Nicht nur Politik und Gesellschaft, auch der Finanzmarkt kann einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz leisten. © Adobe Stock/solvod
Wer etwas erreichen will, muss investieren. Zeit, Energie aber vor allem Kapital, denn: Unser Geld regiert die Welt – aber kann es sie auch retten?
Die Zahl ist beeindruckend: Laut einer Schätzung der EU-Kommission werden zumindest 180 Milliarden Euro jährlich an zusätzlichen Finanzmitteln in der EU benötigt, um die Klima- und Energieziele aus dem Pariser Klimaschutzabkommen und damit die Verringerung der Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius bis 2030 zu erreichen. Um diese klaffende Lücke zu schließen, sind jedoch nicht nur Initiativen der Gesellschaft, Regierungen, Technologie- und Infrastrukturkonzerne gefordert, sondern ebenso die Finanzwirtschaft.
Dynamische Marktentwickelung
Im Rahmen internationaler Übereinkommen wie der UN-Nachhaltigkeitsziele und des Pariser Klimaschutzabkommens sollen ökologische und soziale Standards langfristig im Finanzsektor verankert werden. Mit diesem Ziel hat die Europäische Kommission im März 2018 den EU-Aktionsplan für ein nachhaltiges Finanzwesen veröffentlicht, der unter anderem die Entwicklung eines einheitlichen EU-Klassifikationssystems (Taxonomie) für nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten fokussiert.
Spätestens seit Erscheinen dieses Aktionsplans zeichnet sich der Markt für verantwortungsvolle Investitionen und nachhaltige Geldanlagen durch eine bis dahin nicht gekannte Dynamik aus, heißt es im aktuellen Marktbericht des Forum Nachhaltige Geldanlagen e. V. Mit einer Gesamtsumme von 21,8 Milliarden Euro beobachtet der Bericht, der die Entwicklung in der DACH-Region unter die Lupe nahm, auch in Österreich einen neuen Höchststand. Nachhaltige Fonds und Mandate übersprangen die Zehn-Prozent-Marke und machten Ende 2018 12,8 Prozent des gesamten österreichischen Investmentfondsmarktes aus.
Banken erwarten deutlichen Anstieg grüner Investments
„Es sind die institutionellen Anleger, die verstärkt auf nachhaltige Geldanlagen setzen und dieser Produktpalette zum Durchbruch verhelfen“, sagt Gerald Prior, Vorstandsvorsitzender der auf Banken spezialisierten Unternehmensberatung Cofinpro aus Deutschland. „Gründe dafür sind einerseits strengere Auflagen für Fonds, die vermehrt an Nachhaltigkeitskriterien ausgerichtet sein müssen. Andererseits findet in der Branche auch ein Umdenken statt.“
Eine im August 2019 von Cofinpro und der VÖB-Service GmbH durchgeführte Studie belegt ein aufrichtiges Interesse an nachhaltigen Geldanlagen auf Seiten der Profis. Die Finanzexperten nehmen sich selbst in die Pflicht, den Fokus auf Umwelt- und Governance-Themen zu legen. 67 Prozent sagen, dass sie sich mit diesen Investments beschäftigen, um Verantwortung für einen nachhaltigen Wandel zu übernehmen. Die Einhaltung regulatorischer Vorgaben ist dagegen nur für jeden Dritten ausschlaggebend.
„In den Banken wird das Thema immer wichtiger. Und die aktuelle Nachrichtenlage über Klimaveränderungen und Umweltbewegungen hat das Bewusstsein dafür sicherlich noch geschärft“, bestätigt auch Stefan Hirschmann, Mitglied der Geschäftsleitung der VÖB-Service GmbH, den Vormarsch des nachhaltigen Finanzwesens. „Mit dieser neuen Ausrichtung erfüllen die Banken auch die Erwartungen der Öffentlichkeit, denn 74 Prozent der Bundesbürger möchten, dass die Banken Druck auf die Unternehmen ausüben, um nachhaltig zu wirtschaften.“
Finanzbranche kann Wirtschaft zu mehr Nachhaltigkeit drängen
In der Finanzbranche ist die Überzeugung, einen positiven Beitrag leisten zu können, ausgeprägt: Neun von zehn Experten stimmen der Aussage zu, dass die Finanzwirtschaft gesellschaftliche Verantwortung übernehmen und nachhaltiges Handeln in der Wirtschaft vorantreiben kann. Dem Kapitalmarkt kommt damit eine Schlüsselrolle zu, um die von der EU gewünschten Ziele zu erreichen. Denn über den Umweg der Investmentbranche soll Druck auf Unternehmen ausgeübt werden, damit diese klimapolitische Risiken berücksichtigen.
