Früh übt sich: Wer in einer digitalen Welt erfolgreich sein möchte, sollte sich früh damit auseinandersetzen. © Fotolia/Sunny studio
Bereit für die Digitalisierung und ihre Folgen? Für Jugendliche, die nach einem technischen Beruf streben, ist das die entscheidende Frage. Experten diskutieren über mögliche Strategien.
Früher brauchte ein Auto viele PS, um schnell zu beschleunigen, heute braucht es viele digitale Assistenzsysteme als letzte Vorstufe zum Selber-Lenken“, verdeutlicht Erwin Rauscher, Rektor der Pädagogische Hochschule Niederösterreich. Anlass dieses Statements war der Auftakt der Lehrveranstaltungsreihe „Industrie 4.0 – Berufsbildung 4.0“ Ende letzten Jahres in Baden, bei dem Experten aus Wirtschaft und Industrie jene Herausforderungen skizzierten, die durch die Digitalisierung und Automatisierung in der Industrie auf die Berufsausbildung zukommen.
Lebenslanges Lernen: unverzichtbar!
In einer kleinen Rückschau veranschaulichte Rauscher die Entwicklung der Industrie von 1.0 auf nun 4.0 und warnte schließlich vor zu großer Ängstlichkeit: „Digitalisierung ist kein Schicksal durch Technik, sondern eine Gestaltungsaufgabe: unsere.“ Genau um diese Gestaltung geht es bei diesem Projekt, erklärte Projektleiter Christian Schrack vom Bundesministerium für Bildung: 15 Cluster mit insgesamt 40 Schulen in ganz Österreich vernetzen sich in diesem Rahmen mit Praxis- und Forschungspartnern aus der Wirtschaft und entwickeln gemeinsame Projekte. Ziel der begleitenden Lehrveranstaltungsserie sei es, zu einem gemeinsamen Verständnis für die Anforderungen der Industrie 4.0 und damit einhergehend für die Berufsbildung 4.0 zu kommen und die gemeinsamen Projekte aus diesem Verständnis heraus zu entwickeln. Impulse dazu gaben gestern Silvia Rathgeb, University Alliances Director Austria der Firma SAP, und AMS-Vorstand Johannes Kopf. Rathgeb beleuchtete in ihrer Keynote die Anforderungen an die berufliche Bildung aus Sicht eines internationalen Technologieunternehmens. „Die einzige Konstante im Bereich der IT ist Veränderung“, so Rathgeb. Aus einem dreistufigen Leben aus Lernen, Arbeiten und Ruhestand werde ein mehrstufiges Leben, in dem das Berufsleben von ständigem Weiterlernen begleitet wird. „65 Prozent der Kinder, die heute in die Grundschule eintreten, werden in völlig neuen Jobtypen arbeiten, die heute noch nicht existieren.“ Die Halbwertszeit von Wissen werde unter fünf Jahre sinken, glaubt Rathgeb.
Theoretisches Wissen ist zu wenig
Als Fähigkeiten, die Absolventen benötigen, um zukünftig jobfit zu sein, beschrieben sowohl Rathgeb als auch Kopf vor allem Problemlösungskompetenz, kritisches Denken, Kreativität, Empathie und die Fähigkeit zur Zusammenarbeit. Theoretisches Wissen sei zwar immer noch das Um und Auf, zusätzlich erwarte sich die Industrie heute aber auch Anwendungswissen, die Bereitschaft zu lebenslanger Weiterentwicklung und dass Bewerberinnen und Bewerber multidisziplinärer und vernetzter ausgebildet als früher. „Menschen brauchen heute ein Bündel an formaler Qualifikation, Kompetenzen und Fähigkeiten, das die menschliche Arbeitskraft von Robotern oder programmierten Algorithmen merklich abhebt“, so AMS-Vorstand Kopf. „Ich glaube nicht, dass uns die Arbeit ausgeht. Die Schwierigkeit liegt aber darin, zu wissen, welche neuen Arbeitsplätze entstehen werden und wie wir die Leute dafür qualifizieren sollen.“
Rollenwechsel für Lehrende
Für die Lehrenden in der Ausbildung gehe es um einen Rollenwechsel von der Wissensvermittlung hin zu Coaching und Lernbegleitung: „Als Lehrender können Sie nicht mehr alles wissen“, so Silvia Rathgeb, bei SAP Österreich verantwortlich für das schulische und universitäre Ausbildungsprogramm. Es gehe vielmehr darum, Schülerinnen mitzugeben, wie sie sich eigenständig Wissen aneignen können. Einen Blick darauf, wie weit Berufsbildende Schulen schon heute auf die Herausforderungen der Industrie 4.0 eingehen, warf Sektionschef Christian Dorninger vom Bundesministerium für Bildung: „Es passiert schon sehr viel an den Schulen. Da kann man nicht sagen, wir müssen noch zehn Jahre nachlernen oder so.“ Es gelte aber, am Ball zu bleiben und vor allem ein ordentliches Weiterbildungskonzept zu entwickeln, so Dorninger.
Projektentwicklung mit der „Design-Thinking“-Methode
Nach den theoretischen Inputs entwickelten die anwesenden Schulleiter, Abteilungsvorstände und Lehrer aus berufsbildenden Schulen gemeinsam mit Vertretern der Industrie ihre Projekte der Zusammenarbeit. SAP unterstützte das Bildungsprojekt am Nachmittag. Unter Anwendung der Design-Thinking-Methode führte Silvia Rathgeb gemeinsam mit ihrem Team von sechs Design-Thinking-Coaches durch die Phasen eines Innovationsprozesses. In kleinen, interdisziplinär zusammengesetzten Teams wurde ein ganzheitlicher Ansatz für Projekte entwickelt. An zwei weiteren Lehrveranstaltungstagen im März werden sich die Teams aus den Clustern dann über den aktuellen Status ihrer Projekte austauschen, im Herbst 2018 werden schließlich die Ergebnisse der Projekte präsentiert.
Das Ressort von Barbara Schwarz, niederösterreichische Landesrätin für Soziales, Bildung und Familie, hat diese Veranstaltung im Rahmen der Digitalisierungsoffensive unterstützt. (VM)