Christina Wilfinger, Geschäftsführerin von SAP Österreich, ruft Europa dazu auf, sich auf seinen Erfinder- und Entdeckergeist zu besinnen. © RNF
Unternehmen stehen vor großen Herausforderungen. Gleichzeitig werden aber auch die technologischen Werkzeuge, die bei deren Bewältigung helfen, immer mehr.
SAP-Österreich-Chefin Christina Wilfinger öffnet ihren Werkzeugkasten.
SAP ist einer von wenigen großen europäischen Technologiekonzernen, der im globalen Wettbewerb mit Anbietern aus Asien oder den USA seit Jahrzehnten beständig erfolgreich ist. Schon länger lässt das Unternehmen den Innovationsmotor geradezu aufheulen und unterstützt seine Kunden dabei, auf möglichst einfachem Weg moderne Technologiekonzepte in ihre Businessprozesse zu integrieren. NEW BUSINESS hat sich mit Christina Wilfinger, Geschäftsführerin von SAP Österreich, über aktuelle Trends und Themen ausgetauscht.
Frau Wilfinger, allen voran KI, Sustainability, aber auch noch immer Cloud sind aktuell die drei größten Themen in den Unternehmen. Würden Sie das unterschreiben?
Cloud würde ich gar nicht mehr als Thema bezeichnen, sondern Cloud ist da und wird genutzt. Die Schlagworte sind definitiv Kreislaufwirtschaft, Sustainability, neue Geschäftsmodelle, Standardsicherheit – und KI kann in allen diesen Bereichen helfen. Deshalb ist sie omnipräsent. Jeder beschäftigt sich damit, was aber in Österreich noch fehlt, das ist der Mut dazu, ins Tun zu kommen. Da könnte man das Tempo durchaus erhöhen.
Wir sind oft sehr verhalten und beschäftigen uns zuerst mit den Einschränkungen oder mit den regulatorischen Dingen, bevor wir Dinge ausprobieren. Und das sollten wir umdrehen. Ich sage jetzt nicht, dass Regulatorik nicht notwendig ist, und das haben wir auch im globalen Zusammenspiel gesehen. Aber man sollte das nicht immer an die erste Stelle stellen. Das bremst uns und unterscheidet uns insbesondere in Österreich, aber auch in Zentraleuropa, von den anderen Märkten. Wir haben sehr gute Ideen. Nur wir brauchen den Mut, hier schneller ins Tun, ins Ausprobieren zu kommen.
Zum Thema Cloud muss ich nochmal einhaken. Man hört oft, dass Österreich teilweise noch nicht so weit ist wie andere Länder. Ist Ihre Wahrnehmung da anders?
Ich sehe es mittlerweile wesentlich positiver. Ich traue mich wetten, egal, ob es jetzt ein Mittelständler mit 50 Mitarbeiter:innen oder ob es ein Großkonzern ist, jeder hat Cloud-Applikationen im Einsatz. Natürlich gibt es in manchen Bereichen, gerade wenn es um kritische Themen und vor allem Daten geht, gewisse Ressentiments gegenüber der Cloud. Es gilt vielleicht noch, Feinheiten auszudefinieren, etwa in Sachen Data Governance oder Betriebsmodell. Aber eine grundsätzliche Cloud-Skepsis, wie es sie zum Teil vor vier Jahren noch gegeben hat, sehe ich nicht mehr. Wie können Unternehmen denn sonst innovative Technologie einsetzen?
Cloud-Lösungen sind also das Fahrgestell, auf dem moderne Technologien aufsetzen und mit dem die Unternehmen in die Zukunft fahren, sozusagen.
Um bei diesem Bild zu bleiben: Ich muss nicht immer unter die Motorhaube schauen und jeden einzelnen Bestandteil kennen, sondern es gibt einen gewissen Standard für Motoren, der ist zertifiziert und erprobt.
Genau, dafür gibt es „Autobauer“ wie SAP und dann muss ich nur noch hin und wieder tanken. Aber kommen wir jetzt zum Thema KI. Ist sie wirklich so eine Art „Heilsbringer“, der die wirtschaftliche Entwicklung antreibt?
