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Luft nach oben.

NEW BUSINESS - NR. 10, OKTOBER 2023
Der heimische Wirtschaftsstandort hat in puncto Wettbewerbsfähigkeit noch so manches zu verbessern. © Adobe Stock/ phonlamaiphoto

In letzter Zeit war am rot-weiß-roten Wirtschaftsstandort wenig Bewegung zu beobachten.

Wo der Aufholbedarf besonders groß ist und was notwendig wäre, damit Österreich im globalen Wettbewerb an Höhe gewinnt.

Österreich gilt immer noch als attraktiver Wirtschaftsstandort, doch in den wichtigsten internationalen Standortrankings verharrt die Alpenrepublik seit Jahren im Mittelfeld. Mit dem Deloitte Radar werden jährlich die Attraktivität und internationale Wettbewerbsfähigkeit des österreichischen Wirtschaftsstandortes untersucht.

Für die aktuelle Ausgabe wurden mehr als 180 heimische Führungskräfte befragt und die wichtigsten globalen Standort-Indizes analysiert. Im internationalen Vergleich zeigt die Entwicklung der letzten zehn Jahre: Die Alpenrepublik hat sich im Mittelfeld der Industrienationen eingerichtet, viel Bewegung gibt es jedoch nicht. Im Deloitte-Radar-Europa-Ranking, dem Durchschnitt der herangezogenen Indizes, belegt Österreich im Jahr 2023 nur Platz 10 – mit keiner Aussicht auf eine Verbesserung in Richtung Top-Positionen.

„Österreich hält sich im globalen Wettbewerb solide, aber vergleichbare Standorte sind mit Abstand vor uns. Unser Ziel sollten die Top 5 in Europa sein, dafür gibt es aber großen Handlungsbedarf: Vor allem der anhaltende Arbeitskräftemangel, gepaart mit der anrollenden Pensionierungswelle, bringt Herausforderungen mit sich, denen sich der Wirtschaftsstandort stellen muss“, fasst Harald Breit, CEO von Deloitte Österreich, das Ergebnis zusammen.

Ein funktionierender Arbeitsmarkt gilt im internationalen Wettbewerb als zentraler Erfolgsfaktor. Das unterstreichen auch die heimischen Führungskräfte: Mehr als zwei Drittel sehen die Rolle des Arbeitsmarktes als sehr wichtig an. Laut den Befragten ist Österreich hier im europäischen Vergleich noch relativ gut aufgestellt:

39 Prozent vergeben für den Arbeitsmarkt ein „Sehr gut“ oder „Gut“. Der Großteil der Befragten (41 %) rechnet allerdings mit einer negativen Entwicklung. „Es fehlt in Österreich an Ambition, das Problem des Personalmangels strukturell zu lösen. Das ist gefährlich, denn der Arbeitskräftemangel wird uns noch lange begleiten“, kommentiert Breit.

Klare Schwächen finden sich vor allem bei der Beschäftigung älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer: 43 Prozent vergeben dafür ein „Genügend“ oder „Nicht genügend“. Auch die Attraktivität des Arbeitsmarktes für Expats lässt zu wünschen übrig. 38 Prozent benoten diese mit „Genügend“ oder „Nicht genügend“, 39 Prozent mit „Befriedigend“.

Die Unternehmen haben klare Vorstellungen, was nun zu tun wäre: So halten 90 Prozent steuerliche Erleichterungen bei Zuverdienstmöglichkeiten in der Pension für wichtig, 86 Prozent fordern die Senkung der Lohnnebenkosten für Arbeitnehmende ab 60 Jahren. Ein weiterer Punkt ist die aktive Zuwanderungspolitik: 86 Prozent bewerten diese für Schlüsselbranchen als wichtig. Ein erleichterter Arbeitsmarktzugang für Geflüchtete hat die Zustimmung von 83 Prozent der Befragten.

„Die Unternehmen haben die wichtigsten Stellschrauben identifiziert: Neben gezielten Zuwanderungsprojekten braucht es umfassende Qualifizierungsoffensiven sowie Aus- und Weiterbildungskampagnen“, betont Elisa Aichinger, Partnerin im Consulting bei Deloitte Österreich. „Auch die flächendeckende Kinderbetreuung sowie die Flexibilisierung von Arbeitszeit und -ort müssen laut den Führungskräften angegangen werden.“

Steuersystem bleibt Hemmschuh
Seit Jahren gilt auch das österreichische Steuersystem im internationalen Wettbewerb der Wirtschaftsstandorte als Nachteil. Wie die jüngste Deloitte Austrian Tax Survey belegt, hat sich daran trotz abflachender Corona-Nachwehen nichts geändert. Vielmehr verleihen die jüngsten Entwicklungen rund um Digitalisierung, Inflation und Klimawandel den Forderungen nach einer Reform des Steuersystems zusätzlich Gewicht. 