Aber stehen grüne Investments und Rendite im Einklang? Zwei von drei Profis sehen darin keinen Zielkonflikt und sagen: Nachhaltigkeit geht nicht zulasten der Performance. Das Identifizieren und Klassifizieren von nachhaltigen Investments bleibt für die Bankenbranche jedoch eine Herausforderung: 85 Prozent der Finanzexperten geben an, dass für nachhaltige Investments die Produktauswahl schwieriger ist, und 72 Prozent glauben, dass umfangreichere Informationen benötigt werden. „Der Mehraufwand für diese Produkte schlägt sich in höheren Kosten nieder, und das belastet die Gesamtrendite“, gibt Cofinpro-Vorstand Prior zu bedenken.
Erste grüne Bank Österreichs
Auch in der österreichischen Bankenlandschaft hat der Trend zu Sustainable Finance bereits mehrere Steine ins Rollen gebracht. Mit der Gründung des Umweltcenters legte die Raiffeisenbank Gunskirchen, als regional stark verankerte und eigenständige Genossenschaftsbank, bereits im Jahr 2012 den Fokus auf soziale, ökologische und nachhaltige Finanzierungen und Veranlagungen. Die vom Umweltcenter finanzierten Projekte reichen vom ökosozialen Wohnbau über Biomasse, Recycling, Windkraft und die Errichtung von Photovoltaikanlagen bis hin zur Null-Prozent-Finanzierung für E-Autos oder ökologisches Bauen.
Im Jahr 2018 sind 34,48 Mio. Euro in nachhaltige und ökologische Projekte investiert worden. Mit nachhaltigen Umweltsparbüchern, Umweltkonten und Anlageprodukten wie den Sonnenbausteinen sowie zahlreichen institutionellen Anlegern und Partnern wie Grüne Erde, Biogena u. v. m. erreichte das Umweltcenter im vergangenen Geschäftsjahr 2018 ein Gesamtvolumen von 75,15 Mio. Euro.
Die Raiffeisenbank Gunskirchen beschäftigt aktuell 52 Mitarbeiter in fünf Bankstellen, wovon sechs im Umweltcenter tätig sind. „Als Österreichs erste grüne Bank ist es uns wichtig, die Menschen bestmöglich über nachhaltige Geldanlagen und alternative Investments zu informieren“, erläuterte Kristina Proksch, Leiterin des Umweltcenters. „Je mehr jeder Einzelne darüber weiß und je umfangreicher man sich informiert, desto besser, und das gleich im doppelten Sinn: besser für das eigene Geldbörserl und besser für die Umwelt.“
Starke Nachfrage nach OeKB Sustainability Bond
Die Oesterreichische Kontrollbank AG (OeKB) hat mit dem „Sustainability Bond“ am 1. Oktober 2019 eine Nachhaltigkeitsanleihe herausgegeben, deren Netto-Emissionserlöse zu 70 Prozent zur (Re-)Finanzierung von Sozialprojekten und zu 30 Prozent zur (Re-)Finanzierung von Umweltprojekten verwendet werden. Mit einem Anteil von 38 Prozent sollen die Geldmittel vorrangig in Projekte zur Verbesserung des Gesundheitswesens und der Ausbildungsmöglichkeiten in Entwicklungsländer fließen. Damit können etwa im Bereich der medizinischen Grundversorgung 622 neue Spitalsbetten eingerichtet und 4.984 Spitalsplätze für insgesamt 1,7 Millionen Menschen modernisiert werden. Zusätzlich werden die Ausbildungsmöglichkeiten von mehr als 1.500 Schülern und Studenten verbessert.
Die Nachfrage gestaltete sich durchaus positiv: Gleich die erste Emission eines Sustainability Bonds war mit einer Laufzeit von sieben Jahren und einem Volumen von 500 Millionen Euro deutlich überzeichnet. Das Orderbuch wurde bei einem Stand von fast 1,7 Milliarden Euro und 72 Investoren geschlossen.
„Schon im Vorfeld der Emission haben uns Gespräche mit potenziellen Investoren ein sehr hohes Interesse an nachhaltigen Anleihen und an unserem Sustainability Bond bestätigt. Vor allem institutionelle Investoren wie Vermögensverwalter mit Fokus auf Socially Responsible Investments, Versicherungen und Banken zeigten sich besonders interessiert. Die sehr starke Überzeichnung hat uns dennoch überrascht und freut uns umso mehr“, so Angelika Sommer-Hemetsberger, im Vorstand der OeKB für Kapitalmarktaktivitäten zuständig.
