Milliarden-Spiel Metaverse

NEW BUSINESS Innovations - NR. 07/08, JULI/AUGUST 2022
Satya Nadella, CEO Microsoft: »Das Metaverse verändert nicht nur, wie wir die Welt sehen. Es verändert die Art und Weise, wie wir alle aktiv an dieser Welt teilhaben werden.« © Microsoft

Das Rennen um die virtuelle Zukunftswelt läuft bereits ziemlich real ab. Am Start sind die Tech-Giganten und ein paar unerschrockene Außenseiter. Das Spiel findet noch weitgehend ohne Regeln ...

... sowie auf verschiedenen Plattformen und Bühnen statt. Ausgang offen.

Als Mark Zuckerberg im Oktober 2021 in einem beinahe eineinhalbstündigen Video über das Metaverse schwärmte, war die Welt verzückt. Die halbe Welt. Die Online-Welt. Die halbe Online-Welt. Bestenfalls. Denn sofort brach ein Sturm an Kritik, ja sogar Schmähungen über „Zuck“ herein. Der Facebook-Gründer wurde als Schaumschläger abgetan, als vermeintlicher Visionär, der längst Bekanntes mit schönen Worten und noch beeindruckenderen Bildern zu verkaufen versucht. Seine Vorstellung vom Metaverse sei nichts anderes als ein Videospiel, so die Kritiker. Das noch dazu Technologien, die längst erfolgreich eingesetzt werden, als atemberaubende Zukunft ankündigt. 

180 Milliarden Dollar
Doch Zuckerberg ließ sich nicht beirren, benamste seinen Konzern in Meta um und kündigte an, in den nächsten zehn Jahren 180 Milliarden US-Dollar in den Auf- und Ausbau des Metaverse zu investieren. Ein gigantisches Match war eröffnet. Meta gegen Microsoft. Gegen Apple. Gegen die Spielegiganten Epic und Roblox. Gegen die beiden chinesischen Tech-Giganten Alibaba und Tencent. Und gegen noch ein paar andere. Zuckerberg hat eine Vision. Meta hat die Daten. Apple die Hardware. Microsoft die Software. Epic und Roblox riesige Communities. Alibaba und Tencent ohnedies ihre eigenen Digital-Reiche.

Stillschweigen bei Apple
Das Metaverse ist bei Apple bisher kaum ein Thema. Der US-Konzern setzt bei seiner Zukunftsstrategie voll auf die Karte Augmented Reality (AR). Während beim Metaverse die Virtual Reality (VR) im Mittelpunkt steht, die von AR- und Videowelten flankiert werden soll. Zudem wird sich im Apple-Universum auch in Zukunft alles rund um die Hardware drehen. Allein 240 Millionen iPhones setzte der Konzern 2021 ab. Spiele, Smart-Anwendungen, 3D-Inszenierungen, AR – was immer in der digitalen Welt vorstellbar ist, soll am Mac und auf der iWatch, vor allem aber am iPhone passieren. 

Ein Markt mit enormem Zukunftspotenzial: Der Marktanteil des iPhone bei den Smartphones liegt zwar weltweit „nur“ bei rund 20 Prozent. Doch je jünger die User:innen, umso höher der Marktanteil. In den USA bringt es das iPhone bei jungen Erwachsenen schon auf 70 Prozent Share.

Bestes Beispiel für das iPhone als Dreh- und Angelpunkt sind die Apps. Apple verdiente 2021 damit 85 Milliarden Dollar. Wie bei den Apps will Apple künftig von allen Services, die über das OS-Betriebssystem laufen, 30 Prozent kassieren und investiert eifrig in Zukäufe wie z. B. in Akonia Holographics. Das Unternehmen stellt u. a. 3D-Linsen und Gläser für AR-Brillen und Headsets her.

Alles digitalen Grenzen fallen
Zuckerberg träumt von einem Metaverse, in dem die Grenzen und Barrieren zwischen den einzelnen Anwendungen verschwinden. Jede(r) User:in soll im Metaverse alle Eigenschaften, Einstellungen u. a. überallhin mitnehmen können. Dazu müssten sich allerdings die Standards der einzelnen Tech-Anbieter angleichen und letztendlich zu einem einzigen verschmelzen.

Wieder ist es Apple, das mit seiner Strategie in die diametral andere Richtung abzielt. Vom Sich-Öffnen für andere Player, von gemeinsamen Standards hält Apple wenig. Im Gegenteil, bisher ging es Apple darum, über eigene Geräte und Services die Wertschöpfungskette möglichst eng am eigenen Unternehmen zu halten. Der App Store ist das beste Beispiel dafür.


Microsoft setzt auf Mesh
Microsoft setzt beim Metaverse mindestens auf eine Doppelstrategie, seine Auffahrtsrampe in die virtuelle Parallelwelt heißt Mesh. Auf dieser Plattform können die User:innen als Hologramme auftreten und im dreidimensionalen virtuellen Raum miteinander interagieren. Bei Microsoft heißt das Holoportation. Eines der ersten marktreifen Produkte mit Mesh-Integration ist die Kommunikationsplattform Teams, die vielen Menschen von den Homeoffice-Videokonferenzen bekannt ist. Dazu gesellen sich Windows Holographic und andere, vorwiegend businessorientierte Lösungen.