Wie die Umfrage unter mehr als 200 heimischen Führungskräften zeigt, bewerten mehr als zwei Drittel (72 %) der Befragten das österreichische Steuersystem als Herausforderung. Vor allem widersprüchliche Interpretationen der Regelungen durch die Finanzverwaltung (61 %) sowie häufige Gesetzesänderungen (55 %) bereiten große Sorgen.

„Das komplexe Steuersystem und die hohen Abgaben erschweren das Wirtschaften in Österreich schon seit Jahren enorm. Gepaart mit den globalen Entwicklungen der vergangenen Monate, wirkt sich das negativ auf die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes aus. Um die negativen Folgen etwas abzufedern, braucht es rasch eine Reform des Steuersystems“, betont Herbert Kovar, Managing Partner Tax & Legal bei Deloitte Österreich.

Veränderungen im System sind auch angesichts der fortschreitenden Digitalisierung und der weiteren Verbreitung von künstlicher Intelligenz (KI) unabdingbar. Die Mehrheit der befragten Führungskräfte (88 %) rechnet damit, dass KI starke bis mittelmäßige Auswirkungen auf die Prozesse in den Steuerabteilungen haben wird. Damit steigt auch der Bedarf an dafür ausgebildeten Fachkräften. Um den Wirtschaftsstandort für diese attraktiv zu machen, gilt die Entlastung des Faktors Arbeit als zentraler Hebel.

„Laut Umfrage sprechen sich ganze acht von zehn Unternehmen für eine Senkung der Lohnnebenkosten aus. Mehr als die Hälfte wünscht sich auch eine Senkung der Einkommenssteuer über die kalte Progression hinaus. Diese Forderungen sind zwar nicht neu, vor dem Hintergrund des drohenden wirtschaftlichen Abschwungs gewinnen sie allerdings an Brisanz“, so Herbert Kovar.

Neben dem Arbeits- und Fachkräftemangel sorgt auch die anhaltend hohe Inflation für Kopfzerbrechen. Mehr als ein Viertel der Befragten ist davon überzeugt, dass diese unter anderem mit steuerlichen Maßnahmen bekämpft werden kann. Vor allem die temporäre Senkung der Umsatzsteuer – generell sowie speziell auf Grundnahrungsmittel – und die vorübergehende Umsatzsteuer­befreiung der Mieten werden in diesem Zusammenhang genannt.

Mehr Leistungsanreize für Arbeit in Umsetzung
Ein paar Steine sind mittlerweile ins Rollen gekommen. Mitte September hat die Bundesregierung ein erneutes Entlastungspaket im Umfang des noch nicht erfassten Volumens der kalten Progression präsentiert. Die Industriellenvereinigung (IV) hat im vergangenen Herbst in ihrem „Leistung muss sich lohnen“-Paket auf die Notwendigkeit hingewiesen, überdurchschnittlichen Arbeitseinsatz zu attraktiveren und Leistung zu belohnen. Dies unter anderem durch die Anhebung der Steuerbefreiung für Überstunden:

„Wer freiwillig bereit ist, mehr zu leisten, darf daraus keinesfalls Nachteile ziehen. Im Gegenteil: Leistung in Österreich soll sich auch für die Menschen entsprechend lohnen. Mit der Anhebung der maximalen Anzahl an steuerfreien Überstunden von 10 auf 18 pro Monat sowie der Erhöhung des Deckels auf 200 Euro zeigt die Bundesregierung, dass sie bereit ist auch die entsprechenden Anreize für Mehrarbeit zu setzen“, zeigt sich Georg Knill, Präsident der Industriellenvereinigung, über die Umsetzung vorgeschlagener IV-Maßnahmen erfreut.

Die Industriellenvereinigung setzt sich für Leistungsanreize für arbeitende Menschen in Österreich ein, dazu zählt auch der entsprechende Ausbau der Kinderbetreuung und -bildung. In diesem Sinne hat die IV unter anderem auch die Erhöhung des Zuschusses zur Kinderbetreuung und steuerliche Erleichterungen für Betriebskindergärten vorgeschlagen, welche im vorliegenden Paket ebenfalls Berücksichtigung findet:

„Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, müssen wir alle Potenziale ausschöpfen und die Rahmenbedingungen so gestalten, dass eine Vollzeittätigkeit nicht nur attraktiv, sondern auch möglich ist. Denn aktuell gibt es rund 72.000 Frauen, die gerne mehr arbeiten möchten, aber aufgrund ihrer Betreuungspflichten davon absehen“, so Knill, und er meint weiter: „Neben den kürzlich angekündigten 4,5 Mrd. Euro für die Elementarpädagogik sind auch die angekündigten steuerlichen Erleichterungen für Betriebskindergärten ein positives Signal für die zahlreichen Unternehmen, die bereits eigenständig Lösungen zur Kinderbetreuung anbieten.“

Neben diesen Maßnahmen spricht sich der IV-Präsident für weitere umsetzbare Anreize aus, beispielsweise im Fall der Weiterarbeit nach dem Regelpensionsalter, um die Leistungspotenziale am Arbeitsmarkt rasch zu heben: „Uns fehlen Arbeits- und Fachkräfte in fast allen Branchen. Nach Expertenschätzungen werden es in den nächsten zehn bis zwölf Jahren sogar 540.000 fehlende Arbeitskräfte werden, dabei reden wir von einer Größenordnung des Bundeslandes Salzburg.“

Das Paket „Leistung muss sich lohnen“, durch die IV Österreich und IV Oberösterreich vorgestellt, beinhaltet weitere konkrete Maßnahmen zur Entlastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und für gezielte Anreize, um Arbeit und Leistung zu fördern. „Es ist erfreulich, dass die Bundesregierung einige Vorschläge daraus aufgenommen hat und nun umsetzen wird. Das ist ein positives Signal für den Standort und die zahlreichen Menschen, die tagtäglich unser Land am Laufen halten“, so Knill.

WKÖ und WIFO liefern Erkenntnisse zu den Folgen der hohen Energiepreise
Neben Kostendruck durch eine Inflationsrate deutlich über dem Schnitt der Eurozone, einer sinkenden Nachfrage und dem Rückgang bei neuen Aufträgen, hohen Investitionen in die Dekarbonisierung, Schwierigkeiten bei der Verfügbarkeit von Rohstoffen, Arbeitskräftemangel sind es vor allem die hohen Energiepreise, die die rot-weiß-rote Wirtschaft dieser Tage belasten.

„Wir verlieren im internationalen Vergleich deutlich an Wettbewerbsfähigkeit und müssen dringend gegensteuern, um drastische Auswirkungen auf unseren Standort zu verhindern. Die Wirtschaftskammer Österreich hat das WIFO daher beauftragt, aussagekräftige Erkenntnisse zu den Folgen der hohen Energiepreise zu liefern“, so Karlheinz Kopf, Generalsekretär der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ). Gemeinsam mit dem Direktor des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO), Gabriel Felbermayr, und dem WIFO-Experten Werner Hölzl präsentierte er Mitte Juli die Ergebnisse. 

Dafür hat das WIFO in unterschiedlichen Modellrechnungen die Auswirkungen hoher Energiepreise untersucht. Und schon das Szenario, dass die Energiepreise zwar hoch, aber unter den derzeit beobachteten Werten bleiben, zeigt stark negative Effekte: So würden die österreichischen Warenexporte langfristig um rund 2,1 Prozent unter dem Nicht-Krisenniveau bleiben, die Industrieproduktion um etwa drei Prozent.

„Die asymmetrische Verteilung der Energiepreisanstiege über die Weltregionen hinweg hat die Wettbewerbsfähigkeit des österreichischen und der europäischen Exportwirtschaft beeinträchtigt“, so Gabriel Felbermayr „Die Modellergebnisse zeigen auch, dass es zu einer Verschiebung der Produktion kommen kann und dass die hohe internationale Verschränkung globaler Wertschöpfungsketten die Dynamik der Industrie beeinflusst.“

Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit bei ­weiterhin hohen Energiepreisen erwartet
Das Update der WIFO-Industriebefragung (Sample: 1.076 Unternehmen aus unterschiedlichen Segmenten der Sachgüterzeugung; Rücklaufquote: 25,8 Prozent; Zeitraum Februar/März 2023) erlaubt Rückschlüsse darauf, wie Unternehmen mittelfristig strategisch auf weiterhin hohe oder steigende Energiepreise reagieren.

So bestätigen die Befragungsergebnisse, dass die Preisanstiege von Energie und energieintensiven Vorleistungen die Ertragslage der Unternehmen negativ beeinflusst haben. Dabei melden Unternehmen mit hoher Energieintensität überdurchschnittlich oft stark negative Auswirkungen durch die Preissteigerungen.

