen guten Überblick über die Voraussetzungen, die notwendigen Vorbereitungsaktivitäten und die durch den Umstieg bedingten Auswirkungen bzw. Möglichkeiten beim Einsatz von S/4HANA. Zudem stellt er auf die jeweilige Kundensituation zugeschnittene Berichte zur Verfügung. Eine wesentliche Rahmenbedingung für den Umstiegszeitpunkt als auch für die Entscheidung, ob Brownfield- oder Greenfield-Ansatz als Umstiegsszenario, liegt in der Abdeckungstiefe der neuen Funktionalitäten gegenüber dem über die Jahre historisch gewachsenen Kunden-Coding. Auch diese Frage können die Unternehmen durch die Inanspruchnahme des kostenfreien SAP-Services beantworten. Über kurz oder lang werden alle Unternehmen, sofern sie weiterhin auf den Einsatz der SAP-Software für die Unterstützung ihrer kaufmännischen Prozesse setzen, den Weg in die neue S/4HANA-Welt antreten, davon bin ich vollkommen überzeugt.
Laut DSAG-Umfrage schätzen sich immerhin 39 Prozent der österreichischen Unternehmen weit bis sehr weit bei der Digitalen Transformation ein. Allerdings ist die Zahl derer, die bereits S/4HANA im Einsatz haben, noch sehr überschaubar. Wieso sind die österreichischen Unternehmen hier so zurückhaltend?
Ich beantworte das gerne mit folgendem Beispiel: Ein Kunde betreibt ein SAP ERP ECC 6.0 mit rund 90 Prozent Wartungsanteil und zehn, manchmal fünf Prozent Weiterentwicklungsanteil. Das System läuft performant und entspricht den Anforderungen des Fachbereichs. Wesentliche Teile des SAP ERP wurden für die speziellen Kundenbedürfnisse angepasst und mit Coding im Kundennamensraum erweitert. Er betreibt die SAP-Lösung im eigenen Rechenzentrum und möchte bzw. kann auch nicht in die Public Cloud wechseln. Warum sollte dieser Kunde aktuell auf S/4HANA umsteigen? Warum sollte er nochmal rund 15 Prozent für die zusätzlichen HANA-Lizenzen und mehrere Tausend Euro für ein Migrationsprojekt bereitstellen? Welche Argumente sprechen dafür, bereits jetzt auf S/4HANA umzusteigen – ist nicht 2023 noch früh genug? Und für mich stellt sich auch grundsätzlich die Frage, ob die wesentlichen Elemente und Services, die Unternehmen für die digitale Transformation benötigen, wirklich in den SAP-Produkten liegen. In den meisten Fällen ist die SAP-Software im Umfeld des digitalen Wandels ja nur ein Player von vielen.
Wie müsste aus Ihrer Sicht SAP die Anwender auf dem Weg zu S/4HANA unterstützen?
Aus SAP-Sicht stehen die notwendigen Services und Produkte bereit, um die digitale Transformation zu bewältigen. Jetzt gilt es, den Kunden die Zeit einzuräumen, die sie benötigen, um den Umstieg in die neue SAP-Lösungswelt in ihrem Tempo gehen zu können. SAP sollte sich die Frage stellen, ob die Kunden tatsächlich ausreichende Informationen haben, um die Auswirkungen und Kosten, die ein Einsatz von S/4HANA verursacht, wirklich abschätzen zu können. Eine wesentliche Unterstützung wäre ein klares und transparentes Lizenzmodell.
Was fällt Ihnen spontan ein, wenn ich die Worte „SAP“ und „IT-Security“ in den Raum werfe?
Mir fällt hier zuerst die von der DSAG durchgeführte Trendumfrage zu diesem Thema ein. Die zentrale Erkenntnis lautet: Mehr Security by design und by default sind weiterhin wichtige Forderungen. Bessere Sicherheitskonzepte, vor allem auch im Cloud-Umfeld, sind zwingend erforderlich, aber ohne ein ordentliches Dashboard nach wie vor kaum umzusetzen. Das heißt: Im Bereich SAP-Sicherheit braucht es mehr Standards und eine noch bessere Unterstützung von SAP. Die DSAG arbeitet zu diesem Thema bereits eng mit SAP zusammen.
Wie sieht es im SAP-Bereich eigentlich mit dem Nachwuchs aus? Kommen genug junge SAP-Experten und -Berater auf den Arbeitsmarkt, um die Nachfrage zu decken?
Dem SAP-Beratermarkt prophezeie ich goldene Zeiten dank der Umstellung auf S/4HANA. Allein in Österreich fehlen sicherlich rund 1.000 Berater – und der Wettkampf um die besten muss nicht nur national, sondern international bestritten werden. Verschärft wird die Situation dadurch, dass sich viele Firmen noch kaum auf den Wechsel zu S/4HANA vorbereitet haben. Und auch abseits der S/4HANA-Thematik wächst die Nachfrage nach den besten Talenten mit digitalen Skills für IT-Abteilungen und für die „traditionellen“ Aufgaben einer Unternehmens-IT, wie Datenbankadministration oder Security. Mit der Digitalisierung kommen Veränderungen auf die Unternehmen zu, die sie nur mit Talenten mit entsprechenden Fähigkeiten meistern können. Und weil sich die Nachfrage nur schwer decken lässt, ist die DSAG hier kürzlich aktiv geworden und hat die DSAG-Academy ins Leben gerufen. Mit ihr unterstützt der Anwenderverband seine Mitglieder mit den vier Modulen Community, Weiterbildung, Recruiting und Hochschulkooperationen im „War for Talents“. Die DSAG tritt hierbei unter anderem vermittelnd und beratend in Erscheinung. (RNF)