Heilsbringer ist für mich der falsche Begriff. Auch wenn wir natürlich beim Thema KI sehr stark in ethische, philosophische wie aber auch gesellschaftspolitische Diskussionen abdriften könnten. Künstliche Intelligenz ist ein notwendiges Werkzeug, um uns den aktuellen, sehr komplexen Anforderungen überhaupt stellen zu können. Und dieses Werkzeug werden wir einsetzen. Effizienzgedanken, Transparenz, Lieferkette, Globalisierung, Binnenmarkt, da gibt es viele Bereiche, in denen KI eine wesentliche Rolle spielen wird. Ich spreche heute von Ressourcenmangel.
KI unterstützt mich in meinem Alltag, um effizienter zu werden, um Prozesse schneller umzusetzen und anwenden zu können. Ich nutze sehr viel Sprachassistenz in meinem Alltag und wüsste gar nicht mehr, wie sich sonst alles ausgehen sollte. Ich kenne kein Unternehmen, das im Moment nicht gewisse Ressourcen sucht, in unterschiedlichsten Bereichen, vom Facharbeiter bis zum Entwickler. Gerade bei Personalmangel – denken Sie an die bevorstehenden Pensionierungswellen – ist es ein Vorteil, dieses Werkzeug einzusetzen, um Prozesse effizienter zu gestalten und so auch die Knappheit etwas abfedern zu können.
SAP ist einer der wenigen Technologiekonzerne, die ihre Wurzeln in Europa haben. Seit mehr als 50 Jahren liefern wir Innovationen made in Germany für die Unternehmen. Wir sollten uns in Europa wieder auf unsere – und ich nutze bewusst einen alten Begriff – Ingenieurskunst besinnen, auf unseren Erfinder- und Entdeckergeist. Wir müssen uns diese Werkzeuge zunutze machen. In Europa wird viel in Forschung, speziell Grundlagenforschung, investiert. In der Medizin beispielsweise hat Österreich eine Vorreiterrolle. Gerade auf diesem Gebiet hat KI riesiges Potenzial. Aber auch im Businesskontext, etwa mit Sprachassistenten.
Wie nutzen Sie selbst Sprachassistenten und KI-Funktionen?
Fast jede Systeminteraktion bei mir ist in irgendeiner Form bereits sprachgesteuert. Mit der Einführung von Joule, das ist der SAP-AI-Sprachassistent, haben wir nun einen digitalen Begleiter. Zuerst wurde der KI -Assistent im HR-System implementiert. Das hilft mir in unserem SAP Success Factors Talent Management. Ich gebe Ihnen jetzt einen Vergleich, wie es früher ausgesehen hat und wie es jetzt aussieht.
Ich versuche viel von unterwegs zu erledigen. Dafür habe ich natürlich die App am Smartphone genutzt, das ist praktisch. Trotzdem muss ich mir die App raussuchen, das Feedback zu einem Bewerbungsgespräch eintippen, meine Notizen übertragen und abschicken. Das hat mich wahrscheinlich eine halbe Stunde bis Stunde gekostet. Jetzt kann ich das im Auto während der Fahrt nach Wien diktieren, über unseren Sprachassistenten Joule abwickeln und spare mir eine halbe Stunde Arbeitszeit für diesen wichtigen Prozess.
Und das ist erst der Anfang. Schon bald werde ich Joule anweisen können, mir die fünf umsatzstärksten Industriekunden Österreichs zu nennen und welche Produkte sie gekauft haben. Oder Dinge wie die automatische Übersetzung mehrsprachiger Videokonferenzen. Das sind unglaubliche Produktivitäts- und Effizienzsteigerungen.
Gerade erst haben wir auf der SAP Sapphire in Barcelona einen genialen End-to-End-Showcase präsentiert, der all diese Prozesse demonstriert hat. Der Showcase – ein klassischer Point-of-Sales-Kontakt – war gigantisch, auch physisch, und wir versuchen so viel wie möglich davon auch auf die SAP Now im September in Wien zu bekommen.
Es ist jetzt nicht einmal ganz zwei Jahre her, seit das Thema KI in der öffentlichen Wahrnehmung förmlich explodiert ist. Seitdem läuft die Entwicklung so rasant, dass einem davon fast schwindlig wird. Wird es in diesem Tempo weitergehen?