Microsofts zweite Metaverse-Strategie zielt auf die Parallelgesellschaft der Gamer ab. Das Unternehmen besitzt in diesem Segment rund um die Xbox nicht nur einige Jahrzehnte Markterfahrung, sondern kauft auch fleißig zu: 2012 für 2,5 Milliarden Dollar das Game Minecraft – mit 140 Millionen aktiven User:innen im Monat. 2020 kam der Spieleentwickler Bethesda Softworks (7,5 Mrd. Dollar) hinzu und im April dieses Jahres der Spielekonzern Activision Blizzard für 68,7 Mrd. Dollar. Allerdings steht die Zustimmung der US-Kartellbehörde noch aus. All das stärkt das Xbox-Reich.

Facebook bescherte der Gamer-Szene gerade einmal das von Zynga entwickelte Browsergame Farmville, das allerdings Ende 2020 eingestellt wurde. 

Die Musikbühnen werden digital
Wie die Gamer agieren auch die Spielehersteller Epic und Roblox in ihrem eigenen Universum. Sie haben frühzeitig erkannt, dass sich die Gamer:innen auf den Spieleplattformen nicht nur zum spielerischen Wettkampf treffen, sondern Spielewelten wie Fortnite – immerhin 400 Millionen User – auch nutzen, um sich zu „treffen“ und über alles Mögliche auszutauschen. Epic und Roblox taten sich daher mit der Musik­industrie zusammen und schufen gigantische virtuelle Bühnen, auf denen Live-Konzerte als singuläres Ereignis zu erleben sind.

Das Premierenkonzert bei Fortnite des DJ Marshmello im Feb­ruar 2019 sahen „nur“ gut zehn Millionen Fans. Der Rapper Travis Scott lockte im April schon 28 Millionen Fans via Fortnite an. Ein spezielles Konzert von Ariana Grande im Rahmen ihrer „Rift“-Tour auf Fortnite begeisterte sogar 78 Millionen Fans. Allerdings wurde Grandes Auftritt im August 2021 auf drei Tage aufgeteilt, um die Server nicht zu überlasten und wegen der unterschiedlichen Zeitzonen.

Scott und Grande interagierten bei ihren Konzerten als riesige Avatare mit den Zuschauer:innen. „Es ist Echtzeit-Interaktion in einem immersiven 3D-Raum“, sagt Phil Rampulla, Head of Brand bei Epic Games. Ariana Grande soll alleine mit diesem Fortnite-Auftritt rund 20 Millionen Dollar (Gage, Merchandising usw.) verdient haben. Auch Lil Nas X (Roblox), Ed Sheeran (Pokemon GO), Justin Bieber (Wave) und diverse andere Popstars haben auf ähnlichen virtuellen Bühnen bereits das Metaverse geentert.

Freud und Facebook im Decentraland
WienTourismus schickte im April mit der Aktion „Get me out, Freud!“ einen Sigmund-Freud-Avatar via Decentraland ins Metaversum. Der Freud-Avatar sollte zu einer Pause von der virtuellen Welt anregen und versprach Gewinne.

Decentraland ist eine dezentralisierte 3D-Plattform, die im Metaverse virtuelle Grundstücke anbietet, und ist die erste vollständig dezentralisierte virtuelle Welt, die auf einem Open-Source-Blockchain-System beruht. Diese Metaverse-Immobilien werden von ihren Benutzern besessen, gebaut und verwaltet, sie bauen einen eigenen Marktplatz, Einkaufs- und Veranstaltungszentren, schaffen Kunstwerke, Spiele und was auch immer.

Vor allem viele Unternehmen und Institutionen jeder Art und Größe nutzen das Decentraland als ihr Tor ins Metaversum. Das ist wohl auch einer der Gründe, warum Mark Zuckerberg ein Auge auf Decentraland geworfen hat und die Plattform erwerben möchte. 

Reise ohne klares Ziel
Auch wenn „Metaverse“ aktuell als Buzzword gilt, ist völlig offen, wo die Reise hingeht und welches Plattformkonzept sich durchsetzen wird.

Die Unternehmensberatung Accenture hält in ihrem Future-Report aus dem Februar 2002 fest: „Es wird interessant sein, die Zukunft des Metaverse zu beobachten. Im Moment haben wir mehr Fragen als Antworten darauf, wohin sich das Metaverse entwickeln und was letztendlich daraus entstehen wird. Aber wir können sicher sein, dass die erste Vision des Metaverse nicht die letzte sein wird.“ (ALS)


INFO-BOX
Kleines Metaverse-Glossar
• Eine Blockchain ist eine kontinuierlich erweiterbare Liste von Datensätzen. 
• NFT (Non-Fungible Token) ist ein „kryptografisch eindeutiges, unteilbares, unersetzbares und überprüfbares Token, das einen bestimmten Gegenstand repräsentiert. 
• Token: Eine Folge zusammengehöriger Zeichen oder Bits.