Rund die Hälfte der Unternehmen (49 Prozent) erwartet bei weiterhin hohen Energiepreisen eine Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit gegenüber europäischen und außereuropäischen Mitbewerbern. Aus- und Verlagerungen werden begünstigt. Rund 47 Prozent der befragten Unternehmen geben an, dass die Verlagerung von Produktionsschritten ins Nicht-EU-Ausland durch hohe Energiepreise begünstigt wird.

Mehrheitlich rechnen die befragten Unternehmen mit Rückgängen bei Investitionen im Inland. Zwar werden Investitionen in Energieeffizienz deutlich ansteigen, diese können durch hohe Energiepreise ausgelöste Investitionsrückgänge aber nicht kompensieren.

„Während sich das Problem der Lieferengpässe bei Investitionen in energiesparende Maßnahmen mit der Zeit lösen dürfte, sehen sich die Unternehmen erheblichen technologischen, regulatorischen und wirtschaftlichen Hemmnissen und Unsicherheiten gegenüber, welche die Investitionsbereitschaft dämpfen“, erläutert Werner Hölzl die Befragungsergebnisse.

Zu bedenken gibt Karlheinz Kopf auch, dass große Industrienationen und globale Wirtschaftsräume aktuelle industriepolitische Strategien verfolgen: China etwa mit massiven Förderungen für Photovoltaik, die USA mit dem Inflation Reduction Act als einer neuen Dimension im Subventionsrennen oder Deutschland mit der Diskussion über einen Industrie- bzw. Transformationsstrompreis, womit der Subventionswettbewerb in der unmittelbaren europäischen Nachbarschaft angekommen ist. „Politisch nicht zu reagieren ist die gänzlich falsche Option, denn der Verlust der Wettbewerbsfähigkeit trifft mittelfristig alle Betriebe im Land – egal ob Industrie oder Mittelstand.“

Europa braucht Bekenntnis zu einem starken, ­gemeinsamen Wirtschaftsstandort
Die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit bleibt auch auf europäischer Ebene eine anhaltend brisante Thematik. Anlässlich der Rede zur Lage der Europäischen Union von EU-Kommissionspräsidentin Ursula Von der Leyen am 13. September betonte Mariana Kühnel, stellvertretende Generalsekretärin der WKÖ, dass das Bekenntnis zu einem Europa als starkem, gemeinsamem Wirtschaftsstandort wettbewerbsentscheidend sei für die künftige Ausrichtung der Union. Von der Leyens umfassendes Bekenntnis zur industriellen Wettbewerbsfähigkeit sei positiv zu werten, „den Worten müssen aber auch Taten folgen“.

Die EU-Kommissionspräsidentin hatte erste Schritte zur Entlastung von KMU bereits in ihrer letzten „Rede zur Lage der EU“ im Herbst 2022 angekündigt und nun einen konkreten EU-Gesetzesvorschlag dazu für Oktober 2023 in Aussicht gestellt. Vom Ziel, einen Bürokratieabbau von 25 Prozent zu erreichen, sei man aber weiterhin entfernt, insbesondere wenn man die derzeitig diskutieren zusätzlichen Belastungen berücksichtigt“, so Kühnel. Dazu gehören etwa das EU-Lieferketten­gesetz sowie die Informations- und Berichtspflichten für Unternehmen durch den Critical Raw Material Act.

Positiv wertet Kühnel die Beauftragung des früheren italienischen Ministerpräsidenten und Ex-EZB-Chefs Mario Draghi, einen Bericht zur Zukunft der Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Wirtschaft zu erstellen. Zudem soll es bis Jahresende einen europäischen KMU-Beauftragten geben.

„Europa hat Handlungsbedarf, um die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts zu stärken und die drohende Abwanderung der Industrie zu verhindern. Als Wirtschaftskammer haben wir hier viel Expertise, die wir auch auf europäischer Ebene gerne einbringen.“

Auch der für 2024 unter belgischer EU-Ratspräsidentschaft angekündigte Europäische Sozialpartnergipfel sei eine Anerkennung der Bedeutung der europäischen Sozialpartnerschaft, die wichtigen Input zur Weiterentwicklung der EU liefern könnte.

Dass Kommissionspräsidentin Von der Leyen ein klares Bekenntnis zu weiteren EU-Erweiterungsschritten abgelegt hat, wird von der WKÖ begrüßt: „Die EU-Erweiterungen ab 2004 haben zu mehr Wachstum, Wohlstand und Beschäftigung, insbesondere auch in Österreich geführt. Dies wird auch der Fall sein, wenn etwa die Länder des Westbalkans näher an die EU rücken“, prognostiziert Kühnel. „Wenn es hier schon vor dem Vollbeitritt mehr Partizipationsmöglichkeiten für geeignete EU-Kandidaten gibt, ist das jedenfalls positiv.“ (BO)