Ich glaube, dass jetzt die Anwendungsszenarien da sind und es in dieser Geschwindigkeit oder sogar noch schneller weitergehen wird. Die Technologie war bereits da, aber die Frage war, was ich aus dieser Technologie mache. Es ist, wie wenn ich zwar einen Werkzeugkasten habe, aber nicht weiß, was ich bauen will. Dann stehe ich vor einem Haufen Bretter und weiß nicht weiter, sehr einfach gesprochen. Jetzt geht es daran, Regale zu bauen.
Das Beispiel Smartphone ist vielleicht ein bisschen abgedroschen. Aber auch da war es so, dass sich die Menschen am Anfang gefragt haben, wofür sie es brauchen, weil sie es nicht gekannt haben. Die Anwendungskurve wird steil nach oben gehen.
So wie sich das für mich alles darstellt, ist es gerade der österreichische Mittelstand, der am meisten von dieser Revolution profitieren kann, oder?
Ja, absolut. Das fängt beim K von KMU an. Beim Mittelstand ist wahrscheinlich der größte Hebel. Es geht nicht um den Selbstzweck, sondern es soll am Ende des Tages unterm Strich etwas herauskommen – Mehrgewinn, Optimierung, Nachhaltigkeit, ein neues Produkt, was auch immer die Maßkennzahl ist. Auch große Unternehmen tun viel, auch da kann man an allen Schräubchen noch drehen. Aber gerade im Mittelstand gibt es viel Potenzial. Da sind die Effekte wesentlich schneller spürbar.
Ist das dann so etwas wie ein Chancengleichmacher? Oder anders gesagt: können so selbst Unternehmen, die vielleicht in den vergangenen Jahren technologisch ein bisschen hinterher waren, damit sehr schnell auf eine Stufe mit anderen kommen?
Ich glaube, sie können sogar zwei, drei Zwischenschritte überspringen. Natürlich gibt es Stichworte wie Brownfield oder Greenfield. Das ist eine philosophische Frage und hat nichts mit der Technologie, sondern mit der Kultur und dem Change-Willen eines Unternehmens zu tun. Aber ein Mittelständler mit selbst gestrickten Insellösungen zum Beispiel, bei dem sowieso eine größere Änderung ansteht, kann sich diese Zwischenschritte ersparen und gleich bei der Zukunft ansetzen. Das ist dann vielleicht nicht nur ein Gleichstellen, er kann damit den einen oder anderen Schritt im Mitbewerb voraus sein.
Das klingt, als wäre genau jetzt der perfekte Zeitpunkt für eine positive Veränderung, auch mit Unterstützung von SAP – und das heißt dann auf Englisch SAP Now.
Ja, auf der SAP Now, unserem wichtigsten Business-Event, zeigen wir unseren Kunden eine Vielzahl an Möglichkeiten. Am 19. September ist es in der Wiener Marx Halle wieder so weit.
Worauf können sich die Teilnehmer, Kunden und Partner hinsichtlich der SAP Now im September schon jetzt freuen?
Es wird Sie nicht überraschen, wenn ich Ihnen sage, dass wir auch in Österreich vieles davon, was wir auf der Sapphire in Barcelona gesehen haben, präsentieren werden. Eines der Highlights wird ein spezieller End-to-End-AI-Showcase sein, so viel darf ich schon verraten. Hier werden wir Technologie für unsere Kunden und Partner zum Angreifen und Ausprobieren vorstellen. Wie in den vergangenen Jahren auch wird es viele Beispiele mit österreichischen und internationalen Kunden-Storys geben, wir werden Kunden gemeinsam mit unseren Partnern auf die Bühne holen.
Generell wird unser Partner-Ökosystem wieder stark vertreten sein. Es wird also weniger eine Produktshow, sondern immer im Zusammenhang damit stehen, was unsere Kunden davon haben. Besonders freue ich mich auf unseren Highlight-Keynote-Speaker Sepp Hochreiter (Anm.: Informatiker und Universitätsprofessor; leitet an der Johannes-Kepler-Universität Linz das Institute for Machine Learning und das Labor für Artificial Intelligence). (RNF)