Grüne Darlehen: Wenn Nachhaltigkeit den Zinssatz senkt
Ebenso setzt die ING Group auf nachhaltiges Wachstum. Mit dem „Sustainability Improvement Loan“ geht sie über die üblichen „grünen Kredite“ hinaus, die ausschließlich den Umweltaspekt berücksichtigen. Ihr Angebot ist an ein Nachhaltigkeitsrating des Kreditnehmers gekoppelt, bei dem auch Parameter wie Soziales und Governance berücksichtigt werden. Der Darlehenszins hängt von der Nachhaltigkeitsleistung des Unternehmens ab: Mehr Nachhaltigkeit senkt den Zinssatz – und umgekehrt. „Dieses Modell ist ein sehr wichtiger Motivator. Nachhaltiges Wirtschaften muss sich auszahlen“, ist Barbaros Uygun, CEO der ING in Österreich, überzeugt. Im Bereich der Sustainable Investments zielt die ING vor allem auf Initiativen ab, die den Energie-, Material- und Wasserverbrauch im Fokus haben. Hier werden Eigen- und Fremdkapitallösungen zu einem jeweils individuellen Paket geschnürt. Darüber hinaus gibt die ING Green und Social Bonds aus und treibt damit die Entwicklung grüner und sozialer Projekte voran.
Auch war die ING in Österreich federführend an der Koordination eines grünen Konsortialkredits in Milliardenhöhe für die voestalpine AG beteiligt. Die ESG-linked syndicated credit facility ist ein Kredit über eine Milliarde Euro, dessen Zinssatz teilweise an das Nachhaltigkeitsrating des Stahlkonzerns gekoppelt ist. Er läuft bis in das Jahr 2024. Verbessert sich das durch die Ratingagentur sustainalytics erstellte Nachhaltigkeitsrating, reduziert sich auch der Zinssatz für die voestalpine.
Diese Art von grünen Krediten wurde 2017 erstmals von der ING in den Niederlanden eingesetzt. In Österreich ist das Darlehen für die voestalpine das zweite seiner Art. Ende 2018 hatte auch der Verbund ein ESG-Darlehen unter Beteiligung der ING platziert.
Luft nach oben
Trotz der durchaus positiven Entwicklungen, die der Trend zu Sustainable Finance mit sich bringt, schreitet die Begrünung des Bankensektors weltweit noch recht langsam voran. Seit dem Inkrafttreten des Pariser Abkommens zeigt die Kurve für die Finanzierung von Projekten mit fossilen Brennstoffen laut einem aktuellen Bericht des Boston Common Asset Management Jahr für Jahr weiter nach oben. Allein zwischen 2016 und 2018 sind diese um fast zwei Billionen Dollar gestiegen – ein Betrag, der nachhaltige Finanzierungsleistungen im gleichen Zeitraum leider noch in den Schatten stellt. (BO)
INFO-BOX
Umweltzeichen 49 für Nachhaltige Finanzprodukte
Das Österreichische Umweltzeichen 49 für Nachhaltige Finanzprodukte wird seit 2004 vergeben und verzeichnet in den letzten fünf Jahren starke Zunahmen bei der Zahl der zertifizierten Produkte: Waren im Jahr 2014 noch 48 Finanzprodukte zertifiziert, hat sich diese Zahl 2018 verdoppelt. In den vergangenen eineinhalb Jahren sind weitere 28 Produkte zertifiziert worden, sodass derzeit (Stand Oktober 2019) 126 Finanzprodukte zertifiziert sind.
Die Auswahlkriterien für Umweltzeichen-Fonds sind klar definiert und werden von fondsinternen Einrichtungen oder externen Organisationen überprüft. Ausgeschlossen sind Fonds, die in Atomkraft, Rüstungsgüter oder in den Handel damit investieren. Aktivitäten im Bereich Gentechnik werden ebenfalls überprüft und können gegebenenfalls zu einem Ausschluss führen. Ebenso ausgeschlossen sind Investitionen in Unternehmen oder Einrichtungen, die systematisch Menschen- oder Arbeitsrechte sowie zentrale politische, soziale oder Umweltstandards verletzen.
(Quelle: Österreichisches Umweltzeichen 2019)